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Israelboykott BDS-Liste denunziert „prozionistische“ Kultureinrichtungen

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Freund oder Feind? Im „Index Palestine“: werden Kultureinrichtungen entweder als „supporter“, „pro-Zionist“ oder „silent“ abgestempelt.
Freund oder Feind? Im „Index Palestine“: werden Kultureinrichtungen entweder als „supporter“, „pro-Zionist“ oder „silent“ abgestempelt. (Quelle: Instagram-Screenshot)

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Die Liste ist lang, das Ziel klar: 510 Kunstkollektive, Clubs, Museen, Theater und Universitäten weltweit werden in einer Tabelle mit dem Titel „Index of Cultural Institutions & Collectives‘ Stance Towards The Current Palestinian Liberation Movement“ genannt. Sie werden entweder als „supporter“, „pro-Zionist“ oder „silent“ eingestuft. In einer Spalte werden vermeintlich belastende Belege aufgeführt, in der Regel Links zu Instagram-Seiten oder -Beiträgen. Die Liste ist der jüngster Versuch der BDS-Bewegung, die zum Boykott gegen Israel ausruft, die Kulturszene zu polarisieren: So sollen vermeintliche politische Gegner:innen stigmatisiert werden. In Deutschland werden unter anderem die Technoclubs ://about blank und Institut für Zukunft, die Berliner Volksbühne und die Bauhaus-Universität Weimar als „prozionistisch“ aufgeführt. International sind auch das Kunstmuseum der University of Toronto sowie die Yale School of Architecture betroffen.

Erstellt wurde der sogenannte „Index Palestine“ als Google-Tabelle am 18. Mai 2021: Wer in Besitz des Links ist, der im BDS-Spektrum inzwischen vielfach geteilt wurde, kann die Liste bearbeiten und aktualisieren. Omar Adel, ein Multimedia-Künstler aus Ägypten, war in der ersten Version der Tabelle als Eigentümer genannt, bevor eine neue Version vom User „Cultural Index for Palestine“ angelegt wurde. Eine der ersten Seiten, die den Link posteten, war die Kairoer Bookingagentur und Musik-PR-Firma „Simsara Music“. Auch das „K-oh-llective“, eine Gruppe visueller Künstler:innen aus dem arabischen Raum, sowie der BDS-Blog „Cultural Boycott for Palestine“ verlinken auf ihren Webseiten auf den Index. Inzwischen haben die Initiator:innen der Liste eine eigene Instagram-Seite mit knapp 700 Follower:innen. In einem Sharepic erklären sie: „Index Palestine ist ein offener kollektiver Index, um die politische Einstellung von Kunsträumen, Kulturinstitutionen, Kollektiven und virtuellen Personas bezüglich der aktuellen und fortlaufenden palästinensischen Befreiungsbewegung aktiv zu erfassen und zu beobachten.“

Ob der Index als „schwarze Liste“ von Einrichtungen und Gruppen zu verstehen ist, die boykottiert werden oder gegen die Aktionen finden sollen, erwähnt „Index Palestine“ nicht. Doch die Verantwortlichen empfehlen, die Informationen gegenzuprüfen, bevor „gehandelt“ wird. In einer weiteren Spalte wird ein pinkes Häkchen gesetzt, sobald ein Eintrag vom Administrator als „fact checked“ gilt – diese Prüfung zeigt sich allerdings als wenig rigoros, klickt man auf die angeblichen Belege. Eine Anfrage von Belltower.News an „Index Palestine“ mit einem detaillierten Fragenkatalog zum genauen Zweck der Liste, zur Position der Gruppe zum Existenzrecht Israels und zur Verbindung der Gruppe zur BDS-Bewegung blieb unbeantwortet.

Zu den 145 „Supporters“ zählen Institutionen und Gruppen, die „die Gräuel des Kolonialstaats Israel“ klar und deutlich verurteilt haben sollen. „Pro-Zionist“ sei, wer Statements veröffentlicht oder eine klare Unterstützung zeigt für den „Kolonialstaat Israel“, oder wer „Hate Speech gegen Palästinenser:innen und Araber:innern“ verteilt. Bislang wurden allerdings nur elf der 510 genannten Einrichtungen und Gruppen als „prozionistisch“ klassifiziert. Sieben Institutionen und Gruppen, wie das „Menart“-Kunstmesse in Paris und das Berliner Festival „Pop Kultur“, wird eine „Normalisierung“ des jüdischen Staates vorgeworfen, indem sie an „Normalisierungsprojekten“ teilnehmen oder Gelder von nicht näher definierten „israelischen Quellen“ bekommen. Anderen Akteur:innen, wie dem „Nelly-Sachs-Preis“ (siehe Süddeutsche Zeitung) und der Ruhrtriennale (siehe Jungle World), wird eine „Zensur“ von Unterstützer:innen der „palästinensischen Befreiungsbewegung“ vorgeworfen, indem „institutionelle Hegemonie“ praktiziert wird, die „Individuen zum Schweigen bringt“. Die restlichen 313 Institutionen und Gruppen und damit die Mehrheit der Liste gelten allerdings lediglich als „silent“.

