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Die Geschichte einer angekündigten Hetzjagd

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Von Karl Kirschbaum, Prag

Die Stadt Litvinov, deutsch auch Oberleutensdorf, liegt am Fuße des böhmischen Teils des Erzgebirges. Der 18. November diesen Jahres war ein sonniger Samstag, ungewöhnlich warm, ein Tag für Spaziergänge und Familienausflüge. Doch nach Beschaulichkeit und Natur war an diesem Tag wohl niemandem. Und das lag weniger daran, dass landesweit die Bezirksparlamente gewählt werden sollten.

Die tschechische neonazistische „Arbeiterpartei“ (D?lnická strana) hatte übers Internet zu einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt aufgerufen. Anschließend ? so kündigte sie an – wolle sie den etwa drei Kilometer vom Stadtzentrum entfernten „Zigeuner“-Stadtteil Janov aufsuchen und dort „für Ruhe und Ordnung“ sorgen.

Um ein Verbot zu umgehen, hatte die Partei den Aufmarsch gar nicht erst angemeldet, wie sie verlauten ließ: bei einer ordnungsgemäßen Anmeldung würde die Demonstration ohnehin verboten werden. Rund 500 Polizisten sollten den Aufmarsch begleiten, darunter berittene Polizei und schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei. Wie sich später herausstellte, wurden schon am Morgen bei Kontrollen auf den Zufahrtswegen in den Autos der anreisenden Neonazis Messer, Gaspistolen und Schlagringe sichergestellt.

Obwohl die Kontrollen bereits darauf hinwiesen, dass von dem Aufmarsch beträchtliche Gefahr ausgehen werde, konnten sich am Vormittag etwa 150 Demonstranten auf dem Vorplatz des Litvinover Bahnhofs versammeln. Anwesenden Journalisten wurde mit Fußtritten zu verstehen gegeben, dass ihre Anwesenheit unerwünscht war. Ohne Personenkontrollen, jedoch von Polizisten umkesselt, zog der fast komplett in Schwarz gekleidete Mob stadteinwärts. An einer Kreuzung schloss sich eine weitere Gruppe von 50 Demonstranten an, die ebenfalls nicht auf Waffenbesitz hin untersucht worden war.

Applaus begleitet den Weg der Neonazis

Wie von den Neonazis geplant, gelangte der Zug in die Stadtmitte. Applaudierende Zuschauer säumten den Weg. Die von faschistischer Propaganda bestimmte Kundgebung auf dem historischen Marktplatz von Litvinov, an der auch etwa 200 Schaulustige teilnahmen, ging ohne Proteste vonstatten. Die Polizei griff auch nicht ein, als die Menge bei der Rede von Lucie ?légrová, einer Kandidatin der Arbeiterpartei bei den Bezirkswahlen, den unter tschechischen Neonazis gängigen Schlachtruf „Tschechien den Tschechen“ skandierte. Anschließend riefen die Redner die mittlerweile auf 250 Teilnehmer angewachsene Demonstration sowie die umstehenden Neugierigen öffentlich zum „Sturm“ auf die mehrheitlich von Roma bewohnte Siedlung Janov auf.

Als die Neonazis los marschierten, versuchte die Bereitschaftspolizei zunächst, sie von beiden Seiten einzukesseln. Doch die Rechtsextremen schlugen sich ihren Weg frei: Die ersten Pflastersteine flogen, Böller und Leuchtmunition landeten im Polizeikordon. Die Polizei antwortete mit Schlagstöcken und Rauchbomben, Schaulustige versuchten in panischer Flucht, den Platz zu verlassen.

Trotz des massiven Polizeieinsatzes entgingen nahezu alle Neonazis dem Zugriff der Polizei. Die war offenbar überfordert und verlegte ihre Einheiten hastig in die Umgebung der bedrohten Siedlung und sperrte die Zugangsstraßen zur Siedlung. Was folgte, war eine Hetzjagd durch die Straßen, habhaft werden konnte die Polizei den Rechtsextremen nicht.

Die paramilitärisch agierenden Neonazis versuchten indes mit Hilfe Ortsansässiger auf Schleichwegen in die Plattenbausiedlung zu gelangen. Sie näherten sich bis auf 100 Meter dem Ortseingang. Dort wurden sie bereits erwartet: Rund 150 Männer aus den Reihen der im Landkreis lebenden Roma standen bewaffnet bereit, um die Sicherheit der ansässigen Familien zu gewährleisten.

