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Monitoring Rückblick 2022, Teil 1 Vom Angriffskrieg zur transfeindlichen Mobilisierung

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Jahresrückblick zum Monitoring des Online-Rechtsextremismus 2022 (Quelle: Una Titz)

Das Jahr 2022 beginnt mit Querdenken-Demonstrationen, zu denen hauptsächlich online via Telegram mobilisiert wird. Ähnlich wie das Jahr zuvor versucht Querdenken im Januar, mit ihren Demos den demokratischen Konsens zu erodieren und Stimmung gegen den Staat zu machen. Doch anders als in 2021 scheitern ihre Mobilisierungsversuche, wie auch beim Protest gegen die Impfpflicht im Regierungsviertel, wo etwa 1000 Querdenker*innen mit Parolen über das „gleichgeschaltete Marionetten-Parlament“ durch die Straßen ziehen.

Vielmehr sind es die randständigen Coronaleugner*innen, die nicht klassisch zu Querdenken gehören, die es schaffen, medienwirksam in der Öffentlichkeit zu polarisieren. Die Rede ist vom Widerstandsaufruf einiger ehemaliger Bundeswehrsoldaten, die der Regierung Mitte Januar ein Ultimatum setzen. So versammeln sich in Magdeburg  an einem kalten Januarsamstag mehrere Tausend Impfgegner*innen und Rechtsextreme zu einer „Mega-Demo“, die von drei uniformierten Bundeswehrsoldaten begleitet wird. Bei den Soldaten handelt es sich um radikalisierte Mitglieder einer Telegram-Gruppe, die die deutsche Regierung für die sogenannte „Zwangsimpfung“ attackieren. Das Ganze kulminiert mit einem Auftritt von Oberfeldwebel Andreas Oberauer, der über “Leichen auf Feldern” schwadroniert und einen bewaffneten Widerstand ankündigt. Oberauer schafft es in kurzer Zeit, in den einschlägigen verschwörungsideologischen Kanälen auf Telegram beachtliche Reichweite zu generieren.

Januar

Im Januar dokumentiert Belltower gemeinsam mit de:hate auch die Neuausrichtung der Identitären Bewegung in Deutschland und Österreich. Zehn Jahre nach der Gründung der IB zieht ihr Chefaktivist Martin Sellner in einem Online-Stream Bilanz. Er spricht über die Misserfolge, die Verfahren sowie Plattformlöschungen, die dazu geführt haben, dass die IB aus der Öffentlichkeit gestoßen worden sei. Ersieht das Ziel der Bewegung darin, sich neu zu justieren. Hoffnung wittert er in der Coronamaßnahmen-Protestbewegung, wo auch zahlreiche ehemalige IB-Kader längst eingeschleust sind. Zu beobachten ist, dass sich zu dieser Zeit fast alle Rechtsaußen Akteur*innen „Querdenken“ und Co. angeschlossen haben. Die Analyse dokumentiert  zahlreiche Firmenneugründungen, Internetprojekte und Rebrandings, hinter welchen ehemalige IB-Kader stecken. Die Strategie dahinter: neue Namen für alte Projekte, um den Bezug zu der verbotenen Identitären Bewegung zu verschleiern.

Februar

Der Monat Februar verzeichnet einen kleinen Erfolg im Kampf gegen rechte Verschwörungsideologie, als Telegram Attila Hildmann von der Plattform wirft. Doch dieser verblasst schnell, als am 24. Februar 2022 Russland in die Ukraine einmarschiert und der zweite Krieg auf europäischen Boden seit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges beginnt. In den Tagen nach dem Beginn des Krieges lassen sich auf Telegram erste Positionierungen und Lagerbildungen nachzeichnen. Die rechte Szene wirkt online gespalten: ein Teil von ihnen, darunter auch die NPD, zeigt ihre Russland-Treue und schwärmt vom starken Mann Putin, während andere, wie der III. Weg, die enge Kontakte zu ukrainischen Asow-Rechtsextremist*innen pflegen, sich offensiv gegen Russland positionieren. Die Nachrichten über den Krieg explodieren auf Telegram in dieser Zeit und drohen, das altbewährte Krisennarrativ von COVID-19 zu ersetzen. Gespalten wirken auch die COVID-skeptischen Szenen, die über vermeintliche “Kriegstreiber” berichten und Listen von diskreditierten Influencer*innen veröffentlichen. Boris Reitschuster, Szenegröße der Alternativmedien, erntet wegen seiner Verurteilung Putins von seinen Covid-Skeptischen Genoss*innen eine digitale Ohrfeige und heftige Kritik.

