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Übersicht Diese Prozesse gegen Rechtsextreme finden gerade statt

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Symbolbild Justitia (Quelle: Pixabay / William Cho)

 

Baden-Württemberg

Prozess gegen Terrorzelle „Gruppe S.“ (laufend)

Angeklagt sind zwölf Männer, die Anschläge auf Politiker*innen, Geflüchtetenunterkünfte und Moscheen geplant haben sollen. Dadurch wollten sie bürgerkriegsähnliche Zustände hervorrufen. Bei der Gruppe wurde ein sehr großes Waffenlager gefunden. Der Prozess wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung begann am 13. April 2021 am Oberlandesgericht Stuttgart, Belltower.News berichtete. Werner S., Anführer und Namensgeber der Gruppe, soll noch aus dem Gefängnis heraus versucht haben, einen Auftragsmord an dem Spitzel zu organisieren, der die Gruppe auffliegen ließ. Zuletzt wurde bekannt, dass der Rechtsextreme Thorsten K. aus dem Umfeld der Gruppe S. V-Mann der Sicherheitsbehörden war. Bisher sind Prozesstermine bis Juli 2023 angesetzt.

Hier geht’s zur Prozessbeobachtung: https://prozessbeobachtung.org/

Bayern

Prozess gegen rechtsextreme Waffenhändler (abgeschlossen)

Vom 21. Februar bis zum 31. Mai 2022 mussten sich drei Angeklagte wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz vor dem Landgericht München verantworten. Sie hatten Dutzende Pistolen, mehrere Pumpguns und Maschinengewehre im Wert von mehreren Zehntausenden Euro von Kroatien nach Deutschland geschmuggelt. Eine der Waffen soll an eine langjährige Mitarbeiterin des AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron verkauft worden sein. Alexander R. wurde zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, Martin M. infolge eines Geständnisses zu zwei Jahren und neun Monaten. Christian N. galt dem Gericht als Randfigur und erhielt eine 15-monatige Bewährungsstrafe. Das Strafmaß sei mild ausgefallen, da alles „glimpflich ausgegangen“ sei, sagte der Vorsitzende Richter. Dabei hatte ein Polizeiermittler aus Norddeutschland eine Indizienkette präsentiert, wonach eine der geschmuggelten Pistolen für einen Mord verwendet worden sei. Der Verbleib vieler Waffen ist weiter unklar.

Prozess gegen „Blood & Honour“ (abgeschlossen)

In dem Prozess vor dem Landgericht München vom 20. Juni bis 3. August 2022 waren zehn Männer angeklagt, weil sie das im Jahr 2000 verbotene Neonazinetzwerk „Blood & Honour“ weitergeführt hatten. Ab 2016 gründeten sie eine Division Deutschland sowie Sektionen in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen. Das Verfahren gegen einen geständigen Angeklagten wurde gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Den neun verbliebenen Neonazis wurde im Juli ein Deal angeboten: Im Gegenzug dafür, dass sie ebenfalls Geständnisse ablegten, stellte das Gericht den Angeklagten milde Strafen in Aussicht. So wurde das Urteil statt nach den ursprünglich 47 angesetzten Prozessterminen schon nach acht Verhandlungstagen gefällt. Die Männer wurden des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot schuldig gesprochen und zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Anstelle lückenloser Aufklärung und strafrechtlicher Verfolgung habe es einen faktischen Freibrief für militante Neonazis gegeben, kommentierte die Rechtsextremismus-Expertin Katharina König-Preuss. Die verbotene Organisation könne umstandslos da weitermachen, wo sie aufgehört habe.

