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Michael Ballweg Eine bürgerliche Fassade für rechte Umsturzfantasien 

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"Querdenken" Gründer Michael Ballweg: Ein freundliches Gesicht vereint Unzufriedene bis ganz rechts außen. (Quelle: picture alliance/dpa | Fabian Strauch)

„Wir fordern die sofortige Aufhebung der Einschränkung der Grundrechte durch die Corona-Verordnung sowie die Abdankung der Bundesregierung“, ruft Michael Ballweg von der Bühne. Aus dem Publikum folgt frenetischer Jubel. Kurz darauf ruft Ballweg die anwesenden Demonstrant*innen dazu auf, eine neue Verfassung zu erarbeiten, die „die Macht an uns, die Menschen zurückgibt“. Es ist der 29. August 2020 am Großen Stern in Berlin. Wenige Stunden später versuchen Reichsflaggen tragende Rechtsextremist*innen, den Bundestag zu stürmen.

Ballweg kündigt auf der Bühne zuvor an: Querdenker*innen wollen in einem 14-tägigen Camp eine neue Verfassung ausarbeiten. „Wir sind die verfassungsgebende Versammlung, ich rufe alle Menschen bundesweit auf, nach Berlin zu kommen und gemeinsam mit uns an einer neuen Verfassung zu arbeiten“, ruft er von der Bühne. Zu der neuen Verfassungsausarbeitung kommt es nicht, das Querdenken-Camp wurde wenig später aufgrund des Infektionsschutzes verboten.

Inzwischen, über zwei Jahre später, sitzt Ballweg in der Justizvollzugsanstalt Stammheim in Untersuchungshaft wegen des Verdachts auf Betrug und Geldwäsche. Von seinen Fans wird er zum politischen Gefangenen stilisiert. Wie wurde aus einem schwäbischen IT-Unternehmer der Anführer einer demokratiegefährdenden Bewegung?

Schneller Aufstieg mit rechter Schlagseite

Ballwegs Weg zum Querdenken-Promi beginnt im März 2020 in Stuttgart. Er selbst betont immer wieder, dass er vor 2020 unpolitisch gewesen sei. Er habe zu dem Zeitpunkt als die Corona-Pandemie begann, eine Art Midlife-Crisis erlebt und ein Sabbatical nehmen wollen, um die Welt zu bereisen, berichtet er in Interviews. Die erhoffte Weltreise musste der pandemischen Realität weichen, doch zu Beginn der Pandemie teilt Ballweg auf Twitter zunächst noch den Aufruf, zu Hause zu bleiben. Der Wendepunkt scheint am 29. März 2020 einzutreten – zumindest ist das der Tag, an dem Ballweg ein Video des emeritierten Professors Sucharit Bhakdi auf seinem Twitter-Account teilt. Bhakdi stellte darin die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Corona-Virus als unverhältnismäßig dar, jedoch auf Grundlage von wissenschaftlich nicht tragbaren Behauptungen. Ballweg aber scheint von den zahlreichen Faktenchecks und Stellungnahmen anderer Wissenschaftler*innen unbeeindruckt zu bleiben. Am 18. April organisiert er eine der ersten angemeldete Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung in Stuttgart. Er nennt sie „Mahnwache für das Grundgesetz“.

Beobachter*innen verweisen früh darauf, dass die Corona-Proteste auf Ballwegs „Mahnwachen“, aber auch auf den „Hygienedemos“ in Berlin und den „Nicht-ohne-uns“-Kundgebungen von der verschwörungsideologischen und rechtsextremen Szene dominiert werden. Nicht nur vor, sondern auch auf der Bühne von „Querdenken“  – wie Ballweg seine Initiative tauft – finden sich NPD-affine YouTuber*innen, Holocaustrelativierer*innen und zahlreiche verschwörungsideologische Aktivist*innen, wie Ken Jebsen.

Auch die Verbindungen ins Reichsbürger*innen-Milieu werden bereits früh offensichtlich, als Stephan Bergmann Sprecher der Initiative wird. Bergmann ist aus der baden-württembergischen Reichbürger*innen-Szene bekannt. Neben esoterischen Gesangsritualen verbreitet er vornehmlich reichsbürgerliche Ideologie von den Querdenken-Bühnen. Das deutsche Grundgesetz sei „Besatzungsrecht“ und vom deutschen Volk gehe die Befreiung der Welt aus. Diese Behauptungen sind gängige Überzeugungen der Reichsbürger*innen-Szene, in der die Bundesrepublik nicht als legitimier Staat und das Grundgesetz nicht als gültige Verfassung angesehen wird.

