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Keine zufälligen Opfer Rechte Gewalt gegen Suchtkranke

Seit April findet am Oberlandesgericht Jena der zweite Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer von Knockout 51 aus Eisenach statt. Die Rechtsextremen erlangten vor allem Bekanntheit, weil sie tödliche Angriffe auf politische Gegner*innen geplant haben sollen. Eine weitere Gruppe, die zum Opfer der Gewalt der Rechtsextremen wurde, bekommt hingegen weitaus weniger Aufmerksamkeit: Menschen mit einer Sucht- und Drogenerkrankung.

 
Im April begann der aktuelle Prozess wegen Mitgliedschaft und Unterstützung der Neonazi-Kampfsportgruppe „Knockout 51“ vor dem Oberlandesgericht Thüringen in Jena. (Quelle: Neonazi-Kampfsportgruppe „Knockout 51“ beginnt vor dem Oberlandesgericht Thüringen in Jena. )

In den Telefonaten, Gesprächen und Chats, die vor Gericht als Beweise vorgebracht werden, tauchen immer wieder Abwertungen und Gewalt gegen Menschen auf, die Drogen konsumieren oder an einer Abhängigkeit erkrankt sind. In der Anklageschrift der Generalbundesanwaltschaft hervorgehoben wird der Angriff auf eine Silvesterparty 2021/22 in Eisenach. Dort sollen mehrere Knockout 51-Mitglieder aufgetaucht sein und Gäste verprügelt haben, weil diese Drogen konsumiert hätten. Zuvor hatte sich eine Sympathisantin über auf der Party anwesende Drogenkonsument*innen beschwert.

Das Thema zieht sich durch die gesamte Beweisaufnahme. Es fallen Sätze wie „Junkies klatschen geht immer“ oder „Venum tragen – Junkies jagen“. Venum ist eine bei Knockout 51-Mitgliedern beliebte Kampfsportmarke. Einmal erzählte ein Mitglied von einem körperlichen Angriff durch ihn und weitere Gruppenmitglieder auf eine Person. Er beschreibt, dass er bei Suchtkranken einen besonderen Drang nach Gewalt entwickeln würde und deswegen besonders fest und viel zugeschlagen und -getreten hätte.

Die lange Geschichte rechter Gewalt gegen Suchtkranke

Menschen mit einer Drogenabhängigkeit tauchen hier nicht als zufällige Opfer auf, sondern werden als Feindbild markiert und angegriffen. In der rechtsextremen Gesellschaftsordnung haben neben BPoC, Jüdinnen*Juden, queeren Menschen und Linken auch Suchtkranke keinen Platz. Für die dahinterstehende Ungleichwertigkeitsideologie wird meist der Begriff des Sozialdarwinismus verwendet. Der Begriff beschreibt, dass Menschen zum Beispiel aufgrund einer Drogenabhängigkeit, Arbeits- oder Wohnungslosigkeit als „unwertes Leben“ angesehen werden.

Bereits im Nationalsozialismus wurden alkoholabhängige, psychisch kranke und arme Menschen als „Asoziale“ gebrandmarkt und in Konzentrationslager gesperrt. Alkoholabhängigkeit galt als „Erbkrankheit“, deren Träger „ausgerottet“ werden müssten, damit sie dem deutschen Volk nicht mehr schaden könnten. Nach 1945 wurde diese Gruppe weiter stigmatisiert und marginalisiert. Erst 2020 wurden als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ Verfolgte vom Bundestag als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt (die AfD enthielt sich der Abstimmung). Belltower.News berichtete über die Errichtung des ersten offiziellen Gedenkorts 2023.

Auch im Hinblick auf die jüngere Geschichte rechter Gewalt erfahren sozialdarwinistisch motivierte Taten nur wenig Aufmerksamkeit, obwohl die Betroffenen eine der größten Gruppen unter den Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 ausmachen. Einer von ihnen war Dieter Manzke. Er wurde 2001 in Dahlewitz (Brandenburg) von fünf jungen Männern über Stunden so schwer misshandelt, dass er an seinen Verletzungen starb. Im späteren Gerichtsverfahren gaben die Täter selbst an, dass sie „Suffis“ zusammenschlagen und damit „Ordnung schaffen“ wollten. Auch die „Gruppe Ludwig“, die von 1977 bis 1984 mindestens 15 Menschen in Italien und Deutschland ermordete, machte unter anderem Suchtkranke zum Ziel ihrer Gewalt. Damit wollten sie ihre extrem rechten Vorstellungen von einer „reinen“ Volksgemeinschaft und sozialen Ordnung praktisch umsetzen.

