Weiter zum Inhalt

Lichter aus beim Heimathof In Eschede dürfen Nazis künftig nicht mehr feiern

Nach Jahrzehnten rechtsextremer Treffen ist Schluss: Der „Heimathof“ in Eschede darf nicht länger als Neonazi-Treffpunkt genutzt werden. Ein Sieg der Zivilgesellschaft – und ein Beweis dafür, dass Engagement gegen Rechtsextremismus wirkt, gerade in ländlichen Räumen.

 
Kreuze ohne Haken – Zeichen setzen für Demokratie und Vielfalt (Quelle: picture alliance/dpa | Philipp Schulze)

Brennende Holzrunen, darum versammelte Kinder und Jugendliche bei Ritualen im Stil der Hitlerjugend, Rechtsrockkonzerte und Treffen mit Rechtsextremen aus ganz Europa: Der „Heimathof“ in Eschede war über Jahrzehnte ein bundesweit bekannter Treffpunkt der Neonaziszene. Seit Juni gilt ein Veranstaltungsverbot, für das zivilgesellschaftliche Initiativen schon seit Jahren kämpfen. Ein wichtiger Erfolg im Kampf gegen Rechtsextremismus – zu einer Zeit, in der zivilgesellschaftliches Engagement zunehmend unter Beschuss steht.

Nazi-Treffpunkt in der Lüneburger Heide

Der „Heimathof“ in Eschede war über dreißig Jahre lang ein entscheidender Dreh- und Angelpunkt der rechtsextremen Szene, seit 2019 betrieben von der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD). Der Hof fungierte als Schulungszentrum mit dem Ziel, menschenfeindliche Ideologie zu verbreiten und junge Menschen zu indoktrinieren. Erst vor wenigen Monaten zeigten Undercover-Recherchen von stern und RTL, wie vor Ort bei einem Treffen gezielt junge Frauen für einen Mädelbund rekrutiert werden sollten – angelehnt an den Bund deutscher Mädel, dem weiblichen Zweig der Hitlerjugend. Ganz selbstverständlich wurden bei diesen Veranstaltungen Hakenkreuze gemalt, Hitlergrüße gezeigt und Lieder aus der NS-Zeit gesungen.

Diese Bilder aus Eschede könnten nun der Vergangenheit angehören. Nach einem Entschluss des Landkreises Celle Anfang Juni darf der „Heimathof“ nicht mehr für Veranstaltungen genutzt werden. Die Begründung: Es fehlen die erforderlichen Genehmigungen für die Nutzung des Hofs als Schulungs- und Veranstaltungsstätte. Aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses ordnet der Landkreis mit sofortiger Wirkung eine Nutzungsuntersagung an. Auch Widersprüche gegen die Entscheidung haben keine aufschiebende Wirkung. Die rechtsextremen Betreiber des Hofes haben bereits angekündigt, rechtliche Schritte einzuleiten – die öffentliche Nutzung des Hofs als Schulungs- und Veranstaltungsstätte der rechtsextremen Szene ist jedoch bis auf Weiteres untersagt.

Ein hart erkämpfter Sieg der Zivilgesellschaft

Der Entschluss ist genauso wichtig und richtig, wie er überfällig ist. Er ist das Ergebnis jahrzehntelanger, beharrlicher Arbeit und Engagement der Zivilgesellschaft vor Ort. Seit über 30 Jahren engagieren sich viele Menschen vor Ort gegen die rechtsextremen Aktivitäten auf dem Hof, organisieren Widerstand und Proteste. Mit fast 41.000 Unterstützer*innen forderten lokale Bündnisse bereits 2021 in einem offenen Brief an den damaligen Ministerpräsidenten Boris Pistorius die Schließung des Hofs. Auch auf die baurechtlichen Verstöße haben die Aktivist*innen immer wieder hingewiesen. Die Schließung des Hofs ist eine Erfolgsgeschichte zivilgesellschaftlichen Engagements: nur durch die Aufklärung und Sensibilisierung über das Thema, die Formierung lokaler Bündnisse und gemeinsamen Aktionen konnte genug politischer Druck aufgebaut werden, um rechtsextremen Aktivitäten einen Riegel vorzuschieben.

