Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Wie Rechte mit Rechten reden Die IB diskutiert Antirassismus mit Rassist*innen auf YouTube

Von|
Martin Sellner, Vordenker der "Identitären Bewegung", propagiert taktischen Antirassismus - nicht alle verstehen das. (Quelle: Screenshot YouTube)

– Achtung: Explicit Content, enthält Beispiele rechtsextremer Rede –

Die „Identitäre Bewegung“ versucht seit Jahren, Rechtsextremismus zu entkernen und damit zu modernisieren und gesellschaftsfähiger zu machen: NS-Bezüge werden zugunsten der „konservativen Revolution“ aufgegeben, „Ausländer raus“ heißt bei ihnen „Remigration“. Aber rechtsextrem sein ohne Rassismus? Ist das nicht ein bisschen viel verlangt?

Martin Sellners am 23. Februar 2019 auf YouTube veröffentlichtes Video – seitdem über 30.000 Mal angesehen – polarisiert und verwirrt, weil es einige Kern-Aktionen des Rechtsextremismus in Frage stellt: Rassismus, Hass und Hassrede, Beleidigungen und Gewaltaufrufe.

Martin Sellner im Video auf seinem YouTube-Kanal: „Du kannst sogar den gesamten patriotischen Widerstand verlassen, denn du bist nicht nützlich.“

Was sagt Sellner im Video?

Dass es argumentativ schwierig wird, zeigt sich schon daran, dass ein Video, in dem sich Sellner u.a. vehement gegen Beleidigung ausspricht, den Titel trägt: „Ansage an die (echten) Hetzer – Ihr seid nützliche Idioten!“ In einem Anti-Beleidigungs-Video erstmal die Angesprochenen beleidigen – Chapeau.

Aber wer ist gemeint? „Leute, die hier Kommentare hinterlassen“ und dabei „Gewaltaufrufe, Schimpfwörter, Rassismus“ verwenden. Oha. Ist das ein Ausstieg? Hat sich der Vordenker der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ tatsächlich entschlossen, nun für Gleichwertigkeit aller Menschen einzutreten? Nein, es handelt sich stattdessen mehr um einen interessanten „taktischen Antirassismus“: Sellner möchte nämlich weiter „kritische Aussagen über Migranten und Muslime“ äußern, aber die würden ja sofort als „Verhetzung“ angesehen – weil „nützliche Idioten“ Hasskommentare verfassten und damit dafür sorgten, dass die Meinungsfreiheit für alle eingeschränkt würde, die „kritische Themen“ ansprechen wollen.  Der Grund, warum Sellner also nichts mehr über „Hängt sie auf, erschießt sie, vergewaltigt sie“ lesen möchte: Er hat Angst, dass er dafür zur Rechenschaft gezogen wird („Ich bin ja an vorderster Front im Infokrieg (…) Antifa und Justiz kennen meine Adresse (…)“). YouTube hat einen Tag vor Veröffentlichung des Videos übrigens genau das angekündigt: Das auch toxische Kommentarspalten dazu führen können, dass YouTube-Kanäle geschlossen oder aus der Monetarisierung ausgeschlossen werden – dann kann man also kein Geld mehr mit den Kanal verdienen (vgl. tubefilter.com). Sellner sorgt sich also um seine Kanäle. Da diese Sorge zwar menschlich, aber nicht sehr heroisch ist, kleidet Sellner sie in blumige Worte: Wer „indiskutabel, ekelhafte, widerliche“ Kommentare, Gewaltaufrufe und Beleidigung (sic) verfasse, kriminalisiere damit die „Identitäre Bewegung“ und sorge mit dafür, dass „Kritiker der Migration“ zum Schweigen gebracht würden. „Ihr glaubt, Ihr seid tolle Hechte. Seid ihr nicht. Ihr seid lächerlich“, redet Sellner sich in Rage, um dann einzulenken: Zorn sei ja okay („Ihr seht, wie euer Land ruiniert wird, wie Geschichte verfälscht wird und wie auf alles, was einmal groß und schön war, gespuckt wird.“), aber Hasskommentare seien unproduktiv. Besser sei doch ein Video, eine Aktion oder ein Flugblatt. Gewohnt dramatisch endet Sellner: „Wer geistigen Durchfall verbreiten möchte, wer verbale Inkontinenz hat und nicht in der Lage ist, Zorngefühle in sich zu halten, sondern herausplatzen muss damit in Sozialen Medien, dem sage ich: Du bist unerwünscht! Du kannst meinen Kanal deabonnieren, dich aus dem Rundbrief austragen, du kannst sogar den gesamten patriotischen Widerstand verlassen, denn du bist nicht nützlich, du hilfst uns nicht.“

Markig. Sellner gegen Rassismus. Sellner gegen Hass. Aber die Fans sind verständlicherweise verwirrt. Und wer schon einmal mit Rechtsextremen diskutiert hat, weiß, dass Rationalität in diesen Diskussionen nicht immer Platz hat, Abwertungen aller Art dagegen schon. Trotzdem interessant zu sehen, dass die Kommentator*innen unter Sellners Video auch miteinander nicht gerade zimperlich umgehen. In der Kommentarspalte kann man der rechtsextremen Blase bei der Strategiediskussion zusehen. Der erste Topkommentar (Likes, Replies) unter dem Video (von aktuell rund 1.100):

Argumentationsstrang 1: Aber, wir wollen doch rassistisch und gewalttätig sein!