Ziel: Als Ordnungsmacht den „Nazi-Kiez“ errichten

„Ordnung“ soll auch das Ziel von Knockout 51 gewesen sein. In Eisenach wollten sie einen „Nazi-Kiez“ errichten und mit sogenannten „Kiez-Streifen“, ähnlich einer Bürgerwehr, ihre Macht ausüben. Unliebsame Personen, so beschreibt es die Anklage, seien von ihnen mit Gewalt diszipliniert worden, um sie aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen.

Bei Durchsuchungen wurden bei mehreren der Angeklagten Plakate mit der Aufschrift „Nazi-Kiez – Wir dulden keine Zecken, Demokraten und Drogendealer“ gefunden. Außerdem ein Poster mit der Aufschrift: „Hunt your local dealer – Duterte youth“. Rodrigo Duterte war von 2016 bis 2022 als Präsident der Philippinen verantwortlich für einen grausamen „Krieg gegen die Drogen“, der Tausende Menschen das Leben kostete. 2016 verglich er sich mit Hitler: So wie dieser mehrere Millionen Jüdinnen*Juden umgebracht hätte, so wolle er Millionen Menschen mit Drogenabhängigkeit töten. T-Shirts mit dieser Aufschrift verteilte auch Maximilian Reich, Funktionär der Jungen Nationalisten, Betreiber des rechtsextremen Revoltopia-Versands und Mitbegründer der bundesweiten Neonazi-Struktur „Antikapitalistisches Kollektiv“, in dem auch Knockout 51-Mitglieder früher organisiert waren.

Diese Verehrung von Dutertes Politik macht deutlich, dass von den Rechtsextremen keineswegs eine Grenze zwischen Menschen, die mit Drogen dealen und solchen, die sie konsumieren, gezogen wurde; sie verschwimmen zu einem gemeinsamen Feindbild. Abgesehen davon, dass gewalttätige Angriffe auf Drogendealer*innen genauso wenig zu rechtfertigen sind.

Körper und Geist stählen

Die Abwertung von Drogenkonsument*innen zeigt sich bei Knockout 51 nicht nur in einem äußeren Feindbild, sondern auch in Bezug auf die Gruppe selbst. So erklärte der mutmaßliche Anführer der Gruppe, Leon R., in einem Chat mit einem australischen Rechtsextremisten, dass zu seinen Erwartungen an Knockout 51-Mitglieder nicht nur gehören würde, dass sie Kampfsport betrieben. Außerdem sollten sie keine Drogen nehmen oder Kontakte zu Schwarzen Menschen pflegen. Dies würde aus seiner Sicht bedeuten, „die Idee des NS“ auszuleben.

Insbesondere in der rechtsextremen Kampfsportszene ist die Ablehnung von Drogen-, Alkohol- und Tabakkonsum, die auch als Straight Edge bezeichnet wird, keineswegs neu. Hierbei geht es nicht allein darum, sich selbstständig für ein gesundes Leben zu entscheiden, sondern, den (männlichen) Körper im Sinne der Volksgesundheit zu stählen. Das Persönliche, Sportliche und Politische sind dabei eng miteinander verschränkt und bedingen sich gegenseitig.

Entlarvend war in dieser Hinsicht auch die Aussage von Kevin N. am 21. Juli im laufenden Gerichtsprozess. Dort sagte er, dass Knockout 51 einen „elitären“ Anspruch gehabt hätte. Eisenach sei eine „ostdeutsche Kleinstadt mit Drogenproblem“, viele Menschen dort würden „Junkies und Versager“ werden. Knockout 51 hätte dem ein anderes Angebot entgegensetzen wollen. Später an diesem Tag sagte er, dass er früher auf Betäubungsmittelabhängige „herabgeblickt“ hätte, heute „libertärer“ geworden sei. Er vertrete jedoch die Ansicht, „dass man sich geistig und körperlich gesund halten sollte“. Nach den gewaltvollen Aussagen über suchterkrankte Menschen, die auch von Kevin N. getätigt wurden, wurde der Angeklagte vor Gericht nicht explizit gefragt.

