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Schriftsteller Peter Probst „Rechtsextremismus – da gibt es offensichtlich Berührungsängste“

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Die Fragen stellte Simone Rafael.

Peter Probst ist Drehbuch-Autor, u.a. für den ?Tatort?. Gemeinsam mit seiner Frau, der Moderatorin Amelie Fried, hat er die Kinderkrimi-Reihe ?Taco & Kaninchen? geschrieben sowie an ?Schuhhaus Pallas ? Wie meine Familie sich gegen die Nazis wehrte? mitgearbeitet. ?Blinde Flecken? ist Probsts Krimi-Romandebüt.

Privatermittler Schwarz wird dabei von einem Anwalt angeheuert, um nachzuweisen, dass eine Amokfahrt gegen vier Jugendliche einen antisemitischen Hintergrund hatte. Bei seinen Nachforschungen kämpft er nicht nur gegen die eigenen Vorurteile ? er entdeckt auch bei seinen Mitmenschen zahlreiche der titelgebenden ?Blinden Flecken?, bis die Ermittlungen eine tödliche Brisanz bekommen.

Wie sind sie mit dem Thema Rechtsextremismus in Berührung gekommen?

Gemeinsam mit meiner Frau habe ich drei Jahre für das Buch ?Schuhhaus Pallas? die Familiengeschichte ihrer jüdischen Verwandten recherchiert ? da kam das Thema schon am Rande vor. Ich war auch erstaunt, wie merkwürdig Menschen aus meinem Umfeld auf die Recherchen reagiert haben: ?Warum schreibt ihr über ein jüdisches Thema?? Als Reaktion kam auch: ?Was macht denn Israel heute im Nahen Osten?? oder ? Juden sind immer so elitär, selbst schuld, wenn sie ein Feindbild sind?. Selbst Freunde wichen dem Thema aus, was mir zeigte, wie relevant Antisemitismus heute noch ist.

Und dann waren da die Anschlagspläne der Gruppe um den Rechtsextremen Martin Wiese im Jahr 2003 auf die Feier der Grundsteinlegung der Jüdischen Synagoge in München. Wir waren dort eingeladen, haben uns gefreut, dass es wieder einen solchen Ort jüdischen Lebens in München gibt ? und dann hört man von diesen Wahnsinnigen. Es war ein Schock, wie real die Gefahr durch Rechtsextremismus plötzlich war. Ich bin ein Autor, ich verarbeite Dinge durch das Schreiben.

Ihr Roman ist wohl recherchiert ? wie sind sie vorgegangen?

Angefangen habe ich mit einer intensiven Internetrecherche ? ich war fassungslos, wie geschlossen rechtsextreme Lebenswelten sich dort abbilden, die ganzen Versände, Klamotten, CDs, schlimmste Lieder und Videos, Kontaktportale, unglaublich, worauf man dort stößt! Und dann hat mir das A.I.D.A.-Archiv in München geholfen ? die Menschen dort sind sehr kompetent, engagiert und mutig, eine exzellente Gruppe, die Eltern, Lehrer und Pädagogen schult ? es ist unglaublich, dass die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ich habe dagegen auch mit dem Verein ?Lichterkette e.V.? protestiert, in dem ich mich seit 1992 engagiere.

Haben Sie aus diesen Recherchen für Sie selbst überraschende Erkenntnisse ziehen können?

Die Neonazi-Szene an sich ist ja recht klein. Aber erschreckend finde ich, wie groß das Umfeld, das Milieu ist, das ihre Gedanken teilt. Rechtsextreme fühlen sich als Avantgarde, die nur das ausagiert, worüber die Leute am Stammtisch sprechen. Interessant fand ich auch, dass man immer denkt: Die Leute mit dem geschlossen rechtsextremen Weltbild, mit denen hab ich ja nichts zu tun, die sind ganz weit weg. Und dann stellst du fest: Die kommen aus allen Schichten, die wohnen in der Nachbarschaft. Meine größte Angst ist allerdings, dass es Rechtspopulisten gelingt, die konservativen Parteien vor sich herzutreiben, bis diese selbst der Meinung sind, sie müssten Ausländerfeindlichkeit begünstigen, wie etwa bei der Minarettverbot-Debatte.

Ermittler Schwarz glaubt ja zunächst nicht an die rechtsextremen Verstrickungen des Täters. Ist das symptomatisch für unsere Gesellschaft?

