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Jahresrückblick 2019 – Niedersachsen Die extreme Rechte zwischen Nordsee und Harz

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NPD-Demonstration gegen Journalisten in Hannover im November 2019.

 

Das Schwächeln neonazistischer Parteien

Wie bereits im Jahr 2018 zu bemerken war, verliert die NPD auch in ihrem Stammland Niedersachsen zunehmend an Bedeutung. An verschiedenen Orten in Niedersachsen patrouillierten einige Aktivisten in Warnwesten für die rassistische „Schutzzonen-Kampagne“ der JN, es wurden kleinere Kundgebungen, geschichtsrevisionistische Zeitzeugenvorträge ebenso veranstaltet wie „Stammtische“ und szenetypische „Heldengedenken“. Der Versuch der NPD, im Europawahlkampf eine größere Veranstaltung mit bundesweiten Kadern wie Thorsten Heise und musikalischem Begleitprogramm im Harz durchzuführen, scheiterte an einem beherzten Handeln der Kommunalverwaltung. Im November erlangte jedoch die NPD mit einer Demonstration in Hannover, für die sie lediglich 120 Teilnehmende mobilisieren konnte, bundesweite Aufmerksamkeit. Grund hierfür waren der Aufruf und das Motto der angemeldeten Demonstration, die sich gezielt gegen namentlich genannte Fachjournalist*innen richteten und damit eine neue Qualität der Angriffe auf Pressevertreter*innen darstellten. Zahlreiche Journalist*innen zeigten sich solidarisch und über 7000 Personen folgten dem Aufruf zur Gegendemonstration.

Der Bedeutungsverlust wird in Niedersachsen auch bei der neonazistischen Partei Die Rechte sehr deutlich, die im Landkreis Osnabrück im Oktober ihren Landesparteitag durchführten. Eine Demonstration und eine Kundgebung in Hildesheim konnten nur wenige Neonazis mobilisieren und wurden von großen zivilgesellschaftlichen Protesten begleitet. Vielmehr scheint es als würden sich die Parteiaktivist*innen in Neugründungen und Auflösungen von Kreisverbänden verlieren. Des Weiteren ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Celle auf Initiative der DIG Hannover (Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hannover) wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gegen die Partei. Hintergrund sind die antisemitischen Hetzplakate, die die neonazistische Partei im Europawahlkampf verbreitet.

Schwindende Parteistrukturen sind an dieser Stelle jedoch nicht zu verwechseln mit geringeren Aktivitäten der extremen Rechten, wie Personenzusammenschlüsse z.B. die „Kameradschaft Einbeck“ und Herausforderungen durch freie extrem rechte Akteur*innen zeigen. Vielmehr scheint es in Niedersachsen einen Anstieg an extrem rechten Liederabenden und Konzertveranstaltungen zu geben. Auch die Angriffe und Morddrohungen gegen den Sprechers des Bündnis gegen Rechts in Braunschweig, der antisemitische Brandanschlag auf das Privathaus eines jüdischen Ehepaares in Hemmingen und weitere rechte, rassistische und antisemitische Angriffe und Bedrohungen zeigen deutlich, dass es in Niedersachsen keinerlei Entwarnung geben kann.

Scharnierfunktion

Die AfD in Niedersachsen, die sich oftmals um ein gemäßigtes Image bemüht, fiel 2019 durch eine Demonstration in Hannover auf, bei der unter dem Motto „Es reicht!“ rund 500 Teilnehmende kamen. Eine Distanz zur extremen Rechten, die gerne propagiert wird, war bei der Demonstration, die mit Parolen wie „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ durch die Stadt zog, nicht erkennbar. Zudem fallen vielerorts immer wieder Kommunalpolitiker*innen durch enge Verbindungen zur extremen Rechten auf, wie das Beispiel des Oldenburger Ratsherren Gerhard Vierfuß zeigt, der ebenfalls als Rechtsanwalt die Identitäre Bewegung vertritt auf. Auf Ebene der Kommunen und Landkreise sehen sich zunehmend Initiativen, Schulen, kulturelle Einrichtungen und Gleichstellungsbeauftragte Angriffen auf ihre Fachlichkeit durch die AfD ausgesetzt. Antifeministische Denkweisen fungieren hier im Rahmen einer rechtspopulistischen Strategie als Scharnier, um rechtsextreme Positionen zu normalisieren und sich als anschlussfähig darzustellen.

