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Streit in der queeren Berliner Partyszene Ist Israelsolidarität Homonationalismus? 

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Die Pride-Parade in Tel Aviv: Die größte queere Demonstration im Nahen Osten.
Die Pride-Parade in Tel Aviv: Die größte queere Demonstration im Nahen Osten. (Quelle: picture alliance/Zumapress/Joel Goodman)

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Knapp 3000 Kilometer vom Gazastreifen entfernt in der queeren Berliner Technoblase sorgt eine Reihe von Sharepics auf Social Media für Streit, Beleidigungen und Anfeindungen. Es geht um den Nahostkonflikt, schon wieder. Die queere, internationale Partyreihe „Buttons“, die seit fünf Jahren im linksalternativen Club ://about blank stattfindet und deren Veranstalter:innen und DJs seit über einem Jahrzehnt mit dem Laden zusammenarbeiten, will Schluss machen. Wegen Israel. Es ist kein Ausrutscher, sondern der jüngste Vorfall in einer langen Reihe von Positionierungen, Polarisierungen und Polemik rund um den Nahostkonflikt, die die queere Szene spaltet.

Mit zehn beschrifteten Bildern auf Instagram und Facebook, die am 22. Juni 2021 veröffentlicht wurden, erklären die „Buttons“-Veranstalter:innen, dass ihnen in der tanzfreien Zeit während der Pandemie einiges aufgefallen ist. Ohne den Rausch der Nacht ist zum Beispiel klar geworden, dass das ://about blank nicht gegen einen jüdischen Staat im Nahen Osten ist. Was nie ein Geheimnis war. Dafür positioniert sich der Club konsequent gegen jeden Antisemitismus – auch gegen israelbezogenen Antisemitismus, der im Zuge der jüngsten Eskalation im Nahostkonflikt im Mai 2021 durch Vernichtungsparolen und Angriffe auf Synagogen schmerzlich sichtbar wurde. Offenbar ein Trennungsgrund für die „Buttons“-Crew. Applaus kam schnell von anderen queeren Partykollektiven wie „Cocktail d’Amore“.

„Die queere Befreiung ist grundsätzlich mit den Träumen von der palästinensischen Befreiung verbunden: Selbstbestimmung, Würde und das Ende aller Unterdrückungssysteme“, schreiben die „Buttons“-Veranstalter:innen in einem Sharepic. Eine merkwürdige These, blickt man auf die suboptimale Situation von Frauen und queeren Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten, nicht nur in Gaza unter den radikalen Islamist:innen der Hamas, sondern auch in der Westbank. Träumen die Palästinenser:innen auch von queerer Emanzipation, von der konsequenten Gleichberechtigung von Frauen? Einige schon – aber das dürfte eine kontroverse, zum Teil auch lebensgefährliche Minderheitenposition sein.

Klar wird: „Buttons“ sieht den Kampf um palästinensische Selbstbestimmung durch die Brille des postkolonialen Diskurs rund um die „Black Lives Matter“-Bewegung: „Weiße Deutsche“ würden einen Technoclub betreiben, der einen „Apartheidstaat“ unterstützen und dabei Araber:innen und People of Colour mundtot machen würde, so das Partykollektiv. Mehr noch: „Antideutschen“ Räumen wie dem ://about blank werfen sie vor, Mitverantwortung für rassistische Angriffe gegen People of Colour zu haben, die sich gegen Israel aussprechen. Oder gar für antisemitische Attacken gegen progressive, linke Jüd:innen und Juden, die sie zum Schweigen bringen wollen. Schwerwiegende Vorwürfe, für die sie allerdings keine Beweise liefern. Dass das ://about blank immer wieder betont, ein Technoclub sei nicht der richtige Ort, den Nahostkonflikt zu lösen, wird ignoriert. Ebenso wird verkannt, dass Israel nach jahrtausendlanger Vertreibung, Pogromen und Vernichtung für viele Jüd:innen und Juden weltweit nichts Geringeres als eine letzte Lebensversicherung ist. Doch im Gefecht der Timelines und Newsfeeds findet Differenzierung kaum Gehör. Es ist die Stunde der meinungsstarken Sharepics.

Party für Palästina

Die neu entdeckte Palästinasolidarität der „Buttons“-Veranstalter:innen ist kein Einzelphänomen: Bereits 2018 beendete das ://about blank ihre Zusammenarbeit mit der queerfeministischen Partyreihe „Room 4 Resistance“. Auch damals ging es um Israel, auch damals wurde der Nahostkonflikt an den Club herangetragen, trotz seiner klar kommunizierten Position, das brisante Thema nicht auf der Tanzfläche aushandeln zu wollen. Der Auslöser: „Room 4 Resistance“ unterstützte die BDS-Kampagne #DJsForPalestine und rief zum Boykott gegen Israel auf. Ein No-Go für das ://about blank. Denn wenn Kritik an Israel den jüdischen Staat delegitimiert, dämonisiert und doppelte Standards anwendet, wie es die BDS-Kampagne tut, dann ist sie antisemitisch.

