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Die extreme Rechte in Sachsen-Anhalt Die Arbeitsstelle Rechtsextremismus zieht Bilanz

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26.05.2012: Auftritt von "Les Vilains" bei der "European Skinheadparty" in Nienhagen (Quelle: via recherche38.info)

Entgegen der öffentlichen Erwartungen zeigte sich die extreme Rechte 2012 mobilisierungs- und kampagnenfähig. Die strukturelle und finanzielle Krise der NPD hatte keinen Einfluss auf die Aktivität neonazistischer Gruppierungen. Eine steigende Zahl von Rechtsrock-Konzerten und Aufmärschen sowie die Präsenz im Web 2.0 zeugten von einer anhaltenden Attraktivität und Mobilität des Neonazismus.

Von der Szene für die Szene und darüber hinaus: Anhaltende Attraktivität neonazistischer Konzerte

Mindestens 30 neonazistische Konzerte – vom „Wohnzimmerkonzert“ bis zu öffentlichen Großereignissen mit über 1.000 Teilnehmenden – haben 2012 in Sachsen-Anhalt stattgefunden. Im Jahr zuvor verzeichnete die Arbeitsstelle Rechtsextremismus auf Grundlage eigener Beobachtungen und Auswertung öffentlicher Quellen insgesamt 20 Rechtsrock-Veranstaltungen in Sachsen-Anhalt.

Es sind vor allem neonazistische Bands und Rechtsrock-Konzerte, die über die eigene Szene hinaus Jugendliche und junge Erwachsene erreichen. Sie stellen ein niedrigschwelliges und attraktives Angebot zur Identifizierung mit rechtsextremen Inhalten dar. Sie verbinden neonazistische Ideologie mit Formen von Jugendkultur und politisieren die Lebenswelt von Szeneanhängerinnen und -anhängern. Darüber hinaus stellen Konzerte eine wichtige Einnahmequelle für die extreme Rechte  dar. Mittlerweile werden hier mehr Einnahmen als über CD-Verkäufe realisiert. Neben konspirativ vorbereiteten und durchgeführten Konzerten gab es in Sachsen-Anhalt 2012 zunehmend legal realisierte Konzerte. Rechte Konzertorganisatoren achten dabei penibel auf die Erfüllung ordnungsrechtlicher Auflagen und verschaffen damit einen öffentlichen Raum, der die Reichweite der Veranstaltungen erheblich erhöht. Diese bundesweit zu beobachtende Tendenz ist besorgniserregend. Da der ordnungsrechtlichen Beauflagung solcher Konzerte durch die Behörden Grenzen gesetzt sind, muss das Hauptaugenmerk der Auseinandersetzung mit rechten Konzerten den dort dargebotenen neonazistischen Inhalten gelten. Es ist die Erlebniswelt aus Musik, Texten, Darbietung und Interaktion mit den Zuhörerinnen und Zuhörer, die den Soundtrack für rechte und rassistische Gewalttaten liefert.

Am 26. Mai 2012 fand in Nienhagen mit der „European Skinheadparty“ eines der größten Rechtsrockkonzerte seit Jahren statt. Entgegen der langjährigen Praxis neonazistischer Veranstalter wurde dieses Konzert nicht im Verborgenen geplant und durchgeführt, sondern mit großem zeitlichem Vorlauf beim zuständigen Ordnungsamt angemeldet und langfristig beworben. Die Taktik der Veranstalter ging auf: Das Konzert mit internationalen Bands aus dem neonazistischen Netzwerk „Blood & Honour“ konnte nicht verboten werden. Über 1.800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten ungestört ihr menschenverachtendes Weltbild feiern. Allerdings führten die öffentlichen Auseinandersetzungen um dieses Konzert zur Gründung eines Bürgerbündnisses in Nienhagen, das sich aktiv gegen die Weiterführung der Konzertreihe engagiert und Aktionen zur deren Verhinderung durchgeführt hat. Mittlerweile hat sich in einer Abstimmung die Mehrheit des Ortes gegen solche Konzerte ausgesprochen.

Selbstvergewisserung und Anschlussfähigkeit: Aufmärsche und Kundgebungen

Die Arbeitsstelle Rechtsextremismus registrierte im Jahr 2012 18 neonazistische Aufmärsche sowie 28 Kundgebungen und Mahnwachen. Damit bestimmen diese Aktionsformen nach wie vor die öffentlichen Auftritte der extremen Rechten.

