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Verletzte, Tote und Gegenwehr Fußball und Rechtsextremismus in Europa

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Nach den heftigen Fußball-Krawallen Anfang Februar 2007 auf Sizilien, bei denen ein 38-jähriger Polizist ums Leben kam und mehr als 70 Menschen verletzt wurden, ist in Italien die Diskussion um Fußball und Gewalt neu entbrannt. Der Fall macht aber auch die enge Verbindung zwischen Fußball, Gewalt und Rechtsextremismus deutlich: So hatte der getötete Polizist zuvor in einem Prozess gegen rechtsradikale Fans ausgesagt.

Italiens damaliger Premier Romano Prodi mahnte nach den Ereignissen auf Sizilien, man müsse den Fußball aus der Hand der Gewalttäter befreien. Und der neue UEFA-Präsident Michel Platini verkündete: „Wir müssen nun mit den Offiziellen und den Politikern im Sinne des italienischen Fußballs zusammenarbeiten und eine Lösung finden, wie wir die Spirale der Gewalt in Italien und im gesamten europäischen Fußball stoppen können“. Denn: Gewalt und Rechtsextremismus im Fußball sind nicht ein italienisches Phänomen, sondern ein europäisches. Auch Frankreich, Spanien und Polen haben Probleme mit Rassismus in den Stadien.

Italien: Rechtsextreme Symbole im Stadion

Zunächst aber zurück ins Land der Fußball-Weltmeister. Dort gibt es nach einer Einschätzung des Innenministeriums rund 80 000 organisierte gewaltbereite Fans – die Fankurven sind stark politisiert: Vor allem die „Ultras“ der „Brigate Autonome Livornese“ (Fans des AC Livorno) sind bekennende Antifaschisten und Kommunisten, der harte Kern der Fans des AC Florenz gehört ebenfalls zu den linken Fan-Gruppierungen und auch der FC Genua hat eine große Zahl antirassistischer Skinheads unter seinen Fans. Die Mehrheit der gewaltbereiten politisierten Fans allerdings ist rechtsextrem, viele Fangruppen gelten als von rechtsradikalen Gruppierungen wie der „Forza Nuova“ („Neue Kraft“) unterwandert. So beispielsweise die Gruppe „Curva Sud“, eine Fangruppe des Vereins Chievo Verona. Aber auch Fangruppen, die lange als links galten, wie die Ultras des AC Mailand und des AS Rom, sind mittlerweile rechtsextrem dominiert. Eben dieser politische Wandel, diese politische Polarisierung macht neben den (teilweise Jahrhunderte alten) lokalen Rivalitäten dabei oftmals die teilweise explosive Brisanz vieler Ligaspiele in Italien aus.

Mussolinis Lieblingsverein mit einem akuten Problem

Das „prominenteste“ Beispiel für eine offen rechte Gesinnung ist wohl der Fall des ehemaligen Lazio- Stürmers Paolo Di Canio, der seine Tore mit dem ausgestreckten rechten Arm „gefeiert“ hat und deswegen vom italienischen Fußballverband zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt wurde. Außerdem hat Di Canio eine Tätowierung mit der Aufschrift „dux“ (lateinisch für „Führer“, auf italienisch „Duce“) auf dem Arm. In seinen Memoiren schreibt der Stürmer über den „Duce“: „Ich denke, dass er eine zutiefst unverstandene Persönlichkeit war. Ich bin fasziniert von Mussolini“. Ein paar Seiten weiter ist zu lesen, dass „zu viele Immigranten nach Italien kommen und sich bei uns benehmen, als wären sie zu Hause. Wenn wir nicht aufpassen, ist Italien in zehn Jahren ein muslimisches Land.“