Pünktlich zur Veröffentlichung des „Buttons“-Statements wurde am gleichen Tag zudem eine neue Kampagne in der Partymetropole gegen Israel gelaunched: „Berlin Nightlife Workers Against Apartheid“. Die Gruppe will das „erstickende Schweigen in der kulturellen Szene der Stadt brechen“. In einer Sharepic-Reihe auf Instagram fallen Buzzwords wie „ethnic cleansing“, „colonial campaign“ und „racial supremacy“ in Bezug auf den jüdischen Staat. Es geht um German Guilt: Deutsche seien nur solidarisch mit Israel wegen ihrer „genozidalen Großeltern“ und würden die Shoah „zur Waffe machen“, um den Diskurs um Palästina zu kontrollieren und propalästinensische Stimmen und gar „jüdischen Dissens“ zu zensieren. Die Kampagne ruft dazu auf, einen offenen Brief „gegen Apartheid“ zu unterschreiben. Bislang haben 399 Personen die Petition unterzeichnet – darunter „Ayatollah Khomeini“ aus Teheran, „Bernd Höcke“ von der AfD, der „unangenehme Partygänger Axel Schweiß“ und sogar ein gewisser „Joseph Goebels“, um nur einige der vielen dubioseren Unterschriften aufzulisten.

Ob „Buttons“, „Room 4 Resistance“ oder die „Berlin Nightlife Workers Against Apartheid“ – auffällig ist, dass ausgerechnet ein sich als alternativ und emanzipatorisch verstehendes queeres Milieu sich die „palästinensische Sache“ zu eigen macht und in einen komplexen geopolitischen Konflikt ihren eigenen Struggle hineinprojiziert. Eine Szene, die sich sonst kaum mit internationalen Konflikten befasst. Warum eigentlich?

Homonationalismus

Die Erzählung, dass der Kampf für die Rechte der LGBTQ*-Community und die palästinensische Sache eng miteinander verwoben sind, gibt es schon seit langem. Dabei ist der Staat Israel immer wieder ein Feindbild.

Diese Idee geht unter anderem auf „homo nationalism“ oder „Homonationalismus“ zurück, ein Konzept der Geschlechterforscherin Jasbir Puar aus dem Jahr 2007. Puar beschreibt damit eine Form von Doppelstandards, demnach nutzten westliche Staaten Homofeindlichkeit als Rechtfertigung für Rassismus und Muslimfeindlichkeit. Indem sie Migrant:innen oder Muslim:innen Ablehnung oder Hass gegenüber LGBTQ*-Menschen attestieren, lenken sie von ihren eigenen Verfehlungen ab. Angebliche Homofeindlichkeit würde genutzt, um Migration zu begrenzen. Gleichzeitig schreibt sich der Westen LGBTQ*-Freundlichkeit auf die Fahnen, lebe aber Toleranz und Akzeptanz in der Realität gar nicht. Gleichstellung und Gleichwertigkeit würden demnach in ein heteronormatives Korsett gepresst, also zum Beispiel in die „Ehe für Alle“, die heterosexuelle Konzepte nachahmt und LGBTQ*-Beziehungen nicht abbildet – und dadurch zum reinen Symbol wird. Einige der Punkte aus diesem Konzept sind nachvollziehbar. So ist es fragwürdig, wenn muslimischen Migrant:innen in Deutschland Homofeindlichkeit vorgeworfen wird, gleichzeitig aber zum Beispiel die Opfer von §175, der Homosexualität unter Strafe stellte, nie wirklich entschädigt wurden oder eine Aufarbeitung der homofeindlichen Gesetzgebung erst erfolgte, nachdem viele der Leidtragenden schon lange tot waren.

Aber dann schießt die Theorie auch weit über das Ziel hinaus und benutzt bizarre Instrumentalisierungen. Zum Beispiel die Attacke auf den LGBTQ*-Club Pulse in Orlando 2016: Der Anschlag gilt als die schlimmste Terrorattacke gegen die LGBTQ*-Community in den USA und als tödlichster Anschlag seit dem 11. September 2001. 49 Menschen wurden ermordet und 53 verwundet. Der Täter bekannte sich zum sogenannten „Islamischen Staat“, einer Terrororganisation. Die Schwere der Tat zu benennen und einzuordnen ist für „Homonationalismus“-Vertreter:innen rassistisch. Weil dadurch Gewalt, die von den USA ausgeht oder historisch ausgegangen ist, ignoriert wird.