Thematisch standen 2012 der positive Bezug auf den Nationalsozialismus sowie die nationalistische Kampagne „Raus aus dem Euro“ im Mittelpunkt rechter Demonstrationen. Kundgebungen und Mahnwachen wurden überwiegend durch die NPD-Kreisverbände aus Wittenberg, Anhalt-Bitterfeld und Magdeburg organisiert. An ihnen nahmen zwischen drei und 50 Personen teil. Die Mehrzahl der Aufmärsche wurde von neonazistischen „Kameradschaften“ durchgeführt. Der Zuspruch zu den Demonstrationen war regional sehr unterschiedlich. Der größte Aufzug fand am 14. Januar 2012 mit 1.200 Teilnehmenden in Magdeburg statt. Damit gehörte auch im letzten Jahr dieser neonazistische „Trauermarsch“ zu den wichtigsten Demonstrationen der rechten Szene in Deutschland.

Mit ihren öffentlichen Auftritten kann die extreme Rechte insbesondere dort erfolgreich sein, wo es ihr gelingt, aufgrund regionaler Ereignisse mit ihren Deutungsangeboten Anschluss an vorhandene Ressentiments in der Bevölkerung zu finden. Beispielhaft für diese Erfolge der Neonaziszene stehen die Ereignisse in der Gemeinde Insel. Nach dem Zuzug von zwei ehemaligen Sexualstraftätern im Juli 2011 forderten Einwohnerinnen und Einwohner wiederholt auf Kundgebungen den Wegzug der beiden Männer. Ab Mitte September 2011 riefen neonazistische Gruppen und NPD zu Protesten auf. Seitdem nehmen Einwohnerinnen und Einwohner entweder an neonazistischen Kundgebungen teil oder heißen Neonazis zu ihren Aktionen willkommen. Am Abend des 1. Juni 2012 eskalierten die Ereignisse als Einwohnerinnen, Einwohner und Neonazis versuchten, gewaltsam in das Haus der ehemaligen Sexualstraftäter einzudringen.

Aufmärsche und Kundgebungen dienen der ideologischen Selbstvergewisserung. Als Events stärken sie das Gemeinschaftsgefühl und fördern den Verbleib der Einzelnen in der neonazistischen Szene. Im „Kampf um die Straße“ fungieren diese Auftritte als Machtdemonstration und vermitteln Inhalte an die Öffentlichkeit. Umso notwendiger ist es, der extremen Rechten mit ihren Aufmärschen nicht den öffentlichen Raum zu überlassen. So hat sich auch 2012 vielerorts breiter Bürgerprotest – Kundgebungen, Mahnwachen, Blockaden, Straßenfest u.v.m. – formiert.

Virtuelle Erlebniswelten: Die extreme Rechte im Internet

Neue Formen der Mobilisierung und medialen Aufbereitung von Aktivitäten im Web 2.0 stellen einen Paradigmenwechsel in der Kommunikation der rechten Szene dar. Ankündigung und mediale Aufarbeitung rechter Konzerte und Aufmärsche verlagern sich ins Internet.

Noch 2011 dominierten interne Mobilisierungs- und Kommunikationswege wie Fanzines oder geschlossene Internetforen und Mailverteiler. Heute werden neonazistische Inhalte fast ausschließlich in sozialen Netzwerken – weitgehend offen zugänglich – kommuniziert. Über Facebook- Gruppen und Twitter lassen sich Interessentinnen und Interessenten für Themen und Aktionen rekrutieren, die zuvor mit der Szene in keinerlei Verbindung standen. Kampagnen und Aktionen finden über die eigene Szene und mögliche Zuschauerinnen und Zuschauer hinaus Verbreitung und Unterstützung. Neonazistische Aktivitäten werden so zu Events im World Wide Web. Hier wiedergegebene Stimmungsberichte, Fotos oder Videos lassen nicht nur die Anhängerschaft fast unmittelbar Aktionen miterleben oder ermöglichen die virtuelle Teilhabe. Vor diesem Hintergrund gewannen 2012 spektakuläre Formen der Selbstinszenierung und deren mediale Verarbeitung an Bedeutung. Beispielhaft sind hier die Flashmobs der „Unsterblichen“ – u.a. in Halberstadt, Halle (Saale) und Landsberg – zu nennen: Neonazis versammeln sich scheinbar spontan bei Einbruch der Dunkelheit. Mit Fackeln und Masken versehen ziehen sie durch die Straßen und warnen vor dem angeblichen „Volkstod“ der Deutschen. Videos im Internet inszenieren die Aufzüge als pathetische Massenmärsche.