Es gibt unterschiedliche ?blinde Flecken?: da ist die oft bürgerliche Einstellung, die Gefahr des Rechtsextremismus nicht wahrhaben zu wollen, weil man es so ungeheuerlich findet, dass Antisemitismus oder Rassismus nach unserer Geschichte überhaupt noch möglich sind. Dann fällt mir auf, dass rechtsextreme Straftaten erst einmal reflexartig nicht als solche bezeichnet werden: ?Die Polizei kann keinen politischen Hintergrund feststellen? ? auch wenn die Wohnung des Verdächtigen voller Propagandamaterial liegt. In Bayern hat auch die ?Einzeltäter-These? Tradition wie beim Oktoberfest-Anschlag – dass es blendend funktionierende rechtsextreme Netzwerke gibt, wird einfach ignoriert.

Im Laufe der Ermittlungen stellt Schwarz fest, dass seine Mutter selbst Jüdin ist, was ihn in seinen Grundüberzeugungen erschüttert.

Das spiegelt eine Erfahrung aus meiner eigenen Geschichte wider. Mein Vater hat meine Überzeugung, aus einer bayerischen, katholischen Familie zu stammen, über den Haufen geworfen, als er mir plötzlich von einer jüdischen Tante und einer Cousine erzählte , die von den Nazis ermordet wurden ? ihnen ist übrigens der Roman gewidmet. Ich begann, nach diesem Teil der Familie zu recherchieren, und machte im Zuge dessen die Entdeckung, dass es in der Familie meiner Frau ganz ähnlich war ? woraus dann ja „Schuhhaus Pallas? entstand. Ich war verblüfft, wie sehr diese Familiengeschichten totgeschwiegen werden ? aus Schuldgefühlen? Aus Scham davor, Opfer gewesen zu sein? Ich wollte das gern publizistisch verarbeiten, deshalb gibt es diese Wendung auch in ?Blinde Flecken?.

Was haben Sie bisher für Reaktionen auf ihr Buch bekommen?

Die Kritiken sind sehr positiv, aber ich bin erstaunt von den Reaktionen mancher Buchhändler. Da bieten wir eine Lesung an, und sie sagen: ?Oh, ein ?Tatort?-Autor. Super! Die Lesung machen wir! Worum ging es noch einmal in dem Buch? Rechtsextremismus? Dann lieber nicht.? Da gibt es offensichtlich Berührungsängste. Auch bei den Lesern habe ich manchmal das Gefühl, viele bevorzugen den Heimatkrimi mit dem jodelnden Kommissar. Wobei die, die das Buch gelesen haben, mir sagen: Es war spannend, ich habe etwas gelernt und mich amüsiert. Und das ist, was ich möchte. Diese Mischung aus Krimi und gesellschaftlich relevanten Themen werde ich auch im zweiten Band der ?Schwarz?-Reihe beibehalten, an dem ich gerade schreibe. Dort werden Neonazis übrigens am Rande auch noch einmal eine Rolle spielen.

Sie engagieren sich aber auch nichtliterarisch seit Jahren im Verein ?Lichterkette e.V.? in München. Was genau macht der?

Der Verein ?Lichterkette e.V.? gründete sich 1992 zu der großen Demonstration nach dem Anschlag von Mölln. In München ist ?Lichterkette e.V.? längst eine „Marke“, die es uns ermöglicht, Unternehmen um Geld zu bitten, dass wir dann an Initiativen für ein demokratisches Zusammenleben weitergeben können. Wir beteiligen uns an Integrationsprojekten für Migranten, organisieren soziale Tage, bei denen Manager im Asylbewerberheim mitarbeiten und alle voneinander lernen, veranstalten Lesungen und Kabarett mit Sprachmächtigen, deren Erlöse den Sprachlosen zugute kommen, verleihen gemeinsam mit der Stadt die ?Münchner Lichtblicke?, einen Preis für Zivilcourage ? zuletzt übrigens an A.I.D.A. e.V. Das neueste Projekt heißt ?Vorbilder?- da gehen Menschen mit Migrationshintergrund, die sich in Deutschland ein gutes Leben aufgebaut haben, in Schulklassen und erzählen, wie sie es geschafft haben. Wenn da eine 25-jährige IT-Spezialistin sitzt, die heute ihren eigenen Laden hat, aber vorher die Hauptschule schmeißen wollte, hören die Jugendlichen ganz anders zu.

Peter Probst:
Blinde Flecken.
Schwarz ermittelt.
Dtv, 256 Seiten, 8,95 Euro.

| www.peterprobst.com

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