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Schwerpunkt Rechtsterrorismus Schrecklich rechte Familien

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Im "Midnight" am Hanauer Neumarkt wurde am 19. Februar 2020 Eigentümer Sedat Gürbüz ermordet. (Quelle: Wikimedia / Lumpeseggl / CC BY-SA 4.0)

Für deutsche Ermittlungsbehörden waren rechtsextreme Terroristen und Attentäter immer Einzeltäter, wenn denn das Motiv überhaupt als rechtsextrem erkannt wurde. Das Oktoberfestattentat 1980 war den Ermittlungen zu Folge ein Selbstmord aus Liebeskummer, dass der Täter Mitglied der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann war, ignorierten die Ermittler. Erst 2014 wurden die Ermittlungen wiederaufgenommen, das rechtsextreme Motiv wurde festgestellt, aufgeklärt wurde die Tat trotzdem nicht. Genauso ist der Mord an dem Rabbiner und Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke im Dezember 1980 ist bis heute nicht aufgeklärt, obwohl auch hier der mutmaßliche Attentäter Teil der Wehrsportgruppe war. Auch heute noch sind Staatsanwaltschaften, Polizist*innen und Richter*innen schnell überzeugt, wenn es darum geht, rechtsextreme Terroristen als Einzeltäter abzustempeln.

Dabei ignorieren sie, dass heute wie damals, die Täter in ein Netzwerk eingebettet sind, sie kommunizieren vor den Taten mit Gleichgesinnten und tauschen sich aus. Sie sind womöglich einzelne Täter, aber trotzdem keine Einzeltäter. Hinter ihnen standen früher Kameradschaften oder Wehrsportgruppen, heute verschwörungsideologische Blogs, rechtsalternative Medien und Telegramkanäle. Die Täter sind unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt, die gebündelt schließlich ein Auslöser für ihre Taten sind. Wirft man bei den Tätern von Halle und Hanau einen Blick auf diese möglichen Faktoren, dann fallen bei beiden die Familien ins Auge.

Halle: Judenhass liegt in der Familie

Nur wenige Stunden nachdem ihr Sohn vergeblich versuchte, am 9. Oktober 2019 in die Synagoge von Halle einzudringen, um die dort anwesenden Menschen zu töten und schließlich Jana Lange und Kevin Schwarze ermordete, äußerte sich die Mutter des Täters in einem Interview mit Spiegel TV: „Er hat nichts gegen Juden in dem Sinne, er hat was gegen die Leute, die hinter der finanziellen Macht stehen. Wer hat das nicht?“ Diese Worte kommen von einer Grundschullehrerin und sie sprechen eine eindeutige Sprache. Die Frau wiederholt ein uraltes Vorurteil gegenüber Juden und Jüdinnen, sie hätten finanzielle Macht, mit der sie die Mehrheitsbevölkerung unterdrücken. Komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge und Probleme werden so personalisiert, um einen Schuldigen zu finden: Juden und Jüdinnen. Für die Mutter ist das scheinbar normal, nur so lässt sich ihre Frage erklären: „Wer hat das nicht?“ Mit Blick auf Ethik im Journalismus gehört hier auch Kritik am Interview dazu. So kurz nach der Tat scheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Frau unter Schock stand. Die Hoffnung, dass diese Äußerungen mit Entsetzen über das Geschehene und einem extrem unglücklichen Versuch, es zu erklären zu tun haben, werden jedoch nicht erfüllt. Antisemitismus scheint in der Familie des Täters zur Normalität zu gehören. 

Vor Gericht sagen weder Mutter, Vater noch Schwester des Terroristen aus. Nur Mario S., der Ex-Freund der Schwester kann die Aussage nicht verweigern und berichtet Details aus dem Familienleben. Immer wieder habe der Täter rassistische und antisemitische Bemerkungen gemacht. „Die Juden sind schuld“, sagte er in der Familienrunde. Widerspruch gab es nicht. Der Täter musste sich vor seinen Eltern und seiner Schwester, also vor seinem engsten familiären Umfeld nicht rechtfertigen. Antisemitismus blieb kommentarlos stehen.

