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System Change Camp in Frankfurt Zwischen Klimaschutz und Israelkritik

Mitten im Frankfurter Klimabewegungs-Camp zeigt sich eine bedenkliche Entwicklung: Anti-israelische Narrative prägen zunehmend die Debatten in der linken Szene der Stadt, Jüdinnen*Juden, die dagegen Stellung beziehen, werden attackiert. Das System Change Camp wird so zum Spiegel einer verschobenen Diskussionskultur und einer brandgefährlichen Entwicklung.

 
Beim System Change Camp in Frankfurt am Main waren anti-israelischen Codes klar zu erkennen. (Quelle: Marietheres Triebe)

Offiziell fand vom 14. bis 26. August 2025 das vierte System Change Camp statt. Auf einer zentralen Wiese im beliebten Frankfurter Grüneburgpark wurden 15 Programmzelte, Essensstände, Info- und Awareness-Zelte sowie mehrere Campingflächen für rund 1.000 Teilnehmende aufgebaut, bis zuletzt geduldet von der Stadt. Das selbstorganisierte Camp versteht sich als antikapitalistisch, antikolonial, antiautoritär, antiableistisch und antipatriarchal. Es will Raum für Vernetzung, Weiterbildung, Skillshares, strategische Diskussionen und kulturelles Programm bieten. Doch die Realität sah anders aus.

Ein ganz anderes Thema dominiert: Anti-israelische Szenecodes sind omnipräsent. Wassermelonen-Anhänger, Kufiyas, anti-israelische Transparente und der Blick in das Programm der beiden „antiimperialistischen Vernetzungszelte“ zeigen, welches Thema hier an vorderster Stelle steht: Drei Gruppen, darunter Palestine Solidarity, die eigens für das Camp gegründet wurde, organisierten Workshops mit Titeln wie „Germany’s Role in Gaza Genocide“ oder „From Nakba to Return“. Die Zelte waren mit Transparenten wie „No Climate Justice on Occupied Land“ geschmückt. Im Inneren bezeichnete die Gruppe die Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 als „Widerstand gegen Unterdrückung in vielfältiger Form“ und forderte ein „Rückkehrrecht zwischen Fluss und Meer“, eine Anspielung auf die Parole „From the River to the Sea“, die vielfach als Chiffre für die Auflösung Israels verstanden wird. Ihre Rechtfertigung laut Zeltregeln: „Kritik an Israel ist keine Hassrede!“

Bereits im Vorfeld gab es heftige Kritik: Denn auf dem System Change Camp in Erfurt im Jahr 2024 kam es zu mindestens 14 antisemitischen Vorfällen, wie RIAS Thüringen in ihrem letzte Woche veröffentlichten Jahresbericht dokumentierte. Ein Teilnehmer, der sich kritisch zu antisemitischen Inhalten äußerte, wurde als „scheiß Zionist“ und „zionistischer Faschist“ beschimpft. Unter dem Applaus des Awareness-Teams musste er das Zelt verlassen.

In diesem Jahr veröffentlichte die Orga im Vorfeld zwar Stellungnahmen, versicherte aus dem Vorjahr gelernt zu haben und sprach von „roten Linien“. Doch Verantwortung für konkrete Inhalte wollte niemand übernehmen, die läge bei den einzelnen Referent*innen und Gruppen. Während das Camp also beansprucht, ein Schutzraum für alle zu sein, delegiert es jede Verantwortung für mögliche Grenzverletzungen. Kann sowas gut gehen?

Der Umgang mit dem Themenkomplex Israel/Palästina zeigt diesen Widerspruch besonders deutlich: Die Orga bezeichnete den Krieg in Gaza als „Völkermord“, lehnte explizit die IHRA-Definition von Antisemitismus ab und betonte zugleich den Anstieg von Antisemitismus und behauptete, das Massaker vom 7. Oktober zu verurteilen. Doch genau diese scheinbar ausgleichende Position öffnet Räume, in denen anti-israelische Narrative normalisiert werden – gewollt oder ungewollt.