Den in der Siedlung ansässigen Frauen und Kindern hatte die Polizei noch am Morgen eine Ausgangssperre erteilt. In panischer Angst wurden sie stundenlang Zeugen eines chaotischen Einsatzes von Rauchbomben, Wasserwerfern und Schlagstöcken. Direkt unter den Fenstern ihrer Wohnungen lieferten sich etwa 200 Neonazis mit anfangs zahlenmäßig deutlich unterlegenen Polizeikräften ein wüstes Gefecht.

Erst am späten Nachmittag gelang es der Polizei, die aus Müllcontainern errichteten Barrikaden der Randalierer zu überwinden, den mordlustigen Mob aus der Siedlung zu vertreiben und ihn zurück zum Bahnhof von Litvínov zu treiben. Auch dort verzichtete die Polizei auf Personenkontrollen, die Gewalttäter verließen die Stadt unbehelligt. Auch deutsche Neonazis brüsteten sich später im Internet, vor Ort gewesen zu sein: „Anders als in der BRD wurden die anreisenden Nationalsozialisten herzlichst von der Bevölkerung begrüßt,“ heißt es zufrieden auf den Neonazi-Seiten von Widerstand.info. Da die tschechische Polizei auf Personenkontrollen verzichtete, konnten auch sie unerkannt entkommen.

Nach Polizeiangaben wurden nur gegen zwei Männer Strafverfahren eröffnet, eines wegen Landfriedensbruch, ein weiteres, weil ein Polizisten schon zu Beginn der Krawalle ? wie Zeugen bestätigen – von einem Pflasterstein verletzt wurde. Die Ermittlungen dauern an.

Polizeieinsatz in der Kritik

Der massive Einsatz der Polizeikräfte in der Siedlung veranlasste die Bürgerwehr der Roma zwar am Samstag noch zum Applaus, im Nachhinein ist den Bewohnern der Siedlung jedoch klar, dass bei einem unangekündigten Überfall der Neonazis jeder Polizeieinsatz zu spät kommen würde. Bürgerrechtsorganisationen und Roma-Verbände kritisierten den Polizeieinsatz scharf und forderten persönliche Konsequenzen der Polizeiführung. Das tschechische Helsinki-Komitee erklärte: „Wir sind der Ansicht, dass die Führungsorgane der nordböhmischen Polizei die Aktion grob unterschätzten und personelle Konsequenzen auf der Ebene der Polizeileitung unerlässlich sind.“

Die Roma Aliance, eine Koalition von Romaorganisationen, hat mittellose Roma aufgefordert, Bürgerwehren zu organisieren, und finanzkräftigen Roma die Emigration in westliche Länder nahe gelegt. „Die Heuchelei der Regierung bedroht die Demokratie in der Tschechischen Republik“, erklärte die Allianz gegenüber der Presse. Der Bürgermeister Litvínovs (ODS) Milan ??ovi?ek, die Bezirksleitung der Polizei und selbst der tschechische Innenminister Ivan Langer (ODS) lehnen die Vorwürfe entschieden ab und heben den mutigen Einsatz der Beamten hervor.

Auf Regierungsebene erregt das Geschehen in der nordböhmischen Kleinstadt bislang wenig Aufmerksamkeit. Zwar hat der tschechische Innenminister Ivan Langer (ODS) am 5. November das Regierungskabinett dazu aufgerufen, beim tschechischen Verfassungsgericht das Verbot der Arbeiterpartei zu beantragen. Der zu erwartende Rechtsstreit wird sich aber über Monate in die Länge ziehen und der Partei in der Bevölkerung eher weitere Sympathien bescheren, schätzen Experten. Die rechtsextremistische Partei ist aus den Bezirkswahlen mit etwa 1,5 Prozent gestärkt hervorgegangen, ausgerechnet an dem Tag, der in die Geschichte der neonazistischen Bewegung wohl als „Tag der Erstürmung von Janov“ eingehen wird.

Nächste Aktion bereits angekündigt

Die Neonazis indes verbuchen den versuchten Überfall als Erfolg. Von den tschechischen Bewohnern wurden sie mit Getränken, Verbandsmaterial und Anfeuerungsrufen unterstützt. Auch wegen der mangelhaften Strafverfolgung in ihren Reihen sind sie für den nächsten Angriff auf die Siedlung in Janov bestens gerüstet. Den haben sie bereits für den 17. November angekündigt und die Aktion unter das Motto „Schluss mit den Samthandschuhen“ gestellt. Bohdan Gryga?ík, Mitglied der Arbeiterpartei, hat die Bürger der Stadt übers Internet aufgerufen, ihre Autos zur eigenen Sicherheit an diesem Tag außerhalb der Stadt zu parken. Der Fernsehsender Nova rechnet mit einer Beteiligung von etwa 1000 Rechtsextremen.

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