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Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern „Volle Boote“ und leere Wohnungen

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(Überarbeitete) rechte Parole am Wohnhaus des Güstrower Bürgermeisters (Quelle: LOBBI)

Bereits kurz nach Bekanntwerden der Pläne für neue AsylbewerberInnenunterkünfte im Jahr 2010 widmeten sich NPD und Kameradschaften fast dankbar in ihren regionalen Boten, in Flugblättern und auf ihren Internetseiten der aktuellen Flüchtlingspolitik. Jedoch blieb es in den vergangenen Monaten nicht nur bei der altbekannten Neonazi-Rhetorik von „Überfremdung“ und „Asylmißbrauch“ und dem Herbeiphantasieren eines nicht zu handhabenden „Ansturms“ und auch nicht bei Flugblättern und Infoständen. Denn neben Aufkleber- und Sprühaktionen kam es auch zu gezielten Sachbeschädigungen an Gebäuden bereits bestehender und zukünftiger Gemeinschaftsunterkünfte wie in Wolgast und Güstrow, aber auch zu konkreten Bedrohungen und tätlichen Angriffen auf HeimbewohnerInnen wie in Anklam oder Neklade.

„Volkszorn“ und die NPD

In anderen Gemeinden wie in Eggesin, Torgelow oder Friedland versucht die NPD durch Unterschriftenlisten, Kundgebungen und Anträge gegen die Unterbringung von Flüchtlingen die Stimmung aufzuheizen und eine neue alte Kampagne zu inszenieren. Bereits im Jahr 2003 hetzten Neonazis in mehreren Orten im Osten des Landes unter dem harmlos klingenden Titel Bürgerinitiative „Schöner und sicherer wohnen in…“ gegen Flüchtlinge. Diese Kampagnen waren damals der erste Versuch der relativ geschlossenen Kameradschaftsszene, in weite Teile der Bevölkerung vorzudringen und Druck auf Politik und Verwaltung aufzubauen.

Aber auch ohne Initiierung durch Neonazis wurden und werden EinwohnerInnen aktiv. So marschierte in Güstrow nicht nur die NPD auf, sondern auch BürgerInnen protestierten gegen die geplante Gemeinschaftsunterkunft. Kurz nach Bekanntwerden der Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft in einem ehemaligen Internat der Deutschen Bahn kursierte ein mit „Dettmannsdorfer-Bewohner“ unterschriebenes Flugblatt. Darin heißt es unter anderem: „Zur Nacht fangen sie an, mobil zu werden, sie kochen, hören laut Musik und stören die nächtliche Ruhe“, oder „100 Asylbewerber pilgern dann jeden Tag durch unser Wohngebiet“. Während der Wortlaut stark an Neonazi-Propaganda erinnert, versuchten sich andere AnwohnerInnen mit einer Online-Petition moderater zu geben. Der Initiator, Leiter der Kindertagesstätte Känguru, beschwor ein vermeintliches Konfliktpotential für die Dettmannsdorfer EinwohnerInnen herauf und beklagte, dass womöglich Eltern ihren Kitaplatz kündigen werden. Erst nachdem andere GüstrowerInnen auf die Nähe der Aussagen zur Neonazi-Agitation hingewiesen hatten, zog er seinen Vorstoß zurück.

Dass es zur Entfesselung der Emotionen nicht der Propaganda von Neonazis bedarf, machte auch eine StadtvertreterInnensitzung am 02. Mai 2013 in Eggesin deutlich. Echauffierte AnwohnerInnen und schweigende, überforderte StadtvertreterInnen ebneten das Feld, ohne dass die anwesenden Neonazis als Stichwortgeber auftreten mussten. Die NPD antwortete, getragen von der aufgebrachten Stimmung, mit einer Unterschriftensammlung und einer Kundgebung auf dem Eggesiner Marktplatz.

