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„Festung Chemnitz“ Die „Identitären“ haben wieder ein Haus

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Aus Fackeln werden Wunderkerzen: Die "Identitären" u.a. der "Sachsengarde" zeigen ihr Domizil in Chemnitz auf Instagram. (Quelle: Screenshot )

Neue Ideen und ewiggestrige Denke passen einfach nicht zusammen. Bei den rechtsextremen „Identitären (IB)“ wirkte es zwar anders, weil sie in den 2010er Jahren die üblichen Themen des Rechtsextremismus moderner zu verpacken versuchten. Aber letztendlich sind es wie immer Rassismus und Nationalismus, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit, Autoritarismus. Die „Identitären“ um Martin Sellner haben Flüchtlinge bedroht und Rechtsterroristen inspiriert. Aber eine gesellschaftliche Breitenwirkung haben die Rechtsextremen kaum erzielen können. Inzwischen gehen größere Teile der ersten Generation der „Identitären“ andere Wege – sie sind der selbsternannten „Jugendbewegung“ entwachsen, arbeiten bei rechtsextremen Magazinen, für AfD-Politiker*innen oder haben eigene rechtsextreme Unternehmen und Infrastruktur gegründet.

Ein Haus ist geschlossen, eine Hausübernahme scheitert, ein Haus wird eröffnet

Aber die Offline-Wirkung, die suchen die rechtsextremen „Identitären“ immer noch – und da drückt eine Schmach offenbar mit besonderer Härte: Der Immobilienverlust. In Halle betrieben die „Identitären“ von 2017 bis 2020 das „Haus Flamberg“, direkt neben dem Universitätscampus gelegen, um die nicht-rechten Studierenden einzuschüchtern oder zumindest zu ärgern, um den eigenen rechtsextremen Lifestyle zu feiern und um Selbstbewusstsein zu demonstrieren. 2019 war Schluss, die Proteste der Zivilgesellschaft waren größer als die „Feste“ im „Leuchtturmprojekt“ und so machten die „Identitären“ 2020 im „Haus Flamberg“ das Licht aus.

Aber die Idee des Versammlungsortes, um rechtsextreme Ideologie zu lehren, rechtsextremen Lifestyle zu feiern und einen Vernetzungsort der „Mosaikrechten“ zu schaffen – also aller verschiedenen Strömungen der extremen Rechten von Parteien über neue Rechte bis zu Neonazis, diese Idee verfolgten die Aktivist*innen der IB weiter. Ein Hauskauf in Mittelsachsen scheiterte 2020: Das „Schloss Reinsberg“ hätte ein großes Schulungszentrum werden können. Ein Software- und Immobilienunternehmer hatte das mittelalterliche Gebäude 2019 kaufen wollen. Zur Besichtigung kam der zuvor nicht bekannte Mann mit zwei von YouTube und aus der rechtsextremen Liedermacher-Szene bekannten Kadern der „Identitären Bewegung“. Die Gemeinde legte ihr Veto ein und machte vom Vorkaufsrecht Gebrauch (vgl. ZEIT).

IB aka „Sachsengarde“ eröffnen die „Festung Chemnitz“

Doch nicht ganz Sachsen ist so aufmerksam, dabei hat die IB hier noch eine lebendige Struktur aus aktionsbereiten Rechtsextremen. Die „Identitären“ treten hier als „Sachsengarde“ unter Leitung von Vincenzo Richter in Aktion. Der Student hat die Gruppe „Bollwerk Chemnitz“ zum IB-Ableger „Festung Chemnitz“ umgebaut – und spielt so auch beim gleichnamigen Gebäude eine zentrale Rolle. Für die „Freien Sachsen“ sitzt er im Aufsichtsrat der städtischen „C³ Chemnitzer Veranstaltungszentren GmbH“ (Belltower.News berichtete). Und er sorgte mit dafür, dass die rechtsextreme Szene in Chemnitz einen neuen Treffpunkt bekommt.

In der Edisonstraße im Stadtteil Schönau ist der Coup geglückt. Das Haus heißt auf Social Media „Festung Chemnitz“, wird nun aber etwas zugewandter als „Zentrum Chemnitz“ beworben. Ein Instagram-Foto zeigt eine große Gruppe von Aktivist*innen am 3. November mit Wunderkerzen vor dem Gebäude, der Text dazu kündigt Veranstaltungen ab dem 8. Dezember an.

