Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Kein Gedenken mehr in Halbe?

Von|

Nach Meinung der Kommission soll die mit rund 24 000 Toten größte Kriegsgräberstätte der Bundesrepublik zu einem Ort historischer Aufklärung und Information werden ? ohne Möglichkeiten für Großaufmärsche von Neonazis, wie es sie in der Vergangenheit immer wieder gegeben hatte. Gunter Fritsch (SPD) äußerte sich gegenüber den Medien zuversichtlich, dass die Empfehlungen der Experten in „zwei, drei Jahren“ umgesetzt werden könnten. Die Gesamtkosten werden auf rund 1,2 Millionen Euro geschätzt. Erste Arbeiten haben schon begonnen: So wird die breite Zufahrtsstraße zum Friedhof bis Ende 2008 zu einem „Lehrpfad“ zurückgebaut, so dass dort keine Aufmärsche mehr möglich sind.

In der Kommission unter Leitung von Günter Morsch, Direktor der Stiftung brandenburgische Gedenkstätten, hatten Historiker, Experten verschiedener Erinnerungsstätten und Vertreter von Initiativen mitgewirkt. Sie war 2006 nach bundesweit beachteten Großaufmärschen von Neonazis in Halbe und auf Initiative des landesweiten Aktionsbündnisses gegen Rechtsextremismus ins Leben gerufen worden.

Heldenmythos muss dekonstruiert werden

Konkret empfehlen die Experten in dem 156-Seiten-Bericht eine dauerhafte „Open-Air-Ausstellung“ auf dem zentralen Vorplatz des Waldfriedhofs. Diese soll über Hintergründe der Kesselschlacht in Halbe kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, über Verbrechen von SS und Wehrmacht, insbesondere aber auch über die Heterogenität der hier begrabenen Toten informieren: Neben Wehrmachtssoldaten, Angehörigen der Waffen-SS und des „Volkssturms“ auch Zivilisten, hingerichtete Wehrmachtsdeserteure, Flüchtlinge, osteuropäische Zwangsarbeiter, russische Soldaten und Häftlinge aus dem sowjetischen Internierungslager Ketschendorf. Auch daran könne gezeigt werden, so der Ansatz, zu welchem Leid der von Deutschland angezettelte Weltkrieg geführt habe.

Nach einer Änderung des brandenburgischen Gräbergesetzes 2006 gab es zwar keine Großaufmärsche von Neonazis zum „Heldengedenken“ vor dem Friedhof mehr. Im Ort selbst könnte es sie aber jederzeit wieder geben. Und „unbemerkt von der Öffentlichkeit“, so heißt es in dem Abschlussbericht, sei der Friedhof immer wieder das Ziel von „größeren und kleineren Gruppen von Rechtsextremisten“.

Hier die Kurzfassung des Berichtes:

STIFTUNG BRANDENBURGISCHE GEDENKSTÄTTEN
Oranienburg; 10. November 2008

?Mittel- und langfristige Perspektiven für den Waldfriedhof Halbe?
Empfehlungen der Expertenkommission

K u r z f a s s u n g –

Mit Hilfe historischer Aufklärung und einer differenzierten Geschichtsdarstellung soll nach den Empfehlungen einer Arbeitsgruppe künftig die komplexe ?Gemengelage? des Waldfriedhofs Halbe vor Ort thematisiert werden. Damit soll der Mythos der ?Kesselschlacht? dekonstruiert der Vereinnahmung des Ortes als Aufmarschplatz von Rechtsextremisten ein Riegel vorgeschoben werden. In der auf Anregung von Landtagspräsident Gunter Fritsch einberufenen Arbeitsgruppe haben 15 Experten aus Wissenschaft, Gedenkstätten und Initiativen sowie Vertreter zuständiger Behörden Empfehlungen formuliert, die mittel- und langfristige Perspektiven für den Waldfriedhof Halbe aufzeigen. Geleitet wurde die Arbeitsgruppe vom Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Prof. Dr. Günter Morsch, und dem damaligen Vorsitzenden des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Superintendent Heinz-Joachim Lohmann.