Wie groß dabei die ideologische Übereinstimmung zwischen dem ehemaligen Lazio- Stürmer und dem harten Kern der Fans von Mussolinis ehemaligen Lieblingsverein war und immer noch ist, haben die Lazio-Ultras immer wieder unter Beweis gestellt: In den Spielen nach der Verurteilung Di Canios waren von Seiten der Lazio-Fans immer wieder Sprechchöre für den Stürmer zu hören, dabei streckten Hunderte Anhänger ? wie ihr Vorbild ? den rechten Arm aus. Weitere Beispiele: Während eines Uefa-Pokal-Spiels im November 2004 wurde der für Belgrad spielende Kameruner Pierre Bova von Lazio-Anhängern rassistisch beleidigt. Während eines Spiels gegen den Lokalrivalen AS Rom war außerdem auf einem Spruchband zu lesen: „Auschwitz ist eure Heimat, die Öfen sind eure Häuser“. Auch rechtsradikale Symbole wie das Hakenkreuz tauchen im Lazio- Fanblock immer wieder auf. So wurde der Verein beispielsweise im April 2005 vom italienischen Fußballverband zu einer Geldstrafe von 8.000 Euro verurteilt, weil die Ordner nicht eingegriffen hatten, als Lazio- Fans bei einem Spiel gegen den AC Livorno solche Symbole gezeigt hatten.

Hakenkreuze im Fanblock und Verbindungen zur Forza Nuova

Den harten Kern der Lazio-Fans bildet dabei die Gruppe der „Irriducibili“, die 7.000 eingeschriebene Mitglieder zählt und deren Vereinsbüro mit Mussolini-Büsten und -Postern ausgestattet sein soll. Der ehemalige Lazio-Präsident überließ diesen Ultras zunächst kostenlose Eintrittskarten, dann erlaubte er ihnen Fanartikel zu verkaufen. Durch diesen Verkauf konnten die rechtsradikalen Fans ihre Arbeit finanzieren. Der neue Präsident von Lazio, Claudio Lotito, versucht nun, die Macht der Ultras zu brechen ? und erhält seitdem Morddrohungen. Dass mittlerweile auch der harte Kern der Fans des zweiten Hauptstadtvereins und Lokalrivalen von Lazio als rechtsextrem unterwandert gelten können, zeigen zwei Beispiele: So waren im Februar 2006 auch im Fanblock des AS Rom während eines Spiels gegen den AC Livorno Bilder des faschistischen Diktators Benito Mussolini und Hakenkreuzfahnen zu sehen. Nach dem Spiel wurden Ermittlungen gegen insgesamt elf Personen aufgenommen.

Fast alle sollen Verbindungen zur Forza Nuova haben. Wegen dieses Vorfalls musste der AS Rom das folgende Meisterschaftsspiel auf neutralem Rasen und ohne Publikum austragen. Vertreter aus Sport und Politik verurteilten die Vorkommnisse auf den Tribünen scharf. Italiens Innenminister Giuseppe Pisanu forderte die Polizeichefs in den Stadien mit Nachdruck dazu auf, Spiele bei rassistischen Äußerungen auf den Rängen sofort abzubrechen. Und trotzdem: Ende 2006 solidarisierten sich römische Fans während eines Spiels zwischen dem AS Rom und Lazio mit Pariser Ultras, die im November desselben Jahres für rassistische Ausschreitungen gesorgt hatten, bei denen ein Fan des französischen Hauptstadtvereins PSG von einem Polizisten erschossen worden war. Die römische Polizei sprach daraufhin von „transversaler Solidarität“ zwischen rechtsextremistischen Ultra-Kreisen in Europa.

Seit einigen Jahren haben in der Südkurve des Olympia-Stadions ? traditionell der Platz für den Fanblock des AS Rom ? rechte Gruppen wie die „Boys“ und „ASR Ultras“ deutlich das Kommando übernommen- nur noch wenige „Roma“-Fans sind noch links orientiert. Der Slogan der „Boys“ lautet dabei „Tradition und Elite“ und ist damit identisch mit dem der rechtsextremen Forza Nuova. Diese 1997 gegründete Organisation hat dabei offensichtlich auch gute Kontakte zu deutschen NPD: So hielt im Jahr 2006 der NPD- Bundesvorsitzende Udo Voigt eine Rede beim „Sommerlager“ der „Forza Nuova“. Während der Verbotsdebatte im Jahr 2000 bekam die NPD nach Angaben der damaligen Bundesregierung breite Unterstützung von dieser rechtsextremen Gruppierung. Wohl auch deshalb wird die Forza Nuova auch heute noch auf der Website der NPD unter der Rubrik „befreundete ausländische Parteien“ geführt.

