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Feminism Unlimited Feministisch kämpfen, aber ohne Antisemitismus

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FEMINISM UNLIMITED Demonstration zum 8. März 2024 in Berlin. (Quelle: Steffi Reichert)

 

Lea Zey: Willkommen Theresa und Noki! Was ist das Bündnis „Feminism Unlimited“?Theresa: Wir haben uns nach dem 7. Oktober 2023 gegründet. Es war nicht so richtig ein Gründungsprozess, sondern ein Zusammenfinden von Menschen, die entsetzt und enttäuscht darüber waren, wie die sexualisierte Gewalt vom 7.Oktober in Israel in vielen feministischen Kreisen geleugnet oder verharmlost wurde. Wir wollten für den 8. März einen politischen Ort für linke Feminist*innen schaffen, an dem es keinen Antisemitismus gibt.
Noki: Der 8. März war schon vor dem 7. Oktober häufig vereinnahmt durch den Nahost-Konflikt. Dagegen wollten wir etwas tun.

Ihr habt in wenigen Wochen tausende Menschen für Feminism Unlimited mobilisiert – für einen unbegrenzten Feminismus, einen Feminismus für alle. Was bedeutet das in dem Kontext?
Noki: Wir stellen uns ganz klar gegen einen selektiven Feminismus, obwohl das ohnehin ein Paradoxon ist, weil es kein Feminismus ist, wenn er selektiert. Was wir zum Ausdruck bringen wollten, ist, dass feministische Grundprinzipien für alle gelten sollten.
Theresa: Klar, der Name „Feminism Unlimited“ kann uns auch immer vorgehalten werden, wenn wir bestimmte Themen nicht beleuchten. Es gibt aber einen deutlichen Unterschied zwischen dem Mangel an Räumen und Zeit und – das ist etwas, was wir kritisieren – dass Betroffene bewusst ausgeblendet werden. Nach dem 7. Oktober mussten einige offenbar erstmal den Nahostkonflikt verhandeln, bevor sie wussten, ob sie jüdischen Betroffenen überhaupt glauben.

Ich denke da auch an „Me Too, Unless You’re A Jew“. Ich finde beeindruckend, dass ihr das so früh schon klar erkannt habt. Ein Jahr später gibt es wesentlich mehr Analysen und der Antisemitismus in linken Diskursen ist mehr als sichtbar geworden.
Noki: Es hat mich schockiert, dass in feministischen Kontexten hier vor Ort die Glaubensfrage wieder gestellt wurde, in dem die sexualisierte Gewalt durch die Hamas angezweifelt wurde. Das ist ein feministischer Konsens, der jahrzehntelang erkämpft werden musste: Dass Opfern sexualisierter Gewalt geglaubt wird. Dass das nun explizit in feministischen Kontexten gebrochen wurde, war ein Tiefpunkt für eine feministische Linke.
Theresa: Viele von uns im Bündnis haben sich schon vorher mit Antisemitismus in feministischen Kontexten beschäftigt. Für manche war das aber auch etwas Neues. Nach dem 7. Oktober haben wir Genoss*innen verloren, weil man nicht mehr darüber sprechen konnte, wenn Aussagen oder Social-Media-Posts einfach nicht in Ordnung waren. Die Organisierung war auch ein Weg aus der Vereinzelung heraus. Das zu übersetzen in eine politische Organisation – und, dass so viele Leute zusammengekommen sind – war unheimlich ermutigend.
Noki: Wir wollen aber nicht nur nach Israel und Palästina gucken, sondern mit einem „universellen Feminismus“ alle ansprechen, die vergessen oder übersehen werden oder Entsolidarisierung erfahren.