Die Expertenkommission empfiehlt in ihrem Abschlussbericht die Einrichtung einer Open-Air-Ausstellung auf dem Vorplatz des Friedhofs. Sie soll über die historischen Ereignisse und Zusammenhänge der ?Kesselschlacht? von Halbe informieren und dabei auch Ursachen und Auswirkungen des von Deutschland begonnenen Krieges und seinen Charakter als Vernichtungskrieg benennen. Die Darstellung der unterschiedlichen Gruppen von Toten, die auf dem Waldfriedhof bestattet sind, soll breiten Raum einnehmen. Es handelt sich um Wehrmachtssoldaten und Angehörige anderer (para-)militärischer Verbände, wie z. B. der SS oder des ?Volkssturms?, aber um auch Soldaten der Roten Armee und Zivilisten sowie Opfer der NS-Wehrmachtsjustiz, osteuropäische Zwangsarbeiter und verstorbene Häftlinge aus dem Sowjetischen Speziallager Nr. 5 in Ketschendorf. Die Ursachen um Umstände für den Tod der hier Bestatteten sollen ebenso dargestellt werden wie Geschichte des Friedhofs von 1945 bis in die Gegenwart.

Die Open-Air-Ausstellung soll darüberhinaus das Zentrum eines Informationsnetzwerks sein, das sich auf andere lokale und regionale Orte erstreckt, die im historischen Zusammenhang mit dem Waldfriedhof stehen, wie z. B. die Sowjetische Ehrenfriedhöfe, aber auch überregionale Museen und Gedenkstätten. Die seit 2005 existierende Denkwerkstatt in Halbe soll als einziger Ort mit Personal auch in Zukunft für die pädagogische Projektarbeit zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sowie zur Nachbereitung eines Friedhofsbesuches genutzt werden. Die derzeitige Gestaltung und das pädagogische Angebot der Denkwerkstatt sollen evaluiert und weiterentwickelt werden. Darüber hinaus empfiehlt die Expertenkommission, ein umfassendes Informationsangebot zum Waldfriedhof im Internet bereitzustellen.

Die Gestaltung des Friedhofs soll nach den Empfehlungen der Experten im derzeitigen Zustand belassen werden, der das Ergebnis zahlreicher Um- und Neugestaltungen ist. Gerade diese Überlagerungen bieten nach Auffassung der Experten Chancen für das historisch-politische Lernen. Ergänzend zur Ausstellung soll auf dem Friedhof ein zurückhaltendes Informationssystem geschaffen werden, das an wenigen ausgewählten Orten über die Entstehungsgeschichte des Waldfriedhofs informiert und einzelne Gestaltungselemente erläutert. Die Errichtung eines neuen zentralen Denkmals lehnt die Expertenkommission ab, da sie bezweifelt, dass ein solches Denkmal alle Aspekte des Waldfriedhofs, insbesondere die Vielfalt der hier bestatteten Toten, angemessen berücksichtigen kann. Die Expertenkommission rät daher dazu, auf den Versuch einer neuen Gesamtdeutung des historischen Geschehens zu verzichten.

Zur Realisierung des Informations- und Dokumentationsortes Halbe empfiehlt die Expertenkommission ein Gutachterverfahren auszuloben, um eine auf den Waldfriedhof zugeschnittenen Konzeption zu entwickeln. Die eingereichten Vorschläge sollen von einer unabhängigen Jury beurteilt werden.

Zum Thema:

| DenkOrt Halbe

| Entzug rechtsextremer Handlungsräume – Möglichkeiten und Grenzen verwaltungsrechtlicher Maßnahmen

Weiterlesen

Flagge verkehrt herum -1016362_1920

Umgedrehte Flagge Antisemitisches Statement einer Polizeiwache in Hessen?

Am Holocaust-Gedenktag hisst eine hessische Polizeiwache die Landes- und Bundesflagge falsch herum. Vielleicht ein Versehen, möglicherweise aber auch Absicht. Denn eine falsch herum gehisste Flagge dient als Code der Reichsbürger-Szene, und geht dann mit einer Täter-Opfer-Umkehr einher.  

Von|
Eine Plattform der