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Razzia gegen Reichsbürger Papier-Terrorist*innen organisierten sich über Telegram

Reichsbürger*innen organisierten sich offenbar auf Telegram zum Papierterrorismus – um Behörden mit unzähligen Anfragen und Schreiben zu blockieren. Am Donnerstagmorgen fanden Razzien bei 20 Beteiligten statt.

 
Mehrere Teilnehmer tragen Fahnen auf Reichsbürgerveranstaltung (Quelle: flickr / RechercheNetzwerk.Berlin)

In acht Bundesländern fanden am Donnerstagmorgen Razzien gegen sogenannte Reichsbürger*innen statt. Rund 280 Einsatzkräfte seien im Einsatz gewesen. Den 20 Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Nach jetzigem Stand wurden zahlreiche Beweismittel, darunter eine PTB-Waffe, Reizstoffgeräte sowie Smartphones und Computer sichergestellt, teilte die federführende Generalstaatsanwaltschaft München mit.

Bundesweite Razzia gegen „Reichsbürger“: Telegram-Kanäle im Fokus

„Die Reichsbürgergruppierung hat im großen Stil bundesweit staatliche Einrichtungen beleidigt und teilweise massiv bedroht, hauptsächlich über Social Media“, erklärte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). „Zu konkreten Übergriffen ist es laut den Erkenntnissen unserer Ermittler bislang nicht gekommen“.

Offenbar waren seit Anfang 2021 mehrere Kanäle des Messengerdienstes Telegram in den Fokus der Polizei geraten, weil dort für Reichsbürger*innen typische Verschwörungserzählungen verbreitet wurden. Ab August 2021 sei dort angeblichen Opfern staatlichen Handelns „Hilfe“ angeboten worden. Der Betreiber der Kanäle habe die massenhafte Kontaktaufnahme mit Behörden durch Telefon und E-Mail organisiert, um diese zu Entscheidungen im Sinn der Mitglieder der Vereinigung zu zwingen.

Papierterrorismus: Kollaps des demokratischen Systems

Diese Strategie wird als Papierterrorismus bezeichnet: Behörden werden mit seitenlangen Eingaben in Schriftform, per Fax und E-Mail überflutet, um sie damit in ihrer Arbeitskraft zu schwächen und zu behindern. Reichsbürger*innen wollen den Betrieb stören. Auf unterschiedlichen Wegen versuchen sie besonders Repräsentant*innen des Staates in Diskussionen zu verwickeln. Wer sich darauf einlässt, hat schon verloren, denn Reichsbürger sehen es bereits als Erfolg, wenn sie jemanden eine halbe Stunde lang zugetextet und damit von der Arbeit abgehalten haben. Mit dem Versuch, Behörden durch eine Flut an Anträgen, Briefen und Mails lahmzulegen, erhofft sich die Reichsbürger-Szene einen Kollaps des demokratischen Systems. Umso konsequenter ist daher das jetzige Vorgehen der Behörden gegen die mutmaßlichen Papierterrorist*innen.

Bei dem mutmaßlichen Rädelsführer der Reichsbürger-Gruppe, dem Betreiber der Telegram-Accounts, soll es sich um den aus Oberbayern stammenden Johannes M. handeln. Der Mann wohnt im Landkreis Fürstenfeldbruck und ist den Ermittler*innen schon lange bekannt. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft München läuft gegen den 58-Jährigen aus Olching ein Verfahren am Landgericht München I. Er wurde bereits im November 2021 festgenommen, weil er in seinen sehr kruden Verschwörungs-Videos unter anderem dazu aufrief, Polizist*innen „standesrechtlich erschießen“ zu lassen. Im April 2022 wurde gegen ihn wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung öffentliche Klage erhoben. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Als M. 2021 in eine psychiatrische Klinik verlegt wurde, versammelten sich nach vorherigen Solidaritätsaufrufen im Internet rund 50 Sympathisant*innen, vor dem Polizeipräsidium, um gegen die Unterbringung zu protestieren. 

„Der von Reichsbürgern geplante Umsturz beginnt bereits bei dem Papierterrorismus“

Lange Zeit fielen die selbsternannten Reichsbürger vor allem damit auf, dass sie Fantasiestaaten gründeten, sich selbst Ausweise druckten und pseudointellektuelle Wälzer veröffentlichten, warum sie die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. „Damals wurde dieses Verhalten als vermeintlich ‘harmlose Spinnerei’ abgetan, obwohl sich schon an dem Punkt längst ein Weltbild fern von Demokratie und Menschenrechten geformt hatte“, so Robert Lüdecke, Pressesprecher der Amadeu Antonio Stiftung. Dass Reichsbürger*innen alles andere als „harmlose Spinner“ sind, wurde spätestens 2016 deutlich, als ein Reichsbürger einen Polizisten erschoss. Die Amadeu Antonio Stiftung und andere Beobachter*innen hatten schon lange vorher gewarnt, dass das Milieu ernst zu nehmen und eine reale Gefahr für Demokratie und Gesellschaft ist. Erst vor einem Jahr wurde eine Reichsbürgergruppierung bekannt, die den Umsturz des demokratischen Systems plante und die konkreten Pläne zur Entführung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach hatte. „Der von Reichsbürgern geplante Umsturz beginnt aber nicht erst bei konkreten Anschlagsplänen, sondern bereits bei dem Papierterrorismus gegen die Demokratie und ihre Institutionen. Deshalb ist es nur konsequent, schon bei dieser organisierten Strategie wegen der Bildung krimineller Vereinigungen zu ermitteln“, so Robert Lüdecke.

Mehr Informationen über die Ideologie und das Wirken von Reichsbürger*innen sind in der Broschüre Reichsbürger“ und Souveränisten der Amadeu Antonio Stiftung zu finden.

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