„Know your history“, das ist die Tagline des im November 2020 erschienen Teils der Shooter-Blockbuster-Serie „Call of Duty“ mit dem Untertitel „Black Ops: Cold War“. Zum insgesamt 17. Mal verkörpern Spieler:innen des Franchise grimmige Krieger im Einsatz gegen diverse Bedrohungen des Westens.
Diesmal geht es nicht, wie in den vier vorangegangenen Franchise-Ablegern mit dem Untertitel „Black Ops“, um die Welt des regulären Militärs und großer kriegerischer internationaler Konflikte, sondern um die Halbwelt von Spionage, paramilitärischen Verbänden und Geheimoperationen. „History“, das bedeutet hier: die mehr oder weniger versteckte Zeitgeschichte des titelgebenden Kalten Krieges. In den einführenden Videosequenzen reihen sich historische Filmdokumente aneinander, reale Bilder sowjetischer Paraden, Straßenszenen, Presseaufnahmen, Bilder des sowjetischen Generalsekretärs Breschnew, von Bürgerrechtsprotesten in den USA, verwaschene Originalaufnahmen von Fidel Castro und militärischen Paraden und Einsätzen.
Schon die ersten Einsatzbesprechungen, die ersten Szenen verankern das Geschehen durch diese Originalbilder und zahllose beeindruckende szenische Details in der Zeitgeschichte, 40 Jahre vor der Gegenwart. Der verlorene Vietnamkrieg als andauerndes Trauma der handelnden Personen kommt
zur Sprache und ein weiteres US-Debakel: das historische Geiseldrama in der US-Botschaft in der iranischen Hauptstadt Teheran, dessen Ende am 20. Januar 1981 wenige Tage nach den ersten Szenen des Spiels liegt. Zwei daran Beteiligte gilt es, als allererste Mission in „Cold War“, in Amsterdam aufzuspüren und zu verhören. Ihre Befragung ergibt historisch Erstaunliches: Die Sowjets stecken dahinter.
Abbiegen zu den alternativen historischen Fakten …
„Know your history“: In der Realität gab es keine sowjetische Beteiligung an der dramatischen Situation in der US-Botschaft in Teheran. In der Realität waren auch die Verantwortlichen für das im Reihenvorgänger „Modern Warfare 2019“ erwähnte Kriegsverbrechen am berüchtigten „Highway of Death“ nicht russische, sondern US-Streitkräfte. „Call of Duty“ verkörpert derart platten Geschichtsrevisionismus, dass es in einem der größten Hochglanzprodukte des global umsatzstärksten Entertainmentmediums auch Zyniker noch überraschen sollte USA gut, Russland böse – für einen Blockbuster so weit, so erwartbar. Doch die die gesamte Handlung von „Cold War“ durchziehende große sowjetische Verschwörung ist als narratives Grundgerüst so bestimmend, dass dafür schon in der Bewerbung des Spiels großzügig die Grenzen zwischen historischer Realität und in realen rechtsextremen Zirkeln populären Verschwörungstheorien verwischt wurden. Bereits der erste Trailer zum Spiel, veröffentlicht im August 2020, sorgte für Irritation. In einem dort gezeigten historischen Interview aus dem Jahr 1984 beschreibt der KGB-Überläufer Yuri Bezmenov angebliche sowjetische Strategien zur Destabilisierung westlicher Gesellschaften. Diese gesteuerte „Demoralisierung“ erfolge nicht durch militärische oder geheimdienstliche direkte Intervention, sondern durch Unterwanderung und Radikalisierung der Zivilgesellschaft – bebildert durch historische Aufnahmen von Bürgerrechtsbewegungen und Friedensprotesten.
„Know your history“: Das Interview mit Bezmenov ist historisch, doch sein von Trailer und Spiel verschwiegener Kontext ebenso. Die Aufnahmen stammen von G. Edward Griffin, einem US-amerikanischen Autor und Journalisten, der als wichtiger Verbreiter rechtsalternativer Verschwörungsmythen gilt und Mitglied und Funktionär der rechtsradikalen John Birch Society
ist. Bezmonovs im Trailer gezeigte Behauptungen sind die Grundlage vieler Verschwörungstheorien, die von heutigen rechtsextremen Kreisen gepflegt werden.



