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Verschwörungserzählungen Xavier Naidoo hat Zweifel an der Existenz rechter Gewalt in Deutschland

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Da waren sie noch beide von der Existenz rechtsextremer Gewalt in Deutschland überzeugt: Ade Bantu (links) und Xavier Naidoo (rechts) mit einem weiteren "Brothers Keepers"- Mitglieder, Germ, im Jahr 2001 (Quelle: picture-alliance / dpa | Jörg Carstensen)

In den letzten Monaten waren Nachrichten von Xavier Naidoo in der Regel keine musikalischen Nachrichten, sondern verschwörungsgläubige Ausfälle im Internet und in Sozialen Netzwerken.

Am liebsten kommuniziert der Sänger im Moment über Telegram, nutzt seine Popularität zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen.

Darin fanden sich Flüchtlingsfeindlichkeit und Verschwörungserzählungen über den bevorstehenden Untergang Deutschlands, aber auch „klassische“ verschwörungsideologische Argumentationen, dass die Erde flach sei.

Weiter ging es dann mit dem großen Verschwörungspotpourri: Klimawandel-Leugnung, Reichsbürger-Ideologie, Gleichsetzungen von linken Aktivist*innen und Politiker*innen mit Faschist*innen; die Rede ist von Chiffren wie „Bilderberger, Mainstreammedien, Atlantikbrücke“.

Es folgte die immer weitergehende Radikalisierung: Naidoo unterstützt den Verschwörungsglauben der sektenartigen, antidemokratischen Q-Anon-Bewegung, weint in einem Internetvideo um die angeblich gefangengehaltenen Kinder, aus denen finstere Eliten „Adreonochrom“ gewinnen wollten (vgl. Mimikama, Rolling Stone)

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Das Video wurde veröffentlicht über den rechtspopulistisch-verschwörungsideologisch auftretenden YouTuber Oliver Janich (147.000 Abonnent*innen auf YouTube, Videos wie „Der Impfdiktator – Wie gefährlich ist Bill Gates?“, „Grauenhafte Visionen einer neuen Weltordnung“, „9/11: Können Flugzeuge aus Aluminium Stahlträger durchschlagen? Ein magisches Mega-Ritual“).

Oliver Janich ist nun auch in einem neuen Video mit Xavier Naidoo zu sehen – in dem er allerdings mehr zur Verzierung herumsitzt. Das Interview mit Naidoo führt Jürgen Elsässer, Chefredakteur des rechtsradikalen, seit 2020 unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehenden „Compact“-Magazins, welche sich erst als Querfront-Magazin aufstellte, dass Antidemokrat*innen von rechts und links vereinen wollte, dann in die verschwörungsideologische Branche wechselte, bevor es sich zur Besorgtbürger- und AfD-Fan-Postille entwickelte (Lieblingsthemen zuletzt: Flüchtlings- und Islamfeindlichkeit, „Lügenpresse“-Schelte, Demokratiefeindlichkeit, Ausfälle gegen Greta Thunberg und andere zivilgesellschaftlich Engagierte).

Jürgen Elsässer also interviewt Xavier Naidoo, und dieser nutzt die Gelegenheit, sein früheres antirassistisches Engagement in Frage zu stellen. Im Jahr 2000 war der Familienvater Alberto Adriano von Neonazis ermordet worden (link). Daraufhin initiierte der Musiker Adé Bantu die „Brothers Keepers“ als Vereinigung Schwarzer deutscher Musiker. Ihr Song „Adriano (Letzte Warnung)“ ist ein Aufschrei gegen Rassismus und Verantwortungslosigkeit der Gesamtgesellschaft, wird ein riesiger Hit und ist bis heute ein eindringlicher Anti-Rassismus-Song mit hohem Gänsehautfaktor.

Nicht so allerdings für Xavier Naidoo im Interview mit seinen neuen rechten Freunden. Naidoo sagt, er habe sich vereinnahmen lassen, dabei habe es damals gar keine rechtsextreme Gewalt gegeben, das sei ja nur eine Inszenierung des Verfassungsschutzes gewesen, das habe ja auch Europol in einem Bericht festgestellt (was rundheraus nicht stimmt: Europol warnt explizit vor rechtsextremer Gewalt in Deutschland und Europa – und zwar durch Rechtsextreme, vgl. Tagesschau).

