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Schwerpunkt Rechtsterrorismus Handlungsempfehlungen: Was tun gegen Radikalisierungen in Online-Subkulturen?

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Die Entwicklung rechtsterroristischer Online-Subkulturen macht neue Handlungskonzepte notwendig. Sie sollen in erster Linie verhindern, dass Menschen sich rechtsterroristischen Online-Subkulturen anschließenoder dadurch zu (Offline-)Gewalt motiviert werden. Da Online-Angebote immer für (junge) Menschen zugänglich sein werden, Verbots- und Löschdebatten allein deshalb unwirksam wären, betrifft dies vor allem den Bereich der Prävention und Intervention, aber auch die Fragen: Wie können wir als Zivilgesellschaft, Plattformbetreiber*innen, Sozialarbeiter*innen oder Sicherheitsbehörden mit rechtsterroristischen Online-Inhalten umgehen? Wie lassen sich diese unterbinden, oder wie können jugendliche User davor geschützt werden? Wie lässt sich die Gefahr rechtsterroristischer Gruppen erkennen und wie kann die Beobachtung, Analyse und fachliche Einordnung solcher Netzwerke Anschläge verhindern?

Gerade über die beschriebenen rechtsterroraffinen Online-Subkulturen werden schon sehr junge Jugendliche an rechtsextreme Ideologie, aber auch an brutale Verrohung herangeführt, deren Folgen die 13- bis 18-Jährigen oft noch gar nicht absehen können: Was für den User vielleicht zuerst wie ein rassistischer, politisch unkorrekt überdrehter „Scherz“ wirkt, kann sich schnell verselbstständigen. Zugleich können sich Mitlesende radikalisieren – bis zum Handlungszwang. Die diffamierenden und gewaltvollen Äußerungen können zudem Betroffene traumatisieren und ihnen Leid zufügen. Der pädagogische Auftragt liegt also sowohl in der Prävention und Intervention als auch in der Stärkung
und im Empowerment betroffener Personen. Aber was ist konkret zu tun?

Hinweise und Äußerungen ernst nehmen

Allgemein hält sich der Mythos, dass online verfasste Inhalte oder Aufrufe zu Attentaten nicht unbedingt ernst gemeint seien und als sogenanntes „Shitposting“ abgetan werden könnten. Mitunter ist das der Fall, aber vergangene rechtsterroristische Anschläge zeigten deutlich, dass auf Tatankündigungen durchaus folgenschwere Umsetzungen erfolgen. Rechtsterroristische Gemeinschaften stiften ihre Mitglieder aktiv zu terroristischen Anschlägen an und haben damit Erfolg, weil die Propaganda darauf zugeschnitten ist, ein Gefühl der Verbundenheit mit der Gruppe hervorzurufen, und terroristische Hassverbrechen vermeintlich legitimiert. Auch der soziale Druck der anonymen Gemeinschaft verstärkt diesen Handlungsdruck. Mitglieder, die ihre Ankündigungen nicht in die Tat umsetzen, werden als „LARPer“ bezeichnet und sind verpönt. Der Begriff stammt aus der Cosplay-Szene und steht für „Live Action Role Play“, also eine Rolle nur zu spielen, anstatt sie glaubhaft zu verkörpern. Aus der  Bewunderung für Rechtsterroristen, dem ideologischen Handlungsdruck und der Gewaltbereitschaft ergibt sich die Notwendigkeit, Ankündigungen und Nachrichten in rechtsterroristischen Gruppen jederzeit ernst zu nehmen. Dazu gehört auch, dass vermeintlich satirische Inhalte als Strategie rechtsterroristischer Gruppen verstanden werden müssen, um die eigene Community ideologisch zu bestätigen und bei Szeneunkundigen den Eindruck zu erwecken, es handle sich nur um makabre „Scherze“. Ankündigungen, die konkrete rechtsterroristische Anschlagsplanungen nahelegen, sind gründlich zu prüfen und erfordern eine höhere Wachsamkeit und unter Umständen ein präventives Eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern.

