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Braune Strukturen Fristlos gekündigt

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„Die Familie Nathz [sic!] unterstützt seit weit über zwanzig Jahren die nationale Bewegung in Norddeutschland und stellt immer wieder das Grundstück für die verschiedensten Veranstaltungen zur Verfügung“, hieß es auf der Webseite der Celler „Kameradschaft 73“ in einem Bericht über einen geselligen Arbeitsnachmittag auf dem Hof der Familie Nahtz in Eschede vom 29. Mai 2010. Erwähnt wird außerdem ohne Umschweife, dass hier regelmäßige Treffen stattfinden und dass am besagten Tag „etwa 2.500 Flugblätter an die escheder [sic!] Bevölkerung“ verteilt wurden. „Auf einem Hof dieser Größenordnung ist einiges [sic!] zu tun und so sollte es für alle beteiligten [sic!] das Mindeste sein, unsere Dankbarkeit für die Familie Nahtz, [sic!] in Form von aktiver Hilfe zu untermauern.“

„Neonazis finanzieren Arbeit gegen Rechtsextremismus“

Diese „aktive Hilfe“ ist nun nicht mehr nötig: Landwirt und NPD-Mitglied Jürgen Nahtz, der einst die elf Hektar von der evangelischen Kirchengemeinde Eschede gepachtet hatte, ist am 4. Oktober 2010 aus dem Pachtvertrag gestrichen worden, der ansonsten erst 2014 ausgelaufen wäre. Er hatte seine Pacht nicht mehr gezahlt. „Neonazis finanzieren Arbeit gegen Rechtsextremismus“, titelte nämlich NDR-info im Dezember 2009. Nahtz gefiel diese Nachricht wohl nicht – zumindest wäre das ein möglicher Grund für die Einstellung seiner Zahlungen. Die Kirchengemeinde konnte nun juristisch gegen den Neonazi vorgehen und den Pachtvertrag fristlos kündigen. Kein Pachtvertrag – kein Hof – keine Brauchtumsfeiern mit Hunderten Neonazis mehr.

Treffpunkt der norddeutschen Neonazi-Szene

Denn seit Jahren traf sich die norddeutsche Neonazi-Szene auf dem Hof, um Kontakte zu knüpfen, Netzwerke auszubauen, politische Strategien und Aktionen zu besprechen – gerne unter dem Deckmantel folkloristisch-kultureller Veranstaltungen und laut niedersächsischem Verfassungsschutz besonders gerne auf den zweimal jährlich stattfindenden „Sonnenwendfeiern“, an denen auch namhafte NPD-Mitglieder teilnahmen. Seit Jahren organisierte DGB-Regionalvorstand Hartwig Erb, der zuständig für sechs Regionen in Nord-Ost-Niedersachsen ist, Demonstrationen vor Ort. Allerdings wurden dem Engagierten immer wieder Steine in den Weg gelegt. So gab es beispielsweise eine Demonstrationsverordnung vom Dezember 2009, die Demonstrationen nur mehrere Kilometer vom eigentlichen Ort des Geschehens, dem Hof, entfernt genehmigte. Begründet wurde diese Auflage damit, dass sich laut polizeilicher Erkenntnisse „gewaltbereite Autonome“ angekündigt hätten. Wer hier gewaltbereit war, zeigten aber eher die polizeilichen Kontrollen am Hofeingang zu den „Sonnenwendfeiern“. Bei den Besucher*innen wurden Pfefferspray und Schlagstöcke sichergestellt. Weitere Veranstaltungen dieser Art folgten dennoch – zuletzt im August 2010 ein „Rechtsrock“-Konzert. Jedoch: Privatgelände heißt Privatveranstaltung. Weder die Kirchengemeinde noch die Engagierten vor Ort konnten juristisch dagegen vorgehen. Umso wichtiger war es ihnen, weiter vor Ort präsent zu sein.

Rufschädigung

Für Hartwig Erb war es nicht verwunderlich, dass die Demonstrierenden von den Ordnungsbehörden kriminalisiert wurden. Die allgemeine Stimmung in Eschede war ohnehin eine abwehrende. Mal wieder störte man sich eher an der Rufschädigung als daran, was auf dem abgelegenen wirklich Hof passierte. Erb setzt sich seit Jahren mit den Neonazi-Strukturen rund um die Lüneburger Heide auseinander und weiß vor allem um die Schwierigkeit in ländlichen Regionen wie Eschede, die Leute auf die rechte Problematik so aufmerksam zu machen, dass sich das Engagement aus Überzeugung von selbst ergibt. Denn das ist es, was er stets anstrebt: Die Menschen über die rechte Szene aufzuklären, ihnen beratend zur Seite zu stehen und sie zu unterstützen, wenn sie etwas dagegen unternehmen möchten. Dabei will er aber nicht bevormunden. Denn nur, wenn die Menschen aus eigener Überzeugung gegen Neonazis auf die Straße gehen, ist es ein wirklicher Erfolg. „Ich sehe mich eher im Hintergrund,“ sagt er. Im Fall Eschede soll es nicht immer so leicht gewesen sein. Neben engagierten Persönlichkeiten wie Landespastor Wilfried Mannecke aus Unterlüß und anderen Kirchenmitgliedern gab es ansonsten wohl wenig Interesse, sich gegen die rechte Szene zu organisieren. Da die Mitglieder der Kirchengemeinde gleichzeitig nach alter Familientradition für die Landwirtschaft vor Ort zuständig waren und darüberhinaus in den wichtigsten Ortsvereinen steckten, war es wichtig, vor allem die Kirche zu aktivieren. Und dann, im Dezember 2010, hatte sich die Zusammenarbeit endlich gelohnt. Gut, dass die Engagierten vor Ort nie aufgegeben haben.

Jacqueline Aslan

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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