Gegenwehr formiert sich

Die zunehmende Präsenz von rechtsradikalen Fans bei beiden römischen Vereinen hat, so wird der Sprecher der Jüdischen Gemeinde und Roma-Fan Riccardo Pacifici zitiert, dazu geführt, „dass jüdische Fans in Rom lieber nicht mehr ins Stadion gehen“. Und weiter: „Wir haben keine Angst vor Rechtsextremen, außerhalb des Stadions werden wir gut mit denen fertig. Aber innerhalb der Arena kann die Lage schnell unkontrollierbar werden“ . Der Präsident des AS Rom, Franco Sensi, distanzierte sich bereits deutlich von den rechtsradikalen Fans. Und auch der römische Stürmer-Star Francesco Totti, der in Rom geboren wurde und schon seit langer Zeit bei der „Roma“ spielt, drohte damit, seinen Verein und seine Stadt zu verlassen.

Diese Beispiele zeigen, dass sich etwas zu bewegen beginnt im italienischen Fußball. Und es gibt weitere positive Beispiele ? auch aus Sizilien: Nach dem der dunkelhäutige Spieler André Zolo Kpolo 2006 bei einem Spiel zwischen dem FC Messina und Inter Mailand von den Inter-Fans bei jedem Ballkontakt mit Affenlauten und rassistischen Sprüchen beleidigt worden war, wurde der Abwehspieler von der Elfenbeinküste beim Spiel gegen den FBC Treviso mit der Kapitänsbinde ausgestattet. Dies sei, so der Präsident von Messina, Pietro Franza, ein „Symbol für den Kampf gegen Rassismus im gesamten italienischen Fußball“. Ein weiteres positives Beispiel sind die „Mondiali Antirazzisti“ in Norditalien, eine kleine „antirassistische Weltmeisterschaft“, bei der sich jährlich bis zu 6 000 Fans zusammenfinden. Und: Vor dem Endspiel der Weltmeisterschaft in Deutschland verlasen die Kapitäne der italienischen und der französischen Nationalmannschaften Botschaften gegen Rassismus. „Man darf sich nicht auf Appelle und Worte beschränken, sondern muss mit dem eigenen Verhalten ein eindeutiges Zeugnis ablegen. Dies gilt insbesondere für uns Fußballspieler“, schrieb der Italiener Fabio Cannavaro. Und der französische Fußballstar Zinédine Zidane erklärte: „Der Rassismus hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen ? und schon gar nicht im Fußball“ .

Frankreich: Rassistische Hetzjagd in Paris

Wie dringend dieser Appelle dabei sind, wie groß das Problem des Rassismus auch im französischen Fußball ist, zeigt ein Vorfall, der sich Ende November 2006 in Paris ereignete: Nach einem Uefa-Cup-Spiel zwischen Paris St. Germain (PSG) und Hapoel Tel Aviv machten ca. 150 PSG-Fans Jagd auf Anhänger des israelischen Vereins und hetzten dabei auch einen schwarzen Polizisten in Zivil, der einen verfolgten jüdischen Fan beschützen wollte. Gestützt auf Aussagen des Polizisten, berichtete der damalige französische Innenminister und heutige Präsident Nicolas Sarkozy, der Beamte, der sich mehrmals als Angehöriger der Polizei zu erkennen gegeben hätte, habe von einem Angreifer einen Schlag gegen die Schläfe erhalten, von einem anderen einen Tritt in den Unterleib und sei kurz darauf zu Boden gestürzt.

Der so bedrängte Polizist habe sich daraufhin mit zwei Schüssen gewehrt, die einen jugendlichen PSG-Fan töteten und einen anderen schwer verwundeten. Ein Journalist, der Zeuge des Vorfalls wurde, spricht später von „Minuten extremer Gewalt“. Dabei, so berichtet der Pariser Staatsanwalt Jean-Claude Marin, sei der jüdische Fan als „Drecksjude“ und der Zivilpolizist als „dreckiger Neger“ beschimpft worden. Außerdem hätten einige der Angreifer den Hitlergruß gezeigt und Parolen wie „Frankreich den Franzosen“ oder „Le Pen Präsident“ gerufen, so Marin weiter. Jean-Marie Le Pen, Chef des Front National, erstattete daraufhin Strafanzeige gegen den Staatsanwalt.