Das heißt insbesondere: Wenn es um jugendliche Täter geht, sind es oft andere Jugendliche, Freund*innen oder (Online-)Bekannte, denen zuerst eine Veränderung, neue Vorlieben oder ähnliches auffallen. Wenn diese beunruhigt sind und sich deshalb an Erwachsene wie Eltern, Lehrkräfte, Jugendsozialarbeiter*innen oder Polizist*innen wenden, müssen diese Beobachtungen unbedingt ernst genommen werden, auch wenn die Erwachsenen sie vielleicht zunächst nicht verstehen.

Rechtsterroristische Online-Subkulturen ziehen sich als eigenes crossmediales Netzwerk durch alle Bereiche des Internets. Von rechtsfreien Räumen des Darknets bis zu moderierten Sozialen Medien bilden sie einen Bereich ab, der nur unzureichend von Sicherheitsbehörden beobachtet werden kann. Um rechtsterroristische Inhalte zu entdecken und zu bekämpfen, obliegt der digitalen Zivilgesellschaft eine große Verantwortung. Sie ist es, die als erstes mit rechtsterroristischen Inhalten online konfrontiert oder explizit von diesen angesprochen wird. Nur wenn sie rechtsterroristische Inhalte erkennt, kann sie diese auch melden. Dafür ist es notwendig, dass zivilgesellschaftliche Akteure geschult und empowert werden. Dies kann durch gezielte Kampagnen erfolgen, aber auch durch Workshops, Lehrgänge und Präventionsangebote. Insbesondere junge Menschen, die von den Inhalten angesprochen werden sollen, müssen sich bestärkt fühlen, aktiv zu werden, wenn sie rechtsterroristische Inhalte sehen.


Was kann ich tun, wenn ich erfahre, dass ein mir bekannter Jugendlicher
z.B. im Internet schreibt, er will „die XX” umbringen?

  • Checken Sie das (öffentliche) Online-Verhalten des Jugendlichen:
    Kommuniziert er öfter so, oder ist es das erste Mal? Bewegt er sich in Subkulturen, in denen ein solcher Jargon üblich ist? Äußern seine (Online-)Freunde sich ähnlich? Ist ein (politischer) Radikalisierungsprozess erkennbar?
  • Sprechen Sie den Jugendlichen an, eventuell auch mit Freund*innen: Warum postet er solche Inhalte? Was meint er, wie es wirkt, wenn er es tut? Zeigen Sie, dass Sie das Verhalten sehen und befremdlich finden. Versuchen Sie zu verstehen, welche Bedürfnisse der Jugendliche in der Subkultur zu befriedigen sucht. Suchen sie (gemeinsam) nach Lösungen, wie die Bedürfnisse eines solchen Online-Verhaltens besser erfüllt werden können, z. B. die
    Suche nach Aufmerksamkeit, danach, die „Männlichkeit” auszuleben, eine Rebellion gegen Regeln, …
  • Diskutieren und recherchieren Sie gemeinsam, …
    … ob eine solche Äußerung, ein solches Meme strafrechtlich relevant ist und ob das dem Jugendlichen bewusst war.
    … was das mit denjenigen macht, die als Opfer benannt werden.
    … was die politische Position ist und welche Effekte wie z.B. gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit damit einhergehen.
  • Falls Sie Hilfe benötigen, ziehen Sie eine*n Expert*in zu Rat. Wenn es nötig erscheint, kann auch ein Gespräch mit Erziehungsberechtigten gesucht werden oder auch mit dem Jugendamt oder Strafverfolgungsbehörden.

Wenn ein*e Freund*in auf das Verhalten des Jugendlichen hinweist:

  • Nehmen Sie den Hinweis unbedingt ernst! Die*der Freund*in muss bereits sehr beunruhigt sein,
    wenn sie*er sich an Sie wendet. Fragen Sie, warum sie*ihn das Verhalten verwundert oder beunruhigt.
  • Wenn Sie sich in dem Online-Netzwerk oder der Online-Subkultur nicht auskennen, betrachten Sie andere Jugendliche (z.B. diese*n Freund*in) als Expert*innen und fragen Sie sie, wie die Plattform und die Kommunikation dort funktioniert, um sich einen Eindruck zu machen. Wichtig: Stellen Sie keine vorwurfsvollen Fragen, sondern zeigen Sie Interesse!
  • Recherchieren Sie zusätzlich selbst, vor allem nach Plattformen und Gruppierungen.
  • Überlegen Sie gemeinsam im Team oder mit Expert*innen eine Strategie – auch, wie Sie die*den
    Freund*in weiterhin begleiten können, z.B. zu Strafverfolgungsbehörden, wenn das nötig werden sollte.