Berlin

Prozess zum Neukölln-Komplex (in Vorbereitung)

Der Neukölln-Komplex bezeichnet eine rechtsextreme Anschlagsserie in Berlin. Laut Polizei habe es insgesamt über 70 Brandanschläge, Sachbeschädigungen und gezielte Drohungen gegeben. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin gibt an, dass sie seit 2009 sogar 157 Taten registriert habe. Die meisten Angriffe sind bisher nicht aufgeklärt. 2018 sollen Sebastian T. und Tilo P. die Autos der Antifaschisten Heinz Ostermann und Ferat Koçak angezündet haben. Gegen die Angeklagten soll nun am 29. August 2022 ein Prozess am Amtsgericht Tiergarten eröffnet werden. Der Antrag Ferat Koçaks, als Nebenkläger zugelassen zu werden, wurde abgelehnt. Bislang sind zehn Verhandlungstage angesetzt. 

Anfang Mai 2022 hat das Berliner Abgeordnetenhaus zudem einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der die Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz im Neukölln-Komplex beleuchten soll. Es soll um mögliche Fehler bei den Ermittlungen und die Rolle rechtsextremer Netzwerke gehen. Derweil geht die Anschlagsserie weiter. In Neukölln kam es Mitte Mai 2022 schon zum dreizehnten Brandanschlag innerhalb von sechs Monaten. Belltower.News berichtete: Zwar habe die Polizei bisher keinen Bezug zum Neukölln-Komplex hergestellt, dennoch sei die Vermutung eines Zusammenhangs nicht unbegründet.

Chatverläufe, die auf Tilo P.s Handy gefunden wurden, führten zu einem weiteren Verfahren: Ein Polizist soll Dienstgeheimnisse an Rechtsextreme verraten haben. 

Hessen

Prozess gegen Franco A. (abgeschlossen)

Der Bundeswehr-Oberleutnant Franco A. hatte sich seit Dezember 2015 als syrischer Kriegsflüchtling ausgegeben und in Deutschland Asyl beantragt. Er hatte einen rechtsterroristischen Anschlag unter falscher Flagge geplant, der seiner Schein-Identität als Flüchtling angelastet werden sollte. Franco A. war Teil der „Chatgruppe Süd“ des „Hannibal“-Netzwerkes, das für einen „Tag X“ die Tötungen linker Politiker*innen plante. Der Prozess am Oberlandesgericht Frankfurt am Main begann am 20. Mai 2021 und endete nach 39 Verhandlungstagen am 15. Juli 2022 mit seiner Verurteilung zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft. Er wurde der Planung eines rechtsextremen Terroranschlags, des illegalen Waffen- und Munitionsbesitzes und des Betrugs schuldig gesprochen. Die konkrete Anschlagsplanung, die Waffenbeschaffungen und die Einbettung des Angeklagten in rechte Netzwerke in und außerhalb der Bundeswehr bleiben weitgehend ungeklärt. 

Hier geht’s zur Prozessbeobachtung: https://www.nsu-watch.info/category/prozessbeobachtung/prozess-gegen-franco-a/

Prozess gegen Alexander M. – NSU 2.0 (laufend)

Der rechtsextreme Langzeitarbeitslose Alexander M. aus Berlin soll für die „NSU 2.0“-Drohschreiben verantwortlich sein. Seit August 2018 sind mindestens 116 Hassnachrichten, E-Mails, Faxe und SMS mit dem Kürzel „NSU 2.0“ an 32 Personen und 60 Institutionen verschickt worden. Weitere Schreiben sollen von Trittbrettfahren verfasst worden sein. Weil die Drohungen oft sensible Daten enthielten, die zuvor an Polizeicomputern abgerufen worden waren, wurde ein rechtsextremes Netzwerk in der hessischen Polizei vermutet. Viele Betroffene gehen davon aus, dass Polizist*innen an der Erstellung der Drohschreiben beteiligt waren. Die offizielle Darstellung, dem das Gericht bisher zu folgen scheint, lautet jedoch: Die Polizist*innen hätten die Daten aus Fahrlässigkeit an Alexander M. weitergegeben, der sich als Polizist ausgegeben habe. 

Die Verhandlung gegen Alexander M. begann am 16. Februar 2022 am Landgericht Frankfurt. Seda Başay-Yıldız, die unter anderem das erste Drohschreiben erhielt, sagt, die Frankfurter Polizist*innen deckten sich gegenseitig oder schwiegen im Prozess. Sie vermutet, dass der Polizist Johannes S. ihre Daten im Darknet veröffentlicht haben könnte. 