Aktivitäten im Web 2.0 steigern Reichweite und Akzeptanz neonazistischer Kampagnen. Die umfassende Präsenz im Internet ermöglicht es aber auch einer kritischen und demokratischen Zivilgesellschaft solche Aktivitäten zeitnah zur Kenntnis zu nehmen. Gleichzeitig wird in den sozialen Netzwerken sichtbar, wie der Kern der rechten Szene seine Inhalte über vielfältige kulturelle und soziale Bezugsgruppen weitergibt. Dies erleichtert u.U. die Entwicklung geeigneter Formen der Auseinandersetzung.

Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit: Die NPD in Sachsen-Anhalt

Die sachsen-anhaltische NPD als bedeutendste Partei innerhalb des rechtsextremen Spektrums befindet sich in einer existenziellen Krise. Die Niederlage bei den Landtagswahlen 2011 hatte auch 2012 gravierende Auswirkungen. Öffentliche Parteiaktivitäten kamen fast vollständig zum Erliegen.

Die Partei ist personell ausgezehrt und in einer prekären finanziellen Lage. Die Mehrzahl der Kreisverbände ist nicht mehr arbeitsfähig. Der nach der Wahlniederlage berufene neue Landesvorstand der NPD entwickelte kein erkennbares Konzept, den Niedergang der Partei aufzuhalten. Den Verlust der politischen Kampagnenfähigkeit konnte das medienwirksame Auftreten der Partei im Zusammenhang mit den Kundgebungen und Demonstrationen in Insel nur temporär überdecken. Die Mehrheit der Personen des neonazistischen Flügels wandte sich von der Partei ab, und agiert nun überwiegend im Spektrum der „Freien Kameradschaften“.

Auch bei den Vertreterinnen und Vertretern der Partei in den kommunalen Parlamenten zeigte sich dieser Erosionsprozess. Drei NPD-Vertreter legten ihr Mandat nieder und wurden durch Nachrücker ersetzt, mindestens zwei Abgeordnete traten aus der Partei aus, behielten aber das Mandat. Allerdings wurde die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) als Teil des aktionistischen Kerns der Neonaziszene nur teilweise von der Krise der Mutterpartei NPD erfasst.

Profiteure des NPD-Debakels: Neonazistische Gruppen in Sachsen-Anhalt

Auf die strukturelle Krise der NPD folgte keine Krise der neonazistischen Bewegung. Eine Vielzahl von öffentlichkeitswirksamen Aktionen bezeugte 2012 die Vitalität der parteiunabhängigen extremen Rechten. Neue Gruppierungen im Spektrum der „Freien Kräfte“ wurden gebildet.

Das neonazistische Kernmilieu jedoch setzt sich in Sachsen-Anhalt aus militanten „Kameradschaften“ und ihrem jugend-kulturellen Umfeld zusammen. Sie profitierten von der Schwäche der NPD und erwiesen sich 2012 immer wieder als kampagnenfähig. Dabei war eine Neuformierung des Szenekerns entlang bundesweit geführter neonazistischer Propagandaaktionen sichtbar. Scheinbar spontane Aktionsformen wie jene der „Unsterblichen“ erhöhten die mediale Reichweite der Szene und steigerten zugleich deren Attraktivität für erlebnis-orientierte rechte Jugendliche. Unabhängig von den landesweiten Entwicklungen bestand in einigen Regionen auch weiterhin ein Beziehungsgeflecht zwischen Vertreterinnen  und Vertreter der NPD und den „freien Kräften“.

Mit freundlicher Genehmigung von Miteinander e.V.

Service:

Der Artikel erschien zuerst in der Sommerausgabe des Newsletters „Impulse“ von Miteinander e.V. unter dem Themenschwerpunkt Zivilcourage.

Sommerausgabe der „Impulse“ von Miteinander e.V. Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt.

Die Ausgabe hier zum Download. (Broschüre)

Weitere Informationen:

Rechtsrock-Konzerte als Einstiegsdroge: Der Jahresrückblick 2012 aus Sachsen-Anhalt (netz-gegen-nazis.de)

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