Sensibilisierung und Positionierung

Der beste Schutz gegen antidemokratische, abwertende und gewaltverherrlichende Inhalte sind die zahlreichen Online-Communities selbst. Um deren Mitglieder für diskriminierende und abwertende Diskurse zu sensibilisieren und ihnen Handlungsmöglichkeiten für eine bessere Debattenkultur zu
zeigen, müssen gemeinsame Werte und Ideale diskutiert und beschlossen werden. Hierbei helfen Kampagnen und die Zusammenarbeit mit reichweitenstarken Influencer*innen aus der Zivilgesellschaft, aber auch eine klare menschenrechtliche Positionierung der Sozialen Netzwerke selbst: in ihren Community Guidelines und AGBs, in der Schulung ihrer Moderator*innen, aber auch in öffentlichen Aktionen wie der Bewerbung der Inhalte oder Unterstützung demokratischer Akteur*innen und Praktiken.


Was kann ich tun, wenn ich rechtsterroristische Inhalte online sehe?

  • Melden Sie die Inhalte beim jeweiligen Netzwerk: Rechtsterroristische, gewaltverherrlichende und menschenfeindliche Inhalte verstoßen nahezu überall gegen die AGBs. Sie werden zwar trotzdem nicht überall heruntergenommen, aber doch schon oft.
  • Zeigen Sie die Inhalte bei Strafverfolgungsbehörden an (z.B. via Online-Anzeige:
    Screenshot mit URL machen; Straftat-Vermutung genau beschreiben)
  • Melden Sie die Inhalte bei einer Beschwerdestelle, z.B. bei Jugendschutz.net,
    hassmelden.de, internetbeschwerdestelle.de
  • Wenn es ein Kanal mit (sichtbaren) Administrator*innen ist, melden Sie dort die
    Inhalte oder dem Moderationsteam.
  • Weisen Sie eine (lokale) Rechtsextremismus-Monitoring-Gruppe darauf hin und
    fragen Sie dort mehr Informationen und/oder Unterstützung an.

Monitoring

Notwendig ist ein systematisches Monitoring globaler rechtsextremer und rechtsterroristischer Online-Subkulturen mit einem Fokus auf die Aus- und Wechselwirkungen für deutsche Mitglieder. Nur mit Wissen über den Wandel der Narrative und Symbole können Zivilgesellschaft und interessierte Sicherheitsbehörden effektiv wachsam und handlungsfähig sein. Auch im lokalen Kontext kann der Aufbau eines Monitorings, z.B. der eigenen Region, sinnvoll sein.


Wie baue ich mir ein eigenes kleines Rechtsextremismus-Monitoring für den Alltag auf?

  • Abonnieren Sie digitale Fach-Websites oder deren Social Media-Angebote zum Thema „Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus“ (z.B. Belltower.News, Blick nach
    rechts, Endstation rechts, bpb.de/rechtsextremismus).
  • Greifen Sie auf lokale Beratungsangebote zurück und abonnieren Sie deren Online-Angebote (z.B. Mobile Beratungsteams, Watchgroups oder Recherche-Netzwerke).
  • Beobachten Sie lokale rechtsextreme Gruppierungen, Musiker*innen, Parteienvertreter*innen und verfolgen Sie deren Aktivitäten online (z.B. mit einem Tweetdeck, Listen z.B. auf Twitter, Google News-Alerts).