Der erschossene Jugendliche soll den so genannten „Boulogne Boys“ angehört haben- einer wegen ihrer rechten Gesinnung bekannten Gruppierung. So tauchen im PSG- Fanblock immer wieder rechtsextreme Symbole bis hin zum Hakenkreuz auf. Außerdem werden farbige Spieler mit Affengeräuschen verhöhnt. Den „Boulogne Boys“ werden dabei auch Kontakte zum Front National nachgesagt. So sollen am Pariser Tatort auch Aufkleber der Jugendorganisation der rechtsextremen Partei gefunden worden sein.

Brutale Gewalt und rechtsextreme Gesinnung

Die Fans des PSG sind aber auch wegen ihrer Gewalttätigkeit berüchtigt: Immer wieder kommt es rund um das Prinzenpark-Stadion im Pariser Westen zu schweren Ausschreitungen- vor allem bei Spielen gegen den Erzrivalen Olympique Marseille. So wurde beispielsweise 2002 bei einer Schlägerei zwischen den Anhängern beider Vereine ein Fan aus der südfranzösischen Stadt lebensgefährlich verletzt. Aber auch bei einem Spiel gegen den israelischen Verein Maccabi Haifa kam es bereits im Jahr 1998 zu blutigen Auseinandersetzungen. Und: Im November verurteilte ein Gericht zwei PSG- Fans zu Gefängnisstrafen, weil sei einen dunkelhäutigen Franzosen angegriffen hatten.

Wegen dieser gefährlichen Mischung aus brutaler Gewalt und rechter Gesinnung beklagt der Vorsitzende des schwarzen Bürgerechtvereins CRAN, Patrick Lozes, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass sich viele Schwarze aus Angst vor den Hooligans nicht mehr trauten, zu den Spielen zu gehen. Lozes weiter: „Seit Jahren akzeptieren die verantwortlichen Autoritäten in Frankreich diese inakzeptablen Zustände.“

Der Leiter des Sicherheitsdienstes des PSG berichtete allerdings, dass seine Mitarbeiter bereits während des Spiels gegen Hapoel Tel Aviv rechtsradikale Äußerungen wie das Zeigen des Hitler-Grußes mit Videokameras aufgezeichnet hätten. Dutzende Fans seien daraufhin festgenommen und verhört worden. Dass sich die Gewalt dann außerhalb des Stadions entladen habe, sei möglicherweise auch eine Folge dieses Vorgehens gegen Rechtsradikale im Stadion gewesen, gab er zu. Alain Cayzac, Präsident von PSG, sagte in einer Stellungnahme zu den Vorfällen in Paris: „Ich schäme mich“. Kurz darauf zog der Verein dann auch erste Konsequenzen: So wurden zwei Stehtribünen im Stadion, in denen sich bisher der harte Kern des rechten Fanpublikums konzentrierte, mittlerweile geschlossen.

Rassismus in der gesellschaftlichen Mitte

Besondere Brisanz erhält der tragische Vorfall in Paris aber auch durch eine Aussage, die ein sozialistischer Regionalpolitiker nur wenige Tage zuvor über die französische Nationalmannschaft gemacht hatte. So hatte eine Lokalzeitung den Präsidenten der südfranzösischen Region Languedoc-Roussillon, Georges Freche, mit den Worten zitiert: „In dieser Mannschaft sind von elf Spielern neun schwarz. Normal wären drei oder vier. Das würde unsere Gesellschaft widerspiegeln.“ Weiße Kicker seien „Nieten“, habe Freche weiter gesagt, deshalb gebe es so viele schwarze. Er empfinde das als „Schande für dieses Land“. Der französische Sozialistenchef Francois Hollande verurteilte daraufhin die Aussagen seines Parteigenossen „aufs Schärfste“ und verlangte eine sofortige Erklärung. Freche selbst lehnte allerdings eine Entschuldigung ab, denn seine Worte seien völlig aus dem Zusammenhang gerissen worden.

