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Mutmaßlicher Rechtsterrorismus und Ermittlungen Ein planloser Franco A. und ein “brandgefährlicher“ Stephan E.?

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Demonstrierende halten sich Fotos des ermordeten Walter Lübcke vor das Gesicht.
Hessen, Kassel: Demonstrant*innen gegen den Aufmarsch der Kleinstpartei "Die Rechte" halten sich Porträts des erschossenen Walter Lübcke vor das Gesicht. am 20.07.2019 demonstrierte "Die Rechte" gegen die "Vorverurteilung" von Stephan E.

 

Franco A.: Zu planlos für den Rechtsterrorismus?

Die „Welt am Sonntag“ berichtet am Wochenende von den Bemühungen des Generalbundesanwalts, ein Verfahren gegen Franco A. zu eröffnen. Der ist Offizier der Bundeswehr, hatte sich aber zudem eine zweite Identität als angeblich Geflüchteter aufgebaut, spionierte die Amadeu Antonio Stiftung aus und zeichnete Pläne der Garage der Stiftung, hortete Munition in einem Prepper-Keller zu Hause und wurde verhaftet, als er eine Pistole unbekannter Herkunft von Wien nach Deutschland schmuggeln wollte (die ganze Geschichte ausführlich bei BTN). Seine rechtsextreme Gesinnung ist vielfach belegt, von Uniarbeiten bis zu Whatsapp-Chatgruppen voll NS-Verherrlichung.

Bisher gab es einen Anklageversuch 2017, ein Verfahren folgte nicht. Franco A. weist alle Vorwürfe von sich: Gefälschte Flüchtlingsidentität, Munitionskeller, Ausspionieren einer Zielperson und Waffe seien zwar alles real, hätten aber nichts miteinander zu tun. Daraufhin wurde eine Terroranklage nicht zugelassen, möglich wäre eine Anklage wegen Betrugs und Waffenbesitzes.

Die „Welt am Sonntag“ berichtet aus der ihr vorliegenden Ermittlungsakte des Generalbundesanwalts, der eine Terroranklage gerechtfertigt fände, aber offenbar zu wenig Belastbares in den Ermittlungen findet. Franco A. will etwa die Waffe in Wien in einem Gebüsch gefunden haben. Dass er sie im Flughafen in einer Toilette versteckte, zeige doch, dass er keinen Anschlag geplant hätte, argumentiert sein Verteidiger – dass sei ein zu schlechtes Versteck.  Forensiker weisen DNA-Spuren von A. in den Innenbereichen der Pistole nach. A. bestreitet aber, sie auseinandergenommen zu haben. Aber warum ist das ein Argument? Nachweisen können die Ermittler, das sich A. für Waffen und Waffenersatzteile interessiert und sich mit einem Bekannten zum Schießen verabredet – ob etwas davon passiert ist und mit welchen Waffen, offenbar nicht.

Bei A. wurde eine Namensliste gefunden, darauf: SPD-Minister Heiko Maas, Grünen-Politikerin Claudia Roth sowie Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Dazu ein Lageplan von Kahanes Stiftung in Berlin. Dies soll aber als Liste potenzieller Opfer nicht gelten, weil A. auch andere Notizen gemacht hat, etwa über David Icke, einen britischen Verschwörungstheoretiker, für den sich A. begeistert, oder über die nationalistische Russin Natalia Narotschnitskaja, die A. in Paris traf – wobei er ebenfalls eine Lageskizze anfertigte. Dies sahen die Ermittlungsbehörden offenbar als Argument gegen Anschlagsziele. Allerdings: Im Sinne von rechtsextremen Preppern, die durch „Acceleration“ einen von ihnen gewünschten „Bürgerkrieg“ durch aufsehenerregende Gewalttaten beschleunigen wollen, wäre durchaus denkbar, dass A. auch gegen rechte Menschen wie Icke oder Narotschnitskaja Anschläge geplant hätte – unter der „false flag“-Identität als Flüchtling.

A. bestreitet übrigens nicht, in der Garage der Amadeu Antonio Stiftung gewesen zu sein. Er gibt aber offenbar an, er habe auch schon andere Personen ausgekundschaftet. Damit, so A.s Verteidiger, sei die Namensliste kein Tatplan mehr.

Der Bundesgerichtshof hebt 2017 den Haftbefehl von Franco A. auf – dort sieht man auch keinen Tatplan und gibt an, man finde keine Erklärung für seine Handlungen. Besonders krude erscheint das Argument, Franco A. habe wohl keinen Anschlag begehen wollen, da an der Pistole ja seine Fingerabdrücke seien – und damit wäre ja nicht nur seine gefälschte Flüchtlingsidentität, sondern auch seine tatsächliche Identität aufgeflogen. Spricht schlechte Organisation gegen Terrorabsichten? Für den Bundesgerichthof offenbar schon.