„Das Shooting im Pulse als schlimmstes Shooting [in der amerikanischen Geschichte] zu beschreiben, verdeckt staatliche Gewalt, dient dem Image des Staates und minimiert die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung und ethnischer Minderheiten oder macht sie unsichtbar,“ schreibt etwa der Queertheoretiker Gaetano Venezia III. Jasbir Puar geht noch weiter und setzt „sexual deviance“, also „sexuelle Abweichung“ mit Terrorismus gleich. Sowohl Terrorist:innen als auch die LGBTQ*-Community würden von der Gesellschaft als „das Andere“ begriffen. Indem sich sexuelle Minderheiten aber zum Staat und zum Westen bekennen, hätten sie eine Chance auf Akzeptanz. Die Theorie über „Homonationalismus“ macht es unmöglich, real existierende Homofeindlichkeit unter Muslim:innen oder in muslimischen Ländern zu kritisieren.

Aus der Theorie wird Praxis 

Egal wie abstrakt dieses Konzept auf den ersten Blick erscheinen mag, so wird es doch gerade mit Blick auf Israel besonders konkret. „Pinkwashing“ heißt der Begriff, mit dem „Homonationalismus“ aus dem akademischen Elfenbeinturm in der queeren Szene angekommen ist. Israel gilt als liberales Land, Tel Aviv hat eine große queere Szene, eine gleichgeschlechtliche Ehe zu schließen ist zwar nicht möglich, Ehen, die in anderen Ländern geschlossen wurden, werden aber anerkannt, außerdem gibt es eingetragene Lebenspartnerschaften. Gleichgeschlechtliche Paare dürfen Kinder adoptieren und LGBTQ*-Personen können offen in der Armee dienen. Dabei gibt es auch Schattenseiten, etwa lehnen große Teile der ultraorthodoxen Community queere Menschen ab, genauso wie viele arabische lsraelis.

2005 und 2015 griff derselbe Mann, ein Ultraorthodoxer, die Pride-Parade in Jerusalem an, verletzte mehrere Menschen mit einem Messer und tötete einen 16-Jährigen. Der Täter saß nach der ersten Attacke 2005 zehn Jahre im Gefängnis und wurde drei Wochen vor der Pride-Parade 2015 entlassen. Nach dem Mord an dem 16-Jährigen wurde er zu 31 Jahren Gefängnis verurteilt. Besonders gegen die Parade in Jerusalem gibt es immer wieder massive Proteste, die von Vertreter:innen aller in Jerusalem vertretenen Religionen unterstützt werden. Aber trotz all dieser Widerstände bleibt das Land das einzige in der Region, in dem die LGBTQ*-Community praktisch angstfrei und gleichberechtigt leben kann.

Israelkritiker:innen gilt aber genau das als „Pinkwashing“. Analog zu den Ideen des „Homonationalismus“ werfen sie der israelischen Regierung vor, mit der Unterstützung der queeren Community von der angeblich menschenunwürdigen Behandlung der Palästinenser:innen ablenken zu wollen. Das Argument, dass Israel in der Region das einzige Land ist, in dem LGBTQ*-Rechte überhaupt existieren, wird umgedreht. Demnach akzeptiert Israel die Community nur deswegen, um mit dem Finger auf seine Nachbarn zeigen zu können und sich selbst im Gegensatz als moderner, westlicher Staat präsentieren zu können. „Den Juden“ traut man offenbar alles zu. Dadurch entsteht die bizarre Situation, dass queere Pro-Palästina-Aktivist:innen den Hinweis, dass in Gaza und der Westbank Menschenrechte für queere Personen faktisch nicht existieren, als Whataboutism oder gar Rassismus abtun können.

Für viele queere Partygäste aus westlichen Ländern dürfte auch die eigene Biografie eine Rolle für ihre Palästinasolidarität spielen: Als Schuldabwehr gegenüber der eigenen imperialistischen Geschichte, als Abgrenzung beispielsweise gegenüber einer US-amerikanischen Rechten, die politisch und militärisch an Israels Seite steht. Oder einfach aus Antisemitismus. Eben dieser Antisemitismus muss angesprochen und bekämpft werden, auch in der Partyszene. Doch ob der Nahostkonflikt auf Berliner Tanzflächen gelöst werden kann, bleibt äußerst fraglich.

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