Prozess gegen Marvin E. – „Atomwaffen Division“ (laufend)

Am 2. August 2022 hat der Prozess gegen Marvin E. am Oberlandesgericht Frankfurt begonnen. Die Bundesanwaltschaft wirft dem zwanzigjährigen Schreinerlehrling aus dem nordhessischen Spangenberg die versuchte Bildung einer terroristischen Vereinigung, die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz vor. Marvin E. soll Anhänger der terroristischen „Atomwaffen Division“ gewesen sein. Bei einer Hausdurchsuchung im September 2021 wurden neben rund 600 selbst gebastelten Sprengkörpern und Sprengfallen auch ein Manifest sichergestellt, in dem er zum „totalen Rassenkrieg“ aufrief.

Aktuell sind insgesamt 14 Verhandlungstermine bis zum 1. November 2022 angesetzt. Nach Angaben seiner Anwälte will sich Marvin E. am 12. August ausführlich zu den Vorwürfen äußern. Da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt war, könnte laut Oberlandesgericht das Jugendstrafrecht angewandt werden. 

Prozess gegen Tim F. – Planung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (laufend)

Am 24. Juni 2022 hat vor dem Landgericht Frankfurt der Prozess gegen den ehemaligen Bundeswehrsoldaten Tim F., seinen Bruder Robin F. und seinen Vater Bernd F. begonnen. Tim F. habe eine Kampfgruppe nach Vorbild der Nationalsozialisten aufbauen, die Macht in Deutschland übernehmen und die eroberten Gebiete von Migranten und Flüchtlingen „säubern“ wollen, heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Sie wirft ihm die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vor, seinem Bruder und seinem Vater die Mittäterschaft. Im Wohnhaus der Angeklagten wurden im Februar 2021 diverse Schusswaffen, Tausende Schuss Munition, Granaten, Sprengstoff und ein rassistisches und antisemitisches Pamphlet gefunden. Das Landgericht Frankfurt hat bislang mehr als zehn Verhandlungstermine bis November 2022 anberaumt. 

Rheinland-Pfalz

Prozess zum Mord in Idar-Oberstein (laufend)

Vor dem Landgericht Bad Kreuznach begann am 21. März der Prozess gegen einen 50-Jährigen aus Idar-Oberstein. Er soll im September 2021 einen Tankstellenmitarbeiter erschossen haben, nachdem dieser ihn aufgefordert hatte, eine Maske aufzusetzen. Der Angeklagte hatte die Tat am ersten Prozesstag gestanden. Ein Gutachter hatte festgestellt, dass die Tat aus seiner Sicht am Ende einer längeren Entwicklung stehe, in der der Angeklagte sich mit Blick auf die Corona-Pandemie immer weiter radikalisiert habe. Trotz einer starken Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt geht er von einer vollen Schuldfähigkeit aus und schließt eine Affekttat aus. Ursprünglich waren 13 Verhandlungstage bis Mitte Mai angesetzt. Der Prozess verzögert sich jedoch. Mehrere Termine waren wegen Krankheit abgesagt worden. Außerdem hält die Verteidigung den Gutachter für befangen. Die Hauptverhandlung soll am 22. August 2022 fortgesetzt werden. 