Ja, Antirassismus mit Nazis, das wird nicht einfach. Natürlich gibt es auch etliche Kommentare, die Sellner zustimmen („Genau solche Kommentare schaden der gesamten Patriotischen Bewegung.“) Aber ziemlich viele Diskutierende sind mit einer solchen Ansage nicht sehr glücklich.

Manche fühlen sich selbst angesprochen (Orthographie wie im Original):

  • „Jaegermeister…“: „Ich muss aber auch ma ehrlich sein und zugestehen, dat ich manchmal genau einer „dieser Idioten“ bin, deren Wut so übelst hochkocht, dat vor lauter Fäkaliensprache meine Tastatur fast explodiert🙈 Vor allem wenn ich ma wieder von irgendwelchen Vergewaltigungen usw. von den üblichen Verdächtigen höre…..😡😡😡 Dat sind dann solche Momente wo ich am liebsten durch dat Display springen würde und diesen piiiiiiep so dermaßen deren piiiiiep demolieren würde, dat die net mehr wissen wo vorne und hinten is….😡 Aber Du hast vollkommen Recht…….dies is nur Futter für diese ganzen Zecken😕“
  • „Florian…“ versteht ihn: „Hier und da ist es echt schwer seinen Frust zu unterdrücken. Gerade nach einem wieder bekannt gewordenen Messermord (…). Es nützt aber wahrlich nicht, wenn wir offen zur Gewalt gegen unsere politischen Gegner aufrufen. Auch wenn die anderen mit sehr unfairen Mitteln kämpfen. Art. 13, NetzDG, DSVGO und die allseits beliebte DU NAZI- Keule…

Ja, selbst Gesetze und die Datenschutzgrundverordnung sind gegen Gewaltaufrufe von Nazis.

Einsicht wie in den obigen Fällen zeigt nicht jede*r.

  • „Autumn…“: „Martin deine Botschaft ist völlig ok aber was soll u.a. ich machen, wenn mir ein ‚Goldstück‘ zuschreibt „ich F…e diene Mutter“. (…) Soll ich solche Subjekte auch noch herzen (…)?“

Andere sind empört und halten das für völlig falsch:

  • „Ben…“: „Die Zeit von ‚strategical cucking‘ ist vorbei.“ (gemeint ist wohl das masochistische Verstecken der eigentlichen rechtsextremen Einstellung).
  • „Vince…“ fühlt sich offenbar ziemlich angegriffen: „Wir können machen was wir wollen, irgendwie sind wir anscheinend immer die Idioten! Aber das ist in Ordung! Es ist schliesslich nicht so, dass ich mich von einem YouTubr abhängig mache! Ihnen zuliebe habe ich Sie deabonniert und das Idiot gebe ich gerne an Sie zurück! Viel Glück weiterhin mit Blümchen und Flugblätter verteilen!“
  • „Psycho…“: „Eigentlich bin ich auch gegen Hassrede – ABER, ich würde schon eine gewisse innere Zufriedenheit äußern, wenn z.B. mal einen Grünen von einem Goldstück vergewaltigt würde.
  • „A..“: „Man besiegt keinen Gegner indem man nach seinen Regeln spielt. Meinungsfreiheit wurde noch nie in der Geschichte Europas herbeidiskutiert sondern nur durch Gewalt in Zeiten des Umsturzes erkämpft.“ (hat offenkundig Teile des Geschichtsunterrichts verpasst).

Nun, es wird wohl schwierig mit der strategisch friedlichen Revolution der „Identitären Bewegung“.

