Wer den Twitch-Kanal von JaneWhooo besucht, erlebt keinen klassischen Gaming-Stream. Stattdessen redet Jane, lacht, hört zu, stellt Fragen, reflektiert – und schaut zwischendurch auch mal Katzenvideos. „Ich bin eine Labertasche“, sagt die Streamerin über sich selbst. Mehr als 1.000 ihrer rund 1.500 Streaming-Stunden fallen bei ihr auf das Format „Just Chatting“, in dem Streamer*innen hauptsächlich mit ihrer Community sprechen. Doch hinter dieser Leichtigkeit steckt ein präziser Blick auf Community, digitale Verantwortung und gesellschaftliche Themen.
Zwischen Alltag, Internetkultur und gesellschaftlichen Themen
Jane beschreibt ihre Tätigkeit schmunzelnd als „Dinge im Internet machen“. Tatsächlich reichen ihre Inhalte von spontanen Alltagsbeobachtungen bis hin zu Diskussionen über Transidentität, queere Lebensrealitäten, psychische Gesundheit oder Medienkompetenz. Was sie besonders auszeichnet: Politische Gespräche entstehen bei ihr nicht durch feste Formate, sondern durch Begegnung und das Ermöglichen von Diskussionsräumen. Viele Themen tauchen auf, weil im Chat nachgefragt wird oder weil aktuelle Debatten im Netz kreisen. Ihr Ansatz ist dabei bewusst indirekt: Haltung wird nicht „gedroppt“, sondern entfaltet sich, während sie mit ihrer Community diskutiert, Videos schaut oder Fragen beantwortet. „Ich vermittle meine Haltung und Werte lieber nebenbei. Wenn es kontroverse Themen gibt, ist das ein guter Moment für Gespräche – aber ohne Menschen abzustempeln“, erklärt Jane.
Dieser Stil macht ihr Format zugänglich, selbst für Menschen, die sonst wenig Berührung mit queeren oder gesellschaftspolitischen Themen haben. Janes pädagogischer Hintergrund spielt dabei eine wesentliche Rolle: Sie sieht Kommunikation als Werkzeug – nicht um zu überzeugen, sondern um Reflexion anzuregen.
Nähe, Parasozialität und die Frage nach Verantwortung
Die Gamingplattform Twitch ist ein Raum, in dem Nähe – insbesondere parasoziale Beziehungen – zu den Creator*innen Teil des Systems ist. Chats laufen in Echtzeit, Reaktionen sind unmittelbar, und viele Zuschauer*innen kommen täglich wieder. Für Jane ist diese Nähe zu ihrer Community Chance und Herausforderung zugleich: „Menschen wollen vor allem wahrgenommen werden. Die wenigsten suchen dauerhaft das Spotlight, aber gesehen werden möchten sie alle.“
Dabei braucht es klare Grenzen – besonders dort, wo diskriminierende Äußerungen auftauchen. Jane benennt solche Situationen direkt, aber nicht entwertend. Sie weiß: Creator*innen prägen digitale Orte durch ihr Verhalten und ihre Moderation. Diese Form der Reichweitenverantwortung ist für sie selbstverständlich – und ein stetiger Balanceakt zwischen Offenheit und Schutz.
Politisch sprechen, ohne „politische Creatorin“ zu sein
Obwohl politische Themen regelmäßig Bestandteil ihres Streams sind, lehnt Jane das Aktivismus-Label für sich ab. Nicht, weil ihr Haltung unwichtig wäre – im Gegenteil. Sie möchte mehr Menschen erreichen, als es ein solches Label zuließe. „Ich würde mich eher als heimliche Aktivistin bezeichnen. Ich erreiche die Leute mit meinen Themen, aber ich will niemanden abschrecken“, beschreibt Jane.
Der Workshop im Rahmen des Projekts NetCitizens der Amadeu Antonio Stiftung habe sie dabei bestärkt. Zwischen größeren Creator*innen merkte sie: Ihr Ansatz, Haltung in alltäglichen Gesprächen zu platzieren, ist nicht weniger politisch als expliziter Aktivismus. Vielmehr zeigt er eine Form, die dialogischer, zugänglicher und fließender ist – und bei ihrer Community andockt.