Im Prozess zeigt sich schließlich, dass Hass auf Juden und Jüdinnen nicht nur den Täter ausmacht und dass die Worte der Mutter im Interview kein dem Schock geschuldeter Ausrutscher waren. Kurz nach der Tat versuchte die Frau Selbstmord zu begehen und schrieb einen Abschiedsbrief an ihre Schwester. Der Brief wird vor Gericht verlesen, immer wieder zeigt sich dabei offener Judenhass. „Dieser Staat hat mich und Stephan so im Stich gelassen“, schreibt die Frau. „Sie“ hätten ihren Sohn zerstört, heißt es. Später wird klar, wer „sie“ sind: „Sie fühlen, dass Juden freie Hand hatten“. Ihren Sohn, der zwei Menschen getötet hat, mehrere schwer verletzte und eine Massaker in der Synagoge plante, „wollte nur eins, die Wahrheit.“ In dem Brief der offensichtlich verwirrten Frau stehen immer wieder Satz- und Wortfetzen: „Sie lügen“, „die Juden“. Auf den Brief hat sie mehrere Davidsterne gemalt und dann durchgestrichen. 

Wie tief Antisemitismus in ihrem Sohn sitzt, hat er unter anderem durch die Wahl seines Anschlagsziels eindrücklich bewiesen. In seinem „Manifest“ und im Livestream der Tat leugnete er den Holocaust und wiederholt antisemitische Verschwörungserzählungen. Und auch im Prozess wird sein Judenhass immer wieder deutlich, nicht zuletzt, indem er die Nebenkläger*innen auslacht und verhöhnt.

Was wäre geschehen, wenn die rassistischen und antisemitischen Sätze des Täters im Familienkreis Widerspruch gefunden hätten? Hätte er die Tat auch begangen, wenn die Mutter keinen Verschwörungsideologien angehangen hätte? Antisemitismus, Rassismus und Gewalt lassen sich keinesfalls nur durch familiäre Hintergründe erklären. Ein Teil der Erklärung sind sie aber womöglich schon. Noch deutlicher wird ein solcher Zusammenhang bei einem Blick auf den Terroranschlag von Hanau.

Hanau: Keine Reue dafür Rassismus

Am 19. Februar 2020 ermordete ein 43-Jähriger in Hanau neun Menschen, danach erschoss er seine Mutter und anschließend sich selbst. Der Mann war offenbar psychisch krank, doch seine Tat wird mittlerweile als rechtsextremistisch, rassistisch motiviert und als Rechtsterrorismus eingestuft. Genau wie bei der Tat von Halle, lebte auch dieser Täter zusammen mit seinen Eltern. Laut seinem „Manifest“ fühlte er sich von ominösen Geheimdiensten beobachtet, dazu kommt massiver Rassismus – er glaubte, dass zahllose Menschen getötet werden müssten. In YouTube-Videos behauptete er, dass in unterirdischen Militärbasen Kinder gefoltert und getötet würden, eine Geschichte, die an die QAnon-Verschwörungsideologie erinnert. 

Und auch in diesem Fall zeigt sich, dass zwar nur der Sohn gehandelt hat, Menschenfeindlichkeit und Rassismus aber offenbar zur Familie gehören. Nach der Tat wurde der Vater im selben Haus, in dem der Täter seine Mutter und sich selbst erschossen hatte, festgenommen, war kurz in psychiatrischer Behandlung und wurde verhört. Laut Behördenangaben gab allerdings keine Anhaltspunkte, dass er in die Tat verwickelt war. Im Verhör folgte der Mann der Geschichte seines Sohnes und behauptete, dieser sei Opfer einer Geheimorganisation geworden, die ihn getötet und seine Leiche im Haus der Familie abgelegt hätte. Die Morde hätte ein verkleideter Agent begangen. Dabei handelt es sich offenbar um eine Geschichte, die lange Jahre in der Familie geläufig war. Vor der Terrortat hatte der Sohn mehrere Anzeigen gegen die ominöse Geheimorganisation gestellt, die ihn angeblich beobachtete. Und schon 2004 hatten Vater und Sohn gemeinsam eine Anzeige wegen angeblicher Geheimdienstbespitzelung gestellt.

