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Aktiv gegen Hate Speech Was bringt das Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität?

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Wie wird Justitia das "Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminialität" umsetzen? (Quelle: pixabay / jessica45)

Nach dem Attentat auf die Synagoge von Halle 2019 wollte die deutsche Regierung ein Zeichen setzen. Der Bundestag rief einen „Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ ins Leben. Bevor der am 20. Mai 2020 das erste Mal tagte, bewies das Attentat von Hanau im Februar 2020 auf traurigste Weise die Dringlichkeit des Themas. Bundesjustizministerin Christine Lamprecht (SPD) brachte zudem einen Gesetzesentwurf auf den Weg: das „Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität“. Die Politik hat sich also aufgemacht, um Präventionsarbeit und Opferschutz mehr zu stärken als bisher?

2021 muss man feststellen: leider kaum. Der Kabinettsausschuss, der im Dezember 2020 das letzte Mal tagte, versprach 89 Maßnahmen – allerdings existierten die meisten eigentlich schon zuvor, nicht einmal Gelder wurden aufgestockt.

Neu hier vor allem: Der Begriff „Rasse“ soll aus dem Grundgesetz gestrichen werden und das Führen von rechtsextremen „Feindeslisten“ wird ein Straftatbestand.

Außerdem wurden zwei Gesetze versprochen: Ein Demokratiefördergesetz für stetigere, bessere Präventionsarbeit – das wurde von der CDU gekippt.

Und dann ist da das „Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität“. Es ist ein Potpourri aus Maßnahmen in der Offline- und in der Online-Welt. Der Offline-Teil erfuhr größtenteils Zustimmung: Es geht vor allem um die Verschärfung von Straftatbeständen, z.B. gilt Antisemitismus nun als strafmaßverschärfend; ab sofort sind nicht nur Morddrohungen, sondern auch Vergewaltigungsdrohungen strafbar; Aufnahme der besonderen Schutzwürdigkeit auch von Kommunalpolitiker*innen und medizinischem Personal. Melderegistersperren sollen erleichtert werden: Das ist wirklich hilfreich für potenziell gefährdete Personen. Etwas umstritten, weil es an Gesinnungsstrafrecht erinnert, aber nun steht auch die Billigung von Straftaten unter Strafe, also z.B. Likes unter Morddrohungen.

Der Konflikt

Für Empörung sorgte dagegen der Online-Teil, der eine Neuregelung enthält für den Umgang der Sozialen Netzwerke mit Postings, die strafbar sein könnten. Bisher (NetzDG) sollten diese schnellstmöglich gelöscht werden. Nun wird im Verdachtsfall die Weitergabe von Bestandsdaten von Social Media Nutzer*innen an das BKA und viele weitere Behörden vorgeschrieben, die nicht nur sehr umfassend sein sollte (Name, IP-Nummern und Port-Nummern), sondern auch ohne richterlich festgestellten Anfangsverdacht einer Straftat automatisiert erfolgen soll – also immer dann, wenn die Sozialen Netzwerke als Privatunternehmen der Meinung sind, es bei einem Posting mit einer Straftat zu tun zu haben. Proteste von Jurist*innen und NGOs waren die Folge gegen diese Einführung einer unbefristeten Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür, die zudem noch auf eine völlig unvorbereitete Struktur bei Polizei und Justiz treffen sollte. Vermutet wurde außerdem eine Verletzung des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung – was hieße, das Gesetz wäre bei Einführung verfassungswidrig.

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Der Bundestag verabschiedete das Gesetz im Juni 2020 trotzdem. Doch nach Prüfung der Vorwürfe wollte Bundespräsident Walter Steinmeier im Oktober 2020 das Gesetz nicht unterzeichnen, der Bundesrat verweigerte im Januar 2021 ebenfalls seine Zustimmung: Es sei zu unklar formuliert.

Zugleich ging nämlich 2021 ein Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht um die Bestandsdatenweitergabe des Telekommunikationsgesetzes zu Ende, welches 2013 verabschiedet worden war. Die Piratenpartei, längst Geschichte, hatte geklagt, dass die dort festgeschriebene Weitergabe von Bestandsdaten (Name, Anschrift, Email)–  immerhin erst nach einem richterlichen Beschluss – zu umfassend und zu unklar sei. Diese sollte „zur Strafverfolgung und zur Terrorabwehr“ erfolgen – was sehr viel umfasst. Das Bundesverfassungsgericht stimmte 2021 zu: Das sei eine Verletzung der informationellen Selbstbestimmung. Es müsse klarer geregelt werden, wann und an wen die Datenweitergabe erlaubt sei. So wurde also ein verfassungswidriges Gesetz acht Jahre lang angewandt, bevor es nun gekippt wurde.