Wo steht Ballweg?

Wird Ballweg mit der Rechtslastigkeit seiner Anhängerschaft konfrontiert, gibt er sich stets unwissend und unbeschwert. Man sei „weder rechts noch links“, versuche, derartiges „Schubladendenken“ zu überwinden, man sei eine „demokratische Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft“. Ballweg spricht viel von seiner Sorge um das Grundgesetz, der Einschränkung der Meinungsfreiheit und der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen gegen Corona. Er selber bleibt bei Demonstrationen sowie in Interviews meist bei vagen Floskeln. Querdenken hieße „immer kritisch nachzufragen“, „selbst zu denken“.

Seine andeutungsreichen Klagen, die Grundrechte seien inzwischen völlig ausgehebelt, die Regierung habe sich „ermächtigt“ und die Corona-Politik entbehre jeder Evidenz, schüren jedoch von Beginn an vor allem Wissenschaftsskepsis und pauschales Misstrauen gegenüber „Mainstreammedien“. Sie stellen sich in den Dienst der Erzählung, es gebe da eine von bösen Mächten hinter den Kulissen orchestrierte Fremdbestimmung durch „die da oben“, die sich nun in willkürlichen Repressionen ausdrücke. Wie genau, das Unwohlsein auszufüllen ist, wer denn nun welche bösen Pläne verfolge und welche Art der Befreiung nötig sei – für die konkreten und politisch dann häufig viel eindeutiger rechten, antisemitischen Verschwörungs- und Umbrucherzählung übergibt Ballweg die Bühne gerne an andere. Und betont, wie sehr es bei Querdenken darum ginge, alle Meinungen zu Wort kommen zu lassen.

Das ist auch Ballwegs große „Stärke“, sein großer Nutzen für eine breite rechtsoffene Allianz: In seinen vagen Kritikfloskeln von „Unfreiheit“, „Einschränkung der Rechte“ und einer „illegitimen Regierung“ finden sich Menschen mit Verschwörungstendenzen aller Art gleichermaßen wieder – ob Reichsbürger*innen, Esoteriker*innen oder Impfgegener*innen. Gerade auch Personen, die noch kein geschlossenes verschwörungsideologisches oder rechtsextremes Weltbild haben, holt Ballweg mit dieser Vagheit und seinem bürgerlich-bodenständigen Auftreten als Stuttgarter Geschäftsmann ab.

Dass Ballweg so anschlussfähig für bürgerliche Kreise bleibt, wird in rechtsextremen Gruppen durchaus als strategische Entscheidung verstanden und oftmals gutgeheißen. Dass er es geschafft hat, ein breites bürgerliches Spektrum in großer Zahl für Demonstrationen mit Nazis und Reichsbürger*innen zu mobilisieren, wird vor allem bei Rechtsextremen ganz offen anerkannt.

Ballwegs reflexhafter Verweis auf „Meinungspluralismus“ scheint also letztlich nicht mehr zu bedeuten, als dass auch noch so geschichtsrevisionistischen, menschen- und demokratiefeindlichen Positionen eine Bühne geboten wird und sie dadurch normalisiert werden. Verweise auf scheinbar linke Redner*innen auf seinen Kundgebungen, so als ließe sich das zutiefst Problematische dieser Positionen dadurch aufrechnen, sind daher nichts weiter als ein nutzloses Feigenblatt.

Stichwortgeber für Umsturzfantasien

Nach den Mobilisierungserfolgen in Stuttgart meldet Querdenken am 1. August 2020 eine Großdemonstration in Berlin an. 500.000 Menschen werden angekündigt und die neue sowie alte Rechte werben offen für die Veranstaltung. Unter dem Motto „Das Ende der Pandemie –Tag der Freiheit“ ziehen laut Polizei schließlich 20.000 Teilnehmende durch die Berliner Innenstadt. In Querdenker*innen-Kreisen wird trotzdem die Zahl von 1,3 Millionen Demonstrant*innen verbreitet und die offizielle Berichterstattung als staatliche Desinformation verschrien. Neben Regenbogenflaggen und Deutschlandflaggen sind zahlreiche Reichs- und Reichskriegsflaggen, Gandhi-Konterfeis, Trump-Schriftzüge und aus Impfspritzen bestehenden Hakenkreuze zu sehen. Gegen Abend wird die Veranstaltung wegen Verstößen gegen Masken- und Abstandsregeln aufgelöst.