Spanien: Rassistische Rufe von den Rängen

Wie in Italien und in Frankreich werden auch in Spanien während Fußballspielen immer wieder dunkelhäutige Spieler von Fans rassistisch beleidigt. So mussten sich im November 2004 während eines Länderspiels zwischen der spanischen und der englischen Nationalmannschaft in Madrid die farbigen Spieler der Gäste eine Vielzahl von Schmährufen anhören. Der Weltverband FIFA leitete daraufhin eine Untersuchung ein. Ende November 2004 kam es allerdings erneut zu rassistischen Zwischenfällen im Madrider Stadion: Bei einem Spiel zwischen Real Madrid und Bayer 04 Leverkusen wurden die beiden brasilianischen Spieler Juan und Roque Junior aus den Reihen der Real- Fans mit Affengeräuschen verhöhnt- beide Spieler sind dunkelhäutig. Diese Beleidigungen sollen dabei aus den Reihen der als rechtslastig geltenden „Ultras Sur“ gekommen sein. Die Europäische Fußball- Union (UEFA) ermittelt in Zusammenhang mit diesem Spiel auch wegen des Zeigens von „Nazi- Grüßen“.

Über die genaue Größe der „Ultras Sur“ kann dabei nur spekuliert werden. Man geht aber von einem harten Kern von ca. 700 Fans aus, die sich in den vergangenen Jahren zunehmend radikalisiert und der Vereinsführung unter anderem durch rassistische Schmährufe, durch die Verwendung rechtsextremer Symbole wie dem stilisierten Keltenkreuz und durch Gewalttaten immer wieder Probleme bereitet haben. Dabei genossen die „Ultras Sur“ ebenso wie die italienischen „Irriducibili“ sogar lange Zeit besondere Privilegien: Sie durften auf dem Stadiongelände ihre Fanartikel verkaufen und genossen in der Südkurve, der „Fondo Sur“, uneingeschränkte Bewegungsfreiheit. Doch die Situation hat sich mittlerweile geändert, denn heute drohen auffälligen Randalierern nicht nur Geldstrafen, sondern auch Stadionverbote und die Löschung der Mitgliedschaft. Außerdem wurde der Aufenthaltsort der Ultras im Stadion mehrfach verlegt.

Polen: Rechtsextreme Hooligans

Vor der Fußball-WM 2006 wurde in Deutschland viel über die Gefahr durch polnische Hooligans diskutiert. Denn: Laut Aussage beispielsweise der deutschen Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist bei den polnischen Fußballfans das Gewaltpotential extrem hoch. Außerdem sei hier rechtsextremes Gedankengut weit verbreitet. Wie viele gewaltbereite Fußballfans es in Polen gibt, ist allerdings umstritten: Der Warschauer Polizeipräsident spricht von „einigen hundert“, andere Schätzungen gehen von bis zu 20.000 gewaltbereiten Hooligans aus.

Vor allem nach einem Vorfall, der sich wenige Monate vor Beginn der WM ereignete, wurde in Deutschland und Polen über die Gefahr, die von polnischen Hooligans ausgeht, heftig diskutiert: Nach einem Spiel der beiden Krakauer Lokalrivalen Cracovia und Wisla Krakow wurde im März 2006 ein 21jähriger Wisla-Anhänger bei einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Fans getötet. Eine Gruppe von Cracovia-Fans hatte eine Gruppe Jugendlicher mit Knüppeln und Messern angegriffen. Die Krakauer Polizei richtete als erste Konsequenz aus dem Vorfall eine Sonderkommission ein, die sich ausschließlich mit Fan-Gewalt befasst. Im Parlament war bereits zuvor ein Gesetzesentwurf der Regierung eingebracht worden, der die Einrichtung von Schnellgerichten unter anderem bei Hooligan-Kriminalität vorsieht.

Tote und viele Verletzte

Dabei zeigt das Beispiel Krakau aber auch, wie weit rechtsextremes und antisemitisches Gedankengut unter polnischen Fans verbreitet sind? auch wenn sich die Lage in den vergangenen Jahren verbessert haben soll. Schon lange kämpfen in der südpolnischen Stadt die Wisla-„Hunde“ gegen die „Juden“ von Cracovia. Eine Krakauer Fangruppe nennt sich „Juden-Gang“ und ist stolz darauf, als besonders brutal und böse zu gelten. Außerdem berichtet der antifaschistische Verein „Nigdy Wiecej!“ (Nie wieder!) über antisemitische Hooligan-Schreie wie „Juden ins Gas!“ und Transparente wie „Arbeit macht frei“. Auch rechtsextreme Schmierereien sollen immer wieder an den Stadien auftauchen. Seit 1989 dokumentiert „Nigdy Wiecej!“ rechtsextreme Übergriffe von Neonazis auf Juden, Ausländer, Homosexuelle, Linke und Obdachlose in ganz Polen. Etwa Hundert sollen es jährlich sein.

