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Christian Petry Polemik statt leidenschaftlicher Streit um Lösungen

Was macht unsere aktuelle Debattenkultur kaputt?

 

Über „Verrohung der politischen Auseinandersetzung“ und „ein hasserfülltes politisches Klima“ beklagt sich Bundestagspräsident Nobert Lammert. Wer wollte ihm nicht recht geben? Statt des „leidenschaftlichen Streits“ um die richtige Lösung politischer Aufgaben trifft man auf Polemik, Rechthaberei, Stereotype und eine befremdliche Entschlossenheit, im Debattengegner einen bösartigen, verachtenswerten Feind zu sehen, sich selbst aber in hellen Tönen zu malen. Wenn ich nur ein Wort verwenden dürfte, um diese, die demokratische Kultur gefährdende, Entwicklung zu begründen, dann würde ich nicht Ohnmacht gegenüber bürokratisch erstarrter Politik wählen, nicht auf Angst vor sozialem Abstieg hinweisen. Mit scheint vielmehr, dass zu viele Menschen die Grundlage demokratischer Kultur nicht akzeptieren wollen: Die Gleichwertigkeit der Unterschiedlichen. Wer sich selbst für mehr Wert hält als z. B. muslimische Flüchtlinge oder auf andere Gruppen mit anderen Merkmalen herabsieht, und verantwortliche Politiker zu Volksverrätern erklärt, weil die dieser Haltung widersprechen, der greift die Grundlage einer demokratischen Kultur an.

Was würde helfen, sie wieder zu beleben?

Es wäre nützlich, lebendige Debattenkultur dort zu suchen, wo sie wirksam ist und die Formen und Bedingungen zu beschreiben, denen sie ihre Wirksamkeit verdankt. Es gibt etwa Gemeinden und Landkreise, in denen die Bevölkerung von den Verantwortlichen rechtzeitig informiert, an den anstehenden Entscheidungen auf unterschiedliche Weise beteiligt wurde und sich kooperative Strukturen von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft gebildet haben. Dadurch wurde es möglich, ein Klima guten Zusammenlebens zu entwickeln und für die ja nie auszuschließenden Konflikte Regelungen zu finden. Das Problem ist nur, dass für die Diskussionen auf der nationalen Ebene die möglichen positiven Geschichten nur eine geringe Rolle spielten und spielen. 

Was hat das Internet damit zu tun?

Das Netz erlaubt es, die Chancen für Beteiligung an der Meinungsbildung in ungeahnter Breite und Schnelligkeit zu entfalten. Bisher haben eher diejenigen Stimmen davon profitiert, die durch den Ausdruck starker negativer Emotionen Aufmerksamkeit erregt haben. Man sollte die Attraktivität, die in der Kraft der Aufklärung liegt, aber nicht unterschätzen. Und ich bin überzeugt, dass das offline zu beobachtende Wachstum von Problemlösungsressourcen durch vielfältige und angemessene Diskusions- und Deliberationsformen sich durch eine Spiegelung und Entwicklung im Netz verstärken lässt. Gegen die Schwäche der Aufklärung hilft mehr Aufklärung; gegen die Schwäche der Demokratie mehr Demokratie und gegen Gefährdungen einer demokratischen Debattenkultur durch das Netz ein besserer Gebrauch des Netzes. Im Übrigen: Überschwemmungen entstehen schnell, Gärten wachsen langsam.

Christian Petry ist Sozialwissenschaftler und Mitglied des Stiftungsrats der Amadeu Antonio Stiftung.

 

 

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