Auf Instagram anprangern: Die Strategie von „Index Palestine“. Das Festival heißt aber „Menart“, nicht „Minart“. Grund der Aktion: Zwei israelische Künstler:innen sollten auftreten. Für „Index Palestine“ heißt das eine „Normalisierung“ Israels als „legitimes Land“.  (Quelle: Instagram-Screenshot)

Die Liste ist aus vielerlei Hinsicht problematisch: Erstens wird ein verkürztes Freund-Feind-Bild bedient, das die Komplexität des Nahostkonflikts verkennt. Entweder sei man „Unterstützer“ der palästinensischen Sache oder wird als „Zionist“ abgestempelt, so die binäre Logik. Dass man sowohl für einen jüdischen Staat, als zum Beispiel auch für eine Zweistaatenlösung oder eine Verbesserung der erbärmlichen Zustände in Gaza sein kann, wird ignoriert. Dass Israel nicht die alleinige Schuld dafür trägt, dass es noch keinen palästinensischen Staat gibt, wird ebenfalls nicht thematisiert – ganz zu schweigen von der Rolle der terroristischen Hamas für den Fortbestand des Konflikts. Stattdessen wird der jüdische Staat mit doppelten Standards dämonisiert und delegitimiert. Und das ist antisemitisch. Wo die Reise hingeht, zeigt ein Sharepic von „Index Palestine“ auf Instagram: „Ein Waffenstillstand ist nicht das Ende unserer Arbeit. Es ist der wahre Anfang“, teilte die Gruppe, nachdem die Hamas tausende Raketen auf Zivilist:innen in Israel abgefeuert hatte und 13 Israelis tötete, darunter zwei Kinder. So wird die Liste zur Fortführung eines militärischen Konflikts stilisiert.

Auch problematisch ist das Denunziantentum der Liste: Künstler:innen und Kultureinrichtungen werden „konfrontiert“, wie es in der Kommentarspalte der Tabelle heißt. Eine klare Position zum Nahostkonflikt wird gefordert. Wer nicht antwortet, wird als stille Befürworter:in eines „Kolonialstaates“ oder gar eines „Apartheid“-Regimes diffamiert. Dass zum Beispiel in ganz Deutschland lediglich fünf Clubs und zwei Theater überhaupt gelistet werden, zeigt, wie willkürlich der Index ist: Denn die überwiegende Mehrheit von Kultureinrichtungen haben keine klare Position zum Nahostkonflikt – was völlig in Ordnung ist. Und weder der Stammkiosk der Belltower-Redaktion noch das Lieblingsrestaurant des Autors hat bislang ein klares Statement zum Nahostkonflikt veröffentlicht. Macht ihr Wegschauen sie zu möglichen Komplizen eines vermeintlichen Unrechtstaates?

Um als gesichert „prozionistische“ zu gelten, braucht es nicht viel: Für den linksalternativen Technoladen ://about blank reichte ein Instagram-Beitrag „gegen jeden Antisemitismus“ nach bundesweiten Angriffen auf Synagogen im Zuge der jüngsten Eskalation im Nahostkonflikt. Der Club kritisierte den offenen Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus auf deutschen Straßen, von links und rechts. Für „Index Palestine“ offenbar ein No-Go. Für die Volksbühne lag die Messlatte noch niedriger: zwei kleine Herzemojis unter dem Post des ://about blank sind der Grund, warum das traditionsreiche Theater, aktuell ohne Intendant:in, auf der Liste als „prozionistisch“ gelandet ist.

Der Berliner Technoclub auf Instagram: Wegen dieses Beitrags landete das ://about blank auf der Liste als „prozionistisch“. (Quelle: Instagram-Screenshot)

Andere Fälle sind noch kurioser: „Clubkultur retten!“, eine kleine Online-Kampagne, die sich während der Pandemie gründete, sich für eine schnelle Wiedereröffnung der Clubszene einsetzt und Videos von umstrittenen Raves in der Berliner Hasenheide postet, ist ebenfalls ins Visier von „Index Palestine“ geraten. Als Beleg wird auf ein Foto eines der besagten Park-Raves verlinkt. Mit dem Nahostkonflikt hat das gar nichts zu tun. In der Kommentarspalte heißt es, „Clubkultur retten!“ hätte ebenfalls den Beitrag von ://about blank mit einem Kommentar „unterstützt“. Auch hier war der betreffende Kommentar ein Herzemoji. Der Eintrag gilt als „fact checked“.