Als Ballweg einen knappen Monat später auf der zweiten Querdenken-Großdemonstration in Berlin zu einer „verfassungsgebenden Versammlung“ aufruft, kann seine Rede als deutliche Einladung für reichsbürgerliche Verschwörungsideologie ebenso wie andere rechtsextreme Umsturzfantasien verstanden werden. Die Regierung habe sich „selbst ermächtigt“, die verfassungsgebende Mehrheit bestehe „aus Bundestag und Bundesrat, das heißt die Bevölkerung wird nicht gefragt“. Die anwesenden Querdenken-Anhängerschaft Ballwegs, samt Neonazis und anderer offen rechtsextremer Gruppen, solle Deutschland also eine neue Verfassung geben. Die angefügte Aufforderung an „alle Menschen bundesweit“ zu dieser Versammlung nach Berlin zu kommen, ist eine offensichtliche Farce. Die Begriffe des „offenen Debattenraum“ und der „Meinungsvielfalt“ werden hier ad absurdum geführt. Ballweg schließt sich der Reichsbürger-Fantasie an, die Grundlage einer neuen Gesellschaftsordnung durch die eigene, rechtsoffene Anhängerschaft, die das wahre „deutsche Volk“ sei, neu verfassen zu lassen.

Diesmal sind es 40.000 bis 50.000 Demonstrant*innen, vor denen Ballweg seine verfassungsgebenden Fantasien verkündet. Am Abend stürmen rund 400 von ihnen Reichsflaggen schwenkend die Stufen des Bundestages. Zwischenzeitlich werden sie von nur drei Polizist*innen daran gehindert, in das Gebäude einzudringen, jedoch schließlich von der Polizei zurückgedrängt. Die rechtsextreme Szene jubiliert. Bilder des Beinahe-Bundestags-Sturms gehen um die Welt. Politiker*innen (fast) aller Parteien bekunden Entsetzen – nur die AfD fabuliert davon, das Geschehen sei von „den Behörden“ selbst inszeniert gewesen.

Nach dieser unübersehbaren Zuspitzung brechen im Querdenken-Lager jedoch die Konflikte auf. Ballwegs so verbindende Vagheit wird nun zum Problem: Einige Corona-Leugner*innen hätten sich ein klares Bekenntnis zum Sturm auf den Reichstag gewünscht. Andere fühlen sich dann doch unwohl mit der Präsenz der Rechtsextremen und wieder anderen wie Attila Hildmann, dem veganen Kochbuchautor und antisemitischer Telegram-Verschwörungsguru, wird das alles zu links und kommunistisch, wie er mit einer Nazi-Parole garniert verkündet.

Kuscheln mit Reichsbürgern

Im November 2020 schließlich entlarvt sich Ballwegs unschuldige Naivität gegenüber der reichsbürgerlichen „Unterwanderung“ seiner Initiative vollständig: Er initiiert ein Querdenken-Treffen mit Peter Fitzek, dem sogenannten „König von Deutschland“. Fitzek ist eine Größe in der Reichsbürger*innen-Szene, gründete den Fantasiestaat „Königreich Deutschland“ und ließ sich in diesem als „oberster Souverän“ einsetzen. Das Treffen mit Querdenken-Vertreter*innen findet im Restaurant „Hacienda Mexicana“ statt, das Teil des fiktiven Staatsgebiets von Fitzeks „Königreich“ ist.

Wie später durch Recherchen von Anonleaks bekannt wird, hatte Ballweg zu diesem Zeitpunkt bereits eine „Staatszugehörigkeit“ zum „Königreich“ erworben und ein Konto bei Fitzeks fragwürdiger „Gemeinwohlkasse“ eröffnet. In der vertraulichen Ankündigung des Treffens, schreibt Ballweg von der Suche nach „neuen Möglichkeiten und anderen Strategien“, auf der er „einen neuen Lichtblick“ gefunden hätte – offenbar Fitzek und sein „Königreich“. Dass Ballweg die Querdenker*innen vor dem Treffen über Fitzeks Anwesenheit im Unklaren lässt, führt zu Unmut. Im Streit um die Reichsbürger*innen-Kooperation spaltet sich die Bewegung weiter.