Es sollte angemerkt werden, dass nicht alle Knockout 51-Mitglieder einen Straight-Edge-Lifestyle ohne Drogenkonsum haben. Von der Verteidigung wird gern argumentiert, dass der (frühere) Alkohol- und Drogenkonsum im Umfeld zeigen würde, dass die Gruppe gar keinen Hass auf Menschen mit Drogenabhängigkeit haben könne. Doch solche Widersprüche machen die Gewalt nicht weniger real und bedrohlich. Die Geschichte sozialdarwinistischer rechter Gewalt zeigt, dass gerade die Unfähigkeit, das eigene ideologische Ideal zu erreichen, zu einem erhöhten Bedürfnis nach Abgrenzung führen kann, indem man gewaltvoll nach „unten“ tritt.

Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem

Auf die Gefahren für Suchtkranke durch Stigmatisierung und Abwertung weist unter anderem die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hin. In einer „Resolution gegen Ausgrenzung und für gesellschaftlichen Zusammenhalt“ von 2024 nimmt sie Bezug auf die Verfolgung Suchtkranker in der NS-Zeit und setzt sich mit Blick auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen dafür ein, „dass suchtgefährdete und suchtkranke Menschen nie wieder Ächtung und Verfolgung erleiden müssen und ein Leben in der Mitte der Gesellschaft führen können.“

Im Gespräch mit Belltower.News ergänzt Christina Rummel, Geschäftsführerin der DHS: „Wenn es Forderungen gibt, Sozialleistungen einzustellen und sich rechtsextreme Kräfte als ‚Retter’ darstellen, betrifft das immer die Schwächsten einer Gesellschaft. Durch unsere Mitglieder und die Erfahrungen ihrer Einrichtungen nehmen wir verstärkt wahr, dass es beispielsweise zu Verunglimpfungen, Beleidigungen und Gewalt in der Sprache kommt.“

Diese Abwertung geht keineswegs nur von der extremen Rechten aus. Suchtkranke Menschen werden generell als gesellschaftliche „Randgruppen“ betrachtet und sind starker Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt. Der Paritätische weist zudem darauf hin, dass in Deutschland eine repressive Drogenpolitik vorherrsche, obwohl diese nicht geeignet sei, „den Konsum zu reduzieren“ und Suchtkranke eher in die Illegalität treibe.

Maßnahmen zur Entstigmatisierung: Was Jede*r tun kann

Die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) fordert stattdessen politische Maßnahmen zur Entstigmatisierung von Suchterkrankungen, bei denen Expert*innen und Betroffene einbezogen werden. Und Christina Rummel erklärt, was jede*r Einzelne tun kann, um der Stigmatisierung entgegenzuwirken: „Offen über Suchterkrankungen zu sprechen, ist auf jeden Fall hilfreich, im Großen wie im Kleinen. Mit sachlich fundierten Informationen über Abhängigkeitserkrankungen kann man Stereotypen, Vorurteilen und Mythen entgegentreten.“

So veröffentlichte die DHS zum Beispiel Empfehlungen für stigmafreie Bezeichnungen, an denen sich unter anderem Fachkräfte, Journalist*innen und Wissenschaftler*innen orientieren können. Weiteres Informationsmaterial und ein Suchthilfeverzeichnis sind auf der Website der DHS kostenlos verfügbar.

Neben dem Einsatz für die Entstigmatisierung Suchtkranker braucht es eine größere Aufmerksamkeit für die Ungleichwertigkeitsideologie des Sozialdarwinismus, die damit verbundene Gewalt und ihre Betroffenen. Der Prozess um Knockout 51 macht deutlich, dass Menschen mit Drogenerkrankungen von Rechtsextremen als Feindbild markiert und gezielt als Opfer ausgewählt werden. Dies nicht zu erkennen, trägt weiter zur Marginalisierung dieser Betroffenengruppe bei.

***

Eine ausführliche Prozessdokumentation der einzelnen Verhandlungstage im Knockout 51-Verfahren ist auf prozessdoku-thueringen.de nachzulesen.

Betroffene rechter Gewalt können sich in jedem Bundesland an die spezialisierten Betroffenenberatungsstellen wenden. In Thüringen ist das ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

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