Queere Repräsentation auf Twitch: sichtbar, aber ungleich verteilt
Queere Creator*innen sind auf Twitch präsent – teils sehr sichtbar, teils nur in Nischen. Jane beschreibt die Vielfalt als groß, sieht die Strukturen aber als ungleich und betont, dass die Zeiten, in denen man schnell groß werden konnte, mittlerweile vorbei sind: „Es gibt tolle queere Creator*innen, aber wer groß ist, bleibt groß. Das ist eine sich selbst erhaltende Machtstruktur.“
Gleichzeitig ist Twitch einer der Räume, in denen viele Menschen erstmals queeren Alltag kennenlernen – nicht als spektakuläres Ereignis, sondern als selbstverständlichen Teil menschlicher Vielfalt. Genau das macht für Jane Repräsentation so wichtig: Sie setzt auf Normalisierung statt darauf, auf Identitätsmerkmale reduziert zu werden. Darin liegt ein großes pädagogisches Potenzial: Zuschauer*innen können durch ehrliches Interesse lernen, ihre eigenen Vorurteile zu hinterfragen und ein besseres Verständnis für queere Lebensrealitäten zu entwickeln. Nicht jede Frage müsse gestellt werden, nur weil eine queere Person zufällig anwesend ist – der offene Austausch in einem respektvollen Rahmen und ehrliches Interesse fördert jedoch genau dieses Lernen.
Digitalisierte Gewalt: zwischen Abwehr, Community und Selbstschutz
Hate Speech begegnet Jane auf Twitch auf mehreren Ebenen. Einerseits in Form klarer, struktureller Diskriminierung: queerfeindliche Kommentare oder abwertende Zuschreibungen, die zeigen, wie stark gesellschaftliche Vorurteile auch in digitalen Räumen verbreitet und wirkmächtig sind. Diese Angriffe sind Teil eines Musters, das insbesondere marginalisierte Creator*innen trifft.
Daneben wirkt digitalisierte Gewalt immer auch in die Community hinein. Chats müssen moderiert, Störungen abgefangen und gemeinsame Regeln durchgesetzt werden. Janes Community übernimmt dabei eine wichtige Rolle: Sie reagiert, sortiert und unterstützt – und trägt so aktiv dazu bei, einen sicheren Rahmen zu halten.
Gleichzeitig bleibt digitalisierte Gewalt eine persönliche Belastung. Nicht jede Konfrontation ist produktiv – und nicht jeder Angriff lässt sich einordnen, besonders wenn er vermeintlich aus dem eigenen politischen Spektrum kommt. Für Jane heißt Selbstschutz: Grenzen setzen, Diskussionen bewusst abbrechen und die eigene Energie dort investieren, wo echte Gespräche möglich sind.
Wenn digitale Räume gemeinsame Verantwortung brauchen
Gerade deshalb sind Projekte wie NetCitizens so wichtig. Sie schaffen Räume, in denen Creator*innen, pädagogische Fachkräfte, Agenturen und zivilgesellschaftliche Akteurinnen gemeinsam an digitalen Herausforderungen arbeiten – niedrigschwellig, praxisorientiert und nah an der Realität junger Menschen. Solche Formate bieten nicht nur Austausch, sondern auch Orientierung: Wie lassen sich sichere Räume schaffen? Welche Strategien helfen im Umgang mit digitalisierter Gewalt? Wie gelingt politische Kommunikation ohne Überforderung? Und wie behalten Creator*innen ihre Handlungsfähigkeit im digitalen Raum? Gleichzeitig ist es ein Ziel des Projektes, dass pädagogische Fachkräfte auf den Plattformen aktiv sind, die Räume ernst nehmen und die Themen gezielt in ihrer eigenen Arbeit thematisieren, um Lern- und Schutzpotenziale voll auszuschöpfen. Jane betont: „Sich mit Twitch und anderen digitalen Sozialräumen auseinanderzusetzen, halte ich nicht nur für sinnvoll, sondern auch für sehr wichtig. Das kann extrem viel Aufschluss über Interaktion, Interessen und Bedarfe liefern – für Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte und andere Akteur*innen der Sozialwirtschaft. Langsam aber sicher entwickeln sich sozialpädagogische Angebote auch auf Twitch.“
Projekte wie NetCitizens zeigen, dass digitale Räume gestaltet werden können – und dass niemand diese Arbeit allein machen muss. Sie bieten Wissen, Vernetzung und Unterstützung in einem Feld, das sich schnell verändert. Genau das, so Jane, braucht es, um langfristig sichtbar, verantwortungsbewusst und resilient im digitalen Raum zu bleiben.