Rassismus ist ebenfalls nicht Neues in der Familie. Im März 2017 wollte der Vater des Täters im Bürgerbüro der Stadt Hanau nur von weißen Deutschen bedient werden und sagte „Stell dir mal vor, jetzt arbeiten hier Afrikaner, Polen und Türken!“. Im gleichen Jahr beantragte er einen Schutzhund, um sich vor „Ausländern“ zu schützen. 

Schon kurz nach der Tat am 19. Februar wurde klar, dass der Vater auch weiterhin einem kruden und zutiefst rassistischen Weltbild anhängt. Verwandte berichteten von wirren E-Mails des Vaters, die inhaltlich den Texten des Attentäters ähnelten. Mehrmals versuchte er offenbar auch Ermittlungen zu verhindern und wehrte sich gegen die Durchsuchung des Einfamilienhauses durch die Polizei per Anzeige wegen Verletzung der Menschenwürde und Freiheitsberaubung: „Zielstrebig wird unter Missachtung der Grundrechte meines Landes nicht nur die gesamte Familie, vielmehr mein Land weiter verletzt. Eine Wiederherstellung wird mehrere Menschenleben erfordern.“ Mit Bezug auf den rassistischen Bestseller von Thilo Sarrazin schreibt er in der Anzeige, „dass diesbezüglich mein Land abgeschafft ist“. Die Munition und die Tatwaffen, mit der sein Sohn neun Menschen ermordete, forderte er – erfolglos – zurück.

Weitere Anzeigen und Beschwerden gehen im Laufe des Jahres beim Generalbundesanwalt und der Stadt ein. Unter anderem behauptet er, dass die öffentliche Trauerfeier der Stadt am 4. März 2020 für die Opfer seines Sohnes den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle, als Oberbürgermeister Claus Kaminsky sagte, „Die Opfer waren keine Fremden“, habe er eine Straftat begangen. Womöglich am perfidesten ist ein Antrag bei der Stadt Hanau in dem er die „Entfernung sämtlicher in den öffentlichen Raum gestellter Volksverhetzungen, Gedenkstätten, Beflaggung am Tatort“ fordert. Teilnehmer einer Mahnwache für die Anschlagsopfer bezeichnete er als „wilde Fremde“, die sich „dem deutschen Volk“ unterordnen müssten.

Mittlerweile fordert der Mann auch noch, dass die Webseite seines Sohne wiederhergestellt wird. In einer handschriftlichen Botschaft habe der Täter seinen Vater gebeten, dass die Seite, auf der er unter anderem sein wirres „Manifest“ veröffentlicht hatte, weiter online bleiben soll.

Den Hinterbliebenen der Opfer und den Überlebenden des Anschlags hat das übrigens lange niemand mitgeteilt. Sie wissen erst seit Dezember 2020 über die menschenverachtenden Anzeigen des Vaters Bescheid. In einer Dokumentation der ARD berichtet dafür Piter Minnemann, einer der Überlebenden, über den Umgang der Behörden mit den Opfern: „Nachdem der [Vater] aus der psychiatrischen Behandlung damals entlassen wurde, bekamen wir, ich, die Überlebenden, die Angehörigen, Gefährderansprachen. Wir sollen uns dem Vater doch ja nicht nähern, ansonsten habe das schwere Konsequenzen für uns. Jetzt frag‘ ich mich, wer hier in Deutschland eigentlich wen schützt. Warum haben wir keine Gefährdetenansprache bekommen, warum hat die Polizei uns nicht gesagt, dass der Mann seit April solche Äußerungen von sich gibt, dass von diesem Mann aus eine Gefahr besteht?“

Mittlerweile haben die Hinterbliebenen und Überlebenden der Terrortat Anzeige gegen den Vater erstattet. Demnach habe der Vater zum Tatabend falsche Aussagen gemacht. Er hatte behauptet, früh ins Bett gegangen zu sein. Ein Zeuge hat ihn allerdings dabei beobachtet, wie er nach der Tat um 22:30 Uhr mit einer Taschenlampe in das vor der Tür des Einfamilienhauses geparkte Auto des Sohnes geleuchtet habe. In der Tatnacht wurde außerdem mehrmals vom Computer des Vaters aus auf die Website seines Sohnes mit dessen „Manifest“ zugegriffen.

Foto: Wikimedia / Lumpeseggl / CC BY-SA 4.0


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