Die Menschen auf dem Foto kommen weder alle aus Chemnitz noch aus Sachsen, noch gehören sie alle zu den „Identitären“ – aber irgendwie muss die Masse ja entstehen. Bekannte IB-Aktivist*innen sind dabei wie die langjährige Vorzeige-IB-Frau „Paula Winterfeldt“ aus Berlin, Mario Müller (verurteilter Gewalttäter, Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt) oder Simon Kaupert (dessen „Filmkunstkollektiv“ rechte Demos von AfD über Coronaleugner*innen bis IB in schwülstigen Bildern in Szene setzt). Dazu kommen IB-Aktivist*innen aus dem Umfeld völkischer Siedler*innen, der Artamanen und der rechtsextremen Jugendorganisation „Sturmvogel“. Auch jüngere IB-Gesichter sind zu sehen, wie Aline Catinca Manescu (Dresden), David Ratajczak (Lüneburg) oder Michael Seibold („Wackre Schwaben“, Baden-Württemberg). Interessanterweise sind auch mehrere Menschen aus dem Umfeld der „Jungen Alternative“ dabei, unter anderem die JA-Brandenburg-Vorsitzende Anna Leisten oder Lennard Scharpe von der JA Sachsen. War in Halle Hans-Thomas Tillschneider (Landtagsabgeordneter AfD Sachsen-Anhalt) der AfD-Politiker mit Bezug zum „Haus Flamberg“, ist auf dem Eröffnungsfoto zum „Zentrum Chemnitz“ der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp zu sehen.

Eine Dokumentation zu den Beteiligten legt der Twitter-Account „Naziwatch Chemnitz“ vor:

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Offiziell gibt es zwar nach wie vor einen Unvereinbarkeitsbeschluss in der AfD, doch die Kontakte gerade der „Jungen Alternativen“ zu den rechtsextremen „Identitären“ könnten kaum offener sein. Nicht zuletzt der „Junge Alternative“-Bundeskongress im thüringischen Apolda im Oktober 2022 war geradezu ein Schaulaufen von rechtsextremer und IB-Aktivist*innen und ihrer Produkte, von „Ein Prozent“ und über „Phalanx Europa“ und „Gegenuni“ bis zu „Info-Direkt“, „Heimatkurier“, „Die Kehre“, „Hydra-Comics“ und dem „Filmkunstkollektiv“, daneben rechtsextreme und neurechten Medien wie der „Verlag Antaios“, das rechtsextreme „Compact“-Magazin, „ZUERST“ und „Freilich“. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke besuchte den Kongress begeistert (vgl. IB Doku auf X).

Anna Leisten von der JA Brandenburg, die zuletzt von der AfD wegen zu enger Kontakte zum Rechtsextremismus gerügt wurde, hat den Bundeskongress mitorganisiert – und postet auch begeistert über das neue „Zentrum“ auf Instagram: „Über ein knappes Jahr hinweg haben die Aktivisten (…)  unzählige Stunden und auch etliche Euro investiert, um eine Immobilie mit bester Verkehrsanbindung in einen Ort gelebter Gegenkultur zu verwandeln, der obendrein mit modernster Sicherheitstechnik vor unliebsamen Störenfrieden geschützt ist.“

Das neue „Zentrum Chemnitz“ liegt nicht innerstädtisch wie in Halle, erhofft sich davon aber vielleicht auch weniger Gegenwehr. Möglich machte den Bezug die Immobilienfirma „T & R Chemnitz Immobilien UG“ (vgl. tag24). Als Geschäftsführer vermerkt das Handelsregister den IB-Kader Philip Thaler und „Sachsengarde“-Anführer Vincenzo Richter. Laut taz-Informationen kaufte die Immobilienfirma im Sommer das Eckhaus, die Behörden sahen keine Möglichkeit, dies zu verhindern.

Damit haben die deutschen „Identitären“ wieder mit Österreich gleichgezogen. Dort gibt es seit September 2021 in Steyregg bei Linz das „Castell Aurora“, übersetzt „Festung Morgenröte“, als „konservatives Zentrum“ (sic). Dieses wurde interessant finanziert über „Schanze Eins“, eine sogenannte Kommanditgesellschaft, in die Menschen anonym Geld einzahlen können, um damit rechtsextreme Räume zu finanzieren, ohne dabei sichtbar zu werden. Offenbar ein lohnendes Modell. Laut Eigenwerbung spielt im „Castell Aurora“ der Kampfsport eine größere Rolle: Zu den argumentativen Schulungen kommt rechtsextrem-passend auch die Vorbereitung auf Straßenkampf.

Manche wollen in ihrer Unterstützung aber auch offen sein. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt postet auf seinem Instagram-Account, wie gern er im „Castell Aurora“ zu Gast sei: „Das Hausprojekt verbindet politische Bildung und Aktionismus mit geselliger Freizeitgestaltung. (…) Hier trifft heimatliches Lebensgefühl auf moderne politische Ausrichtung im Widerstand zum Zeitgeist. Anders als bei linken Hausprojekten ist hier alles aufgeräumt, sauber und eigenfinanziert. (…) Ich habe dem zukunftsträchtigen Projekt deshalb 5.000 EUR als Geschenk und Investition in unsere Zukunft überreicht.“ Ob die IB in Chemnitz jetzt auf Ähnliches hofft?

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