Schutz von Betroffenen

Betroffene von Hass und von Drohungen müssen geschützt werden. Vor allem Juden*Jüdinnen,
Muslim*innen, People of Color, Frauen* und LGBTIQA*-Personen, die in besonderem Maße zum
Zielobjekt rechtsterroristischer Online-Subkulturen zählen. Gleichermaßen sind sie auch zu
stärken. Hierzu müssen spezifische Angebote ausgebaut und weiterentwickelt werden. Online-Plattformen müssen eine Struktur schaffen, die aktiv gegen antisemitische, rassistische und
frauenfeindliche Beleidigungen vorgeht und Betroffenen glaubhaft Unterstützung zusichert,
indem sie ihre Sorgen ernst nimmt und entsprechende Hilfsangebote und Online-Rückzugsmöglichkeiten schafft.


Wie schütze ich Betroffene von Online-Hass?

Präventiv können Workshops zum Umgang mit Online-Hass und/oder digitaler Gewalt sinnvoll sein: Hier erlernen Betroffene Methoden, um sich bewusst und geschützt durchs Internet zu bewegen und sich zu wehren.

Im Fall konkreter digitaler Gewalt:

  • eigene Profile und Daten prüfen und schützen (z.B. auf privat stellen)
  • über das Erlebte mit Freund*innen, Eltern oder Erzieher*innen sprechen – niemand
    muss da allein durch
  • wenn nötig, gemeinsam die Löschung der Inhalte organisieren (z.B. über Administrator*innen, Moderation, Netzwerk, Beschwerdestellen)
  • strafrechtlich Relevantes anzeigen (Online-Wache)
  • bei einem Shitstorm sollte ein Monitoring organisiert werden, damit nicht die Betroffenen selbst den Hass sichten und sichern müssen
  • bei zivilrechtlichen Klagen sollte Begleitung organisiert werden – dabei hilft z.B.
    Hate Aid

Auseinandersetzung mit Sexismus und maskulinistischen Männlichkeitsvorstellungen

Aus einer präventiven Perspektive muss sich dringend mit den von den Tätern, aber auch von den radikalisierungsgefährdeten (nahezu ausschließlich) Jungen und jungen Männern vertretenen Männlichkeitsvorstellungen auseinandergesetzt werden. Rechtsterroristische Online-Subkulturen greifen die Vorstellung einer soldatischen Männlichkeit auf und füllen sie mit rassistischer Ideologie auf. Daher sind weit verbreitete Vorstellungen von Männlichkeit in die präventive Arbeit einzubinden und deren Folgen aufzuzeigen. Die damit verbundene Abwertung und Abspaltung von Weiblichkeit
sowie die Abwertung von Frauen und Homosexualität können in rechtsterroristischen Online-Subkulturen in tödlichen Hass umschlagen. Dieses Präventionsangebot ist insbesondere dort von Nöten, wo diese gewaltvolle Vorstellung von Männlichkeit viele (junge) Männer ansprechen kann, z.B.
in Teilen von homosozialen Gaming-Gemeinschaften. Hier sind Ansätze der kritischen Männlichkeitsforschung sowie einer männlichkeitskritischen Jungenarbeit fruchtbar zu machen und entsprechende Ansätze auszubauen und zu stärken.

Wie sieht eine geschlechterreflektierte Rechtsextremismusprävention aus?

Rechtsextreme sind in der Lage, vermeintlich einfache und eindeutige Antworten für junge Heranwachsende zu geben. Eine dominante Adressierung ist dabei eine sich vermeintlich ständig im Kampf befindende Männlichkeit. Das kann vor allem für junge Männer ein attraktives Angebot sein. Es ist also unerlässlich, sich aus präventiver Perspektive Gedanken zu machen, wie Geschlecht mit Rechtsextremismus zusammenhängt. Dazu gehören:

  • die Kenntnis um die Aktivitäten und Themen rechtsextremer junger Frauen und
    junger Männer
  • das Wissen um Geschlechterthemen der rechtsextremen Szenen
  • Erkenntnisse darüber, was geschlechtsspezifische Einstiegsmotivationen und die Attraktion für Jungen und junge Männer an extrem rechten Ideologien ausmacht (z.B. überlegende Männlichkeit)

Eine geschlechterreflektierende Prävention heißt:

