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Rechtsextremismus und TikTok, Teil 2 Wie geht rechtsextreme Mobilisierung auf TikTok?

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Symbolbild.

Sie teilen Protestaufrufe, verkaufen rechtsextreme Modeartikel, laden zu völkischen Wandertagen ein oder promoten Kampfsporttourneen.

Mobilisierungsstrategien sind genauso divers, wie die einzelnen Akteur*innen des breitgefächerten rechtsextremen Netzwerkes auf TikTok. Einige Akteur*innen setzen vermehrt auf persuasive Kommunikationsstrategien wie Desinformation oder Verschwörungsideologien, und teilen dabei Videos mit hohem Falschinformationsgehalt. Andere arbeiten lieber an einem rechten Lebensgefühl. Beide Gruppen sind auf unterschiedlicher Art und Weise bemüht, eine Art „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ zu konstruieren, die auch bei den “Normies”, also der Mehrheitsgesellschaft, gut ankommt. Dafür verpacken sie antidemokratische Ressentiments und hasserfüllte Botschaften hinter zunächst harmlos wirkenden „Call To Actions“.

Crossmediale Strategien

Rechtsextreme binden TikTok in ihre crossmediale Strategien ein, um Verknüpfungen zu nicht moderierten, halböffentlichen Räumen und anderen Multiplikator*innen der Szene herzustellen. Auf der Plattform bewerben sie Social Media-Drittanbieter (etwa BitChute, Telegram, Gettr), leiten zu rechtsextremen Vertrieben weiter oder machen auf „analoge“ Proteste im digitalen Raum aufmerksam. Kommunikative Mittel wie Memes, Hashtags, Interaktion in den Kommentaren oder die Kultivierung einer parasozialen Bindung der Fans sind auch Bestandteil der rechtsextremen Plattform-Mobilisierung.

Rechte Mobilisierungsstrategien müssen nicht ausschließlich für TikTok konzeptioniert worden sein, um Erfolg zu haben oder gut zu laufen. Recycelte Inhalte, die crossmedial gestreut werden, können ebenso gut laufen wie speziell für die Kurzvideoplattform angefertigte Inhalte. Im weiteren Verlauf werfen wir einen Blick auf die diversen Strategien und ihre Ziele.

Vom Analogen ins Digitale: Plakate, Proteste & Pyrotechnik

Rechtsextreme Aktivist*innen und Parteien mobilisieren mit diversen Plakataktionen, Protestaufrufen und Pyrotechnik auf TikTok. Sie inszenieren eine vermeintlich vereinte Front, gehen von Tür zu Tür, promoten rechtsextreme Gedenktage, Mahnwachen und hetzen gegen Geflüchtete. Rechtsextreme TikTok-Accounts nutzen häufig emotionalisierende Slogans, die menschenfeindliches Gedankengut verbergen. Hauptsächlich zielen sie mit dieser Strategie auf junge Männer ab, die sie mit einer martialischen Inszenierung zu begeistern versuchen. Eine vermeintlich vereinte Front von bereitwilligen Männern soll Gemeinschaftsgefühle wecken und signalisieren, dass Außenstehende auch in Kameradschaftsstrukturen willkommen sind.

Antidemokrat*innen haben eine eigene Content-Kategorie entwickelt, die aus einer Mischung aus digitalem und analogem Protest besteht. Diese Kategorie hat sich spätestens während der weltweiten Pandemie als erfolgreiche Mobilisierungsstrategie durchgesetzt. Diverse Protestaktionen werden der jungen Zielgruppe regelmäßig in den Feed gespült.

Ein aktueller Trend auf TikTok verdeutlicht den Erfolg analog-digitaler Proteste als Mobilisierungsstrategie. Unter #Sozialmigration oder #Asylantenheim hetzen Rechtsextreme und Neurechte gegen Geflüchtete. Dabei teilen sie Mitschnitte von ihren Demos und Protesten – etwa von den Montagsspaziergängen aus Sachsen, rechtsextremen Gedenktagen wie in Dresden, aber auch transnationalen Aktionen wie aus der Schweiz (Junge Tat) oder Österreich (IBÖ). Dass die Strategie aufgeht, wird in den Kommentarspalten von Accounts wie Schwabenbande (einem neurechten Projekt) oder den Freien Sachsen sichtbar, die je nach Milieu mal expliziter, mal vercodierter gegen Geflüchtete hetzen.