Wie verlief das vergangene Jahr so und was waren die größten Herausforderungen? Was sind eure wichtigsten Erinnerungen, wenn ihr zurückblickt?
Theresa: Ich erinnere mich noch gut an die ersten Vernetzungstreffen, das Zusammengewürfelt-Sein, viele verschiedene Ideen und wie nach und nach dann dieses Bündnis entstand. Die Knappheit kurz vor dem 8. März hat dazu geführt, dass wir wenig Organisierungsstrukturen aufbauen konnten – alles so ein bisschen Knall auf Fall. Wir wollten diese Demo unbedingt möglich machen. Als die Demo stattfand, waren wir erstmal zufrieden und stolz. Gleichzeitig sind Sachen schiefgelaufen. Wir hatten zum Beispiel nur einen Lauti für den riesigen Demozug. Ein Zeichen dafür, dass wir wirklich nicht damit gerechnet haben, dass so viele Leute kommen. Wir haben uns mittlerweile in einen Bündnisprozess begeben, um aufzuarbeiten, welche Leute sich übernommen haben und Leerstellen zu erkennen. Zum ersten Jahrestag des 7. Oktobers haben wir eine Gedenkkundgebung auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg organisiert. Uns war es wichtig, am 7. Oktober zusammen zu kommen und zu trauern.

Ich finde es schön zu hören, dass ihr in einem Prozess seid, der fehlerfreundlich ist. Politgruppen werden kurzlebiger und Menschen kommen schnell an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Eine Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wie können wir nachhaltigen Aktivismus betreiben? Gibt es noch andere Tipps, die ihr Projekten mitgeben möchtet, die sich neu formieren?
Noki: Auf jeden Fall nicht so sehr in die Überforderung gehen! Dadurch, dass es so eine Herzensangelegenheit war, sind viele Leute in der Vorbereitungsphase über ihre Grenzen gegangen. Wir hatten sehr hohe Ansprüche an uns und ich würde dafür plädieren, da den Druck rauszunehmen.
Theresa: Wir haben auch versucht, unsere Demo relativ barrierearm zu gestalten. Da ist uns aufgefallen, dass manche Sachen in der Kürze der Zeit nicht zu ermöglichen waren. Wir hatten zum Beispiel am Ende keine Gebärdensprachdolmetschung direkt vor Ort. Mein Tipp: Früh genug anfangen! Eine Plenums- und Organisierungsstruktur ist wichtiger, als man am Anfang denkt. Wir arbeiten mittlerweile viel in AGs. Ob das wirklich the way to go ist, werden wir in Zukunft sehen.

Ihr habt ein intensives Jahr hinter euch und auch heute reihen sich die Krisennachrichten aneinander – wie geht es euch gerade?
Theresa: Ich habe das Gefühl, dass wir zum kommenden 8. März 2025 genau das Gleiche nochmal machen müssen oder sogar noch eindringlicher sein müssen, weil sich nichts geändert hat oder wenn, dann ist es noch schlimmer geworden. Als Bündnis geht es uns gerade gut, weil wir jetzt eine Struktur aufgebaut haben, die hoffentlich stabil ist, um weiterzumachen.
Noki: Nach dem 8. März 2024 waren wir überwältigt von der Resonanz und das hat Hoffnung gegeben. Nach dem 25.11. – dem internationalen Tag gegen patriarchale Gewalt – und wie dieser erneut instrumentalisiert wurde, merke ich bei mir jedoch einen starken Pessimismus und auch Angst.