Es ist eine Zeit der Verwirrung, die sich auch bei der AfD zu erkennen gibt. Nach dem Beginn des Krieges zeigt sich die Partei uncharakteristisch verhalten in ihrer Kommunikation. Wie keine andere Partei im Deutschen Bundestag betont die AfD ihre großen Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zeitgleich versucht sie sich aber auch als die „Friedenspartei“ in Deutschland darzustellen. Russlands Krieg zwingt die AfD nun zu einem mentalen Spagat, der sie in die Bredouille bei der Vermittlung gegenüber ihren Wähler*innen bringt.

Ganz anders sieht es bei Querdenken aus, denen nach dem Auftauchen der weniger bedrohlichen Omikron-Variante und den ersten Lockerungsmaßnahmen, das Mobilisierungspotential ausgeht. In kürzester Zeit schwingen  Corona-Leugner:innen und Verschwörungsgläubige Russlandfahnen und stellen sich im Krieg gegen die Ukraine auf die Seite von Putin. Dabei deuten sie den Angriffskrieg ausschließlich als eine NATO-Aggression und Ergebnis einer jahrelangen, westlichen Destabilisierungspolitik. Auf den Straßen wird von nun an gegen die vermeintliche COVID-Diktatur und NATO demonstriert.

März

Von groben Lügen zu vermeintlichen deutsch-russischen Opfern ukrainischer Gewalt zu elaborierten Fehlinformationen, die die Ukraine als korrupten NATO-Umschlagplatz demaskieren wollen – das Internet wird im März von pro-russischer Desinformation geflutet. Es sind besonders die antisemitischen Narrative über eine imaginierte jüdische Weltelite oder Fragen nach der Abstammung Volodimir Zelenskijs, die in rechtsoffenen Milieus besonders verfangen. Zeitgleich erfindet QAnon Fakten über Untergrund-Bunker, sogenannte DUMBS, in denen Biden und seine Eliten ihre pädophilen Ringe aufgebaut hätten. Die Ukraine als Umschlagplatz für Adrenochrom, die Ukraine als COVID-Labor oder Schauplatz eines nuklearen Krieges – die wahnsinnigen Narrative im Netz kennen im März keine Grenzen.

Parallel dazu rekrutieren auf Telegram deutsche Neonazis für den Krieg. Sie teilen die Adressen von vermeintlichen Anlaufstellen in der Ukraine, versuchen sich dem rechtsextremen Freiwilligen-Regiment „Asow“ anzuschließen und erkundigen sich nach Mitfahrgelegenheiten.

April

Mitte April zur Hoch-Zeit pro-russischer Desinformation und Verschwörungsideologie verkündet der ehemalige B-Promi und Verschwörungsideologe Xavier Naidoo seinen Abschied von Telegram. Bei seinen verschwörungsideologischen Kolleg*innen wird über den Weggang spekuliert, vermutet wird ein staatliches Eingreifen oder eine geheime Operation, die Naidoo vielleicht zu seiner Entscheidung verleitet habe.

Während Pandemieleugner, Reichbürger*innen und Verschwörungsideolog*innen um Naidoo trauern, erschüttert eine Razzia gegen die Mitglieder mehrerer rechtsextremer Telegram-Gruppen das antidemokratische Online-Milieu. Durch Anschläge wollten sie offenbar das Stromnetz lahmlegen und den Gesundheitsminister Karl Lauterbach entführen.

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg erhebt am 12. April gegen den Querdenken-Arzt und Telegram-Ikone Bodo Schiffmann Anklage wegen Volksverhetzung und Ausstellung falscher Atteste. Die Grundlage des Vorwurfs der Volksverhetzung bilden Online-Videos, in denen der Querdenker Ärzte, die die Impfung verabreichen würden, mit dem KZ-Arzt Josef Mengele vergleicht und die Quarantäne Konzentrationslagern gleichsetzt.