Und die schlechten Nachrichten für Ballweg reißen nicht ab: Ende 2020 kündigt das Landesamt für Verfassungsschutz an, Querdenken zu beobachten. Im April des darauffolgenden Jahres wird Querdenken bundesweit beobachtet. Das führt nun auch bei Ballweg zu einem Strategiewechsel. Er kündigt an, dass er vorerst keine größeren Demonstrationen mehr organisieren wird, besucht stattdessen lokale Kundgebungen und tourt durch die Video-Kanäle rechter und rechtsextremer Verschwörungsideologen wie Anselm Lenz, Ignaz Bearth und Jürgen Elsässer.

Lukratives Querdenken endet in der JVA

Dass Ballweg bei all der Vermittlungsarbeit, die er für die rechte Szene leistet, auch seine eigenen geschäftlichen Interessen nicht vernachlässigt, darauf lassen Recherchen von netzpolitik.org und dem ZDF Magazin Royale schließen. Von Beginn an ruft Ballweg bei den Demonstrationen zu Spenden in Form von „Schenkungen“ auf. Die auf der Website angegebene Bankverbindung gehört zu einem Konto, das auf seinen Namen läuft. Die explizite Kennzeichnung als „Schenkung“, im Gegensatz zu „Spenden“, entbindet ihn dabei von der Pflicht, transparent zu machen, wofür er das Geld letztlich verwendet. Das ist wohl zumindest die Hoffnung.

Letztlich ist es auch Ballwegs „Geschäftstüchtigkeit“, nicht seine demokratiefeindlichen Mobilisierungskräfte, die dazu führt, dass er im Juni 2022 verhaftet und seine Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht werden. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft wegen Verdachts auf versuchten Betrugs und Geldwäsche.

In Querdenken-Kreisen wird Ballweg nun zum politischen Gefangenen und Märtyrer stilisiert und damit die politische Verfolgung illustriert, die die Querdenker*innen in Deutschland erführen. Zuspruch bekommen sie dabei von Björn Höcke, dem Thüringer Fraktionsvorsitzenden der AfD, der findet, Ballwegs Fall müsse „alle deutschen Dissidenten in Alarmbereitschaft versetzen“.

Anfang Januar verlängert das Oberlandesgericht Stuttgart Ballwegs U-Haft, da weiterhin dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr bestehe. Es gebe Hinweise, dass Ballweg geplant habe, sich mit seinen Vermögensinhalten ins Ausland abzusetzen. Damit wäre er bei ehemaligen Querdenken-Fans in guter Gesellschaft. Der Aufschrei bei Querdenker*innen über die Haftverlängerung war groß. Der Justiz wird erneut Willkür, Schikane und die Verfolgung politischer Dissidenten vorgeworfen. Ballwegs Anwaltsteam will vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen. Vertreten wird Ballweg unter anderem von Ralf Ludwig, einem in der Szene bekannten „Querdenken-Anwalt“ und Mitbegründer der Partei „die Basis“.

Vor der Stammheimer JVA finden nach wie vor regelmäßig Kundgebungen hunderter Ballweg-Unterstützer statt und fordern dessen Freilassung. Ballweg schreibt regelmäßig Briefe aus dem Gefängnis, die auf der Querdenken711-Website veröffentlicht werden. Darin beglückt er seine Anhängerschaft mit einer Mischung aus Lebensberatungstipps für den Widerstandslifestyle, esoterischen Wohlfühlfloskeln und Anne-Frank-Zitaten. Nachdem so gut wie alle Corona-Schutzmaßnahmen aufgehoben wurden, stellt sich die Frage, wie es mit der Querdenken-Bewegung weitergehen wird. Es ist zu erwarten, dass Ballweg schon allein aus Eigeninteresse weiterhin versucht, die vormals von rechtsaußen bis in die Mitte der Gesellschaft so breit aufgestellte Anhängerschaft von Querdenken für sich zu mobilisieren. In welchem Ausmaß das noch funktioniert, wird wohl auch bei Prozessbeginn zu beobachten sein.

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