Ein weiteres pikantes Beispiel für die Verbindung zwischen Fußball, Gewalt und rechtem Gedankengut ist der Fall des polnischen Seewirtschafministers Rafal Wiechecki:1998 war das Mitglied der rechtsklerikalen „Liga der polnischen Familien“ noch auf dem Titelbild der Wochenzeitschrift „Polityka“ zusammen mit zwei weiteren Anhängern des Erstligisten Widzew Lodz mit hassverzerrter Mine und ausgestreckter Faust zu sehen. „Polityka“ titelte damals: „Die Liga der Hooligans“ . Dabei scheinen auch andere Mitglieder der „Liga der polnischen Familien“ eine solche mehr als zweifelhafte Vergangenheit zu haben: So war der Vorsitzende der Partei, Roman Giertych, beispielsweise der Gründer der rechtsextremen „Allpolnischen Jugend“. Mitte 2006 wurde er Vizepremier und Erziehungsminister der polnischen Regierung und sprach sich für einen Patriotismusunterricht in den Schulen aus. Von seiner rechtsextremen Vergangenheit will er nichts mehr wissen.

Die „Allpolnische Jugend“ allerdings existiert noch. Sie trägt heute die Züge einer Neonazi-Kameradschaft und verstärkt ihre Reihen zunehmend mit rechten Schlägern der gewalttätigen Hooliganszene. In Warschau sollen beispielsweise Mitglieder der „Allpolnischen Jugend“ gemeinsam mit Hooligans auf „Schwulenhatz“ gehen. Das Hooligan-Problem existiert in Polen seit Mitte der 1990-er Jahre. Immer wieder kam es zu Ausschreitungen mit vielen Verletzten, bei Auseinandersetzungen zwischen den beiden Krakauer Vereinen gab es bisher sogar fünf Tote. Zum Gewaltproblem und der Verbreitung von rechtsextremen Gedankengut kommt aber noch ein weiteres Problem hinzu: Laut dem Sprecher der Polizei in Südpolen sollen sich auch immer mehr Kriminelle unter die Fans in den Fußballstadien mischen. So werden beispielsweise die „Teddy Bears“, eine Fangruppe des polnischen Meister Legia Warschau, dem organisierten Verbrechen zugeordnet .

Lange haben Politik und Sicherheitskräfte das Hooliganproblem in Polen ignoriert. Auch deshalb blieben ? ähnlich wie in Italien und Frankreich ?- viele Fans den Fußballstadien fern. Jetzt aber reagiert der Staat mit Härte. Besucher von Spielen werden gefilmt, Namen und Ausweise kontrolliert. Der Justizminister will Hooligans vor Schnellgerichte stellen und Stadionverbote aussprechen. Dieser Wandel steht dabei auch im Zusammenhang mit der Fußball-WM in Deutschland. So arbeiteten deutsche und polnische Behörden vor und während der Weltmeisterschaft eng zusammen, um das Hooliganproblem in den Griff zu bekommen. Neben diesen staatlichen Aktivitäten gibt es in Polen aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Gewalt und Rassismus in den Stadien. So lud der polnische Fußballverband auch Vertreter des europäischen Netzwerks „Football Against Racism in Europe“ (FARE) zu einer Fußballkonferenz in die polnische Stadt Kielce, um sich über die Aktivitäten von FARE zu informieren.

Großbritannien: Erfolgreicher Kampf gegen Rassismus

Im Gegensatz zu Italien, Spanien, Frankreich und Polen und wohl auch im Gegensatz zu Deutschland scheint man in Großbritannien das Problem Rassismus weitestgehend im Griff zu haben. So gibt es im Mutterland des Fußballs nur noch selten offene Formen von Rassismus und Antisemitismus auf den Rängen der Stadien. Dort hat sich eine „Kultur der Null-Toleranz etabliert, die dem konsequent und aggressiv entgegentritt“, so Lucy Falkner von der „Football Association“ (FA) auf einer Konferenz am 5. Mai 2006 in Berlin, die von der britischen Botschaft unter dem Motto „Fußball für alle ? Fußball, ethnische Minderheiten und die Weltmeisterschaft“ organisiert worden war und bei der sich Experten aus England und Deutschland über ihre Erfahrungen aus der antirassistischen Arbeit im Fußball austauschen konnten. Die Veranstalter schrieben dabei dem Fußball eine besondere Kraft zu, „gesellschaftliche Barrieren zu beseitigen und Menschen aller sozialen Schichten zu inspirieren“. Gleichzeitig wiesen sie aber auch darauf hin, dass „auch Homophobie, sexuelle Belästigung und Antisemitismus (in den Stadien) nicht totgeschwiegen werden dürfen“.