Mai

Der Frühling geht brisant weiter: Für den 1. Mai-Protest wird in einschlägigen Telegram-Kanälen des III. Weges seit Wochen deutschlandweit mobilisiert. In Zwickau marschieren dann rund 250 Anhänger*innen der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ trotz strenger Auflagen durch Zwickau. Bei der Anreise randalieren sie und attackieren dabei Gegendemonstrant*innen. Mitte Mai erscheinen die Ergebnisse der Frankreich-Wahl – Macron gegen die Rechtspopulistin Le Pen. Auf Telegram wird die Niederlage Le Pens mit den üblichen Wahlbetrugsnarrativen kommentiert. Dabei besticht vor allem das Sharepic des in Österreich ansässigen verschwörungsideologischen Senders AUF1, wo in einer Frage verkleidet unterstellt wird, Le Pen seien 1,1 Millionen Stimmen gestohlen worden. Fast identisch antwortet das rechte Magazin Journalistenwatch: „Wahlbetrug? 1,1 Millionen Stimmen für Le Pen verschwunden“. Beide Bezugnahmen gehen viral.

Parallel dazu sichert sich der rechtspopulistische Autokrat Viktor Orbán in Ungarn die Wiederwahl. Der rechtsoffene Teil des Internets seufzt erleichtert  – auf den Möchtegerndiktator ist Verlass. Erwartungsgemäß verlieren die Demonstrationen gegen die staatliche Corona-Politik im Mai massiv an Zulauf. Dafür scheint das Narrativ über Affenpocken, das verschwörungsideologische Milieu auf Telegram und Co. zu erobern. Hauptsächlich scheint die Rechtsaußen-Blase auf das Narrativ einer „Schwulenkrankheit“ zu bauen. Martin Sellner etwa, Kopf der deutschsprachigen „Identitären Bewegung“, vermutet, dass „scheinbar vor allem Schwule und deren Fetisch-Parties für die Verbreitung verantwortlich“ seien. Er hofft nun, dass der Pride-Month in Wien abgesagt werde und fordert einen Einreisestopp aus Afrika.

Währenddessen geht eine neue rechtsextreme Internet-Ästhetik viral. Es ist die Rede von Dark MAGA, in der Donald Trump als Terminator neu imaginiert wird. Er müsse laut seiner extremeren, rechtsoffenen Anhängerschaft politische Gegner:innen vernichten, statt mit ihnen zu sprechen, Gewalt anwenden, statt argumentativ zu überzeugen, sich die Macht nehmen, statt gewählt zu werden. Die Verbildlichung dessen flutet von Twitter ausgehend das Internet: Auf den Memes werden Trump und Trump-Freund*innen mit Laseraugen ausgestattet, in Fashwave-Kulissen gesetzt, mit Waffen, Schwarzen Sonnen und Hass-Strahlern ausgestattet, die ihre „Feinde“ zerschmettern sollen.

Juni

Im Juni stürzen sich Rechtsextreme online mehr denn je auf das Thema Gender und Transfeindlichkeit, im Schulterschluss mit Querdenken und Verschwörungsideolog*innen. Aufgegriffen haben Rechte das Hass-Themenfeld aus den USA. Dort vollzog sich der Wandel vom Hass gegen die Gay-Community zum Hass auf trans Personen. Online Attacken, Doxxing Versuche, Deadnaming und Bedrohungen häufen sich.

Derweil brodelt es in der verschwörungsideologischen Ecke, während der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die 100-Tage-Marke überschreitet. Dabei besticht, dass es gar nicht mal so viele neue Erzählungen über das Kriegsgeschehen gibt. Vielmehr lässt sich online beobachten, dass Demokratiefeind:innen auf „erprobte” Verschwörungsnarrative setzen. Zwar werden täglich Tausende von Falschinformationen auf Plattformen wie Telegram und TikTok verbreitet, doch erstaunlich oft ist der allgemeine Tenor dabei fast identisch.

Im selben Monat geht der Prozess zwischen den beiden Schauspieler*innen Johnny Depp und Amber Heard zugunsten von Johnny Depp zu Ende. Begleitet wird das Ganze von einer beispiellosen misogynen Internet-Kampagne gegen Heard – befeuert massiv von Vertreter:innen der Alt-Right und Männerrechtsgruppen. Antifeminist*innen wittern ihre Chance um mit ihrer frauenfeindlichen Rhetorik Viral zu gehen. Für eine kurze Zeit scheinen COVID, Krieg und andere Belange vergessen – als misogyne Trolls durchs Internet gemeinsam wüten. Es zeigt sich wiedermal das Milieu-übergreifende Potential von Frauenhass.

 

Teil 2 des Monitoring-Rückblicks 2022 von de:hate

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