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Schwerpunkt (Anti)feminismus Pseudofeministische Esoterik ist ein Einfallstor in reaktionäre Ideologien

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Hexen, Weiber und Priesterinnen aller Länder: Vereinigt euch - auf Facebook! (Quelle: Screenshot)

Wer von einer Demonstration namens „Multikultureller Frauenmarsch“ liest, wird sich nichts Böses dabei denken. „Multikultureller Frauenmarsch“, das klingt nach Antirassismus, Feminismus, und Solidarität, vielleicht nach ein bisschen Esoterik. Es ist naheliegend, dass die Demonstration, die am 28. Februar 2021 in Großstädten in Deutschland, Österreich und der Schweiz stattfand, dieses Bild evozieren soll, anstatt die dahintersteckende Ideologie, die sich erst nach etwas Recherche offenbart. Denn statt Feminismus, Antirassismus oder Solidarität scheint der Frauenmarsch als Türöffner von Esoterik und Spiritualität in gefährliche Verschwörungsideologien zu fungieren.

Ein Blick auf die Homepage der Veranstaltung offenbart, dass die Veranstaltung aus den Reihen der Corona-Leugner*innenszene organisiert worden sein muss. Dort steht, in pathetischen Großbuchstaben und zentriertem Satz:

„Es ist Zeit, unsere Stimme zu erheben! Aufstehen für die Zukunft unserer Kinder und den folgenden Generationen. Wir gehen mit der Natur, in dem wir Menschen uns wieder an den Naturgesetzen orientieren und Teil des großen Ganzen sind, eingebunden in die natürlichen Kreisläufe. Wir Frauen tragen diese Urprinzipien des Lebens in uns! Wir sind tief verwurzelt mit der Erde! Und es ist unsere Aufgabe, sie zu schützen und daran zu erinnern. Die Kinder bilden unsere nächsten Generationen und es ist unsere Pflicht, alles dafür zu tun, ihnen eine lebendige und sichere Zukunft zu ermöglichen. Sie brauchen für ihrer Lebendigkeit den Kontakt mit anderen Kindern! Kontaktbeschränkungen und Abstand sind nicht nur schädlich für Ausbildung des Immunsystems sondern verhindern auch eine freie und gesunde Entwicklung.“

Es ist ein gängiges Moment innerhalb reaktionärer Communities, ob nun Antifeminist*innen, Impfgegner*innen oder die Corona-kritische Szene, Kinder für die eigene Politik zu instrumentalisieren. Der „Frauenmarsch“ reiht sich ungebrochen in diese Tradition ein. Mit der Frage des „Kann denn nicht einmal jemand an die Kinder denken?“ lässt sich das eigene Bedürfnis, Leben und Gesundheit seiner Mitmenschen geringer zu bewerten als den Shoppingtrip im Eine-Welt-Laden, auch gut vor sich selbst rechtfertigen. In dem „diese Frauen vermeintlich harmlos als ‚alternative Ärztin‘ oder ‚besorgte Mutter‘ in Erscheinung [treten], erreichen [sie] damit auch ein bürgerliches Spektrum“, konstatieren die Expertinnen Rebekka Blum und Judith Rahner zur Rolle von Frauen in der Coronaleugner*innenszene.

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Die Organisatorinnen des Frauenmarsches geben an, aus dem „kreativen und heilenden Bereich“ zu stammen, zum Beispiel die Heilpraktikerin Sandra Seelig. Nach zwei Klicks auf ihrer Homepage stößt man auf einen Text mit der Überschrift: „Impfung: Rettung oder Gefahr?“ Bei dem darauffolgenden Text handelt es sich, das impliziert bereits die reißerische Fragestellung, weniger um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Impfungen, als um ein Konglomerat aus dem Standard-Repertoire der Impfgegner*innen-Behauptungen.

Seelig gibt an, Mitglied der Partei „Die Basis“ zu sein, einer basisdemokratischen Organisation mit den Grundprinzipien von „Freiheit, Achtsamkeit, Machtbegrenzung und Schwarmintelligenz“. Die in der Facebook- als auch Telegramgruppe der „Basis“ geteilten Inhalte zeigen auf, dass es sich bei der Partei um eine Gruppierung aus Corona-Leugner*innen handelt, die Gruppen selbst sind Echokammern, in denen sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig mit Fake News in ihrer Weltanschauung bestätigen. Die Hannoveraner Allgemeine Zeitung schreibt in Bezug auf die „Basis“ von einer „neuen Querfrontpartei“.