Deshalb musste Ende Januar 2021 zunächst eine Reform der Bestandsdatenauskunft verabschiedet werden. Diese sieht nun vor, dass allgemeine Bestandsdaten (Name, E-Mail, Anschrift) nach dem Telekommunikationsgesetz von BKA und Behörden abgefragt werden können, wenn eine gegenwärtige oder drohende Gefahr für eine zu schützende Person oder einen Sachwert bestehen. Namen hinter IP-Adressen dürfen die Behörden ersuchen, wenn eine aktuelle oder drohende „Gefahr für ein Rechtsgut von hervorgehobenem Gewicht“ vorliegt. Passwörter dürfen nur „zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes“ herausgegeben werden (Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen, Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte sowie Mord und Totschlag). Netzwerke müssen laut DSGVO Passwörter verschlüsselt speichern. Diese werden entsprechend auch verschlüsselt weitergegeben. Dürfen aber entschlüsselt genutzt werden. Wenn die Polizei sie entschlüsseln kann.

Für den Online-Teil des Gesetzes gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität wurde dann anschließend auch ein Kompromiss gefunden. Der heißt: Ja, es werden Daten (Name, IP-Nummer, Port-Nummer) ohne richterliche Bestätigung des Anfangsverdachts einer Straftat von den Sozialen Netzwerken an das BKA weitergegeben – aber nur bei „schweren Straftaten“, und in geringerem Umfang.

Das heißt auch: Die grundlegend kritisierten Probleme – Rechtsentscheidung durch Privatunternehmen, zu wenig geschulte und personell aufgebaute Struktur zum Umgang mit digitaler Hasskriminalität in Polizei und Staatsanwaltschaften – bleiben bestehen.

Und was sind die „schweren Straftaten“?

  • Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86, 86a StGB)
  • Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a, 91 StGB) sowie Bildung und Unterstützung krimineller und terroristischer Vereinigungen (§ 129 bis 129b StGB)
  • Volksverhetzungen und Gewaltdarstellungen (§ 130, 131 StGB) sowie Störung des öffentlichen Friedens durch     Androhung von Straftaten (§ 126 StGB)
  • Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB)
  • Bedrohungen mit Verbrechen gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit (§ 241 StGB)
  • Verbreitung kinderpornografischer Aufnahmen (§ 184b StGB)

NICHT betroffen: Beleidigung, Üble Nachrede und Verleumdung. Bei diesen Straftatbeständen sei die Abwägung und Abgrenzung zur Meinungsfreiheit so kompliziert, dass es eines richterlichen Beschlusses bedürfe. Dies sind übrigens die meisten Fälle, die Opfer selbst anzeigen.

 

P.S.: Das ist übrigens noch nicht die Überarbeitung des NetzDG, die parallel angegangen wurde und deren Gesetzgebungsprozess noch läuft. Sie enthält einige positive Aspekte, die aber noch nicht beschlossen wurden: u.a. Regulierung und Vereinfachung der Meldewege, bessere Gliederung und damit Vergleichbarkeit der Transparenzberichte der Netzwerke, Rechtsstellung der Nutzer*innen gegenüber den sozialen Netzwerken soll verbessert werden: Put-Back-Verfahren mit Kommunikationsmöglichkeit für Betroffene mit Netzwerken. Unsere Einschätzung dazu hier:

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Abschließender Kommentar:

Das halten wir vom neuen „Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität“

Die Teile, die die Offline-Welt betreffen, wirken teilweise überfällig (Strafbarkeit von Vergewaltigungsandrohungen), sind aber für eine konsequentere Strafverfolgung sinnvoll. Allerdings müssen die Maßnahmen auch angewendet werden, etwa muss Antisemitismus als Tatmotivation erkannt werden, damit dies strafverschärfend wirken kann.

Was den Bestandsdatenaustausch mit Verdachtsfall zwischen Sozialem Netzwerk und BKA angeht:

Theoretisch ist so mehr Strafverfolgung möglich. Allerdings zu dem Preis, auch viele Daten von Menschen zu speichern, die unschuldig sein können, weil es keinen ermittelten Anfangsverdacht einer Straftat gibt (etwa, wenn Rechtsextreme fälschlicherweise demokratische Initiativen melden und die Netzwerke das nicht merken). Alternative Verfahren, wie ein zweistufiges Quick-Freeze-Verfahren, bei dem die Daten im Verdachtsfall gespeichert werden, aber beim Netzwerk bleiben, bis der Anfangsverdacht einer Straftat festgestellt wurde, wurden ignoriert.

Wie sollen mehr Verdachtsfälle zu mehr Verfolgung und Urteilen führen, wenn nicht die Polizei- und Justiz-Strukturen fortgebildet und aufgestockt werden, um die zu erwartende Flut von Fällen bearbeiten zu können?

Und: Durch diese Maßnahmen erfahren Opfer keine Erleichterung ihrer Situation, wie bessere Kommunikationswege mit Netzwerken oder geschulte Polizei- und Beratungsstellen.

Der Versuch, etwas zu tun – auch mit einem solchen Gesetz –, schafft gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Themen Rechtsextremismus und Hasskriminalität. Ob die beschlossenen Maßnahmen tatsächlich Opfer schützen, wird erst die Umsetzung zeigen. Hilfreich wären Fortbildungen und Spezialisierungen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Nur wenn diese sensibilisiert sind, können sie die Dimension von Bedrohung für Opfer erkennen.

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