In Eschede wurde gezeigt: Zivilgesellschaftliches Engagement wirkt. Gleichzeitig wird dieses Engagement, besonders in ländlichen Räumen, immer herausfordernder. Rechtsextreme Gewalt ist ein wachsendes Problem, von dem speziell politische Gegner*innen immer häufiger betroffen sind. Die Wahlerfolge der rechtsextremen AfD werden als Legitimation für Gewalt aufgefasst, Berichte über gewaltorientierte rechte Jugendgruppen häufen sich und vor allem an Schulen werden vermehrt rechtsextreme Vorfälle gemeldet. Um dem etwas entgegenzusetzen, braucht es Aufklärung, Sensibilisierung, Netzwerke, Unterstützung – und vor allem: einen langen Atem.

Kreuze ohne Haken – Zeichen setzen für Demokratie und Vielfalt

Diesen langen Atem beweisen auch die Vertreter*innen der Gruppe beherzt – für Demokratie und Vielfalt e.V., wenige Kilometer von Eschede entfernt. Die Gruppe engagiert sich seit 2018 gegen völkische Siedlungsbewegungen und rechtsextreme Landnahme in der Heideregion, aber auch darüber hinaus. Die Gruppe zählt mittlerweile rund 600 Mitglieder – ihr Erkennungszeichen sind gelb-pinke Kreuze, ohne Haken – für Vielfalt, die von Freiwilligen an ihren Häusern, Höfen oder in Kommunen angebracht werden. Die Kreuze setzen ein Zeichen gegen die rassistische und menschenfeindliche Ideologie, die von völkischen Siedler*innen in der Heideregion vertreten wird. Ziel der Gruppe ist es, über menschenfeindliche Strukturen in der Region aufzuklären, für den demokratischen Rechtsstaat zu werben und ein klares Zeichen zu setzen: Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit haben hier keinen Platz.

Wie streitbar diese Positionen sind, zeigt sich leider schmerzlich. Im vergangenen Jahr organisierte die Gruppe die Aktion „Immer eins mehr“: für jedes Kreuz, das entwendet wurde, stellte die Gruppe zwei neue Kreuze zur Verfügung. Dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist, erklären auch die Gründungsmitglieder der Gruppe beherzt, Martin Raabe und Ernestine Monville-Raabe. Wegen ihres Engagements an Schulen, in Kommunen und Dörfern wurden die Beiden häufig bedroht und beleidigt. Das Ziel: ein Klima der Angst schaffen, um den Widerstand der Gruppe gegen die rechtsextreme Vereinnahmung der Region zu brechen.

Ziel der rechtsextremen Drohkulisse: Ein Klima der Angst schaffen

Vielerorts sehen sich Engagierte mit einer zunehmend bedrohlichen und gewaltbereiten rechtsextremen Szene konfrontiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt angesichts des Erstarkens rechtsextremer Jugendgruppen vor einer Gefahr für Leib und Leben – insbesondere für Homo- und Transpersonen, Menschen mit Migrationsgeschichte und politisch Andersdenkende. Die Auswirkungen dieser Bedrohungslage sind spürbar: Demokratische Stimmen ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück, migrantische und queere Perspektiven werden unsichtbar gemacht. Viele Menschen, die sich noch positionieren, fühlen sich allein – als Einzelstimmen auf weiter Flur.

Dabei zeigt die Forschung, dass rechtsextreme Einstellungen keineswegs mehrheitsfähig sind. Doch sie bleiben häufig unwidersprochen – aus Angst, aus sozialem Druck oder aus fehlendem Rückhalt. So verschieben sich schleichend die Grenzen des Sag- und Machbaren. Eine rechtsextreme Deutungshoheit entsteht, in der Menschenfeindlichkeit zur Normalität wird.

Gemeinsam sichtbar – gegen Vereinzelung und Angst

Besonders in ländlichen Regionen kann der Einsatz für Demokratie und Vielfalt mit hohen persönlichen Kosten verbunden sein. Wer sich offen gegen rechtsextreme Aktivitäten stellt, steht nicht selten Menschen gegenüber, mit denen man im Alltag eng verflochten ist – Nachbar*innen, Vereinskamerad*innen oder Eltern, deren Kinder in die gleiche Schule gehen. Öffentliches Engagement bedeutet dann auch: exponiert und angreifbar sein.

