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Interview zum Buch „Digitaler Faschismus“ „Wer fällt auf die Inszenierung herein?“

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Ausschnitt aus dem Titelbild zum Buch "Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus" von Maik Fielitz und Holger Marcks. (Quelle: Duden Verlag)

Maik Fielitz ist Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Referent am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Er arbeitet zu digitalen Kulturen, sozialen Bewegungen, Radikalisierung und Rechtsextremismus aus transnationaler und vergleichender Perspektive. Auch Holger Marcks ist Sozialwissenschaftler und promoviert zurzeit an der Goethe-Universität Frankfurt zur transnationalen Dynamik von Phänomenen des sogenannten lone wolf terrorism. Er forscht zu Prozessen der politischen Gewalt und Formen des Terrorismus, etwa zu der Frage, wie sich rechtsextreme und islamistische Ansichten über die sozialen Medien verbreiten und in Gewalthandlungen übergehen.

Die Autoren Maik Fielitz und Holger Marcks (von links).

Zusammen haben sie das Buch verfasst: „Digitaler Faschismus: Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“, dass am 12. Oktober 2020 erscheint.

Sie schreiben über digitalen Faschismus, und moderner Faschismus gilt formell ja als „Massenbewegung mit charismatischen Führern“. Gibt es diese „digitalen Führer“? Wenn ja, wer sind sie? 

Maik Fielitz: Es gibt vielleicht einige rechtsextreme Influencer*innen, die sich als „Mini-Führer“ versuchen, aber um die geht es uns nicht vordergründig. Was uns interessiert, ist, wie digitale Technologien neue Formen der politischen Gemeinschaftsbildung anstoßen, die ähnlichen Impulsen wie im klassischen Faschismus folgen. Entsprechende Dynamiken beschreiben wir als „digitalen Faschismus“. Schon die nationalsozialistische Bewegung hatte die neue Technologie ihrer Zeit genutzt: Zum Beispiel das Radio. Das hatte ja als „Volksempfänger“ Verbreitung gefunden, als Medium, mit dem der Führer direkt zum Volk sprechen konnte. Heute haben wir eher eine horizontale Struktur in den sozialen Medien: Alle lesen, alle senden, und dazwischen ist es schwer, ein organisatorisches Zentrum auszumachen.

Dann schauen wir eher auf die inhaltliche Ebene. Wir sehen anti-liberale, nationalistische Kräfte, die den modernen Diskurs zurückdrehen wollen und dafür ausgerechnet das modernste Kommunikationsmedium wählen. Wie passt das zusammen? Wie lässt sich die faschistische Dynamik beschreiben, die ihr da am Werk seht?

Holger Marcks: Wir blicken vor allem auf Techniken der Meinungsmanipulation, die durch die sozialen Medien ermöglicht werden und faschistischen Dynamiken zu Gute kommen. Dabei ist es vor allem die Arbeit mit Bedrohungsmythen, die auffällt. Dass etwa ein nationaler Untergang beschworen wird, das war auch charakteristisch für die faschistische Mobilisierung in der Zwischenkriegszeit. Da wird eine existentielle Bedrohung herbeigeredet, um illiberale Maßnahmen zu rechtfertigen und Gewalt als Notwehr erscheinen zu lassen. Der scheinbar führungslosen Masse, die uns in Online-Schwärmen entgegentritt, wird so eine Richtung gegeben.

Geht es aktuell auch darum? Zu Gewalt aufzurufen, Gewalt zu rechtfertigen? Die Regierung zu stürzen?

Maik Fielitz: Absolut. Der Hass auf die Demokratie und bestimmte Gruppen ist der gemeinsame Nenner, auf dem Rechtsextreme ihre Gemeinschaft aufbauen.  Die, die am Rechtsruck der Gesellschaft mitarbeiten, haben ja nicht ein einheitliches Gesellschaftsmodell, das sie durchsetzen wollen – eher gemeinsame Feindbilder. Aber sie alle nutzen Bedrohungsnarrative, um die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu verschieben. Die Konsequenzen, die sie daraus ziehen, können ganz unterschiedlich aussehen. Gewalt ist aber bei solchen Opfermythen immer eine naheliegende Option. Zumindest steigern sie deren Akzeptanz.

Sie arbeiten im Buch weitere verschiedene Techniken der Meinungsmanipulation heraus. Welche finden Sie am überzeugendsten und damit am gefährlichsten?

