Weiter zum Inhalt

Meißen Macht die AfD einen Neonazi zum Bürgermeister?

Am 7. September wird in Meißen das Bürgermeisteramt neu besetzt. Für die AfD kandidiert der ehemalige NPDler und Neonazi René Jurisch. Ein persönlicher Blick auf die eigene Heimat von Frederik Mallon beim Volksverpetzer.

 
Am 7. September wird in Meißen ein neuer Bürgermeister gewählt. (Quelle: manfredxy / Shutterstock.com)

Dieser Artikel ist zuerst bei Volksverpetzer erschienen.

Dieser Artikel ist Berichterstattung, aber er ist auch ein persönlicher. Meißen bedeutet Heimat für mich, ich war hier in der Schule, aus dem Kunstzimmer kann man den Dom sehen, im Stadttheater habe ich mein Abschlusszeugnis bekommen. Den Proberaum meiner Band, meine erste Beziehung, all diese persönlichen Dinge verbinde ich mit Meißen. Und deshalb macht es mir noch ein bisschen mehr Sorge, dass vielleicht ganz Deutschland bald Meißen vor allem mit einer Sache verbindet: einem waschechten Neonazi als Oberbürgermeister. 

Und nein, es geht mir nicht einfach um einen frustrierten „alten weißen Mann“, der nach dem dritten Bier gegen Flüchtlinge vom Leder zieht. Klar, davon hat Meißen auch eine Menge. Aber der Mann, den die AfD als ihren Kandidaten für die Bürgermeisterwahl aufgestellt hat, ist von einem anderen Kaliber. Wenn ich Neonazi sage, dann meine ich auch wirklich Neonazi. 


Mehr von Volksverpetzer: Macht die AfD einen Neonazi zum Bürgermeister von Meißen?


Ehemaliger NPDler könnte bald Meißens OB sein

René Jurisch tritt als AfD-Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl am 7. September an. Parteimitglied ist er aber nicht. Denn eigentlich ist er selbst der AfD zu krass. Um die Jahrtausendwende war er in der NPD aktiv. Zu dieser Zeit gründete er auch einen „Verein zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne Meißen e.V.“. Die Schwarze Sonne galt schon damals als Erkennungszeichen der Neonaziszene und Ersatz für das verbotene Hakenkreuz. Und Jurisch trägt sie offenbar bis heute stolz und öffentlich auf dem Oberarm, wie beispielsweise auf dem Profil seines Motorradclubs beim Eisbaden 2023 zu sehen:

(Screenshot Facebook-Seite Venatores Elbtal)

Erinnert ihr euch noch an das NPD-Verbotsverfahren? Die Partei wurde damals nicht verboten – nicht, weil sie nicht extrem genug gewesen wäre, das war sie locker. Aber die Partei hatte einfach keine Chance, jemals Macht in Deutschland zu bekommen, sie war schlicht zu irrelevant. Jetzt hilft die AfD zumindest auf der Kommunalebene ganz offen ehemaligen NPDlern, dieses Ziel unverhofft doch noch zu erreichen. Und wir diskutieren immer noch darüber, ob man ganz vorsichtig mal über einen Antrag nachdenken darf, der die Prüfung eines AfD-Verbots einleiten würde?

Aktuell bemüht sich Jurisch darum, seine rechtsextreme Vergangenheit kleinzureden und die extremistische Gegenwart abzustreiten. Er schlägt in seinem Auftreten nun leisere Töne an. Er gibt sich als heimatverbundener Unternehmer, unterstützt lokale Tierheime, fotografiert Müll als Beweis fürs „Staatsversagen“. Gleichzeitig hat er in den sozialen Medien einen treuen Mob hinter sich, der jegliche kritische Stimme unter seinen Social Media Posts verlässlich öffentlich und persönlich attackiert. So kann sich Jurisch als moderater „Mann des Volkes“ inszenieren und unangenehmen Fragen zu Vergangenheit und Gegenwart aus dem Weg gehen.

Wenn das Lokalblatt Rechtsextremisten hofiert

Apropos unangenehme Fragen: Sollte genau dafür nicht eigentlich der lokale Journalismus zuständig sein? Genau das hatte die Sächsische Zeitung in ihrem Portrait des Rechtsextremisten vielleicht auch vor. Doch das Scheitern auf ganzer Linie ist bemerkenswert. Beim netten Stadtspaziergang wurde das Thema natürlich kurz angesprochen – damit Jurisch es als „Jugendsünde“ abtun kann. Ansonsten wirkt der Artikel wie Dienst nach AfD-Auftrag. Dass Migration tatsächlich deutsche Sozialkassen entlastet, erfährt man auch an der Stelle nicht, als der AfD-Kandidat behauptet, dass „die“ dem „Sozialstaat auf der Tasche liegen“.