Auch Antisemitismus ist da ein gern genutzter Topos:

  • „Flying…“: „Ihr Neu Rechten könnt nur Predigen wie böse die Islamisten sind, doch die Hintergründe dieser Umvolkung sprecht ihr neu Rechten Spinner nie an.“ (Er meint die jüdische Weltverschwörung, wie er noch ausführt.)
  • „Dogan…“: „DU WASCHLAPPEN WILLST ES NICHT ZUM GUTEN ÄNDERN!! (…) ANSONSTEN WÜRDEN WIR ALLE……. JA VERDAMMT ICH SAGTE WIR ALLE !! MORGEN DIE REGIERUNG UND IHRE HINTERMÄNNER AUSSCHALTEN!!!“

Dabei gibt es noch die Nebendebatte, ob es Hate Speech überhaupt gibt:

  • „Dog…“: „Jemand zu sagen, er soll ein Flugblatt basteln der kurz davor steht ernsthaft tätlich zu werden ist nicht hilfreich, so etwas wie HATESPEECH existiert nicht und du benutzt auch noch gegnerisches framing was wirklich sehr dumm ist. Ich möchte das die Menschen die abscheulichsten Dinge frank und frei heraus sagen (…), vor allem online. Pazifisten sind Abschaum, wer Gewalt kategorisch ablehnt ist jedem der das nicht tut gnadenlos ausgeliefert!

Oder ob es Rassismus überhaupt gibt

  • „red…“: „Der Begriff Rassismus, den du noch immer verwendest, ist grundsätzlich abzulehnen. Es ist ein Nonsenbegriff, ein Fake-Begriff. Es gibt keinen Rassismus. Das Wort wird als Verleumdung normalen Verhaltens verwendet (…). Schön dazu die erste Antwort von „Frei…“: „Selbstverständlich gibt es Rassismus und das ist auch gut so.“

Hilfreich auch Kommentare wie der von „Fi…“, der zwar rassistische Kommentare als „peinlichste Hetze“ bezeichnen, dann aber zeilenlang die Ausdrücke wiederholt, die er „zum Fremdschämen“ findet.

Andere haben Verständnis für Hasskommentare, sind dabei aber auch nicht gerade wertschätzend:

  • „Red Pill“: „Manche haben das Herz am rechten Fleck, aber sie sind leider dumm.“
  • „ja ne…“: „Leider sind NPDler noch immer unter uns. Menschen, die einen Grill mit der Aufschrift „Happy Holocaust“ hatten. (Echte) Nazis wird es leider immer geben und sie werden versuchen, Organisationen wie die IB (…) langsam aber sicher in die braune Scheiße zu ziehen.“
  • „Kommende…“: „Angst, Hass und Hetze verbreiten die Altparteien. Sie planen unserer Vernichtung. Da ruhig zu bleiben ist kaum möglich.“
  • „Alfred“: „Ich denke, hier gehst Du mit den treuen Patrioten, die nicht das diplomatische Feingefühl besitzen, ihre Gefühle zu kaschieren, etwas zu stark ins Gericht. (…) Ich betrachte dieses Video als ein Schlag ins Gesicht aller Patrioten, die sich nicht anders zu helfen wissen (…).“
  • „Plata…“ differenziert: „Sollte man in 3 Gruppen teilen. 1. Die wirklichen Vollpfosten. 2. Antifanten welche Vollpfosten darstellen. 3. Pickelgesichter welche einfach nur triggern wollen.“

Dies leitet über zu Argumentationsstrang 2.

Argumentationsstrang 2: Externalisierung – Das sind wir gar nicht!

Wer der Meinung ist, dass ein „wahrer Patriot“ nicht ausfallend wird, nicht zu Gewalt aufruft und keine sprachlichen Abwertungen verwendet, muss natürlich eine Erklärung dafür finden, warum es so viele ausfallende, zu Gewalt aufrufende und abwertende Kommentare in Online-Diskussionen gibt. Wer macht das denn dann?

  • „Joachim“: „Und zwischen diesen ‚Gestalten‘ gibt es dann noch jene, die als staatliche Provokateure eingesetzt werden.“
  • „Andi“: „Und was ist mit linken Trollen?
  • Tom: „Ich könnte mir auch vorstellen dass auch Leute von der Antifa unter Fakeaccounts das patriotische Lager durch Hasskommentare schädigen wollen.“
  • „Panzerh…“: „Mit weniger als 10 Klicks erstelle ich mir ein Profil und schreibe Nazi Parolen unter jedes Video! False Flag oder Operation unter falscher Flagge nennt sich sowas…
  • „steht…“: „Die haben ihre Leute, welche dafür bezahlt werden, den ganzen Tag patriotische Kanäle zu schauen und diese mit Dreck vollzuspammen! Das müsste dir Herr Martin Sellner als langjähriger Aktivist eigentlich schon lange klar sein!
  • „Eric…“: „Die eine Hälfte der Leute die Hasskommentare abgeben sind Idioten, die andere Hälfte arbeiet wahrscheinlich für die Staatssicherheit.“
  • „Gerrit…“: „Weiter denke ich das da viele Fakehasser unterwegs sind.“

Argumentationsstrang 3: Wo ist meine Meinungsfreiheit!