Daran wird deutlich, dass Neonazis jene emotional aufgeladenen Debatten mit der Parole „Wir haben genug eigene Probleme“ an sich reißen können, denen sich die demokratische Politik oder Verwaltung verweigern oder die sie unvorbereitet und unbeholfen passieren lassen. Anknüpfend an die in den 80er und 90er Jahren populäre „Das Boot ist voll!“-Rhetorik, grenzen sich BürgerInnen und Neonazis gemeinsam von den Asylsuchenden ab. Rechtfertigung statt Vermittlung In Wolgast trieb der Druck un- und desinformierter Einheimischer auf lokale VerantwortungsträgerInnen zeitweilig absurde Blüten.

Um eine Flüchtlingsunterkunft in einem Aufgang eines Neubaublocks einzurichten, veranlasste die Stadt Wolgast zunächst den Umzug der bisherigen BewohnerInnen aus dem modernisierten Plattenbau in danebenstehende, unsanierte Blöcke. In der Folge war es kaum verwunderlich, dass die rassistischen Projektionsleistungen derer, die ohnehin schon in prekären Verhältnissen leben, besonders leicht fielen. Schnell entstand eine bedrohliche, durch Neid und Rassismus angeheizte Atmosphäre im Wohngebiet. Ausquartierte, Asylsuchende, EinwohnerInnen und die bundesweite Presse – die auf die Situation aufmerksam geworden war – brachten den Bürgermeister dazu, mit einem Kamerateam durch die noch leerstehende Gemeinschaftsunterkunft zu wandeln. Um die Bürde derjenigen zu relativieren, die zuvor ihre Wohnungen verlassen mussten, führte der Bürgermeister ausführlich die Kargheit des zukünftigen Wohnraums der Asylsuchenden vor.

In Städten wie Neustrelitz, Sassnitz oder Barth hatte man langfristiger einen Dialog mit den EinwohnerInnen zu führen versucht und jene über Belegungsstärken und die Zunahme von Flüchtlingszahlen in Kenntnis gesetzt. Vielerorts herrschte jedoch ein großer Rechtfertigungsdruck vor. So entgegnen VertreterInnen der Behörden landauf, landab fast schon gebetsmühlenartig, dass die Unterbringung von Asylsuchenden nicht ihre freie Entscheidung, sondern Anweisung der übergeordneten Behörden sei. An dieser Stelle schließt sich der Kreis der fortgeschobenen Verantwortung, dessen Leidtragende in letzter Konsequenz die Asylsuchenden sind. Der Wechsel aus Wegdelegieren und Hängenlassen zwischen den Institutionen sorgt von vornherein für defensives Verhalten der Kommunalpolitik, die sich häufig auf Schutzbehauptungen zurückzieht.

Nur selten werden den vorgeschobenen Zwängen Argumente für die Durchsetzung des Asyls als unveräußerliches Grundrecht entgegen gehalten. Zwar ist es nur schwer erträglich, dass solcherlei Bekenntnisse überhaupt angebracht werden müssen. Allerdings weist auch die unreflektierte Verwendung abschätziger Begriffe wie „Asylanten“ durch lokale Politiker, wie beispielsweise in Eggesin oder in Nordkurier und Schweriner Volkszeitung auf die Notwendigkeit zur Sensibilisierung. Auch die Übernahme bedrohlicher Bildsprache für die Beschreibung von Migration à la Flüchtlingswellen “ in der Ostsee-Zeitung sind unnötige Zugeständnisse an die „Volkstod“-Märchen der Neonazis.

Dezentrale Unterbringung als Allheilmittel?

Anlässlich eines Vorlaufes von zwei Jahren für Kreise und Kommunen, um auf den neuerlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen zu reagieren, ist das Fehlen angemessener Unterkünfte und ausreichender öffentlicher Kommunikation über die Thematik schwer nachzuvollziehen. Mal werden praktische Hindernisse angeführt, mal mögliche Konflikt-Szenarien als Vorwand konstruiert.

Nachdem beispielsweise in Vorpommern-Rügen mehrere Kommunen die Einrichtung von Gemeinschaftsunterkünften verweigerten, entschied sich der Kreis notgedrungen, verstärkt auf dezentrale Unterbringung zu setzen. Im ersten Moment ließe sich annehmen, dass Politik und Verwaltung einen Schritt in Richtung der Forderungen antirassistischer und Menschenrechtsinitiativen gehen, die seit langem eine Abkehr von der Gemeinschaftsunterbringung fordern.

