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Erfolgreiche Proteste Frustrierte Neonazis in Halbe

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„Ordner zu mir!“, bellt es über die Lindenstraße in Halbe. Alles ist stramm und militärisch organisiert. Rund 1600 Neonazis formierten sich damals im November 2004, um Richtung Waldfriedhof des 2.000-Seelen-Dorfes zu laufen. Dort liegen etwa 22.000 Kriegstote begraben. Die meisten von ihnen sind Deutsche, die in den letzten Kriegstagen im April 1945 im „Kessel von Halbe“ im schon verlorenen Kampf des NS-Regimes mit der vorrückenden Roten Armee starben. Aber auch Wehrmachtsdeserteue und Zwangsarbeiter sind hier begraben, die in den letzten Tagen des NS-Regimes ermordet wurden.

Nationalsozialistische Vorbilder

Militärisch war für das nationalsozialistische Deutschland Ende April 1945 schon alles verloren, doch kapituliert wurde nicht. Es ist jene Mischung aus blindem Fanatismus, Gehorsam und „Treue zum Führer“, der in den letzten Kriegstagen noch zehntausende von Opfern forderte und die Neonazis von heute als „ehrenvolles Vorbild“ propagieren.

In Halbe hieß das bis vor kurzem: In Marschformationen aufgestellte Neonazis mit Trauerkränzen, denen man man förmlich ansah, wie gern sie Uniformen tragen oder wenigstens mit Trommeln den Marschtakt vorgeben würden.

Im November 2004 waren derartige Anklänge an die NS-Zeit per Polizeiauflagen bereits verboten worden. Trotzdem war die Demonstration für die Neonazis ein Erfolg. Relativ ungestört konnten sie vom „Heldentod“ für Deutschland fabulieren. Die Worte des Tages waren „Treue“, „Ehre“, „Heldenruhm“. Und für einen Tag hatten die Neonazis den Ort in ihrem Griff. Journalisten am Rand beispielsweise wurden streng ermahnt, das Rauchen einzustellen, man sei auf einer „Trauerveranstaltung“. Die Ordner gefielen sich darin, ihre Auflagen gegen die „Systempresse“ durchsetzen zu können.

Blockaden als zentrales Element

Viel ist im Land Brandenburg seither über Halbe geschrieben und diskutiert worden. Wie wird man die Neonazis los, die schon gleich nach 1990 damit begannen, den Ort für sich als Wallfahrtsstätte in Beschlag zu nehmen? Vieles wurde probiert: Proteste wurden organisiert – aus der Landespolitik, von Bündnissen gegen Rechts, von antifaschistischen Gruppen. Am wichtigsten war es, die Neonaziaufzüge ernst zu nehmen und möglichst nahe bei ihnen zu stören. Denn am liebsten hätten die Rechtsextremisten wohl gar keine Öffentlichkeit zugelassen, die stört.

Ein zentrales Moment waren beispielsweise Blockaden. So stellten sich beispielsweise im Jahr 2005 rund 2 000 Bürger – daunter viel Landesprominenz – den Rechtsextremen in den Weg. Hunderte der Neonazis versuchten, die Polizeisperren zwischen den Gruppen zu überrennen und scheiterten kläglich. Tobend vor Wut mussten sie ihre Kränze wieder mit nach Hause nehmen. Ein wichtiger Etappensieg.

Verunsicherung durch Verwaltungsauflagen

Für Unsicherheit bei den Rechtsextremen sorgten allmählich auch Diskussionen im Land, wie der Halber Friedhof derart umgestaltet werden könnte, um für Neonazis möglichst unattraktiv zu werden.

Und auch die gerichtlichen Auseinandersetzungen waren von Bedeutung. Denn verwaltungsrechtlich wurden den Neonazis immer mehr Steine in den Weg gelegt. Das Hin und Her vor den Gerichten bis kurz vor den Demonstrationen wirkte mittelfristig demobilisierend für die Neonaziszene. Dürfen sie marschieren? Dürfen sie nicht? Direkt am „Volkstrauertag“, einen Tag vorher? Auf den Friedhof, vor dem Friedhof, bis kurz vor den Friedhof?

