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Warum engagieren sich Neonazis gegen „Kinderschänder“?

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Wo immer ein Kind Opfer einer Sexualstraftat wird, stehen die Rechtsextremen als Erste auf der Straße und fordern „Todesstrafe für Kinderschänder“. Das Thema ist unter Neonazis sogar derart beliebt, dass auch kaum eine rechtsextreme Band, die ohne einen „Kinderschänder“-Song auskommt. In einschlägigen Internetshops, aber auch bei Ebay können Waren mit dem Slogan „Todesstrafe für Kinderschänder“ bestellt werden, vom T-Shirt bis zum Auto-Rückscheibenaufkleber. Auch unzählige Videos rechtsextremer Herkunft bei Youtube zum Thema illustrieren die Beliebtheit.

 

Kindesmissbrauch kann keiner gut finden

 

Rund 13.000 aller erfassten 6 Millionen Straftaten in der „Polizeilichen Kriminalstatistik 2007“ fallen in die Rubrik „Kindesmissbrauch“. Aber diese 0,2 Prozent der Straftaten erfahren eine öffentliche Anteilnahme wie wenige andere Straftaten. Wenn Kinder Opfer von sexueller Gewalt werden, übertragen sich Trauer und Schmerz der Angehörigen und Opfer auf die ganze Gesellschaft einer Stadt oder eines Landes. Die Empörung ist groß, ebenso die Ängste vor möglichen Wiederholungstaten. Die moralische Verurteilung ist absolut eindeutig. Deshalb lieben die Rechtsextremen das Thema Kindesmissbrauch: Wenn sie den ablehnen, ist ihnen die Zustimmung der Bevölkerung sicher. Oft sind die Rechtsextremen der NPD oder der lokalen Kameradschaft die ersten, die mit Transparenten auf dem Marktplatz stehen, wenn etwas passiert. Damit gelingt es ihnen immer wieder, den Volkszorn aufzunehmen und zu kanalisieren. Sie füllen ein Vakuum, das nach entsetzlichen Taten herrscht, und instrumentalisieren sie mit ihren Parolen. Taktisch gehört das zur „Normalisierungsstrategie“ der Rechtsextremen: Sie greifen populäre Themen auf, um sich selbst als sympathische politische Alternative zu präsentieren.

 

Aktuell: Die Hetze von Heinsberg-Randerath

Im Februar 2009 war dies Zusammenspiel eindrucksvoll im nordrhein-westfälischen Heinsberg-Randerath zu beobachten. In diesem 1.400-Menschen-Ort wohnte der Bruder eines Sexualstraftäters. Der hatte wegen der Vergewaltigung dreier Mädchen 20 Jahre im Gefängnis gesessen und wurde jetzt entlassen, obwohl die Staatsanwaltschaft wegen Rückfallgefährdung nachträgliche Sicherheitsverwahrung beantragt hatte. Der CDU-Landrat Stephan Pusch, zugleich Polizeichef der Region, sprach daraufhin eine öffentliche Warnung vor dem 57-Jährigen aus. Das Ergebnis war eine Hetzjagd: Jeden Tag demonstrierten aufgebrachte Menschen vor dem Wohnhaus der Familie. Die Rechtsextremen waren von Anfang an mit dabei. Als sie am Wochenende auf dem Marktplatz demonstrierten, fanden sie schnell mehr Sympathisanten, als sie selbst Teilnehmer zählten. Andere Heinsberger distanzierten sich zwar von den Neonazis, brüllten aber selbst „Wir wollen keine Kinderschänder-Schweine“ oder zeigten Plakate wie „Raus Du Sau“ und hatten damit kaum ein demokratischeres Niveau. Bisher ist eine Lösung des Konfliktes offen, der Täter will nicht freiwillig zur Therapie in eine geschlossene Einrichtung gehen.

 

Die wahren Hintergründe: Rassismus und völkisches Denken

Aber was meinen die Rechtsextremen, wenn sie die „Todesstrafe für Kinderschänder“ fordern? Die NPD macht sich stark für den Schutz deutscher Kinder. Aber nur aus einem Grund: Kinder sind ein Mittel zum vermeintlichen „Rassenerhalt“. Für nicht-deutsche Kinder oder deutsche Kinder mit Migrationshintergrund gelten alle NPD-Forderungen nämlich explizit nicht.

 

Stimmungsmache gegen das „System“

Dann ist das Thema für die Rechtsextremen Aufhänger, um sich über die Polizei und das Rechtssystem auszulassen. „Die da oben“ sind in der NPD-Logik Schuld daran, dass Täter zu wenig bestraft würden. Logische Folge für Rechtsextreme: Das „System“ muss gestürzt werden. Praktischer Nebeneffekt der Argumentation: Die Neonazis können immer wieder darauf hinweisen, dass sie selbst etwa für Propagandadelikte im Vergleich zu Sexualstraftätern unangemessen hart bestraft würden. Das stimmt ebenso wenig wie die Behauptung der Rechtsextremen, Kindesmissbrauchsfälle würden ständig zunehmen. Das schürt aber Ängste und trifft Stimmungen in der Bevölkerung, die Ähnliches glauben.

 

Hetze gegen die moderne Gesellschaft

Schuld ist dazu – auch dies Lieblingsthemen der Rechtsextremen – die Individualisierung und der Kapitalismus der modernen Gesellschaft („Es zählt heute nur mehr das Geld und der niedere Trieb.“ heißt es auf einem Flugblatt zum Thema) , und natürlich Toleranz an sich („Systematisch wird ‚Toleranz‘ für alles und jeden, ja für alle Abartigkeiten propagiert“, ebenda).

 

Law-and-Order-Logik

Die Forderung nach der Todesstrafe gehört zur rigiden Law-and-Order-Logik der Rechtsextremen, denen Menschenleben eh wenig wert sind, und bietet zugleich eine scheinbar einfache Lösung. Sie zeigt auch deutlich die Fixierung der Rechtsextremen: Es geht ihnen nämlich nicht darum, wie den Kindern, den Opfern, geholfen werden kann. Sie nutzen nur Gewaltforderungen gegen den Täter nur, um ihr krudes Weltbild zu propagieren. Oft gibt es noch die populistische Seitenargumentation, die Täter lägen im Gefängnis ja nur dem Steuerzahler auf der Tasche.

 

Freude an Pathos und Gewaltverherrlichung

Wenn rechtsextreme Bands oder Youtube-Filme sich mit dem Thema beschäftigen, kommen noch andere Komponenten dazu: Die Freude am Pathos und an der Schilderung der Gewalttaten, sowohl an den Kindern, als auch beim Ausmalen, was die Neonazis dann mit den Tätern tun wollten. „Freibeuter“ rufen zum Lynchmord auf „Die Kinderschänder – mach sie kalt!“ („Kinderschänder“). Auch die rechtsextreme Liedermacherin Anett schwadroniert pathetisch herum, bis sie zur Sache kommt und sich „Gift im Leib“ der Täter wünscht („Wir hassen Kinderschänder“). „Der schwarze Orden meint: „Die Seele des Mädchens ist gebrochen / es wird von Psychologen gesprochen /doch Psychologen brauchen wir nicht / denn bald halten wir, wir Gericht“ („Todesstrafe“). Dank Todesstrafe brauchen die Opfer also keine Betreuung mehr? Jedes Beispiel macht deutlich: Um das Wohl der Kinder geht es den Rechtsextremen wirklich am allerwenigsten, wenn sie wieder einmal die „Todesstrafe für Kinderschänder“ fordern.

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