Holger Marcks: Das ist schwierig zu bestimmen, denn die Effektivität der Manipulationstechniken ergibt sich gerade daraus, dass sie so gut ineinandergreifen und mit der Funktionsweise der sozialen Medien zusammenspielen. Aber besonders auffällig als originär digitale Technik ist wohl die metrische Manipulation: Also die technische Simulation einer großen Menschenmasse, die einem vermeintlich zustimmt – durch Mehrfachaccounts, durch hyperaktiven Aktivismus, durch Bots. Das ist entscheidend für die Dynamiken des digitalen Faschismus. Immerhin beansprucht die extreme Rechte ja, den wahren Willen des Volkes vertreten – und dieses Gefühl kann digital erzeugt und verstärkt werden. Nicht nur werden damit Andersdenkende eingeschüchtert, man gewinnt damit auch an Glaubwürdigkeit. Und das ist wiederum nützlich, um anderslautende Informationen zu diskreditieren und Wahrheit insgesamt zu relativieren, so dass die Bedrohungsmythen, die wenig mit den Fakten zu tun haben, verfangen können.

Maik Fielitz: Dass das funktioniert, liegt allerdings auch an der Rezipientenseite: Wer fällt auf diese Inszenierung herein? Wer bietet den Resonanzraum für solche Botschaften, die in sozialen Medien zwar über Maßen präsent sind, aber erst durch die Rezeption in der breiten Öffentlichkeit ihre volle Wirkung entfalten.

Wir sprechen von Medien, Politik, Zivilgesellschaft?

Holger Marcks: Ja, sie greifen immer wieder manipulierte Stimmungsbilder aus den sozialen Medien auf, die sie mit einem Abbild der Realität verwechseln. Indem man auf inszenierte Empörungswellen anspringt, werden rechtsextreme Narrative in Medien und Politik aufgenommen. Von Einladungen in Talkshows gar nicht erst zu reden. Immerhin sprechen wir seit „Omagate“ (vgl. Belltower.News) mehr über die Verantwortung auch der herkömmlichen Medien. Aber im Grunde ist es sogar noch komplizierter. Denn die rechtsextremen Techniken werden bereits im digitalen Raum ungewollt verstärkt, etwa von Organisationen oder Einzelpersonen, die online Gegenrede betreiben. Sie können nicht widersprechen, ohne den rechtsextremen Narrativen mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. In der Interaktionsökonomie der sozialen Medien führt Widerspruch eben zu mehr Sichtbarkeit in der algorithmischen Kuratierung.

Aber heißt das, Gegenrede ist sinnlos? 

Maik Fielitz: Natürlich ist sie das nicht. Aber aus wissenschaftlicher Sicht muss man schon sagen, dass die Effektivität von Gegenrede zu bezweifeln ist. Zumindest ist sie empirisch schwer messbar. In den sozialen Netzwerken haben wir es mit einer enormen Vernetzungsdichte zu tun. Was dort geschrieben wird, ist nicht so exklusiv wie ein Kneipengespräch, bei dem vielleicht drei, vier Menschen zuhören. Hier sind es Hunderte oder Tausende, die auf etwas reagieren oder auch nur unsichtbar mitlesen. Wenn ich etwas zielführend widersprechen möchte, muss ich mich eigentlich mit psychologischen Mechanismen der Massenkommunikation auskennen, damit meine Argumentation bei verschiedenen Rezipiententypen nicht gegenteilige Effekte auslöst. Insgesamt wird die Leuchtkraft der eigenen Argumentation häufig überschätzt.

Holger Marcks: Generell halten wir es für keine rosige Perspektive, wenn die Zivilgesellschaft immer wieder die Feuerwehr spielen muss, weil die Techunternehmen nun auch dem größten Unfug eine große Plattform bieten und diesen teilweise sogar fördern, weil bizarre Inhalte Klicks und Geld versprechen.

Ja, aber was können wir denn dann machen? 

Holger Marcks: Die sozialen Medien sind kein neutrales Feld. Hier wirken Mechanismen, die uns Inhalte zuspielen oder vorenthalten – und die von besonders ruchlosen Akteuren gut ausgenutzt werden können. Wir führen nun politische Debatten in Räumen ohne demokratische Kontrolle. Wir brauchen diese Kontrolle. Nicht nur, weil die Algorithmen die Informationsflüsse vorstrukturieren, sondern auch, weil das post-redaktionelle Prinzip der sozialen Medien die Grundlagen einer sachlichen Verständigung über die Realität untergraben.