Der Sächsischen Zeitung gelingt es also nicht, die vielen möglichen Kritikpunkte an einem rechtsextremen Kandidaten mit Neonazi-Vergangenheit aufzuzeigen. Stattdessen: Fast schon Hofberichterstattung für einen Mann, der offenbar noch im vergangenen Jahr mit einem Banner auf seinem Privatgrundstück die Verschwörungserzählung vom “Bevölkerungsaustausch” öffentlich propagierte. Erfährt man natürlich nicht im Artikel. Perfekt gemacht wird das ganze Debakel des Lokaljournalismus durch einen Artikel bei „diesachsen.de“. Dieser „Meinungsbeitrag“ kommt zum Ergebnis, die Sächsische Zeitung hätte doch eigentlich „alles richtig gemacht“. Dass der Autor dieser Meinung der Ehemann (!) der Reporterin im oben genannten SZ-Beitrag ist, erfährt die geneigte Leserin immerhin ganz am Ende des Artikels.

Das ist hier kein einzelnes Versagen einer einzelnen Reporterin oder einer Redaktion. Der Lokaljournalismus stirbt aus, gerade im ländlichen Raum, besonders in Ostdeutschland. Oft (nicht immer) steckt da keine böse Absicht dahinter. Es fehlen einfach die Ressourcen. Die Sächsische Zeitung ist da ein prominentes Beispiel: Letztes Jahr wurde sie mit der Leipziger Volkszeitung fusioniert und gehört nun Madsack, einem westdeutschen Medienkonzern, dem die Oberbürgermeisterwahl in Meißen natürlich völlig egal ist. In der Chefetage zählt der Profit. Und wenn kritische Berichterstattung über Rechtsextreme keine schwarzen Zahlen schreibt, dann wird sie eben gestrichen.

Juristisch wird künstlich gepusht

Die fehlende Professionalität des Lokaljournalismus steht im bitteren Kontrast dazu, wie hochprofessionell die AfD mobilisiert. Anders als gewöhnlich im Kommunalwahlkampf, wo man sich einfach auf den Marktplatz stellt und mit interessierten Menschen spricht, die zufällig vorbeilaufen und vielleicht mal die Hand des lokalen Landtagsabgeordneten schüttelt, hat die AfD für den Ex-NPDler Jurisch die ganz großen Kanonen der Wahlkampfmaschinerie aufgefahren. Kern der AfD-Strategie ist nämlich prominente Hilfe von außerhalb.

Erst am Sonntag veröffentlichte das rechtsextreme Compact-Magazin (Sitz in Sachsen-Anhalt) von Jürgen Elsässer (aus Baden-Württemberg) ein Propaganda-Video für Jurisch. Auf Jurischs “Sommerfest” in Meißen war unter anderem Parteichef Tino Chrupalla anwesend. Der kommt immerhin aus demselben Bundesland wie Jurisch und ist damit fast schon Exot innerhalb der hochprofessionellen bundesweiten Kampagne, die den Menschen in Meißen erklären soll, wen sie bitteschön zu wählen haben.

(Bildquelle: Screenshot Facebook-Seite AfD Stadtratsfraktion Meißen)

Unterstützungsvideos drehten zum Beispiel der Brüsseler AfD-Abgeordnete Alexander Jungbluth (aus Rheinland-Pfalz), der Fraktionsvorsitzende der AfD im Landtag Sachsen-Anhalt Ulrich Siegmund, dazu Dennis Hohloch, nicht nur AfD-Abgeordneter im Brandenburger Landtag sondern auch eine zentrale Figur für die Hochstufung des Landesverbandes als gesichert rechtsextrem, und auch der Chefhetzer im Bundestag, Stefan Brandner, lieferte aus Berlin. Wie viele von Jurischs Wahlkampfhelfern ein paar Tage zuvor auch nur grob sagen konnten, wo Meißen liegt und wer Jurisch ist, ist nicht bekannt.

Natürlich hat ihre plötzliche Begeisterung für den Mann mit dem Neonazi-Tattoo strategische Gründe. Keinen AfD-Parlamentarier in Brüssel interessiert es, ob in Meißen Müll unter einer Bank liegt, aber sie brauchen immer wieder Erfolge, die sie zur „blauen Welle“ hochjazzen können, um gerade in ihren Hochburgen demokratische Gegner:innen immer mehr zu entmutigen und einzuschüchtern.

Zivilgesellschaft wird attackiert

Die Einschüchterung aller, die es wagen, sich klar gegen den von der AfD erkorenen Kandidaten zu stellen, ist schon tief in die Zivilgesellschaft vorgedrungen. Eine Aktivistin aus der Stadt schrieb uns, mit der Bitte um Anonymität:

Wir hocken hier wie das Kaninchen im Scheinwerferlicht des heranrasenden LKW und können nur hoffen, dass wir zwischen die Räder geraten und nicht drunter.“