Die 208 bekannten Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Wende und ihre Angehörigen dürften solche frei erfundenen Aussagen schmerzlichst treffen.

Xavier Naidoo fährt fort, er wäre von der Amadeu Antonio Stiftung zu diesem Engagement manipuliert worden (im Wortlaut auch „vergewaltigt“), und er wäre zu jung gewesen, um das zu durchschauen, habe sich „vor den Karren spannen lassen mit meinen anderen dunkelhäutigen [sic] Brüdern.“ Wenige Minuten zuvor hat er seine so bezeichneten „Brüder“, also andere Schwarze Deutsche, des „umgedrehten Rassismus“ beschuldigt, weil diese sich auch in Schutzräumen ohne Menschen mit weißer Hautfarbe treffen wollten, um sich zu engagieren: „Das war mir unangenehm“.

Adé Bantu, Initiator der „Brothers Keepers“, blickt heute entsetzt auf Xavier Naidoos Aussagen. „Der Mord an Alberto Adriano ist mir wirklich unter die Haut gegangen, wie vielen anderen Schwarzen Menschen in Deutschen auch“, sagt er, „wir fühlten uns mit angegriffen, nicht mehr sicher in Deutschland, ungeschützt durch seine Bürger und den Staat. Wir wollten zugleich heraus aus der Opferrolle, ein klares Statement machen: Wenn ihr uns nicht schützt, müssen wir uns selbst schützen.“ Es ging auch um die Brutalität und Ungehemmtheit der rechtsextremen Morde: „Die Täter liefen nach dem Angriff nicht weg, sie traten immer weiter auf ihr Opfer ein, hörten erst auf, als die Polizei kam. Diese Entmenschlichung entsetzte uns zutiefst, wir wollten aktiv werden.“ Adé Bantu gründete die „Brothers Keepers“, suchte sich musikalische Mitstreiter. Xavier Naidoo steuerte den Chorus bei. „Adriano (Letzte Warnung)“ wurde ein riesiger Erfolg. Die „Brothers Keepers“ wollten aber mehr als einen antirassistischen Hit landen. Sie wurden ein Verein, der antirassistische Arbeit unterstützte und auch eigene Projekte umsetzen wollte. „Da habe ich dann die Amadeu Antonio Stiftung und ihre Vorsitzende Anetta Kahane kennengelernt“, sagt Adé Bantu, „wir waren begeistert, dass es so eine antirassistische Stiftung gibt, die uns mit Strukturen unterstützen konnte, damit wir den Verein aufbauen konnten, politische Kontakte knüpfen konnten. Wir haben Hand in Hand gearbeitet, uns zum gegenseitigen Nutzen unterstützt.“ Gemeinsam machten die „Brothers Keepers“ und die „Sisters Keepers“ mit der Amadeu Antonio Stiftung etwa Schultouren gegen Rassismus und für Demokratie, in denen Schüler*innen vor allem im Osten Deutschlands mit den Schwarzen Musiker*innen ins Gespräch kommen konnten – bei denen auch Xavier Naidoo dabei war.

Warum dieser heute sein Engagement und auch gleich die Existenz rechtsextremer Gewalt an sich negiert, kann Adé Bantu nicht nachvollziehen: „Wer in der Öffentlichkeit steht, wer weiß, dass ihm viele zuhören, der hat doch auch eine Verantwortung für das, was er sagt. Der sollte doch überlegen, welche Wirkung das haben kann. Die Existenz rechtsextremer Gewalt in Deutschland zu verneinen ist eine Verdrehung der Tatsachen. Es ist nicht nur nicht akzeptabel, es ist auch nicht rechtens. Es ist respektlos gegenüber den Menschen, die von Neonazis und anderen rassistischen und rechts motivierten Leute angegriffen und getötet worden sind.“

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