Maik Fielitz: Für die herkömmlichen Medien gelten ja auch Standards, Regeln und Pflichten – eine Lehre aus der Zwischenkriegszeit, die gezeigt hat, wie eine unregulierte Massenkommunikation zur Manipulation genutzt werden kann. Deshalb brauchen wir eine Debatte: Wie sollen sozialen Medien aussehen, in denen sachliche und verständigungsorientierte Debatten möglich sind? Wie sollen Netzwerke aussehen, in denen wir uns gern aufhalten? Dabei geht es auch ganz grundsätzlich um die Frage, ob wenige Techunternehmen darüber entscheiden sollten, wie demokratische Diskurse strukturiert werden.

Wie könnte so eine demokratische Regulierung aussehen?

Holger Marcks: Natürlich stehen wir da vor einem Dilemma. Während es uns bei den herkömmlichen Medien ganz normal erscheint, dass Redaktionen Themen auswählen, Rechercheregeln folgen und Fakten prüfen, wird in der Online-Welt jeder Versuch, hier Regeln, Standards oder Filter einzuführen mit autoritären Staaten in Verbindung gebracht. Aber wir müssen es ernst nehmen, dass die Freiheiten, die die sozialen Medien bieten, sich auch gegen die Demokratie wenden können. Wenn wir die demokratische Kultur schützen wollen, brauchen wir nicht nur Regeln, die etwa Minderheiten vor Hassrede schützen, sondern auch solche, die postfaktische Dynamiken und metrische Manipulationen unterbinden.

Maik Fielitz: Wir haben keine Patentlösung, aber wir wollen eine Debatte anstoßen. Bisher werden die Manipulationstechniken der extremen Rechten und die destruktiven Potentiale der Digitalisierung selten zusammen gedacht. Aber genau das sollten wir jetzt machen. Damit wir toxischen Dynamiken im Internet etwas entgegensetzen können. Es geht dabei vor allem um die inhaltliche Verantwortung der Plattformbetreiber. Vor der drücken sie sich noch – auch, weil eine Zentrierung inhaltlicher Verantwortung bedeuten würde, sich von ihrem Status als reine Vermittler von nutzergenerierten Inhalten zu verabschieden.

Ich möchte noch einmal auf den Gedanken der „rechten Minderheit“ zu sprechen kommen. Sind wir als Gesellschaft schlau genug, um zu merken, ob sie noch eine Minderheit sind? 

Holger Marcks: Wir sehen an den Wahlstimmen für rechtsextreme Parteien, dass sich natürlich etwas verschoben hat. Die AfD, zum Beispiel, ist durchaus eine Bedrohung für Demokratie, allein schon, weil sie mancherorts stabile Regierungsbildungen erschwert. Und ohne die sozialen Medien wäre ihr Aufstieg nicht denkbar. Dennoch ist die Situation in Deutschland nicht zu vergleichen mit europäischen Ländern, wo nationalistische und neofaschistische Parteien eine machtpolitische Rolle spielen oder gar an der Regierung sind. Auch die Potenzialanalysen der Meinungsforschung zeigen, dass keine Partei auf so viel grundsätzliche Ablehnung trifft wie die AfD – mit Abstand.

Maik Fielitz: Natürlich können solche Verhältnisse auch schnell kippen. Und die sozialen Medien helfen dabei. Denken wir an 2015: die flüchtlingsfeindlichen Argumentationen in entsprechenden Online-Gruppen und die daraus resultierende rassistische Ablehnung und Gewalt, insbesondere der Stimmungsumschwung nach der Kölner Silvesternacht. Über soziale Medien lässt sich ein anderes Bild der Realität effektiv vermitteln, das Menschen bis zum Handeln bringt. Es ist nicht die Mehrheit, aber in dem Fall reicht eine aggressive, gewalttätige Minderheit ja schon, um Schrecken zu verbreiten und andere in diesen Sog zu ziehen.

