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Militante Rechte Neue Qualität der Gewalt

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Foto: Neonazis zum 1. Mai 2010 in Berlin, sr, c

 

Ein 30-jähriger aus dem bayerischen Selb steht vor Gericht, weil er gemeinsam mit seiner Freundin drei Prostituierte aus Tschechien entführt und misshandelt haben soll. Über mehrere Stunden wurden sie gedemütigt und verprügelt, eine der Entführten sagte aus, sie habe sich nackt auf ein hölzernes Hakenkreuz legen müssen. Der Anwalt des Täters erklärte, sein Mandant sei seit Jahren Mitglied der NPD.

Weil die drei Opfer zur Gruppe der Sinti gehören sollen, geht die Staatsanwaltschaft von einem rassistischen Tatmotiv aus. Der Fall ist exemplarisch für die Kaltblütigkeit, mit welcher tagtäglich rassistische Gewalt ausgeübt wird. Doch nicht nur Menschen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen, werden Opfer ihrer Gewaltexzesse. Immer öfter sind auch Engagierte, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen, Ziel von Anschlägen und gewalttätigen Übergriffen. Im Januar wurde das „Haus der Demokratie“ in Zossen niedergebrannt. Auch hier sind die Täter, Mitglieder der Freien Kräfte Teltow-Fläming, eindeutig der Neonazi-Szene zuzuordnen. Schon kurz nach der Eröffnung im Jahr 2009 beschmierten sie das Haus mit rechten Parolen und gaben sich mit einschlägigen Aufklebern zu erkennen – den Sprecher der Bürgerinitiative erreichten Todesdrohungen.

Gewaltbereiter „Kampf um die Straße“

Die Beispiele zeigen deutlich, wie hemmungslos Neonazis Menschenleben in Kauf nehmen, um ihrer Frustration Luft zu machen. Mit ihrer menschenverachtenden Ideologie haben sie keine politische Wirkung und versuchen, diese durch Präsenz im öffentlichen Raum auszugleichen. Hakenkreuzschmierereien, Parolen, Flugblätter und Aufkleber – der „Kampf um die Straße“ ist elementare Strategie der Neonazis. Vor allem im Umfeld von Demonstrationen werden diese immer gewalttätiger, was vermutlich auf die Anonymität in der Masse zurückzuführen ist. „In diesem Jahr wurden am 1. Mai in Berlin mit Glas versetzte Sprengkörper gefunden, die einer neonazistischen Kameradschaft zugeordnet werden konnten“, berichtet Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm im taz-Interview. Diese Form geplanter rechtsextremistischer Gewalt im Rahmen von Demonstrationen kannten wir bisher nicht.“

Dabei ist die zunehmende Gewaltbereitschaft kein allein ostdeutsches Phänomen. Der Bombenbauer, der den Sprengsatz in Berlin mit sich führte, stammt aus Aachen. Auch er war den Behörden bereits zuvor als Mitglied der „Kameradschaft Aachener Land“ bekannt, die bereits für Schmierereien an einem jüdischen Friedhof und mehreren Parteibüros verantwortlich waren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt im gesamten Umfeld des Täters und ließ mehrere Wohnungen durchsuchen. Es zeigt sich, dass zur Vorbereitung derartiger Anschläge ausgedehnte Netzwerke zur Beschaffung, Vorbereitung und Durchführung notwendig sind. Gezielte Anschläge als Ausnahmeerscheinungen besonders gewaltbereiter Einzelpersonen zu relativieren, verkennt daher die Brisanz eines terroristischen Potenzials in der Neonazi-Szene. Bernd Wagner vom Zentrum Demokratische Kultur unterscheidet zwischen Militanz, die durch ihren methodischen und vorsätzlichen Charakter gekennzeichnet ist, und sogenannten Spontantaten. Diese entspringen im Gegensatz dazu ideologisch begründeten Impulsen und allgemeiner gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Vor allem in der Kameradschaftsszene scheinen nahezu terroristische Tendenzen zu herrschen. Während die Parteien, allen voran die NPD, sich als seriöse Wahlalternative im „Kampf um die Parlamente“ präsentieren, dominieren die personell eng verknüpften Kameradschaften den „Kampf um die Straße“. Anschläge auf Parteibüros, Bürgerbündnisse und alternative Projekte sollen dabei vor allem einschüchtern und Gegenaktivitäten unterbinden. Brandanschläge auf Flüchtlingsheime oder linke Zentren sind keine Kavaliersdelikte, sondern ideologisch geprägte Straftaten, die Todesopfer billigend in Kauf nehmen.

Professionalisierung und Netzwerke

Die Professionalisierung der militanten Neonazi-Szene wurde ein weiteres Mal im August 2009 deutlich, als die Polizei nach einem anonymen Hinweis die Wohnung eines 22-jährigen Neonazis in Weil am Rhein durchsuchte. Dort fanden sich neben Sturmgewehren und anderen Waffen auch diverse Chemikalien, die dem Bau einer Rohrbombe dienen sollten. Auch hier ergaben die Ermittlungen, dass der Täter die Vorbereitungen nicht allein traf. Neben den persönlichen Netzwerken der Täter deutet auch die regionale Verteilung der geplanten und durchgeführten Anschläge darauf hin, dass es sich nicht um Einzelerscheinungen handelt, sondern um ein bundesweites militantes Potenzial. So versuchten im Juli Neonazis in Thüringen einen Brandanschlag gegen die Linken-Abgeordnete Katharina König zu verüben. Der Anschlag konnte glücklicherweise verhindert werden. Zwei der drei Verdächtigen wurden wieder freigelassen und fortan überwacht. Im September nahm man sie erneut fest, nachdem bei einem Telefonat die Worte „C4“ und „Gebrauchsanleitung“ gefallen waren. Die Neonazis waren gerade auf dem Rückweg von einer Veranstaltung, auf der Karl-Heinz Hoffman, Chef der 1980 verbotenen „Wehrsportgruppe Hoffmann“, einer terroristischen neonazistischen Vereinigung, als Redner aufgetreten war. Gegen Karl-Heinz Hoffmann wird seit Oktober wegen des Verdachts ermittelt, zusammen mit Neonazis aus seinem Umfeld Sprengstoff beschafft zu haben. Offenbar wird in Kameradschaftskreisen gezielt Personal für derartige Aktivitäten rekrutiert. Wie das Alter der Täter aus Aachen und Weil am Rhein – 19 und 22 – zeigt, scheinen gerade junge Leute gezielt angesprochen zu werden.

„Voraussetzungen zu Terror sind gegeben“

Dass die Impulse für die zunehmende Militanz nicht aus der Kameradschaftsszene allein kommen, zeigt das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. Hier gab es vermehrt Anschläge auf Parteibüros, nachdem auf einer Internetseite unter dem Titel „Demokraten gibt es auch in Deiner Stadt“ die Adressen von Büros aller Parteien veröffentlicht wurden. Verantwortlich für die Internetseite ist der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD David Petereit.

Angesichts struktureller Schwächen von NPD und DVU, die ihre Anhänger nur noch mit abgestandenen Parolen bedienen, befindet Bernd Wagner: „Der militante, methodische Systemkampf erlangt gegenwärtig wieder einen höheren Stellenwert und wirkt auf die sich reorganisierende und innerlich umbauende Szene vitalisierend. Die Voraussetzungen zu Terror im klassischen Sinne sind gegeben, im Terrain des asymmetrischen Kampfes läuft er als Tages-Terror in anderen Bahnen schon lange.“

Robert Fähmel

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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