  • Hinterfragen von Überlegenheitsvorstellungen gegenüber Frauen*, Migrant*innen,
    „Opfern“ oder abgelehnten Männlichkeiten, vor allem Schwulen oder Transsexuellen
    ¼ Funktionen geschlechtsspezifischer Orientierung hinterfragen: Welche Männlichkeits- oder Überlegenheitsversprechungen stellen extrem rechte Gruppierungen und Ideologien bereit? Wie geben diese Halt in einer komplexen Welt, und wo sind Jungen dementsprechend ansprechbar?
  • Einsatz von Diversity-Pädagogik und Pädagogik der sexuellen Vielfalt, um vereindeutigenden Praxen entgegenzuwirken und Respekt gegenüber der Vielfalt der Geschlechter zu fördern

Digital Streetwork

Radikalisierungsgefährdete und rechtsextrem orientierte Jugendliche können durch die Methodik der „Digital Streetwork“ unmittelbar angesprochen werden – in Videospielforen, Gaming-Chats und auf Social Media-Plattformen. Dabei bewegt sich der oder die Sozialarbeiter*in mit einem klar gekennzeichneten professionellen Profil online, entweder um ansprechbar zu sein für Fragen
oder in eigener aktiver Ansprache, wenn Jugendliche Anzeichen von Radikalisierung zeigen. Digital Streetwork kann als Ergänzung zur Arbeit mit einer Jugendgruppe offline konzipiert werden oder ein eigenes Arbeitsfeld darstellen.


Wenn ich selbst Digital Streetwork angehen will, …

  • gucke ich, in welchen Netzwerken oder Gaming-Communities meine Jugendlichen
    aktiv sind, und biete ihnen dort Rat, Hilfe oder gemeinsame Aktivitäten an
    ¼ kann ich medienpädagogische Aufklärung angehen: Was verrät mir eine Rückwärtsbildersuche? Wie google ich? Wie checke ich Fakten?
  • kann ich Netiquette und Moderation in Chats/Gruppen/Rooms vermitteln, Medienscouts ausbilden und Jugendliche befähigen zu moderieren
  • können wir gemeinsam, zum Beispiel in einer Lieblingschannel-Runde, YouTube-Videos, TikToks oder Instagram-Channels anschauen und dabei möglicherweise problematische Inhalte besprechen
  • kann ich digitale Angebote politischer Bildung zur Verfügung stellen: Wo kann ich
    mich informieren? Welche Perspektiven gibt es auf ein Thema?
  • zeige ich mich Betroffenen von Diskriminierung gegenüber solidarisch und kann gegebenenfalls Hilfsangebote vermitteln.

Soziale Netzwerke in die Verantwortung nehmen

Wenn Terroristen sich Soziale Netzwerke als Plattform für die Übertragung ihrer Taten aussuchen, müssen diese aktiv werden. Dies geschah erstmals konzentriert nach dem Attentat von Christchurch, dem ersten live gestreamten rechtsterroristischen Anschlag. Große Plattformen und Unternehmen wie Facebook, Microsoft, Twitter, Google und Amazon haben sich 2019 bei dem „Appell von Christchurch“ auf einen 9-Punkte-Plan geeinigt, um durch gemeinsame Strategien und Zusammenarbeit terroristische Online-Aktivitäten zu unterbinden. Einen großen Teil dieser Arbeit soll die 2020 ins Leben gerufene Organisation „Global Internet Forum to Counter Terrorism“ leisten. Sie garantiert transparentere und schnellere Zusammenarbeit, etwa beim Auffinden und Löschen von Videos mit Terrorverdacht (z.B. von Amokfahrten), um diese zeitnah und möglichst umfassend zumindest von den reichweitenstarken Plattformen zu verbannen. Dies betrifft dann nicht nur die Verbreitung des Videos durch den Täter, sondern auch durch Anhänger*innen der Online-Subkultur sowie weiterer Plattform-Nutzer*innen. Darüber hinaus sucht das Gremium technische Lösungen, um extremistische Inhalte dauerhaft von den Plattformen fernzuhalten, tauscht sich über  Herausforderungen in Moderation und Community Standards aus und unterstützt zivilgesellschaftliche Arbeit und Forschung zum Thema.