Die Strafen für diskriminierende Äußerungen oder Verhaltensweisen sind dabei in Großbritannien durchaus drastisch: Bis zu 3 Jahre Haft kann ein Fan dafür bekommen. In der Regel werden aber hohe Geldstrafen und ein langes Stadionverbot verhängt. Tätern wird dabei meist in einem Schnellverfahren der Prozess gemacht. Dass diese Strafen dabei auch angewendet werden, zeigt ein Beispiel von September 2004: Nachdem ein Zuschauer bei einem Spiel der Blackburn Rovers gegen Birmingham City einen farbigen Spieler mit rassistischen Schmährufen beleidigt hatte, wurde der Rovers-Fan zu einer Geldstrafe von 1300 Euro und fünf Jahren Stadionverbot verurteilt. Der Fall erreichte in Großbritannien dabei sogar die höchste politische Ebene: So sprach der britische Sport- Minister Richard Caborn von einem inakzeptablen Verhalten gegenüber dem Spieler aus Trinidad. Rassismus dürfe in keiner Weise akzeptiert werden, so Caborn weiter.

„Kick it out“ – Faninitiativen gegen Rassismus

Der Rückgang von rassistischen und diskriminierenden Verhaltensweisen in den englischen Stadien ist dabei allerdings keineswegs nur auf harten Strafen und das Eingreifen der Politik zurückzuführen. Vielmehr sind in den britischen Stadien seit 13 Jahren antirassistische Initiativen wie „Kick it out“ aktiv. Außerdem haben sich die dunkelhäutigen Spieler selbst massiv gegen rassistische Diskriminierungen zur Wehr gesetzt.

Die antirassistischen Fan-Initiativen werden dabei kontinuierlich finanziell und organisatorisch von der britischen „Football Association“ unterstützt. Aber auch die Vereine und die Spielergewerkschaft unterstützen die antirassistische Arbeit. So kündigt beispielsweise der FC Arsenal an: „Wir tolerieren keine Beschimpfungen und rassistischen Rufe in unserem Stadion. Egal ob Arsenal-Anhänger oder Gäste-Fans, wir schreiten ein ? notfalls auch mit Klagen vor Gericht – um dieses inakzeptable Verhalten auszurotten.“ Und auch die britische Wirtschaft finanziert mittlerweile die Arbeit der Fans gegen Rassismus. Diese massive gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung ist dabei sehr wichtig für die Fans, ermöglicht sie doch ihren Initiativen eine kontinuierliche Arbeit gegen Rassismus.

Die Kampagnen der antirassistischen Initiativen sind dabei möglichst breit angelegt, um möglichst viele Fans und Stadienbesucher zu erreichen. So werden die Zuschauer in den Stadionheften und auf den Anzeigetafeln aufgefordert, diskriminierende Rufe zu melden. Dafür gibt es sogar extra eine kostenlose Telefon-Hotline. Außerdem hielten Fans des FC Arsenal bei einem Ligaspiel Karten mit der Aufschrift „Arsenal für jeden“ hoch, die in den Farben des Vereins gestaltet waren.

Am selben Tag führten die Fans des Vereins Sheffield United im Stadion eine Choreographie mit der Botschaft „Fußball verbindet“ durch. Organisiert hat diese Aktion die in Sheffield beheimatete Organisation „Football unites, racism divides“ (Furd). „Furd“ arbeitet schon seit vielen Jahren eng mit dem Verein „Sheffield United“ zusammen. Sie führen beispielsweise regelmäßig gemeinsam einen so genannten „Community Day“ durch, an dem neben Information, Straßenfußball und Musik vor allem der Austausch unter den verschiedenen kulturellen Gruppen der Stadt im Vordergrund steht. Unterstützung erfährt die antirassistische Initiative auch von den lokalen Behörden.