„Völkische Landnahme“ auch in Niedersachsen

In den ländlich geprägten Landkreisen insbesondere im Nord/Osten-Niedersachsens sind weiter zunehmend sogenannte „Völkische Siedler*innen“ aktiv. Mit der gezielten Übernahme von Hofgrundstücken und Ansiedlung von Handwerksbetrieben soll der Versuch unternommen werden, vor allem in den Landkreisen Uelzen, Lüchow-Dannenberg und Lüneburg eine Parallelgesellschaft aufzubauen. Geistige Triebfeder ist die antisemitische und menschenverachtende „Blut und Boden“-Ideologie, die in Denk- und Handlungsweise an den Nationalsozialismus anknüpft. Während einige rechtsextreme Familien bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts in diesen Zusammenhängen leben, lässt sich derzeit vermehrt ein Zuzug von jungen rechtsextremen Familien feststellen. Zentrale ideologische Rolle nimmt die Kindererziehung ein, die ihren Ausdruck auf Zeltlagern der verbotenen HDJ und ihrer Nachfolgeorganisationen findet. Beratungsanfragen zu den völkischen Siedlern kommen einerseits von Anwohner*innen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich angesichts ihrer neuen Nachbarn verunsichert fühlen. Andererseits haben sowohl staatliche, als auch private schulische Einrichtungen Beratungsbedarfe in Hinblick auf Versuche der Einflussnahme auf den Schulalltag von rechtsextremen Familien. Darüber hinaus sehen bereits einzelne Kommunen das Schwinden demokratischer Alltagskultur in ihrer Gemeinde aufgrund des zunehmenden Einflusses der völkischen Ideologie.

Sowohl durch die gezielte Ansiedlung der völkischen Familien, als auch durch die Übernahme des Nahtz-Hofs in Eschede durch die NPD im Sommer 2019 hat sich der Nord/Osten Niedersachsens als Rückzugsort für die rechtsextreme Szene etabliert. Hier werden Feste gefeiert und Netzwerke geknüpft, welche die Nähe von rechtsextremen Parteistrukturen zur rechtsextremen Kadern und Gruppen sichtbar machen.

Eine aktive Zivilgesellschaft

An vielen Orten,  an denen es rechte, rassistische oder antisemitische Aktivitäten gab, erfolgte eine breite Zivilgesellschaftliche Gegenmobilisierung. Hier nur einige wenige Beispiele für dieses Engagement: So folgten an einem kalten Dezemberwochenende ca. 20.000 Demonstrierende dem Aufruf des Bündnis gegen Rechts Braunschweig, um Flagge zu zeigen gegen den AfD Bundesparteitag. In Einbeck hat das lokale Bündnis „Einbeck ist bunt“ über 1000 Teilnehmende zu einer Gegendemonstration mobilisiert und auch in Braunschweig und Hannover fanden Demonstrationen gegen rechte Gewalt und Antisemitismus sehr viel Anklang. Gruppen, die sich auch im ländlichen Raum für Vielfalt einsetzen und vernetzen, wie z.B. die Gruppe Beherzt  oder die Protestaktion in Wöstendöllern zeigen wie zivilgesellschaftliches Engagement sein kann.

Durch die Umstrukturierung des BMFSFJ geförderten Programms Demokratie Leben! werden 2020 einige wichtige zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Niedersachsen als Unterstützung für eine aktive und kritische Zivilgesellschaft fehlen. Wir möchten an dieser Stelle auch unser Unverständnis äußern, dass fachlich kompetente und wichtige Projekte, wie das Projekt Ju:an der Amadeu-Antonio Stiftung in Hannover, bei den bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen nicht weitergeführt werden.

 

Neue Erreichbarkeit der Mobilen Beratung Niedersachsen ab 2020:

Mobile Beratung Niedersachsen
gegen Rechtsextremismus für Demokratie

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