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„Einstieg rechts – Ausstieg…?“ Fragen stellen statt Antworten (vor)geben

Rechtsextreme Gewalt, Rassismus und Antisemitismus sind in der deutschen Gesellschaft längst keine Randphänomene mehr. Persönliche Enttäuschungen, soziale Frustration und mangelnde Anerkennung können dazu führen, sich im Strudel rechter Gewalt zu verlieren, um so Beachtung und Orientierung zu finden. Das Buch „Einstieg rechts – Ausstieg…?“ will das Thema „rechte Gewalt“ greifbar machen – aus der Täter- und Opferperspektive.

 
Cover des Buches "Einstieg rechts - Ausstieg ...?" (Quelle: Loeper Literaturverlag)

„Manchmal haben wir auch flashmobs durchgeführt. Da kamen immer ganz schön viele zusammen und dann ist Blut geflossen“, erzählt Steffen, der zunächst beschreibt, wie er in die rechte Szene geraten ist und dann versuchte, wieder auszusteigen.

Ein flashmob bezeichnet das plötzliche Auftauchen von einer großen Menschenmenge zu einem bestimmten Zweck. Und dieser Zweck bestand in Steffens Fall vordergründig darin, Menschen Gewalt zuzufügen. Menschen, die nicht in das Weltbild dieser Jugendlichen passen. Bei Steffen meldet sich allerdings das Gewissen, er will aussteigen. Das begreifen seine „Kameraden“ als Verrat und lauern ihm auf. Er wird so schwer verletzt, dass er lange auf der Intensivstation verbringen muss, mit schwersten Verbrennungen. „Heute kann ich das alles nicht mehr verstehen. Wenn ich heute wieder diese Bilder vor Augen sehe, dann frage ich mich, ob ich das tatsächlich war.“

Die Geschichte von Steffen ist nur eine von vielen, die sich in dem von Bernadette Boos und Reiner Engelmann herausgegebenen  Band „Einstieg rechts – Ausstieg…?“ mit rechter Gewalt auseinandersetzen und dabei verschiedene Blickwinkel einnehmen.

Dabei geht es den Autoreninnen und Autoren vor allem um die Förderung von Empathie – für Täter und Opfer. Empathie wird vom Leser auch in der Geschichte des jungen Tariq gefordert, der in Afghanistan seine Eltern durch einen Bombenanschlag verlor und nach Deutschland kam. Immer wieder steigen Bilder des Krieges in ihm auf, dazu wird er in der Schule zur Zielscheibe rassistischer Mitschüler, die keine Angst vor Konsequenzen ihrer Gewalttaten haben und auf die Trägheit und Bequemlichkeit der Gesellschaft setzen: „Was glaubst du, was die Mehrheit will? Irgendwelche blöden Filmchen bei YouTube glotzen, Autos kaufen und Autos fahren. Die sind doch doof. Die schwimmen alle mit dem Strom. Die haben keinen Mumm, was gegen uns zu unternehmen“, sagt Jonas, Tariqs Mitschüler. Mit seinen Freunden lauert er Tariq auf, um Gewalt zu provozieren. Sie nennen Tariq nur höhnisch „Mustafa“.

Von Ursprüngen und Konsequenzen rechter Gewalt wollen die Autorinnen und Autoren hier erzählen und verzichten dabei auf Präsentationen einfacher Lösungsvorschläge, Floskeln und so genannter „happy endings“. Die Urteils- und Vorstellungskraft der Leserinnen und Leser wird in diesem Band ernst genommen, da keine Antworten auf die Probleme rechtsextremer und rassistisch motivierter Gewalt vorgegeben werden – vielmehr werden sie angeregt, selbst Fragen zu stellen und sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.  

Hat man die Geschichten in diesem Buch durchgelesen, so entsteht am Ende das Bild eines gesamtgesellschaftlichen Mosaiks. So werden Geschichten von Jugendlichen erzählt, die auf der Suche nach Anerkennung und Geborgenheit in die rechte Szene geraten, weil sie dort die Anerkennung bekommen, die ihnen die Gesellschaft versagt hat. Es werden Geschichten von Menschen erzählt, deren Leben von Gewalt geprägt worden ist und immer Teil ihres Lebens sein wird. Es wird von einer Gesellschaft erzählt, die versucht dieses Thema abzuwehren wie eine lästige Fliege.

Bemerkenswert ist, dass nicht nur über physische Gewaltanwendung und offen ausgesprochenem Rassismus berichtet wird. Auch der immer häufiger thematisierte latente, nicht offen ausgesprochene Rassismus und Antisemitismus findet hier seine Ansprache.

Der Band ist vorwiegend für ein junges Publikum aus der Sicht von jungen Protagonistinnen und Protagonisten geschrieben. Durch den schnörkellosen Sprachstil sind die Geschichten leicht zugänglich. Neben den alltäglichen Erzählungen in diesem Buch gibt es eine historische Vertiefung, die noch einmal Ursprünge und Konsequenzen nationalsozialistischen Terrors beleuchtet und Zusammenhänge zur kontemporären rechtsextremen Gewalt zieht.

Die Prosa wird dabei von zeitgenössischen Gedichten begleitet, die versuchen, die verschiedenen Ebenen des Themas auf lyrische Art und Weise zu verarbeiten und zu kommentieren. Das wirkt auf eine gewisse Art zu prätentiös. Die hier vorgestellten Erzählungen erzielen auch ohne die lyrische Ebene eine bemerkenswerte Intensität.

Bernadette Boos, Reiner Engelmann (Hrsg.)

Einstieg rechts – Ausstieg …?: Texte zur Auseinandersetzung mit rechter Gewalt

Loeper Literaturverlag

144 Seiten

ISBN 978-3-86059-372-1

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