Neben publikums- und medienwirksamen Aktionen führte „Furd“ aber auch einen Kongress zum Thema Rassismus und Rechtsextremismus im europäischen Fußball durch. Über 70 Personen aus 14 Ländern waren dazu in die britische Stadt eingeladen. Auf dieser Konferenz war auch eine dritte britische Initiative vertreten: Die Kampagne „Show racism the red card“, zu der es auch ein deutsches Pendant gibt. Alle drei Initiativen sind im antirassistischen europaweiten Netzwerk „Football Against Racism in Europe“ (FARE) organisiert.

„Football Against Racism in Europe“ (FARE)

Gegründet wurde FARE im Jahr 1999 auf Initiative der österreichischen Kampagne FairPlay. Damals luden Fanclubs und Anti-Rassismus-Kampagnen Fußballverbände, Spielergewerkschaften und MigrantInnenorganisationen nach Wien ein, um eine gemeinsame Strategie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im europäischen Fußball zu entwickeln. Seitdem hat es sich FARE zur Aufgabe gemacht, lokale und nationale Initiativen zu vernetzen, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam europaweit aktiv gegen Rassismus im Fußball vorzugehen. FARE arbeitet überwiegend im Basisbereich, also auf der Ebene der Vereine und Fußballclubs. Aber auch auf höheren Ebenen findet das antirassistische Netzwerk Partner: So veröffentlichte die FIFA im Juli 2001 eine Resolution gegen Rassismus, die in Kooperation mit FARE entworfen wurde. Im August 2001 zeichnete die UEFA FARE mit dem „Charity Prize? aus und legte eine Zusammenarbeit zwischen dem antirassistischen Netzwerk und dem europäischen Fußballverband fest. Finanzielle Unterstützung bekommt FARE außerdem von der Europäischen Kommission.

Jährlich veranstaltet das antirassistische Netzwerk eine Aktionswoche gegen Rassismus, deren Ziel es unter anderem ist, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Themen Rassismus und Diskriminierung im Fußball zu stärken und so den gemeinsamen Kampf gegen dieses Problem zu fördern. Bei der siebten FARE- Aktionswoche im Jahr 2006 gab es beispielsweise über 1000 Veranstaltungen in 37 europäischen Ländern. In 14 Ländern haben die Top-Ligen dabei einen Spieltag für den Kampf gegen Rassismus genutzt, so zum Beispiel in Österreich, Deutschland, England, Belgien, Slowenien, Rumänien und Norwegen. Am dritten Spieltag der UEFA Champions League trugen die Kapitäne aller Teams außerdem Armbinden mit der Aufschrift „Vereint gegen Rassismus“. Laut Piara Powar, dem Direktor des englischen FARE- Partners „Kick it out“, liefert die Aktionswoche dabei „ein deutliches Statement für die Art von Fußball, für die wir eintreten: ein Fußball, der frei von Diskriminierung ist und der alle Menschen aktiv integriert“ .

Die EURO 2008

Eine wichtige Plattform für den Kampf gegen Rassismus im Fußball soll laut UEFA-Generaldirektor Lars-Christer Olsson auch die Endrunde der Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz werden: „Die UEFA steht voll hinter den Aktivitäten zur Unterstützung der Fans und zum Schutz vor Gewalt und Diskriminierung. Die EURO 2008 kann dabei helfen, das Bewusstsein für den Kampf gegen den Rassismus zu schärfen. Ich bin mir sicher, dass uns das auch gelingen wird.“

Dieser Text ist dem Online-Dossier zum Thema Rechtsextremismus der Bundeszentrale für politische Bildung entnommen und wurde uns vom Autor und den Herausgebern freundlicherweisse zur Verfügung gestellt. www.bpb.de/rechtsextremismus. Erstveröffentlichung am 15.2.2007

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Seit den 80er Jahren sind gewaltbereite, rechtsextreme Hooligans für Fußballvereine ein Problem. Immer wieder kam es in Stadien oder am Rande von Fußballspielen zu Gewaltausbrüchen. Heute begeistert sich diese Szene zunehmend für Mixed Martial Arts und Kampfsport-Events die sie zum Vernetzen und zur Verbreitung ihrer menschenfeindlichen Ideologie nutzen. Ein Interview mit Szenekenner und Autor Robert Claus über vegane Kampfsport-Nazis, die Professionalisierung der Gewalt und die internationale Vernetzung.

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