Feindeslisten auf TikTok

Ein Recherche des ZVW, verfasst von Alexander Roth, zeigt, wie ein Akteur aus dem Querdenker-Milieu einen TikTok-Kanal als „Feindesliste“ zur Markierung politischer Gegner*innen nutzt. Der Kanal teilte Videos und Bilder von knapp 100 Menschen aus Wissenschaft, Politik und Medien, um diese als Feind*innen zu markieren. In den Videos äußert der Akteur seinen Wunsch nach “Nürnberg 2.0”, einer Dogwhistle, die eine ähnliche Funktion wie die rechtsextreme Doghwistle  “Tag X” erfüllt. Dabei ist die Bezeichnung “Tag X” oder “Tag der Abrechnung”  eine häufige Chiffre des rechtsextremen-souveränistischen Milieus, die einen Zeitpunkt des Zusammenbruchs der demokratischen Ordnung markiert. Feindeslisten, oder die Markierung politischer Gegner*innen, sind eine bewährte Agitations- und Mobilisierungsstrategie der rechten Szene. So führten laut ZVW nicht nur die Rechtsterroristen des NSU solche Listen, sondern auch Reichsbürger der Gruppe Nordkreuz. Des Weiteren kamen Feindeslisten auch im QAnon und Reichsbürger-nahem Telegram Kanal SHAEF zum Einsatz, um Karl Lauterbach und Verwaltungspersonal zu bedrohen.“

Crossmedialität als Radikalisierungsmaschinerie

Rechtsextremist*innen haben sich die Medienstrategien bekannter Influencer*innen abgeguckt und gelernt, dass eine Nähe zu der Zuschauerschaft wichtig ist für den Erfolg. Mittlerweile wissen Rechte um die Bedeutung parasozialer Beziehungen. Mit “Behind-The-Scenes” Videos, freundlichen Kommentaren und lustigen Tänzen halten sie ihre Zuschauerschaften bei Laune, um Gruppenzugehörigkeitsgefühle zu wecken. Die unterhaltenen Nutzer*innen werden dann via Kommentar-Verlinkung zu Telegram oder Drittanbietern weitergeleitet. Vor allem Telegram ist eine Plattform, in denen Nutzer*innen auf explizitere Inhalte mit ideologischer Ladung treffen. Es werden künstliche Spannungsbögen geschaffen, indem mit filmischen Mitteln wie Teasern oder Auszügen aus längeren Videos gearbeitet wird. Sie teilen diese kurzen, oft harmlos wirkenden Mitschnitte von längeren Videos, die sie für nicht moderierbare Plattformen wie Bitchute, Odysee oder Telegram konzipiert haben.

Die rechtsextreme crossmediale Strategie funktioniert auf zwei Ebenen: Einerseits sollen nicht politisierte Nutzer*innen zu Drittplattformen weitergeleitet werden, wo sie mit radikaleren Inhalten interagieren können. Andererseits verlinken rechtsextreme Kanäle auf staatlich nicht regulierten Ausweichplattformen, damit ihre Nutzer*innen im Falle einer Löschung auf TikTok immer weiter ihre Inhalte konsumieren können.

TikTok-Fan-Accounts von rechtsextremen Kadern funktionieren als Multiplikatoren für gesperrte Konten. Ein prominentes Beispiel ist ein Fan-Account des gesicherten Rechtsextremen Nikolai Nerling alias “Der Volkslehrer”. Dieser scheint auf TikTok aktuell kein eigenes Konto zu besitzen. Jedoch werden Auszüge aus seinen Bitchute-Videos auf TikTok von einem Fan geteilt. Zudem verweist der Fan-Account auch auf den Telegram Account des Volkslehrers in seiner Bio. Eine nähere Betrachtung des Fan-Accounts zeigt, dass die fünf veröffentlichten Videos eine kumulierte Reichweite von knapp 1,5 Millionen Views erreichen und das bei einer Channelgröße von knapp 6000 Follower*innen. Damit wird deutlich, dass die Inhalte eine viel größere Rolle spielen als der Account selbst. Somit können rechtsextreme Inhalte auch über ihren eigenen Kanal hinaus Wirkkraft entfalten.

Patrick Schröder, Balaclava Graphics oder Tommy Frenck nutzen TikTok auch, um rechtsextreme Merch-Artikel zu promoten. Zwar lässt TikTok keine direkten Käufe zu, jedoch wissen Rechte um die Vorteile einer virtuellen Ladenfläche im Videoformat. Die überwiegende Mehrheit rechtextremer  Creator*innen arbeiten mit weiterführenden Links, die zu Instagram-Shops oder Telegram führen. Große Tech-Unternehmen wie Meta, Google oder Amazon wissen um den Vertrieb von rechtsextremen Artikeln auf ihren Plattformen und gehen seit einigen Jahren dagegen vor. Deswegen dienen Plattformen wie Telegram und Merch-Mailing-Listen als Ausweichmöglichkeiten für einen halb-öffentlichen oder sogar klandestinen Vertrieb.