Das Thema Meinungsfreiheit und Zensur liegt der rechten Szene besonders am Herzen, auch wenn sie damit nur meinen, dass sie gern Rassismus, Antisemitismus und Holocaustleugnung ohne Konsequenzen äußern wollen. Aber sie reagieren auch in der eigenen Blase aufgeregt, wenn ihnen jemand sagen will, was sie tun sollen:

  • Das ahnt offenbar nicht User „Y …“: „Du kannst mit „Rechtsklick>Nutzer sperren“ übrigens auch nachhelfen, falls es einige nicht einsehen wollen. Das hat mit Zensur ja auch nichts zu tun, es ist einfach dein Hausrecht, wenn du deine Regeln durchsetzt.“

Nun, wenn das andere machen, etwa rechtsextreme Kommentare löschen, hat das für den guten Neurechten ja schon etwas mit Zensur zu tun…

  • „Jorge“: „Aber es kann und darf nicht sein, dass man auch hier seine Kritik politisch korrekt formulieren muss.“ (danach folgt eine Tirade expliziter muslimfeindlicher Beschimpfungen).
  • „Rolf…“ ist richtig verstimmt: „Mit „bitte seid vernünftig“ wirst du keinen hinter dem Ofen hervorlocken. Natürlich ist die Ausdrucksweise mancher Leute primitiv, aber ebenso primitiv ist auch die Denke derer, die von oben auf die Gesellschaft scheißen. Was glaubst du eigentlich? Dass wir eine Partei wählen, die dann die Dinge so ändert, dass es gerecht, nachhaltig und vernünftig zugeht? (…) Du kannst dich einscheißen, weil sie dich klein machen wollen, weil sie dich verklagen und dir die Konten sperren, aber entweder bist du im Widerstand oder nicht! (…) Hate Speech? Wenn ich diesen gesellschaftsschädigenden Subjekten einen langsamen und qualvollen Tod wünschen würde, wäre das noch viel zu harmlos!!! Der Weihnachtsbaum brennt nicht ab mit elektrischen Kerzen!“
  • „Enrico…“ setzt auf Taktik: „Wenn man intelligent genug ist, kann man alles sagen. Wenn ihr beispielsweie Afrikaner angreifen wollt, sagt nicht, man solle ihn aufhängen, fragt ihn einfach, wann er zurück nach Afrika geht. Das hat eine ähnliche Wirkung und ist für absehbare Zeit noch legal.

Argumentationsstrang 4: Gegenangriff

Da Rechtsextreme keine freundlichen Menschen sind, äußern sie auch ihre „Kritik“ an Sellners Video sehr explizit – und gern auch mit Gegenangriffen:

  • „sou …“: „Spricht über Durchfall und ideologische Inkontinenz, während er im Duktus des politischen Autoritarismus Menschen vorschreiben versucht, ihr gesamtes Kommunikationsverhalten auf den Erfolg eines patriotischen pseudoavantgardistischen Lagers auszurichten, das seit Jahren aber auch wirklich jede politische Entwicklung (…) in den Sand setzt. Die Assoziation der AfD mit dir und Kubitschek hat dem politischen Gegner mehr Zulauf, Legitimation und politische Munition gebracht als jedes der Bauernopfer, an denen du gerade deinen aufgestauten, eigenverantwortlichen Frust abbaust.

Argumentationsstrang 5: Ja, aber…

Selbst die Befürworter von Sellners Mäßigungsaufruf bleiben aber skeptisch bis desillusioniert:

  • „Division…“: „Das Video endet einfach darin, dass noch mehr Fake Kanäle unter rechten Pseudonymen solche Kommentare verfassen.“
  • „Elon…“: „Mit Beleidigungen überzeugt man niemanden, aber seien wir mal ehrlich. (…) Unabhängig davon was wir schreiben: Es wird IMMER hate speech sein (zumindest für den Mainstream, so ist das halt).“

Die eigene „Diskussionskultur“ illustriert auch dieser Kommentar, der so sexistisch ist, dass er nur als Screenshot geglaubt werden kann:

 

Merke: Mit Rechten reden ist auf YouTube nicht einmal für Rechte angenehm. Eine respektvolle, sachliche und ausgewogene Debatte, Empathie und Verständnis gibt es hier nicht.

Weiterlesen

glossar

Rechte Cyberkultur Glossar über die extrem rechte digitale Subkultur

„Cuck“, „Kek“, „NPC“, oder „Snowflakes“: Die Begriffe aus dem amerikanischen Internet-Alt-Right-Slang sind für Nichteingeweihte unverständlich. Aber der Jargon der extrem rechten, nihilistischen und antifeministischen Netzgemeinde ist auch in Deutschland angekommen. Hier die Erklärungen für die gängigsten Begriffe und Memes.

Von|
Eine Plattform der