Was Soziale Netzwerke und Gaming-Communities im Alltag tun können:

  • einfache und verständliche Meldewege ausbauen
  • Moderationsmöglichkeiten für Kanal- oder Seitenbetreiber*innen ständig verbessern
  • gut geschulte Moderator*innen inklusive Expert*innen zu Rechtsextremismus und
    Rechtsterrorismus einsetzen; permanente Weiterbildungsangebote anbieten, eventuell auch für ehrenamtliche Moderationsteams auf der Plattform
  • rechtsextreme, rechtsterroristische und gewaltaffine Inhalte, die mit Abwertung verbunden werden sind, konsequent ahnden
  • sich aktiv pro Demokratie und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und
    Gewalt positionieren
  • die Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden ausbauen und Schulungen zu Kooperationsmöglichkeiten wahrnehmen
  • Community Building: Counter Speech unterstützen und Demokrat*innen auf den
    Plattformen schützen
  • Algorithmen auf Radikalisierungsmechanismen prüfen, um die Verbreitung rechtsextremer und rechtsterroristischer Inhalte zu reduzieren, diese aus den Recommendations zu nehmen und aus der Monetarisierung auszuschließen
  • prüfen, ob sich die Sichtbarkeit von Inhalten unter Jugendschutzaspekten reduzieren
    lässt
  • Wortfilter oder Bilderkennung nutzen, um Uploads zumindest zu bekannten Stichworten und Memes zu erschweren
  • Massenpostings rechtsextremer und rechtsterroristischer Inhalte in Messenger-Diensten unterbinden

Schulung von Strafverfolgungsbehörden

Wenn es um die Vorbereitung und Planung von rechtsterroristischen Strafoder Gewalttaten geht, sind natürlich nicht nur Zivilgesellschaft und Soziale Netzwerke, sondern auch die Strafverfolgungsbehörden gefragt. Spezialisierung und Kompetenzaufbau bei den Strafverfolgungsbehörden müssen systematisch vorangetrieben werden.

Zwar gibt es zum Beispiel ein „Hinweistelefon Rechtsextremismus“, aber keine Online-Meldestelle für Verdachtsfälle, an die Online-Inhalte wie Screenshots gesandt werden können. Auch fehlt auf Polizeidienststellen die Kompetenz, digitale Kommunikation einzuschätzen – oft fehlen sogar die
Kompetenz, das zuzugeben, und das Wissen, wie mit den fehlenden Kompetenzen umzugehen ist. Denn auf Online-Hasskriminalität spezialisierte Polizeistellen sind bundesweit immer noch selten. Gleiches gilt für spezialisierte Staatsanwaltschaften.


Was jede Polizeistelle haben müsste:

  • Order, jeden Hinweis auf Rechtsterrorismus online ernst zu nehmen
  • genug Kapazitäten und Kenntnisse für eine Erstrecherche – auch in der Online-Subkultur des Täters
  • eine Sammlung mit Kontakten spezialisierter Kolleg*innen oder externer Expert*innen,
    die im Zweifelsfall befragt werden können
  • polizeiinterne Fortbildungsmöglichkeiten im Online-Bereich
  • eine Sammlung hilfreicher Kontakte zu den Sozialen Netzwerken selbst und Kenntnisse, wie dort im Ernstfall an Daten zu kommen ist oder Löschungen beantragt werden können, wenn Gefahr im Verzug ist. Es gibt Kooperationsrunden zwischen Sicherheitsbehörden und Netzwerkbetreiber*innen. Jede Polizeiwache sollte wissen, an wen sie sich wenden muss.
  • Kalendertage mit besonderem Risikopotenzial müssen gesammelt werden, um Aktivitäten verstärkt im Blick behalten. Diese Sammlung umfasst etwa Anschlagsdaten vorheriger Attentate, (religiöse) Festlichkeiten und Feiertage.