Gerade deshalb ist die Organisation in Gruppen und Initiativen so entscheidend. Sie bietet nicht nur praktischen Rückhalt, sondern wirkt der Vereinzelung progressiver Stimmen gezielt entgegen. Zivilgesellschaftliche Netzwerke wie „beherzt“ oder das „Netzwerk Südheide“ schaffen Räume für Austausch, gegenseitige Stärkung und kollektiven Widerspruch. Sie ermöglichen es Engagierten, Bedrohung und Einschüchterung nicht isoliert, sondern gemeinsam zu begegnen – solidarisch, laut und sichtbar. Wer für eine offene, vielfältige Gesellschaft eintritt, steht nicht allein.

Vernetzung und Empowerment gegen rechtsextreme Hegemonie

Die Gruppe beherzt ist nur ein Beispiel dafür, welche Folgen eine konsequente Haltung gegen rechtsextremes Gedankengut nach sich ziehen kann. Ihr Engagement bleibt nicht ohne Risiko, doch es zeigt auch: Organisation und Vernetzung schaffen neue Handlungsspielräume. Martin Raabe, Vorstandsmitglied der Initiative, beschreibt, wie entscheidend der solidarische Zusammenhalt innerhalb der Gruppe ist:

„In der Gruppe beherzt haben sich weit über 600 Personen und Familien zusammengefunden, um sich gegenseitig in dieser Auseinandersetzung vor Ort zu stärken und zu unterstützen, unsere Mitmenschen in die Gespräche einzubeziehen und damit zu verhindern, dass völkisches Denken die Hoheit über den Stammtischen erlangt. Damit verhindern wir auch, dass Völkische sich – als nette Nachbarn getarnt – in wesentlichen Positionen in Gemeinde und Vereinen etablieren können.“

Solidarischer, Wirksamer und Mutiger

Um sich mit anderen Gruppen und Engagierten auszutauschen, lädt die Gruppe beherzt vom 19. bis zum 21. September zu ihrem Vernetzungstreffen in Bostelwiebeck. Der Austausch über gemeinsame Erfahrungen – zwischen Sichtbarkeit, Anfeindung und notwendigem langen Atem – sind ein zentraler Aspekt des Treffens. Gemeinsam mit Engagierten aus der Region und darüber hinaus wollen wir diskutieren, wie zivilgesellschaftliches Engagement in herausfordernden Zeiten gestärkt und geschützt werden kann: Solidarischer – Wirksamer – Mutiger. 

Wann: 19. – 21. September 2025

Wo: Bostelwiebeck – Jahrmarkttheater

Für wen: alle, die sich für Demokratie, Vielfalt und Widerstand gegen rechtsextreme Landnahme engagieren wollen, sind herzlich eingeladen.

Alle weiteren Infos und das Anmeldeformular finden sich auf der Website der Gruppe beherzt.

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für alle zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sind immer frei verfügbar und verschwinden nie hinter einer Paywall. Dafür brauchen wir aber auch deine Hilfe.
Bitte unterstütze unseren Journalismus, du hilfst damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

476406097

Jahresrückblick 2024 Niedersachen – Rechtsrock und rechte Jugendkultur

Was wird von 2024 in Bezug auf Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit in Erinnerung bleiben? Heute: Niedersachsen.

Von
53963148624_40036516c2_o

Analyse Jung, männlich, rechtsextrem

Rechtsextremismus hat Konjunktur. Vor allem bei jungen Männern. Warum eigentlich?

Von
54420570348_4f49a70cc7_k

Von “Natur” aus friedfertig? Jung. Weiblich. Rechtsextrem.

Sie fungieren als harmlos wirkende Brückenbauerinnen in die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Jetzt stehen sie in der ersten Reihe, als Ordnerinnen auf Demonstrationen oder Wortführende. Rechtsextreme junge Frauen sind sichtbarer denn je und werden dennoch unterschätzt.

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.