Sandra Seelig selbst hat anlässlich des Frauenmarsches ein Interview für die rechtsradikale Online-Zeitung „Epoch Times“ gegeben. Auch wenn die anderen Organisatorinnen, größtenteils ebenfalls als Heilpraktikerinnen tätig, nicht offen auf ihren Webseiten für die Ablehnung von Impfungen oder Corona-Hygienemaßnahmen werben, macht ihr Engagement in der Demo-Organisation deutlich, welchen Standpunkt sie bezüglich der Corona-Pandemie haben. Mit einer der Veranstalterinnen, Susanne Brian, finden sich auch Schnittstellen zur antizionistischen „Friedensbewegung”: Brian sei von „Frauenmärschen” von Israel in die palästinensischen Gebiete inspiriert worden, in denen Aktivistinnen für eine Versöhnung mit dem antisemitischen Hamas-Regime plädieren.

Sprecherin auf dem Berliner Marsch und treibende Kraft hinter der Organisation dieses Konglomerats aus Esoterikerinnen und Verschwörungsideologinnen ist die Wahlschweizerin Christina Salopek. Mit ihren über 11.000 Abonnent*innen auf Facebook hat sie eine nicht zu unterschätzende Reichweite. Sie ist Begründerin der Facebook-Gruppe „Hexen-Weiber-Priesterinnen, Hüterinnen der Erde, wild & frei!“, die über 23.000 Mitglieder verzeichnet. Zwar hat die marxistische Theoretikerin Silvia Federici die Hexe als feministische Figur etabliert, die Gruppe selbst ist jedoch von einem Feminismus weit entfernt. Viel mehr zeichnet sich die Gruppe durch ein esoterisches und essentialisierendes Weiblichkeitsbild aus, das Frauen primär als Mütter sieht:

„Wir leben Schwesternschaften, hier und da, gemeinsam und viele die sich in ihren Feldern finden! Wir sind Töchter und Mütter. Wir sind auch Töchter der Erde. Genauso wie sich die Urfrau mit all ihren Facetten in unserer Gruppe widerspiegelt! Würdevoll gehen wir unserer Wege, lernen voneinander und miteinander! Tauchen ein in weibliches tiefes Wissen, in unsere Magie und Mystik! Wir sind Schöpferinnen und ich sage wir sind Verursacherinnen, wenn wir klar und in uns aufgeräumt unseren Weg gehen!“

Auf der Seite der Gruppe finden sich primär Postings zu esoterisch aufgeladenem Kitsch, die stellenweise in ihrer Bildsprache nur knapp an völkischer Ästhetik vorbei schrammen, Links zu Meditationsübungen für Frauen und Kinder, Naturfotos, Aufrufe, sich an dem multikulturellen Frauenmarsch zu beteiligen, Kritik an der „Schulmedizin“ und Werbung. Christina Salopek betreibt nämlich nicht nur die Facebook-Seite, sondern auch eine „Academy“, auf der sie Kurse zur „Macht des weiblichen Grals“ für „alle, die Einblick in das Wissen von Magie, Mystik und die Zusammenhänge über Macht, Liebe und andere essentielle Themen bekommen“ möchten. Kostenpunkt für den Einsteigerinnenkurs: 1.111 Euro. Salopeks Mann ist im „Investment“ tätig, wie sie auf ihrem Facebook-Profil nicht müde wird zu betonen, es geht um die sichere Wertanlage in Gold. Auch sein Wissen kann man sich in Form kostenpflichtiger Seminare aneignen.

Außerdem arbeitet Salopek am Aufbau eines neuen, alternativen Social-Media-Netzwerks namens „Authentic World“, für das sie auf Facebook regelmäßig nach ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen sucht. Böse Zungen könnten behaupten, dass die Familie Salopek von der modernen Welt und ihren Herausforderungen verunsicherten Menschen anhand von Plattitüden und Heilsversprechen das Geld aus der Tasche ziehen wollen, aber wir wollen uns nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen.