Hier geht’s zur Prozessbeobachtung: https://www.nsu-watch.info/2022/04/prozess-zum-mord-an-alex-w-in-idar-oberstein-fortlaufend-ergaenzt/

Sachsen-Anhalt

Prozess gegen „Identitäre Bewegung“ in Halle (abgeschlossen)

Am Amtsgericht Halle (Saale) begann am 2. Mai 2022 der Prozess gegen vier Aktivisten der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ wegen gefährlicher Körperverletzung. Am 2. März 2019 sollen sie vor ihrem damaligen Hausprojekt in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 auf drei Student*innen eingeschlagen haben. Die Identitären sollen eine Platzwunde am Kopf und Schnittwunden verursacht haben, die genäht werden mussten, einen der Betroffenen getreten haben, als er schon am Boden lag, und eine andere derart gestoßen haben, dass sie auf eine Bordsteinkante aufschlug und das Bewusstsein verlor. Am 21. Juli 2022 urteilte die Richterin, die schon mehrfach mit milden Urteilen gegen Identitäre aufgefallen war, dass es sich auch um Notwehr gehandelt haben könne. Die Identitären wurden freigesprochen, die Nebenklage sprach von einem Skandal.

Thüringen

Fretterode-Prozess – rechtsextremer Angriff auf Journalisten (laufend)

Am 29. April 2018 überfielen die beiden Neonazis Gianluca B. und Nordulf H. zwei Journalisten und verletzten sie schwer. Nach einer Verfolgungsjagd brachten sie das Auto der Journalisten zum Stehen, zerstörten die Scheiben, zerstachen die Reifen und sprühten Reizgas ins Wageninnere. Einem der Betroffenen soll B. mit einem unterarmlangen Schraubenschlüssel so heftig auf den Kopf geschlagen haben, dass es zu einer Schädelfraktur kam. Dem zweiten Journalisten soll H. mit einem Messer eine Stichwunde am Oberschenkel zugefügt haben. Lange konnten die Täter ihr Leben unbehelligt weiterführen. Am 7. September 2021 wurde schließlich der Prozess gegen sie am Landgericht Mühlhausen eröffnet. Die Urteilsverkündung wird genau ein Jahr später, am 7. September 2022, erwartet.

Hier geht’s zur Prozessbeobachtung: https://tatort-fretterode.org/

Turonen-Prozess – Organisierte Kriminalität (laufend/in Vorbereitung)

Die „Bruderschaft Thüringen“ galt als gefährlichste Neonaziorganisation in Thüringen. Die Rechtsextremen waren auch als „Turonen“ mit ihrer Unterstützerorganisation „Garde 20“ bekannt. Nach einer groß angelegten Razzia im Februar 2021 müssen sich seit dem 29. Juli 2022 sechs Männer und drei Frauen wegen bandenmäßigen Drogenhandels vor dem Landgericht Erfurt verantworten. Daneben werden einzelnen Angeklagten die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Erpressung, Zwangsprostitution sowie Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen. Bisher sind 18 Prozesstermine bis zum 19. Dezember 2022 angesetzt. Was vom Prozess aus einer antifaschistischen Perspektive zu erwarten ist, darüber hat Belltower.News mit Katharina König-Preuss und Madeleine Henfling gesprochen. Eine zweite Razzia im Juni 2022, bei der sieben weitere Beschuldigte gefasst wurden, wird voraussichtlich in einen weiteren Turonen-Prozess münden.

Hier geht’s zur Prozessbeobachtung: https://turonenprozess22.wordpress.com/

Bundesebene

Revision im Lübcke-Prozess? (laufend)

Am 1. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke erschossen. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte den langjährigen Kasseler Neonazi Stephan Ernst im Januar 2021 wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Alle Beteiligten haben Revision eingelegt. Lübckes Familie, die als Nebenklage auftritt, möchte erreichen, dass der Freispruch gegen Markus H. aufgehoben wird. Sie ist überzeugt, dass Stephan Ernst und Markus H. die Tat zusammen geplant, vorbereitet und begangen hätten. Stephan Ernsts Verteidigung sieht die Tat nicht als Mord, sondern Totschlag an. Ein Mann, dem Ernst im Januar 2016 mit einem Messer in den Rücken gestochen haben soll, wendet sich gegen den Freispruch des Neonazis in diesem Punkt. Der Bundesgerichtshof muss nun prüfen, ob es im Lübcke-Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt Rechtsfehler gegeben hat. Die Hauptverhandlung fand am 28. Juli 2022 statt, die Entscheidung wird für den 25. August 2022 erwartet.

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