Medien: Tätern keine Bühne bieten

Rechtsterroristen wollen mit ihren Taten ein großes mediales Echo erzeugen. Ihnen ist es wichtig, dass die Täterperspektive erzählt wird, ihr Name in der Öffentlichkeit Gehör findet. Den Namen der Rechtsterroristen in den Medien zu lesen oder zu hören und ein öffentliches Interesse am Leben des
Täters belastet die Betroffenen hingegen schwer und bestätigt die rechtsterroristische Medienstrategie. Rechtsterrorismus zielt auf eine nachhaltige Einschüchterung der Zielgruppe und Bevölkerung. Dafür sind die Täter auf ein mediales Echo von erheblicher Tragweite angewiesen, um die rechtsterroristische Botschaft an die Zielgruppen zu senden.


Was Medien in der Berichterstattung über Rechtsterrorismus tun sollten:

  • Große, an die Allgemeinheit gewandte Medien sollten den Namen des Täters/der Täter
    nicht nennen – auch nicht, wenn er bekannt ist (besser z.B. „der Täter von Halle“) oder in
    abgekürzter Form. Meistens ist eine nachvollziehbare Begründung wichtig: Die Namensnennung führt zur Glorifizierung des Täters und trifft Opfer erneut. Eine Ausnahme können Fachmedien darstellen, in denen die Leser*innen bereits sensibilisiert sind.
  • Die Berichterstattung sollte sich nicht auf die Täterperspektive fixieren. Auch die Opferperspektive muss dargestellt werden.
  • Niemals sollte aus den schriftlichen Ausführungen der Täter zitiert werden, ohne die Aussagen einzuordnen. Antisemitische, rassistische, frauenfeindliche oder anderweitig diskriminierende Aussagen sollten als solche benannt werden. Besser ist es, das Gesagte oder
    Geschriebene mit eigenen, weniger abwertenden Worten zusammenzufassen. Will man
    den Tonfall darstellen, reicht ein Zitat vollkommen aus. Ansonsten läuft man Gefahr, den
    Täter zu einer rassistischen „Sensation“ zu machen (Stichwort: Rassismus-Porno).
  • Tatmotive müssen erkannt und benannt werden. Achtung: Psychische Krankheit und politische Ideologie schließen sich nicht aus! Vielmehr ist die politische Ideologie für die Wahl
    der Opfer verantwortlich – auch, wenn eine psychische Erkrankung vorliegt.

Rechtsterrorismus gemeinsam entgegentreten

Die rechtsterroristische Gefahr erfordert eine gesamtgesellschaftliche Strategie, die über das Verständnis von Strategien und Aktionsformen rechtsterroristischer Akteure hinausgeht. Der Gefahr entschlossen entgegenzutreten bedeutet, sich der Tragweite von Rechtsterrorismus bewusst zu werden. Die Situation potenziell betroffener Menschen muss in den Fokus gerückt und ernst genommen werden, und Betroffene rechtsterroristischer Anschläge müssen sich der gesellschaftlichen Rückendeckung sicher sein. Dies kann nur funktionieren, wenn Fehler im bisherigen Umgang mit rechtsterroristischen Taten, wie bei dem Ermittlungsversagen des NSU, eingeräumt und
aufgeklärt werden und glaubhafte Veränderungen eintreten.

Rechtsterrorismus zielt auf die Verstetigung von Angst und die Vernichtung der Zielgruppen ab. Diesem zerstörerischen Ansatz lässt sich mit einer Stärkung der betroffenen Communities begegnen. Eine demokratische Gesellschaft zeichnet sich durch den Schutz von Minderheiten und ein solidarisches Miteinander aus. Dieses demokratische Selbstverständnis muss dem Rechtsterrorismus entgegengestellt werden. Dafür sind die Präventions- und Bildungsarbeit, aber auch die Solidarität mit Betroffenen und deren Situation eine essenzielle Voraussetzung.



Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Rechtsterroristische Online-Subkulturen. Analysen und Handlungempfehlungen“ der Amadeu Antonio Stiftung, erschienen im Februar 2021.

Die Broschüre zum Download gibt es hier:

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/rechtsterroristische-online-subkulturen/

Mehr Texte aus der Broschüre auf Belltower.News:


 

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