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Was heißt eigentlich V-Leute werden „abgeschaltet“?

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von Olga Wendtke

Auf der letzten Innenministerkonferenz (IMK) wurde beschlossen, dass mit Beginn der Materialsammlung für ein NPD-Verbot am 2. April 2012 die „Quellen“ auf Führungsebene abgeschaltet werden sollen. Mit Quellen sind die V-Männer und V-Frauen gemeint. V-Leute sind, anders als es manchmal in der Presse erscheint, keine nicht-rechten Menschen, die Szene „eingeschleust“ werden. Es sind Neonazis, die für den Verfassungsschutz arbeiten. Sie sind schon vorher in der Nazi-Szene aktiv und werden von Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes angesprochen. Denen verkaufen sie für Geld Wissen und Informationen aus der rechtsextremen Szene. Das heißt aber nicht unbedingt, dass diese Neonazis weniger rassistisch oder harmloser sind oder gar „geläutert“ wären und der Ideologie abgeschworen hätten. Es handelt sich in der Regel um Menschen, die ein gefestigtes rechtes Weltbild besitzen und entsprechend überzeugt sind von ihrem menschenverachtenden Gedankengut.

Warum verkaufen Sie dann Informationen?
Nicht selten werden die Gelder, die die V-Leute vom Verfassungsschutz bekommen, genutzt, um damit neonazistische Strukturen zu unterstützen. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) bestritt durch die Gelder des V-Mannes Tino Brandt seinen Lebensunterhalt. Der Staat finanzierte also indirekt die Banküberfalle und Morde des NSU mit, indem sie das Geld für Waffen und das Leben im Untergrund bereitstellte. Natürlich kommen auf persönlicher Ebene auch Motive wie die persönliche Bereicherung in Frage.

Was heißt dann: V-Leute werden abgezogen?
Wenn in den Medien davon die Rede ist, dass nun V-Leute aus der NPD-Führungsebene „abgezogen“ werden, hat man schnell das Bild vor Augen, dass dann ja wohl ganz viele NPD-Kader plötzlich nicht mehr zur Arbeit erscheinen und der rechtsextremen Szene nicht mehr zur Verfügung stehen. Das ist leider nicht der Fall. sie werden nicht „abgezogen“, sondern vielmehr „abgeschaltet“. Das heißt: Sie bekommen nun kein Geld vom Staat mehr – sind aber in der Regel genauso aktiv wie vorher.

Ist in der Szene bekannt, wer mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeitet?
Obwohl die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden innerhalb der rechtsextremen Szene tabuisiert ist und immer auch ein ?Kampf gegen das System? propagiert wird, arbeiten einige Neonazis mit dem eigenen ?Feind? zusammen. Diese Arbeit wird in der Regel nicht offen gelegt. An dem Beispiel des Tino Brandt zeigt sich aber auch, dass diese Arbeit oft zugunsten der Neonazis ausgeht. Denn sie können selber entscheiden, welche Auskünfte sie über die rechtsextreme Szene geben. Dabei besteht die Gefahr, dass nur Informationen weiter gegeben werden, die keine Relevanz für die Szene besitzen. Hinzu kommt, dass die V-Leute in der Lage sind absichtliche Falschinformationen an die Sicherheitsbehörden zu leiten.

?Abschalten? der V-Leute wirft Fragen auf
Über viele Einzelheiten lässt sich nur spekulieren, denn der Verfassungsschutz darf über den operativen Einsatz keine Auskünfte geben. Und so bleibt abzuwarten: Was passiert mit den V-Leuten in den Führungsetagen, die dann wieder „normale“ Positionen innerhalb der Partei einnehmen? Ändert sich die Politik der NPD, wenn die V-Leute nicht mehr aktiv sind, und wenn ja, wie? Bleiben Sie auch ohne Geld in Kontakt mit dem Verfassungsschutz? Ist eventuell auch damit zu rechnen, dass Neonazis ganz aus der Partei aussteigen? Auch innerhalb der NPD fangen jetzt die Mutmaßungen an. Denn Parteipolitiker*innen, die jetzt plötzlich wichtige Positionen aufgeben machen sich verdächtig. Erst kürzlich ruderte NPD-Bundespressesprecher Frank Franz auf seiner Facebook-Pinnwand zurück. Sein Rückzug aus dem Landesvorstand im Saarland Ende März, noch vor Bekanntwerden des miesen NPD-Wahlergebnisses im Saarland, schien zeitlich perfekt zu der Maßnahme der Innenministerkonferenz passen.

Aber: Es gibt weiter?Neonazi-Taschengeld? vom Staat
Dass es nun keine V-Leute mehr in den den Führungsetagen der NPD geben wird, ist gut. Allerdings gibt es immer noch genug nicht in der Partei organisierte Neonazis, die für ihr Wissen „Taschengeld“ vom Staat bekommen. Für zweifelhafte und zum Teil sogar in der Szene abgesprochene Informationen finanziert der Verfassungsschutz so nicht nur rechtsextreme Organisationen mit, sondern unterstützt darüber indirekt rassistische und rechtsextreme Morde. Dazu haben V-Leute durch Falschinformation die Möglichkeit, die Ermittlungen vom Verfassungsschutz zu beeinflussen.

Ist das noch zeitgemäß?
Bleibt das Argument für den Einsatz der V-Leute, dass die wichtigen Informationen nur aus der Szene selbst kommen können. Allerdings gibt es viele qualifizierte Journalist/innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und antifaschistische Gruppen, die durch ihre Arbeit ebenfalls einen tiefen Einblick in rechtsextreme Szene ermöglichen. Wenn dies die rechtsextreme Szene nicht tut. In vielen Sozialen Netzwerken hetzten sie ganz ungeniert und ohne ihre Daten zu schützen – dort kann jede/r den Nazis selbst nicht nur beim Diskutieren, sondern auch bei Organisieren zusehen, der die Technik versteht.

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