Holger Marcks: Vor allem haben wir haben mit postfaktischen Diskursen zu tun, die den demokratischen Diskurs nachhaltig unterminieren. Sind die Bedrohungsmythen der extremen Rechten mal ausgelutscht, finden noch ganze andere bizarre Erzählungen offene Ohren. In den USA wächst sich jetzt schon QAnon zu einer regelrechten Bewegung aus.

Gefühlt hat das im Jahr 2020 stark zugenommen, dass das Wahrheitsverständnis in der Bevölkerung sehr stark auseinandergeht. Im Buch schreiben Sie von Wahrheit vs. Meinung. Können wir unsere gemeinsam geteilten Wahrheiten zurückbekommen?

Holger Marcks: Es ist nicht mehr leicht, sich auf Wahrheiten zu einigen. Die „Lügenpresse“-Rufer von rechts glauben der Presse eh nicht mehr. Klar, liegt diese nicht per se richtig. Aber sie stehen doch zumindest für gewisse Standards, hinter die wir nicht zurückfallen sollten. In den sozialen Medien werden diese ausgehebelt. Womit wir aber bei der Problematik von Faktenchecks sind. Die sind theoretisch eine gute Idee, kommen aber praktisch nicht gegen die Flut an Lügen, Halbwahrheiten und Bullshit an. Alle, die solche Informationen konsumieren, sind in der nächsten Sekunde schon Sender. Und durch das Teilen der Inhalte schaffen sie sich Identitäten und Gruppen, die umso weniger auf gegenteilige Informationen hören. Wo sie als Fake News markiert werden, gilt ihnen das fast schon als Siegel der Glaubwürdigkeit.

Maik Fielitz: Wir müssen anerkennen, dass sich mit dem Durchbruch der sozialen Medien etwas Grundlegendes verändert hat: die Wahrnehmung von Realität und die Verfahren der demokratischen Verständigung. Das ist nichts, dem man mit kosmetischen Nachbesserungen begegnen kann, das ist ein radikaler Einschnitt, der vieles auf den Kopf stellt. Es ist kaum mehr möglich ist, einmal veröffentlichte Informationen wieder aus der Welt zu schaffen. Dabei geht es nicht nur um erlogene Desinformation, sondern auch um die Einordnung und Bewertung von Ereignissen. Durch das Framing werden Einzelerlebnisse Teil eines Weltbildes, das online algorithmische Verstärkung erlebt. Außerdem werden politische Diskurse viel stärker emotionalisiert, so dass sachliche Erörterungen ins Hintertreffen geraten.

Bleibt die Frage: Internet – Chance oder Risiko? Wie gefährlich finden Sie das Internet und speziell Soziale Medien für die Demokratie?

Maik Fielitz: Wir können und wollen ja nicht das Internet abschaffen, es hat ja auch viel Vorteile. Aber wir müssen darüber diskutieren, wie digitale Plattformen gezielt zur Manipulation genutzt werden – und was wir dagegen tun können. Soziale Medien sind an sich weder gut noch schlecht. Aber sie sind auch nicht neutral. Sie werden von einer kleinen Gruppe von CEOs gestaltet, deren Unternehmen keiner demokratischen Kontrolle unterliegt, und wir sollten darüber diskutieren, ob das eine gute Idee ist. Die größten Austauschplattformen der Geschichte wurden von Menschen gestaltet, die sich die Probleme für die Demokratie, die aus ihrer Technologie erwächst, nicht einmal vorstellen können.

Holger Marcks: Und aus soziologischer Perspektive gilt es, noch viel mehr zu erforschen: Was verändert das Internet in der Gesellschaft? Wie verändert es unsere Kommunikation? Warum erzielen dort Extremisten so große Raumgewinne? Wir müssen das wissen, um die richtigen Stellschrauben und Hebel zu finden, um die Dinge zum Positiven zu verändern, ohne das Medium ganz in Frage zu stellen. Grundsätzlich müssen aber auch die Liebhaber der sozialen Medien verstehen: Manchmal müssen bestimmte Freiheiten eingeschränkt werden, um Freiheit insgesamt zu schützen. Und auch: Es gibt eine Recht auf freie Meinung, nicht ein Recht auf Reichweite. Belltower.News ist ja auch nicht verpflichtet, jeden eingesendeten Beitrag ungeprüft zu veröffentlichen.

Maik Fielitz, Holger Marcks:

„Digitaler Faschismus: Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“


Duden Verlag
18 Euro
256 Seiten

VÖ: 12. Oktober 2020

 

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