Maximilian T.: Nicht zu rechtsextrem für den Bundestag

Die taz berichtet zudem am Wochenende über Maximilian T. – gegen den Soldaten wurde als Komplize von Franco A. ermittelt, allerdings wurden die Ermittlungen 2018 eingestellt. Maximilan T. arbeitet als Nebentätigkeit seit November 2018 bei AfD-MdB Jens Nolte im Bundestag und hat qua Hausausweis Zugang sowohl zum Parlament, zu den Gebäuden, in denen sich Claudia Roth aufhält, die auf Franco A.s und Maximilian T.s „Namensliste“ (s.o.) stand, als auch zu hochsensiblen Informationen über die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten. Eine Handhabe dagegen gibt es nicht – es sei denn, die Bundeswehr und ihr Geheimdienst, der Militärische Abschirmdienst (MAD), hätten sich dagegen ausgesprochen, weil sie seine rechtsextreme Gesinnung kennen. Maximilan T. war genau wie Franco A. laut taz bei Bundeswehr-Vorgesetzten wegen rechter Vorfälle bekannt. Sein Vater Thomas T. ist seit Jahren ein rechtsextremer „Reichsbürger“. Seine Schwester Sophia T. ist die Freundin von Franco A.. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich bereits Anfang des Jahres festgelegt: Maximilian T. ist ein Rechtsextremist, bei ihm liegen tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor. Die Bundeswehr hätte T., der hauptberuflich weiter Soldat ist, eine Nebentätigkeit im Bundestag verweigern können und damit verhindert, dass T. Zugang zu sensiblen Daten erhält.

Jetzt arbeitet T. für einen Politiker im Verteidigungsausschuss, dessen Thema er selbst mehrfach war. Deshalb wissen viele der Abgeordneten dort, was die Bundeswehr über ihn zusammengetragen hat. Seither fragen sie sich: Können wir überhaupt noch über Franco A. und die Prepper-Gruppen reden? Erfahren die dann nicht alle gleich davon?

Armin Schuster, Innenpolitiker der CDU und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sagt der taz, T. wäre mit „polizeilichen und juristischen Mitteln allein“ nicht beizukommen: „Die politische Hygiene würde es erfordern, dass Maximilian T. nicht im Bundestag arbeitet. Dass jemand wie er hier ein- und ausgehen darf, ist geradezu entwürdigend für das Parlament.“

Mordfall Walter Lübcke:  Stephan E. als „brandgefährlich“ eingestuft – und aus den Augen verloren

Stephan E., der mutmaßliche Mörder von CDU-Politiker Walter Lübcke, war für den Verfassungsschutz kein Unbekannter. Die Frankfurter Rundschau berichtet aus einem bisher als geheim eingestuften Protokoll des Verfassungsschutzes – darin wurde Stephan E. Ende 2009 oder Anfang 2010 als „brandgefährlich“ eingeschätzt. Die Einschätzung war Thema im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss 2015. Eine Sachbearbeiterin des Verfassungsschutzes hatte Stephan E. zwar nicht als potenziellen Rechtsterroristen, aber als besonders gewaltbereit eingeschätzt. Auf dem Protokoll befindet sich eine handschriftliche Notiz mutmaßlich der Amtsleitung, dass E. ein brandgefährlicher Mann sei. Doch die Einschätzung führt zu keinen Konsequenzen: Der Verfassungsschutz erklärte dazu der „Frankfurter Rundschau“ auf Anfrage: „Nachdem seit dem Jahr 2009 keine neuen Erkenntnisse zu Stephan E. registriert wurden, erfolgte die Sperrung seiner Akte im Jahr 2015.“ Auch nach der Anhörung im NSU-Untersuchungsausschuss 2015 kam es nicht zu einer Überprüfung von Stephan E.. Sie hätte zeigen können, dass E. bei der Bürgerversammlung in Nordhessen gegen Lübcke in Sozialen Netzwerken pöbelte (vgl. auch ZEIT).

Kurz zuvor war im Innenausschuss des hessischen Landtags herausgekommen, dass der ehemalige hessische Verfassungsschützer Andreas Temme dienstlich mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. befasst war (vgl. Frankfurter Rundschau). Das gab Innenminister Peter Beuth (CDU) auf Fragen der SPD bekannt. Er sagte aber nicht, wann und in welchem Zusammenhang Temme mit E. befasst war – und auch nicht, ob der Ex-Verfassungsschützer persönlichen Kontakt zu E. hatte. Allerdings sei es „keineswegs verwunderlich“, dass Temme als ehemaliger V-Mann-Führer mit Bereich Nordhessen mit E. befasst gewesen sei. E. sei aber kein Informant des Verfassungsschutzes gewesen. Andreas Temme war nach dem NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel im April 2006 zeitweise unter Tatverdacht geraten, weil er sich am Tatort aufgehalten und anschließend nicht bei der Polizei gemeldet hatte. Temme arbeitet heute im Regierungspräsidium Kassel – Chef dieser Behörde war Walter Lübcke.

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