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Auf dem rechten Ohr taub

Rechtsextremisten sangen auf einer Demonstration in Berlin eine Hymne der Hitler-Jugend – aber die Polizei hörte es nicht. Das Ermittlungsverfahren gegen die Täter wurde deshalb eingestellt

 

Offensichtlich haben Beamte des Berliner Verfassungsschutzes bessere Ohren als Berliner Polizisten. Obwohl beide Behörden ihre Experten zu einer Neonazidemo nach Rudow schickten, entging der Polizei, dass am 1. Dezember vergangenen Jahres das Lied der Hitlerjugend ?Ein junges Volk steht auf? gesungen wurde, und zwar alle drei Strophen.

Die Polizei hat jedoch ein Ermittlungsverfahren wegen des ?Verdachts des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen? eingestellt. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) teilte dies in einer Antwort dem Abgeordneten Dirk Behrendt (Grüne) mit. Begründung: Die Polizisten haben das Lied ?aufgrund der extremen Geräuschkulisse? auf der Demo ?nicht wahrgenommen?.

Pikant ist vor allem, dass die Berliner Verfassungsschützer die Hymne sehr wohl registriert haben, wie dem aktuellen Verfassungsschutzbericht auf Seite 25 zu entnehmen ist: ?Zum Abschluss wurde mit ?Ein junges Volk steht auf?, ein Lied der Hitler-Jugend gesungen.? An dem Tag hatten 500 Neonazis in Rudow und Britz demonstriert; auf der Abschlusskundgebung hatte der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt eine Rede gehalten, danach war über Lautsprecher zum Singen des Liedes aufgefordert worden. 1000 Polizisten waren am 1. Dezember im Einsatz gewesen, um Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten zu verhindern, darunter waren auch viele szenekundige Zivilpolizisten. Verwunderlich sei auch, dass die Polizei den Verfassungsschutzbericht nicht lese, sagte Behrendt.

Der Rechtspolitiker der Grünen ärgert sich sehr über die Einstellung der Ermittlungen. Schließlich seien der Polizei die Beweise quasi auf dem Silbertablett serviert worden. Zeugen hatten während und direkt nach der Demo die Polizisten auf das Lied hingewiesen und sogar eine Aufnahme davon zur Verfügung gestellt. Zudem gibt es einen Videofilm im Internet, und auch die Neonazis brüsten sich im Internet auf einer ihrer Seiten damit, das verbotene Lied gesungen zu haben.

Videobänder und eine Musikdatei seien ausgewertet worden, teilte Innensenator Körting dem Abgeordneten weiter mit. Offen bleibt nach Angaben Behrendts jedoch, wieso die vorliegenden Beweismittel nicht reichten, und wieso der Anmelder der Demonstration ungeschoren davon kam. Für die Neonaziszene ist es ein Sieg, dass ihre Provokation nicht geahndet wurde. Behrendt hat der Generalstaatsanwaltschaft die vorliegenden Beweise übermittelt, um eine Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erreichen. ?Die Behörden machen sich sonst lächerlich?, sagte der Grünen-Politiker ? zumal die Polizei ?sonst ja auch nicht auf dem rechten Auge blind? ist.

Dieser Text erschien erstmals im Tagesspiegel vom 07.07.2008

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