Sogenannte Mikrotransaktionen, also virtuelle Gegenstände wie etwa TikToks eigene Währung, auch “TikTok Coins” genannt, werden auch an antidemokratische Akteur*innen ausgezahlt. So können Nutzer*innen in Livestreams mit Rechtsextremist*innen nicht nur in Person interagieren, sie können ihnen auch virtuelle Geschenke, also Geld, zukommen lassen. Rechtsesoteriker wie Thomas Hornauer aka “König Thomas” nutzen diese Strategie, um sich selbst zu bereichern. In seinen Livestreams wird Hornauer regelmäßig von seinen zahlreichen Follower*innen beschenkt.

Slogans und Hashtags als Dogwhistle

Egal ob bei den Twitter-Hashtag-Kriegen oder mit rechtsextremen Begriffskaperungen, antidemokratische Akteur*innen beweisen immer wieder eine digitale Anpassungsfähigkeit und Agilität. Ein sogenannter Hashtag-Aktivismus wird von der rechten Seite auf allen Plattformen betrieben. Doch anders als zum Beispiel auf Twitter, wo Hashtags in Echtzeit Reichweite und Sichtbarkeit generieren können, verfolgen TikTok Hashtags auch ein weiteres Ziel. Hashtags wie #patriot, #christian, #tradition sind eine Form der Umwegskommunikation und dienen als Umschreibung für #rechtsextrem, #menschenfeindlich, #antidemokratisch.

Des Weiteren verwenden rechtsextreme Hashtags als Doghwistle, also eine codierte Nachricht, die Inhalte kommuniziert, die von Rechtsextremen untereinander sehr wohl verstanden werden, jedoch von der allgemeinen Mehrheit nicht. Ein Beispiel hierfür ist #kvlt vom IB-nahe Magazin Infodirekt, geleitet von Michael Scharfmüller. #kvlt funktioniert hier als neurechte Chiffre ähnlich #based (Begriff der Zugehörigkeit zu neurechten-rechtsextremen Weltbildern signalisiert), um ideologische Nähe zu Rechtsextremen zu signalisieren. Nicht zuletzt findet sich #kvlt ja auch im Namen des neurechten, den “Identitären” nahe stehenden Künstlerkollektivs “Kvltgang” darstellt. So ähnlich funktioniert der längst schon wieder verblasste “White Boy Summer”-Slogan, der in 2021 von Rechtsextremist*innen als Meme verwendet wurde, um Gruppenzugehörigkeit zur Weißen Rasse zu signalisieren.

Ernst Jünger-Romantik: Wandern und Trekken als Strategie

Weiße Männer erobern den deutschen Wald, trekken gemeinsam durch die Wildnis und posieren auf einsamen Bergspitzen. Rechte Naturbegeisterung als Mobilisierungsinstrument zu nutzen, wurde durch Plattformen wie YouTube oder Instagram bereits sichtbar. Doch auch auf TikTok wandern Rechtsextremist*innen zusammen in die Abenddämmerung für Likes. Rechte Waldeinsamkeit und Outdoor-Spektakel sollen Natur- und Ursprungs-Verbundenheit der Protagonisten zeigen, aber auch ihr vermeintliches Leiden an der Moderne. Und wie lässt sich Moderne besser überwinden als in der Natur?

Auch im Nationalsozialismus wurde das Motiv des reinen Waldes als ideologisches Instrument gerne verwendet. Abgeleitet aus dem NS-Autarkie-Gedanken preppen auch heute rechtsextreme Aktivist*innen auf ihren Wanderwegen für den Umsturz. Survivalism ist nämlich mehr als nur Flexen mit der Überlebenskunst, es ist auch eine Mobilisierungsstrategie, die auch durchaus akzelerationistisch aufgeladen werden kann. Aktivist*innen betrachten sich als “Survival-Expert*innen”, die es nicht nur schaffen, in der Wildnis zu überleben, sondern durch den Content auch eine “Lebensart” zu etablieren versuchen. Dies gelingt ihnen, indem sie  Überlebenstipps, Ausrüstung und Ausflugsziele mit der Zuschauerschaft teilen. Dabei sind die Untergangsszenarien, Survival Guides und rechten Ausflüchte in die Natur nichts anderes als eine Mobilisierungsstrategie, um Jugendliche zu ködern, die sich für Umweltschutz interessieren, hier aber Demokratieverachtung und Rassismus bekommen.

Kaderschmiede: Workshops, Seminare und Bildungsmaterialien

“Du willst Asylmelder werden, so geht’s”, lautet es im TikTok Video des IB-Projektes “Asylmelder”. Das Video visualisiert eine flüchtlingsfeindliche Einleitung und verlinkt auf einen Artikel des neurechten “Heimatkuriers”, der das ganze Thema ideologisch mit Bleiwüsten anreichert. Vermeintlich nützliche Tipps, Leitfäden, Einladungen zu Seminaren oder Auszüge von Konferenzen für fortgeschrittene Ideolog*innen gehören zu den neurechten Mobilisierungsstrategien, die an eine vermeintlich “bürgerliche” Courage appellieren. Die Videos wirken elitär und appellieren an ein bürgerliches Milieu, dass es zu überzeugen gilt.

