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Broschüre „Sachsen rechts unten 2019“ Rechtsextreme nehmen Einfluss mit Vereinen

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Cover der Broschüre "Sachsen rechts unten 2019"

Das Kulturbüro Sachsen hat in seiner Publikationsreihe „Sachsen rechts unten“ die fünfte Ausgabe veröffentlicht. Es gibt darin einen Überblick über rechte Umtriebe 2018 in Sachsen. Das prägnanteste Ereignis des vergangenen Jahres war sicherlich die rechte Großmobilisierung zu Demonstrationen Ende August in Chemnitz. Hier war laut Kulturbüro das gesamte extrem rechte Lager, von Neonazis, ihren Parteien und Organisationen, über rechtsextreme Gruppen und Vereine bis hin zum „Ein Prozent“-Verein, dem neurechten „Institut für Staatspolitik“, „Pegida“ und der AfD vor Ort um den Schulterschluss zu vollführen.

Doch auch abseits der Aufmärsche und Übergriffe gibt es eine gefährliche Entwicklung. Daher liegt der Schwerpunkt dieser Ausgabe auf den rechtsextremen Vereinsgründungen und der Strukturarbeit der rechtsextremen Szene in Sachsen.

„Diese [rechtsextremen Strukturen] treten in den Kommunen oft als Vereine für Kulturveranstaltungen, Heimat- und Brauchtumspflege oder durch vermeintliches soziales Engagement in Erscheinung.“
(Zitate aus „Sachsen rechts unten 2019“, sofern nicht anders markiert)

Es handele sich hier um den Versuch, eine extrem rechte Zivilgesellschaft zu etablieren. Ziel ist, extrem rechtes Denken in der Alltagswelt zu verbreiten und an der Basis zu verwurzeln.

Extrem rechtes Projekt in drei Schritten

Die Broschüre arbeitet fundiert heraus, welche Schritte die „Neue“ Rechte um Kubitschek & Co. zum Erreichen ihrer Ziele ins Auge fasst:

  1. eine anschlussfähige Gesellschaftsanalyse, die zu einer Diskursverschiebung („Rechtsruck“) führen soll
  2. Verankerung der Analyse über rechte Graswurzelbewegungen mit dem Ziel einer „Mobilmachung der Zivilgesellschaft gegen ihre Bedrohung durch die Überfremdung“
  3. resultierend daraus: eine rechte „Revolte“ gegen das derzeitige politische System

Die drei Hauptbetätigungsfelder für die Vereine sind dabei die „Soziale Frage“, Kultur-, sowie Heimat- und Braumchtumsveranstaltungen.

Ein Prozent e.V.

Der Verein „Ein Prozent“ wird in der Selbstdarstellung der „neuen“ extrem rechten Vordenker*innen gern als das Flaggschiff der rechten Bürgernetzwerke präsentiert. Das Projekt wurde laut Kulturbüro auf der Compact-Konferenz im Oktober 2015 von Karl Albrecht Schachtschneider, André Poggenburg, Jürgen Elsässer, Götz Kubitschek und Martin Sellner angekündigt, die einen Querschnitt aus AfD, der „Neuen“ Rechten und den Identitären darstellen. Von Elsässer sei explizit die Gewinnung der „gesellschaftlichen Mitte“ als Ziel ausgegeben worden.

„Ein Prozent“ ist im Jahre 2019, gut drei Jahre nach der offiziellen Gründung, mit einigen lokalen rechten Bürgerinitiativen in Kontakt, die Zugänge zu verschiedenen Milieus und Institutionen im ländlichen Raum ermöglichen. Vor allem das Wirken in der Fläche, in kleineren Gemeinden, sei hier gefährlich. Manchmal würde es zu bestimmten Anlässen dem Verein auch gelingen die mediale Öffentlichkeit zu nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen, oder Diskussionen zu bestimmen.