Was war da los?
Theresa: Für mich hat der Tag gegen patriarchale Gewalt in den letzten Jahren sehr viel mehr Bedeutung bekommen. Es gibt eine Organisierung in Berlin, die seit einigen Jahren am 25.11. Demonstrationen veranstaltet, die ich in der Vergangenheit auch einmal besucht habe, und die seit dem 7. Oktober sämtliche feministische Ansprüche über Bord geworfen hat. Gender-spezifische Gewalt war im diesjährigen Aufruf nur noch ein Randthema. Inhaltlich war das eher ein antisemitischer Gewaltaufruf. Es hat einen unheimlichen Anstieg an gender-spezifischer Gewalt, auch an Femiziden, gegeben und das ist hinten runter gefallen. Das macht mich wütend.
Noki: Ich habe Aufnahmen von dieser Demo gesehen. Dort wurde auf der Bühne die Gewalt der Hamas vom 7.10. als Widerstand glorifiziert. An einem Tag gegen patriarchale Gewalt ebendiese zu glorifizieren muss man erstmal schaffen. Es kursierten „I love Hamas“ Sticker, die wurden auch auf dem Insta Account der Veranstalter*innen geteilt und dann wieder gelöscht. Da frage ich mich, wo der Aufschrei bleibt.
Theresa: Deswegen war die parallel stattfindende „Lasst uns (gewaltfrei) leben“ – Demo auch so wichtig: Hier wurde herausgearbeitet, dass sich natürlich das ganze System ändern muss, aber ganz akut benötigt das Hilfesystem finanzielle Mittel, um Frauen und Queers zu schützen und die werden gerade in Berlin massiv weggekürzt.

Das klingt wie ein schlimmer Albtraum und ist gerade Realität. Ich hoffe, dass ihr eure Wut in eine nächste 8. März – Demo transformiert. Was steht die nächsten Monate so an?
Theresa: Wir wollen am 8. März 2025 wieder eine Demo veranstalten. Wir möchten den Blick ein bisschen verändern und versuchen, globalere Perspektiven einzunehmen. Letztes Jahr lag der Fokus auf den Folgen des 7. Oktobers und das war auch vollkommen richtig. Gleichzeitig nehmen wir weltweit Autoritarisierungs- und Faschisierungsprozesse wahr und wollen das in den Mittelpunkt stellen. Die Leerstellen, die wir beim letzten Mal hatten, wollen wir ebenfalls angehen. Es soll wieder ein Tag werden, an dem wir solidarisch aus der Vereinzelung heraus treten.
Noki: Wir würden uns außerdem extrem freuen, wenn Feminism Unlimited 2025 nicht nur in Berlin stattfindet, sondern auch in anderen Städten.
Theresa: Wir haben letztes Jahr schon Anfragen dazu bekommen. Da waren wir aber selber noch so im Prozess, dass wir da auf die Schnelle keine Haltung zu entwickeln konnten. Jetzt wissen wir: Wir würden es richtig cool finden, wenn auch in anderen Städten eine Feminism Unlimited Demo laufen würde, die vielleicht auch inhaltlich eigene Schwerpunkte setzt, und trotzdem mit uns politisch auf einer Wellenlänge schwimmt.

Was wären für euch die bestmöglichen Entwicklungen für eure politische Praxis?
Noki: Meine erste Assoziation ist gerade, dass ich es total schön fände, wenn wir auch innerhalb feministischer Kontexte näher zusammentreten.
Theresa: Die Utopie, die wir eigentlich alle teilen, ist ja so, dass das Patriarchat nicht mehr existiert und, dass wir in einer befreiten Gesellschaft leben, in der alle ohne Angst verschieden sein können. Das sind natürlich die hohen Ziele, die sich nicht bis zum 8. März erfüllen. In der kleinen aktivistischen Blase wäre es wichtig, wenn unser Hineinwirken in linke feministische Kreise fruchten würde, und wenn wir es schaffen könnten, Leute zum Umdenken zu bringen, gerade in Bezug auf feministische Grundsätze, die über den Haufen geworfen wurden oder, dass Leute sich nicht gegen alle -ismen engagieren und dann Antisemitismus hinten runterfallen lassen. Kurz: Dass man sich auf einen universellen Feminismus einigen kann.
Noki: Ich würde mir wünschen, dass wir alle im Gespräch bleiben und es schaffen, Gleichzeitigkeiten auszuhalten und uns – solange keine roten Linien überschritten werden – weiter solidarisch streiten!

 

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