Was es bedeutet, in Meißen von führenden AfDlern zum Hauptgegner ernannt zu werden, musste Buntes Meißen Bündnis Zivilcourage e.V., ein Verein aus der Stadt, der sich für das Miteinander aller Menschen in Meißen einsetzt, schon mehrfach schmerzhaft erfahren. Schon 2015 gab es einen Brandanschlag auf ein Haus von Buntes Meißen-Gründungsmitglied Ingolf Brumm, in das Geflüchtete aufgenommen werden sollten. 2024 gab es einen Brandanschlag auf das Gelände des Vereins, vor einigen Wochen brannte es dort erneut. Der Verein selbst benennt das Gift der Verleumdung und Diffamierung als entscheidenden Hintergrund für die Gewalt. Das Schema folgt dabei dem Konzept des stochastischen Terrorismus: Natürlich macht sich kein AfDler selbst die Hände schmutzig, doch mit ständigen verbalen Attacken hetzen sie ihre Anhängerschaft so lange auf, bis dann vielleicht doch mal einer zum Brandsatz greift.

Jurisch, den jeder Aufkleber auf einem seiner Wahlplakate zur höchsten Empörung treibt, bewegt der Anschlag übrigens nicht einmal zu einer oberflächlichen Solidaritätsbekundung, ganz im Gegenteil hetzt er weiter gegen Aktionen des Vereins und vertieft damit die Spaltung, die solche Gewalttaten motiviert.

Was kannst du konkret tun?

Bleibt allein die Frage: Was tun? Klar, die meisten Leute, die diesen Artikel lesen, wird das empören, was sie da erfahren. Eine massive Kampagne der AfD, mit Unterstützung aus Berlin, Brüssel und Medienprofis des Parteivorfeldes, um einen früheren NPDler als Oberbürgermeister einer Kleinstadt in Sachsen durchzudrücken. Doch was kann man tun, das über ohnmächtige Empörung hinausgeht?

Einiges, zum Glück. Zunächst einmal kann man Redaktionen, die unkritisch über Rechtsextreme berichten, per E-Mail Leserbriefe schreiben. Falls ihr das vorhabt, denkt daran: Diese Briefe lesen Menschen, auch wenn ihr wütend oder enttäuscht seid, bleibt bitte respektvoll. Außerdem entscheidet sich die Frage, wie viel Raum Rechtsextreme einnehmen können, auch daran, wie weit die Zivilgesellschaft vor Ort zurückgedrängt wird. Oder wie stark sie dagegen hält.

Das Bündnis Buntes Meißen ist ein solcher Akteur, der sich sicherlich über zahlreichen Besuch beim Intercultural Festival am 12. und 13. September, wo man direkt auch noch lokale Künstler:innen unterstützen kann, freut. Und natürlich machen wir hier keine Schleichwerbung – aber das Meißner Elbtal ist wirklich immer einen Ausflug wert (ich gebe zu, da bin ich nicht ganz neutral, aber wer vom Burgberg über die Stadt oder auf der Boselspitze Richtung Dresden schaut, wird verstehen, was ich meine).

Und ja, wir müssen auch langsam ernsthaft fragen: Wie lange will die Politik uns noch die Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens vorenthalten? Diese Partei pusht gerade buchstäblich ehemalige NPDler an die politische Macht – genau die rechtsextreme Partei, die wir nur deswegen nicht verboten haben, weil sie keine Chance auf politische Macht hat. Die Argumente der Gegner einer Prüfung werden auch in Meißen jeden Tag unglaubwürdiger.

Belltower.News macht gemeinnützigen Journalismus, denn wir klären auf und machen das Wissen von Expert*innen zu Antisemitismus, Rassismus und
Rechtsextremismus und allen anderen Themen der Amadeu Antonio Stiftung für alle zugänglich.
Unsere Reportagen, Recherchen und Hintergründe sind immer frei verfügbar und verschwinden nie hinter einer Paywall. Dafür brauchen wir aber auch deine Hilfe.
Bitte unterstütze unseren Journalismus, du hilfst damit der digitalen Zivilgesellschaft!

Weiterlesen

AZ_24_239_Foto weltoffenes Werder (3)

Feindbild Demokratie Wie Rechtsextreme die Zivilgesellschaft angreifen

Der Druck auf zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, nimmt zu. Am Beispiel des Vereins „Buntes Meißen“ zeigt sich exemplarisch, wie gefährdet die demokratische Kultur in Ostdeutschland ist.

Von
max-fleischmann-4wcI3YQAWpI-unsplash(1)

Sachsen Bedrohung durch Neonazis nimmt deutlich zu

Die Opferberatung Support hat heute ihre Jahresstatistik 2024 vorgestellt und warnt vor einer alarmierenden Verschärfung rechter Gewalt im Freistaat.

Von
HP-Beitrag4

Arbeitsteilung Die AfD hetzt – Neonazis greifen an

Die AfD bereitet mit Hassrede und Hetze den Boden für rechtsextreme Gewalt, um anschließend die Tat zu verharmlosen, queerfeindliche Narrative zu bedienen und gezielt Desinformation zu streuen. Wie bei dem Angriff auf ein Demokratiefest in Bad Freienwalde zu beobachten ist.

Von

Schlagen Sie Wissenswertes in unserem Lexikon nach.