„Viele der 2015 lose agierend erscheinenden Initiativen der Anti-Asyl-Proteste sind inzwischen als Initiativen durch den Verein „Ein Prozent für unser Land“ vernetzt. Die Initiatoren beschreiben ihre Plattform selbst gerne als ‚Greenpeace der patriotischen Bürgerbewegungen‘.“

Soziale Kampagnen von Rechts

Die Broschüre thematisiert außerdem eines der drei Betätigungsfelder der rechten Vereine explizit: „Soziale Kampagnen von Rechts“. Hier wird der Diskurs um die Vernachlässigung hilfsbedürftiger Menschen genutzt und vor dem Hintergrund des Anstiegs von Geflüchtetenzahlen ins Rassistische gewendet: soziale Hilfe und Solidarität gibt es dabei nur für „Deutsche“, also vielmehr für solche Menschen, welche die Rechtsextremen für Deutsche halten. Dieser Fokus ist nicht neu, bereits die NPD bediente ihn im Wahlkampf 2004, neu sei die Verbreitung und Verknüpfung über Social Media. Die Aktivist*innen dieser rechten Kampagnen kommen laut Broschüre mehrheitlich aus dem Neonazi-Spektrum, aus Parteien und „Freien Kameradschaften“ und legen in Sachsen ihren Schwerpunkt auf Kleinstädte wie zum Beispiel Roßwein oder Döbeln.

Freigeist e.V.

Bereits 2013 gab es in Schneeberg im Erzgebirge große Aufmärsche mit bis zu 1.800 Teilnehmer*innen gegen die Unterbringung von Geflüchteten in der Stadt, die unter dem Namen „Lichtelläufe“ bekannt wurden. Thematisch und ideologisch waren sie ein Vorläufer von Pegida und ein Abbild dessen, was zwei Jahre später in vielen weiteren Orten in Sachsen geschehen sollte: der Zusammenschluss von offenen Neonazis und „normalen Bürger*innen“ auf der Straße.

„Freigeist e.V.“ ist aus diesen „Lichtelläufen“ hervorgegangen und wendet dieselbe Strategie an. Das Langzeitziel formuliert der Vorsitzende Stefan Hartung, der auch für die NPD im Kreistag sitzt, folgendermaßen:

„Wir dürfen uns nicht länger in Pegida, NPD, AfD und so weiter zersplittern lassen. Alle, ausnahmslos alle [unverständlich], heimatliebenden Deutschen müssen sich zu einem neuen Volksaufstand vereinigen“ (Stefan Hartung in Schneeberg, 10.10.15, zitiert nach „Sachsen rechts unten 2019“)

Auch mit der Einrichtung von „Schutzzonen“, dem Aufhängen von Plakaten und dem Einschüchtern politischer Gegner*innen versucht „Freigeist e.V.“ das Klima im Erzgebirge zu beeinflussen:

„Sie normalisieren rechte und neonazistische Inhalte sowie die Personen, die sie vertreten. Gleichzeitig soll das Gefühl vermittelt werden, es handele sich um ‚normale Leute‘ und ‚normale Positionen‘, die ruhigen Gewissens gewählt werden können.“

Doch der Verein steht nur exemplarisch für die Bemühungen diverser rechter und rechtsextremer Initiativen in Sachsen. Weitere Vereine im Freistaat sind zum Beispiel „Unsere Heimat – unsere Zukunft e.V.“, auch aus dem Erzgebirge, oder „Fahrenheit 451 e.V.“ aus Pirna.

Rechtsextreme „Anti-Soziale Bewegung“

Wie die Broschüre betont, sind all diese Strategien nicht neu, auch nicht die Anschlussfähigkeit in der „Mitte der Gesellschaft“. Neu sei aber, wie sehr diese Inhalte dort verfangen. Nicht neu und dennoch problematisch sei die schleichende Diskursverschiebung nach rechts, die das Kulturbüro auch dem Wirken der geschilderten Vereine und Initiativen zuschreibt. Es handelt sich hier um eine rechte soziale Bewegung.

Danilo Starosta von der Fachstelle Jugendhilfe des Kulturbüro Sachsen e.V. zieht den Schluss: „Vor dem Hintergrund, dass der Begriff der ‚Sozialen Bewegung‘ bislang für progressive Anliegen – etwa die Frauenrechtebewegung, diverse Bürgerbewegungen, Umweltbewegungen und ähnliches – benutzt wurde, sollte man in Anbetracht der gesellschaftlich spaltenden, Hass und Gewalt schürenden Themen und Ziele, die die hier beschriebenen Akteure verfolgen, eher von einer anti-sozialen Bewegung sprechen.“

Die komplette Broschüre „Sachsen rechts unten 2019“ findet sich hier zum Download.

Das Kulturbüro Sachsen im Internet:

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