Der Gesetzgeber mischt sich ein

Zwar fanden die Neonazis immer wieder Gesetzeslücken, dennoch wurde in kleinen Schritten der „Halbe-Enthusiasmus“ in der Szene immer geringer. Auch der Gesetzgeber in Brandenburg nahm sich des Problems an. Wenn auch zunächst erfolglos: eine Reform des Landes-Gedenkstättenschutzgesetzes im Jahr 2005 wurde von den Neonazis einfach ausgehebelt. Dass an Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus nicht demonstriert werden dürfe, sei am
Waldfriedhof in Halbe ohne Bedeutung, stellte ein eilig von den Rechtsextremisten angerufenes Gericht fest.

Im Oktober 2006 folgte der nächste Versuch. Der Landtag verabschiedete ein neue Versammlungsgesetz für Gräberstätten. Auch das brachte nur einen Teilerfolg: Zwar marschierten die Neonazis ein paar Wochen später nicht in Halbe auf. Doch nicht wegen des neuen Gesetzes, sondern ganz freiwillig: weil ihnen die Auflagen der Polizei nicht passten. Stattdessen verlegten sie ihre Demonstration kurzerhand nach Seelow, ebenfalls ein kleiner Ort in Brandenburg. Auch dort auf den Seelower Höhen gab es am Ende des zweiten Weltkriegs harte Kämpfe. 1 000 Neonazis zogen durch Seelow bis vor die Mauern der dortigen Kriegsgräberstätte.

Immerhin: Halbe blieb Neonazi-frei. Und dem Aufruf eines breiten Bündnisses zu einem „Tag der Demokraten“ waren rund 8000 Menschen gefolgt. Dass der Symbolort Halbe wegfiel, zählte mehr als der kaum gestörte Aufzug der Rechtsextremen in Seelow. Dort war es eine Mischung aus Anwohnern und eigens angereisten antifaschistischen Gruppen, die für ein Mindestmaß an Protest sorgten.

Frustrierte Neonazis

Bei den Neonazis hat der lange Atem ihrer Gegner mittlerweile für reichlich Frust gesorgt. Immer weniger Rechtsextremisten kamen bei den letzten Gelegenheiten angereist. Im März 2007 waren es nur noch kümmerliche 150. Der traditionelle Novembertermin wurde 2007 ganz abgesagt.

Unsicherheiten gab es noch einmal im März 2008. Denn während der nationalsozialistischen Herrschaft fand der offizielle „Heldengedenktag“ in diesem Monat statt. Vollmundig hatte der das Organisationskommitee „Freundeskreis Halbe“ zu einem neuerlichen Aufzug getrommelt: „Wir hoffen Ihr erscheint alle zahlreich wie in der Vergangenheit, so dass dieses System nicht am Ende triumphiert und sein Ziel erreicht hat.(…) Gerade die großen Veranstaltungen die für unsere Bewegung von Bedeutung sind müssen verteidigt werden. Es gilt zu zeigen, dass in unseren Adern, dass gleiche Blut fließt wie in den tapferen Soldaten, die auf dem Gräberfeld von Halbe begraben liegen.“

Der „Freundeskreis Halbe“ ist nur noch im Verborgenen aktiv

Auf die großen Worte folgte – nichts. Auch diese Demonstration fiel aus. Mittlerweile wirkt der „Freundeskreis Halbe“ nur noch abgeschottet von der Öffentlichkeit. Zuletzt organisierte er Anfang Juni 2008 eine Gedenkveranstaltung für den am 29. Mai 2008 verstorbenen Altnazi Otto Riehs, der mit seinen Kriegsgeschichten nicht nur in Halbe ein gern gesehener Redner der Neonaziszene war. Die Veranstaltung fand an einem geheim gehaltenen Ort „in Mitteldeutschland“ vor etwa 100 geladenen Gästen statt.

Ist Halbe jetzt vor den Neonazis sicher? Sicherlich nicht. Noch ist unklar, ob und wann sie den nächsten Anlauf starten, ob sie doch Seelow als Ersatzort etablieren wollen oder sich etwas ganz anderes ausdenken. Die Szene ist zahlenmäßig weiterhin groß und aktionsbereit. Doch fest steht auch, dass es mit viel Anstrengung und Phantasie gelungen ist, die Neonaziaktivitäten in Halbe wenigstens vorerst einzudämmen.

Zum Thema:

| DenkOrt Halbe

| Entzug rechtsextremer Handlungsräume – Möglichkeiten und Grenzen verwaltungsrechtlicher Maßnahmen

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