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„Unser Charly Beck“

In Wunsiedel liegt das Grab von Altnazi Rudolf Heß – die kleine Kreisstadt ist jahrelang Pilgerstätte für Neonazis aus ganz Europa gewesen. Doch ein Bürgermeister zeigt vollen Einsatz – immer wieder. Ein Portrait.

 

An Selbstbewusstsein mangelt es Karl-Willi Beck (CSU) gewiss nicht: „Wir sind bereit, landesweites Vorbild zu sein?, sagt er stolz als Bürgermeister von Wunsiedel – eine kleine Kreisstadt im Fichtelgebirge. Hier im Rathaus habe es begonnen. Alle saßen sie beisammen, Stadträte, Parteien, Kirchenvertreter, dann entstand die Bürgerinitiative. Heute am „Tag der Demokratie“ vergisst er nicht hervorzuheben, dass die ersten Anstöße von der örtlichen Jugendinitiative und der evangelischen Diakonin kamen. Beide hätten lange dafür gekämpft, dass sich in der trägen Stadt etwas bewegt.

Einer Stadt mit Nazi-Historie: Seit 1988 liegt hier auf dem Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde der frühere NSDAP-Stellvertreter Hitlers begraben: Rudolf Heß. Er wurde im Familiengrab beigesetzt. Schon kurz nach der Beisetzung marschierte erstmals eine Hundertschaft Neonazis auf. Dreimal suchten sie Wunsiedel heim, dann konnte der Aufmarsch für einige Jahre verboten werden, wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Neonazis aus ganz Europa

Doch als die Rechten ihren Trubel um den Toten ab 2001 erneut vor Gerichten durchsetzen konnten, wurde der jährliche Aufmarsch zum wichtigsten „Pflichttermin“ im Kalender europäischer Neonazis. Die zentrale Lage mitten in Europa war ideal, Wunsiedel wurde regelrecht zur Jahreshauptversammlung der europäischen Rechtsextremen, sagt der Bürgermeister. „Das wollten wir unbedingt verhindern“, so Beck.

Aber es sollte vorerst noch schlimmer kommen. Im August 2004 füllten über fünftausend Neonazis aus sechzehn Ländern die kleine Stadt. Es demonstrierten nur wenige hundert Bürger dagegen. Doch auf einmal stellten sich einige von ihnen quer – sie saßen auf der Straße und blockierten den braunen Aufmarsch. Auf ihrem vorgehaltenen Transparent stand: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht?. In der ersten Reihe nahmen Bürgermeister Karl-Willi Beck und sein Stellvertreter Matthias Popp Platz. Mit dabei waren auch 20 Stadträte von allen Parteien, der Priester von der katholischen Gemeinde, junge Leute, Rentner.

Der Bürgermeister besucht den Bundestag

Doch der Straßenprotest war dem Bürgermeister Beck noch nicht genug. Am 19. Januar 2005 ? das Datum werde er nicht vergessen ? fuhr er mit der Diakonin Andrea Heußner nach Berlin zum Innenausschuss des Bundestages für eine Anhörung. Im Paul-Löbe-Haus zeigten die beiden Wunsiedler den Abgeordneten Fotos von den Aufmärschen und aus dem Polizeihubschrauber aufgenommene Videos der von den Neonazis beherrschten Stadt.

Das Ergebnis ihrer Reise in die Hauptstadt: Seit dem 1. April 2005 stellt ein neues Gesetz die öffentliche Verherrlichung des Nazi-Regimes unter Strafe. Seitdem gab es keine Heß-Ehrenfeiern in Wunsiedel mehr. Über einen zusätzlichen Absatz im Volksverhetzungs-Paragraphen im Strafgesetzbuch wurden die Nazi-Aufmärsche ausgehebelt. Für Beck und seine Mitstreiter ein einmaliger Erfolg.

Zivilcourage endet nicht

Das Engagement von Beck hat seither nicht aufgehört: In einem „Wunsiedler Forum“ vernetzen sich Gemeinden aus ganz Bayern, die schon von rechtsextremer Präsenz betroffen sind oder sich dagegen wappnen wollen, 20.000 Euro hat die Stadt Wunsiedel dem „Forum“ zugeschossen. In der Nachbargemeinde wurde eine landesweit arbeitende „Projektstelle gegen Rechtsextremismus“ eingerichtet.

Denn die Probleme sind nicht verschwunden, die Rechtsextremen sind auch jenseits der Stadtgrenze von Wunsiedel. Den Kampf um die Köpfe muss man offensiv führen, sagte der Bürgermeister einmal bei einer Eröffnung einer Ausstellung über die Opfer rechtsextremer Gewalt. Bei vielen ist dort nur wenig Platz für Weltoffenheit und Toleranz.

Auch noch eine Rudolf-Heß-Kultstätte?

Heute, am „Tag der Demokratie“, tritt gut zwanzig Kilometer von Wunsiedel entfernt, in Warmensteinach, Jürgen Rieger, der NPD-Anwalt aus Hamburg, auf. Er will im Luftkurort einen Landgasthof für eine braune Rudolf-Heß-Kultstätte kaufen. Den Versuch hatte er schon in Wunsiedel gemacht, erfolglos. Zweitausend Menschen demonstrieren gegen den rechtsextremen braunen Immobilienhai. Auch Bürgermeister Beck ist dort, er will Flagge zeigen.

Als er das Podium betritt, ruft er in den von Demonstranten gefüllten Kurpark: Den Eigentümer des Landgasthofs ? einen Gymnasiallehrer in München ? sollte man mal fragen, wie er noch zum Unterricht vor die Kinder treten könne, wenn er an die NPD verkauft.

Vor einem halben Jahr konnte die CSU zum ersten Mal überhaupt die Landratswahl im Landkreis Wunsiedel gewinnen. Beck holte bei seiner Wiederwahl zum Bürgermeister 25 Prozent mehr als seine Partei bei der Stadtratswahl. Nun nennt ihn der frisch gewählte Landrat und Parteifreund familiär „unser Charly Beck“.

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