Ruben Gerczikow, Publizist, Autor und Mitglied der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, kommentiert im Gespräch mit Belltower News: „Die Vorfälle von Israel-bezogenem Antisemitismus auf dem System Change Camp sind kein isoliertes Ereignis, sondern Teil einer längeren Entwicklung anti-israelischer Narrative innerhalb eines Teiles der radikalen Linken der Stadt, eine Entwicklung, die bereits deutlich vor dem 7. Oktober sichtbar war.“ Gerczikow ergänzt: „Dass solche Haltungen gerade in Frankfurt auftreten, das sich selbst gern als die ‚jüdischste Stadt Deutschlands‘ bezeichnet, zeigt, wie brüchig dieses Selbstverständnis ist, wenn ihm ein gesellschaftlicher Unterbau fehlt.“

Für viele Jüdinnen*Juden verstärkt dies das Gefühl, im Alltag allein gelassen zu werden, selbst in einer Stadt, die sich so stark zu ihrer jüdischen Community bekennt.

Ein weiteres Beispiel für diese Entwicklung ist die seit sechs Wochen andauernde Besetzung des Internationalistischen Zentrums (IZ) im Gallusviertel. Die Besetzer*innen verstehen sich nach eigenen Aussagen auf ihrem Instagram Account ausdrücklich als antizionistisch und palästinasolidarisch. Die Duldung der Stadt über so einen langen Zeitraum ist ungewöhnlich für Frankfurt. Die Selbstbezeichnung als antizionistisch zeigt, wie anti-israelische Haltungen innerhalb eines Teils der linken Szene offen und freiwillig eingenommen werden und verdeutlicht die verschobene Diskussionskultur, die auch im System Change Camp sichtbar wird. Jüdinnen*Juden können sich nicht ohne weiteres an solche Orte wagen.

Am Rande des System Change Camp kam es zu gezielten Angriffen auf Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Mehrfach versammelten sich Personen der Gemeinde, um an einem Bauzaun gegenüber des Camps Bilder der von der Hamas verschleppten Geiseln aufzuhängen und somit ihren Unmut über den anti-israelischen Grundkonsens auszudrücken. Die Plakate wurden oft nach wenigen Minuten heruntergerissen. Am Freitag eskalierte die Situation: Sascha Stawski, Vorsitzender des Vereins Honestly Concerned, wurde mit roter Farbe attackiert und als „Mörder“ beschimpft. Fotos davon gingen durch die Presse. Das Selbstverständnis des Camps als offener Raum für alle war spätestens hier als blanke Ideologie enttarnt. Der Vorfall zeigt, dass anti-israelische Haltungen am Rande des Camps nicht nur rhetorisch, sondern auch körperlich Ausdruck finden. Auch im nächsten Jahr wird das Camp wohl im Jahresbericht von RIAS vorkommen.

Auch für jüdische Studierende, die teils auf dem angrenzenden Campus im Wohnheim leben, ist die Atmosphäre spürbar belastend. Ein Vorstandsmitglied des Verbands Jüdischer Studierender in Hessen erklärt gegenüber Belltower News: „Das ist kein Safe Space. Wir raten Jüdinnen und Juden ausdrücklich davon ab, das Camp zu besuchen, zu groß ist das Risiko.“

Die Einladung der Organisation „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ wird als Signal einer ideologischen Radikalisierung innerhalb des Camps gewertet. Denn Wieland Hoban, Vorsitzender des vom Verfassungsschutz als „gesichert extremistisch“ eingestuften Vereins, durfte im Camp am 21. August 2025 einen sehr gut besuchten Vortrag halten. Dies ist ein deutliches Zeichen für die inhaltliche Radikalisierung und die Normalisierung anti-israelischer Narrative. Das System Change Camp und die Entwicklungen rund um das IZ verdeutlichen eine klar erkennbare Verschiebung der Diskussionskultur in der Frankfurter Linken. Anti-israelische und antizionistische Narrative sind längst in deren Mitte angekommen und werden zunehmend als legitimer Bestandteil des politischen Diskurses akzeptiert. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Schutz jüdischer Community-Mitglieder und der Umgang mit Israelkritik in der Praxis unzureichend geregelt sind.

Frankfurt steht damit exemplarisch für eine Debatte, die weit über ein einzelnes Camp hinausgeht. Wie kann eine linke Bewegung ihre Werte von Antisemitismuskritik, Inklusion und politischer Verantwortung ernst nehmen, wenn zentrale Akteure bewusst Räume für anti-israelische Narrative schaffen und verteidigen? Die Ereignisse des System Change Camps werfen ein Schlaglicht auf diese Frage.

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