Die Neue Rechte und rechtspopulistische Pseudointellektuelle verbreiten unter dem Label “Junk History” Geschichtsverfälschungen und Revisionismus. Das “Gegenuni”-Projekt ist ein gutes Beispiel einer neurechten Kaderschmiede. Im “trockenen Stil” werden historische Persönlichkeiten wie Jeanne D’Arc, Karl der Große oder Otto von Bismarck in Slideshow-Videos vorgestellt und für das rechte Narrativ vereinnahmt. YouTube-Videos werden für TikTok stark gekürzt und als 30-sekündige Content-Häppchen verpackt und verbreitet. Inspiriert von pseudowissenschaftlichen Formaten wie “PragerU” möchte“Gegenuni” als Stichwortgeber für die autoritäre Revolte dienen, und rückt  neurechte Talking-Points wie “Ethnopluralismus” oder die “Islamisierung des Abendlandes” in den Fokus rückt.

Pumpen und Tanzen für den Rechtsextremismus

Sie tanzen, lipsyncen (Lippenbewegung, die Songs nachahmt) oder flexen ihre Muskeln für sogenannte “Clout”, also sozialen Einfluss. In POV-Videos (Point of View, zu dt.: “Ich-Perspektive-Videos”) trällern junge, rechte Influencer*innen und Aktivist*innen die Songs der Onkelz, NDS oder Lunikoff nach. TikTok-Sounds sind ein häufiges Mittel der rechtsextremen Mobilisierung. Viele rechtsextreme TikTokerinnen tanzen, pumpen und trainieren zu Rechtsrock. Dabei dient die Videoinszenierung der Selbstverharmlosung und Normalisierung ihrer rechtsextremen Positionen. Das Ziel lautet: Zuschauer*innen vom rechten Lifestyle zu überzeugen. Prominente Tanz-Challenges, virale TikTok-Trends werden immer wieder nachgeahmt, gekapert und rechtsextrem remixed. Die extra-niedrigschwellig konzipierten Videobotschaften sollen bei Zuschauer*innen Neugierde und Gemeinschaftsgefühle wecken.

Das Geschlecht spielt dabei eine große Rolle bei der Darstellungsart. Während rechte Frauen sich als “thirst-traps” (aufmerksamkeitsbindendes Selfie) oder “Tradwives” (traditionelle Frauen) inszenieren, zeigen sich die Männer oft hart und brachial. Trainings-Routinen  werden mit brutal klingender Musik hinterlegt, um Gewaltbereitschaft zu signalisieren. Immer wieder laden die rechten Kampfsportler zu Trainingslagern, Kampfsportevents, oder Kennenlernabenden ein. Derweil pumpen sie draußen, inszenieren sich in ihrer Kameradschaft, während “Tradwives” drinnen in Küchen und Wohnzimmern Tanz-Challenges aufnehmen.

Diese Gegensätze sollen illustrieren, wie dualistisch das rechtsextreme Weltbild aufgeladen ist. Akteur*innen zwingen sich selbst in eine binäre, heteronormative Konstruktion von Männlichkeit/Weiblichkeit hinein. Sie nutzen TikTok als Verhandlungsraum, der den Geschlechterdiskurs rechts besetzen soll. Derweil träumen sie gemeinsam von der traditionellen Kleinfamilie und versuchen beim Rechtsrock-Lypsincing die Moderne zu überwinden. Diese Strategie ist sehr effektiv und erreicht weit über das Netzwerk hinaus junge Menschen. Und selbst, wenn die sich die Videos ansehen, um sich darüber lustig zu machen: Die Inhalte werden verbreitet, und Sounds, die nach mehrmaligem Hören bekannt klingen, werden nicht mehr hinterfragt. Damit gelingt die Normalisierung rechtsextremer Inszenierung und Sprache mit jeder Wiederholung ein bisschen mehr.

 

Lesen Sie alle 3 Teile zu „Rechtsextremismus und Tiktok“:

Diese Analysen sind entstanden im Rahmen des Projektes pre:bunk der Amadeu Antonio Stiftung. pre:bunk bietet Digital Streetwork auf TikTok an – für jugendliche Plattform-Nutzer*innen und gegen Desinformationen und Hass.

Hier gibt es mehr Infos zum Projekt:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/projekte/prebunk-digital-streetwork-im-videoformat/

Hier der pre:bunk-TikTok-Kanal:
https://www.tiktok.com/@prebunk

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