Nun wäre das alles schon unangenehm genug, aber hinter dem Weiblichkeitskitsch und der Aufschneiderei von Salopek verbirgt sich eine ideologische Welt, die zutiefst gefährlich ist. Auf Salopeks privater Facebook-Seite – die, um es noch einmal zu erwähnen, 11.000 Abonnent*innen hat – finden sich neben Werbung für ihre Lifestyle-Akademie und Videos, in denen sie über Liebe und positive Energien salbadert, immer wieder verschwörungsideologische Inhalte. Diese reichen von der Behauptung, 5G sei gesundheitsschädlich über den „Great Reset“, die Behauptung Bill Gates hätte Einfluss auf den Klimawandel bis hin zur Erzählung über den „Deep State“. Der „Deep State“ ist Teil der von Grund auf antisemitischen „QAnon“-Verschwörungsideologie, deren Anhänger*innen unter anderem an der Stürmung auf das Kapitol beteiligt waren. Salopek selbst schreibt nie explizit über QAnon, den „Plan“ oder satanistische Kindesmörder, wer aber über die Narrative Bescheid weiß, erkennt sie sofort wieder.

(Quelle: Facebook-Screenshot)

Dass Salopek derartige Verschwörungsideologien, die weltweit von Rechtsextremen geteilt werden, verschleiert und neben Wohlfühl-Videos über die Kraft der Yoni publiziert, könnte sogar gefährlicher sein als die dahintersteckende Ideologie offen zu vertreten: es verharmlost und versteckt die ihr inhärente Menschenfeindlichkeit.

Eine der Schweizer Organisatorinnen des Frauenmarschs, Udesha Kubesch, ist da etwas offener. Die „Forscherin, Pionierin, Alchemistin, Autorin und Yogini Coach“ ist offene Vertreterin auch krudester Verschwörungsnarrative wie Chemtrails oder Skalarwaffen. In einem Posting solidarisiert sie sich mit dem Sturm auf das US-Kapitol, in einem anderen suggeriert sie, dass die Ausgrenzung von Corona-Leugner*innen mit dem Antisemitismus des Nationalsozialismus gleichzusetzen sei.

Dazwischen immer wieder: Postings zu Kinderrechten und Kinderschutz. Gerade die Instrumentalisierung von Kindern ist ein Mittel, mit der sogenannte „QAmoms“ versuchen, andere Frauen in ihre kultartige Community zu rekrutieren. Nicht zuletzt die ideologische Nähe von QAnon zum nicht unbedingt für feministische Positionen bekannten Rechtsextremismus offenbart, dass der Frauenmarsch und sein Umfeld meilenweit vom Feminismus entfernt sind: Frausein definiert sich so gut wie ausschließlich über Gebärfähigkeit; der spirituelle Bezug auf Vulva, Menstruation oder geschlechtliche Reproduktion ist keine kritische Auseinandersetzung mit der Politisierung von Körpern, sondern die Affirmation einer biologistisch vermittelten „weiblichen Natur“. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich unter den zahlreichen Postings von Kubesch in unregelmäßigen Abständen transfeindliche Inhalte finden lassen.

(Quelle: Facebook-Screenshot)

Während in ihrer Hegemonieposition verunsicherte Männer durch pathosgeladene Heldenerzählungen wie die eines Attila Hildmann oder die Inszenierung als systemkritischer Schlaumeier wie Ken Jebsen Zugang in die verschwörungsideologische Szene finden, ist es bei Frauen oftmals das esoterische, pseudofeministische und doch so reaktionäre Zelebrieren essentialistischer Weiblichkeit, Mütterlichkeit und der darin artikulierte Rekurs auf „altes Wissen“ und „Naturheilkunde“. Letztendlich offenbart sich dahinter jedoch primär der Rekurs auf Antimoderne und Aufklärungsfeindlichkeit. Esoterik und Spiritualität mögen nur auf den ersten Blick als harmlose Spleens wirken, aber gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, in der Wissenschaftsfeindlichkeit ein Einfallstor in reaktionäre Ideologien ist, sollte man sich darüber bewusst sein, dass zwischen Heilkristallen und QAnon nur ein paar Wochen Aufenthalt in den entsprechenden Facebook-Gruppen liegen können.


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