Dass der antisemitismuskritische Post von ://about blank von der BDS-Bewegung aufgegriffen wird, bedauert Sulu Martini, ein Mitglied des 14-köpfigen Clubkollektivs. „Wir haben unsere Worte sehr genau abgewogen, auch in der Hoffnung, damit falsche Zuschreibungen zu vermeiden“, erzählt er Belltower.News. Martini kritisiert, dass es in der aufgeheizten Stimmung um den Nahostkonflikt wenig Raum für Genauigkeit gebe. Stattdessen herrsche Bekenntniszwang: „Alle, die sich weigern, eindeutig gegen Israel Stellung zu beziehen, stehen unter dem Verdacht des Prozionismus. Obwohl wir zum eigentlichen Konflikt zwischen Israel und Palästina aus guten Gründen keine Position beziehen, sondern nur gegen Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen hierzulande Stellung nehmen, ist das ://about blank für manche eine wahnhafte Projektionsfläche.“ Die Liste betreibe das Geschäft der Denunziation und Stigmatisierung, nicht der Aufklärung, so Martini weiter. Für Martini sei es aber absurderweise gleichzeitig fast ein Trost, wenn sich die Aggression der „Israelkritiker:innen“ ersatzweise an einem linken Technoclub entlade.

Nach einer pandemiebedingten Tanzpause will das ://about blank sich eigentlich auf die lange ersehnte Wiedereröffnung vorbereiten und freuen. Doch die jüngste Eskalation im Nahostkonflikt hat auch Folgen für den Berliner Club: „Für uns ist das ein diskursiver Rückschlag, und das wiegt auch emotional schwer, nachdem wir jetzt so lange als Ort der Begegnung geschlossen waren“, sagt Martini. Stimmen, die vermitteln oder schwichtigen, würden an Gewicht verlieren – und die Dynamik der Trennung und des Vorurteils nehme an Schärfe und Hässlichkeit zu, so Martini. „Der Debattenraum, der sich nicht in klare Bekenntnisse zwingen lässt, wird immer enger, aber genau auf diesem Gelände wollen wir weiter feiern.“

Auch der Leipziger Club Institut für Zukunft kritisiert seine Nennung auf der Liste. „Wir wurden in der Liste aufgeführt, weil wir einen Aufruf für eine israelsolidarische Demonstration geteilt haben“, erklärt Neele, eine Bookerin und Resident-DJ des kollektiv organisierten Clubs, im Gespräch mit Belltower.News. Bei der Demonstration handelte es sich um eine Gegendemonstration zur pro-palästinensischen „Free Palestine“-Demonstration im Zuge des Israel-Gaza-Konflikts im Mai 2021. „Der Aufruf hatte vor allem im Nachhinein seine Notwendigkeit gezeigt“, so Neele. Denn auf Social Media kam es schnell zu antisemitischen Parolen und Anfeindungen gegen den Club: Instagram-User:innen relativierten die Shoah oder kündigten an, den Club zu boykottieren. Auf der Gegendemonstration kam es sogar zu Übergriffen gegen Demonstrierende.

Seit Jahren versucht die antiisraelische BDS-Bewegung, in der Kulturszene Fuß zu fassen. Mit den Online-Kampagnen #ArtistsForPalestine, #DJsForPalestine und #MusiciansForPalestine riefen Künstler:innen dazu auf, Israel zu boykottieren, und kündigten an, nicht mehr im jüdischen Staat aufzutreten. Auf Social Media werden Kunstschaffende und Musiker:innen unter massiven Druck gesetzt, sich ebenfalls der Kampagne anzuschließen – teils auf aggressive und konfrontative Art.

Das hat sehr reale Auswirkungen auf die Kulturszene und jüdische Künstler:innen: Im Sommer 2018 sagten nach einer erfolgreichen BDS-Kampagne rund 20 Künstler:innen ihren Auftritt beim israelischen „Meteor Festival“ kurzfristig ab – ein unabhängiges Festival, das daraufhin in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Israelische Clubs berichten, dass internationale DJs „aus politischen Gründen“ nicht mehr bei ihnen spielen wollen (siehe Haaretz). Auch in Deutschland hat die polarisierende Strategie der BDS-Bewegung Konsequenzen für die Szene: 2019 rief die „Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel“ (PACBI) zum Boykott der Technoclubs ://about blank, Conne Island und Golden Pudel auf – wegen ihrer kritischen Haltung zur BDS-Bewegung und ihrer Solidarität mit Israel.

Ähnliche Auswirkungen dürfte auch der „Index Palestine“ haben: Strukturen und Szenen, die über Jahrzehnten aufgebaut wurden, werden durch verkürzte „Israelkritik“ und Facebook-Polemik zunichte gemacht. Den Palästinenser:innen wird das nicht helfen. Einer kritischen Kunstszene wird es aber schaden.

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