Mehrheitlich wird von den angesprochenen Gemeinden jedoch der geringfügige Rückgang des Wohnungsleerstandes und somit auch eine Verringerung des Haushaltsdefizits, als Argument für die Aufnahme Asylsuchender ins Feld geführt. Aufgrund der halbherzigen Umsetzung erinnert die konkrete Ausgestaltung in einigen Fällen letztlich eher an die Situation vor etwa zehn Jahren, als so genannte Dschungelheime in abgelegenen Ortschaften, ohne adäquate infrastrukturelle Rahmenbedingungen, per Erlass geschlossen wurden. Allerdings entsteht heute der Eindruck, dass die damaligen Ziele, wie eine bessere Integration ins Gemeinwesen, mitunter in Vergessenheit geraten sind. So bedeutet dezentrale Unterbringung etwa in Neklade, einem ehemaligen Zwei- Straßen-Dorf, das heute Ortsteil der zwei Kilometer entfernten Stadt Bergen ist, die Einquartierung von etwa 15 Menschen – in einem als Obdachlosenheim genutzten Wohnblock. Sie sind weder in das gesellschaftliche Leben der Stadt eingebunden, noch wird ihre Unterkunft von einem Sicherheitsdienst bewacht, denn dies ist für dezentral untergebrachte Flüchtlinge nicht vorgesehen.

Informieren und sensibilisieren

Es ist fraglich, ob eine derartige Praxis mit einem geeigneten Unterstützungsangebot einhergehen kann und Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe schafft. Genau diese forderte ein Antrag der demokratischen Fraktionen im Landtag bereits im April diesen Jahres. Sein Titel: „Für eine Willkommenskultur in Mecklenburg-Vorpommern – Menschen mit Migrationshintergrund bereichern unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben“.

Neonazi-Hetze, rassistische BürgerInnenproteste, überforderte PoltikerInnen und eine kleinmütige Landespolitik, ergeben zusammen eine Mischung, unter der vor allem die Asylsuchenden zu leiden haben.

Benannter Antrag muss ein Lippenbekenntnis bleiben, wenn Gemeinden nicht zur Umsetzung bereit oder in der Lage sind und konkrete Unterstützung vom Land sowie den Kreisen ausbleibt.

Die nüchterne Herangehensweise der Behörden macht Asylsuchende zu Objekten. Mangelnde Sensibilität in der Regionalpresse hinterlässt mitunter den Eindruck, die Flüchtlinge selbst seien die Ursache des Konflikts. Der eigentliche Kern des Problems, nämlich die angemessene Gewährleistung des Grundrechts auf Asyl, gerät fast völlig außer Acht. So verwundert es kaum, dass LokalpolitikerInnen häufiger nicht in der Lage sind, BürgerInnenprotesten Argumente entgegen zu setzen und Neonaziprotest entschieden zu widersprechen.

Auch dezentrale Unterbringung, wenn sie als letzter Ausweg aus der Unterbringungsnot der Kreise erachtet wird, muss mit einem konkreten Unterstützungsangebot einhergehen. Dezentrale Unterbringung in zentralen Orten und mit einem angemessenen Betreuungsangebot sollte an Stelle einer Einquartierung in entlegene Orte stehen. Die geschilderten Ereignisse in Mecklenburg-Vorpommern zeigen, dass die rechte Szene vor allem dort erfolgreich ist, wo Lücken hinterlassen werden. Dem ausgrenzenden Wir, das Neonazis zu konstruieren versuchen, kann nur eine von allen Beteiligten getragene aktive Flüchtlings- und Informationspolitik entgegengesetzt werden. Das Zurückgreifen auf bestehende Beratungsangebote und den Erfahrungsschatz ehrenamtlich Engagierter ist dafür unverzichtbar.

Der Text erschien zuerst in der Zeitschrift „perspektiven“ von LOBBI.

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