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Pegida, quo vadis? Heute Magdeburg (Sachsen-Anhalt)

Klischee olé: Frauen rechtsaußen sprechen gern über Familie und Kinder, so auch "Dügida"-Aktivistin Melanie Dittmer bei "Magida" am 28.09.2016, dokumentiert auf YouTube. Aber der Dreh war neu: Ängste schüren vor Sorgerechts-Entzug wegen Hass-Postings auf Facebook. Die armen Eltern! Oder sind sie etwa auch für die strafrechtliche Relevanz ihrer eigenen Äußerungen verantwortlich? (Quelle: Screenshot YouTube)

Christine Böckmann ist Mitarbeiterin der Netzwerkstelle Demokratisches Magdeburg und in der Bildungsarbeit bei Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V. tätig. Im „Bündnis gegen Rechts“ Magdeburg ist sie seit 2005 aktiv, seit 2011 dessen Koordinatorin. Mit ihr sprach Theresa Singer.

In Sachsen-Anhalt fällt vor allem „Magida“ als „Pegida“-Ableger auf. Seit wann gibt es “Magida“?

„Magida“ entstand bereits im November 2014. Erstmals auf die Straße gegangen sind sie am 19. Januar 2015. Bei den ersten beiden Demos, die sie „Spaziergänge“ nennen, waren es 600 bzw. 800 Teilnehmer_innen. In den ersten Monaten fanden die Demos sehr regelmäßig statt, allerdings verlor MAGIDA im Laufe des Jahres 2015 an Ausstrahlung. Zuletzt gingen wöchentlich zwischen 60 und 80 Personen aus der rechten Szene auf die Straße. Seit Februar 2016 ist offizielle Demopause. Ob und wann die Aufmärsche weitergehen, kann ich nicht sagen.

Was sind das für Leute, die bei „Magida“ auf die Straße gehen?

Sowohl die Organisator_innen als auch die Teilnehmer_innen rekrutierten sich mehrheitlich aus der lokalen Nazi- und der rechten Hooliganszene. „Frustbürger“ gibt es auch hier. Sie sind aber im Vergleich zu den Nazis in der klaren Minderheit. Bei den Demos waren auch öfter ältere Damen dabei. Mütter mit Kindern hab ich eher seltener gesehen. Wenn Kinder dabei waren, dann eher in Begleitung ihrer Väter. Die Mischung ist geblieben. Die „Normalo-Bürger“ wurden offenbar nicht durch die Nazis abgeschreckt. Die Hooligans waren vor allem bei den ersten, großen Veranstaltungen. Sie waren für Kenner_innen der Szene als Personen erkennbar. Die Nazis waren schon eher als Gruppen durch T-Shirts mit entsprechenden Aufdrucken und Fahnen sichtbar. Mitglieder von NPD und „Die Rechte“ waren auffallend stark vertreten und trugen bei mehreren  „Magida“-Veranstaltungen ihre Parteishirts.

Wer steht hinter  „Magida“?

Die Anmelder der Demos waren zumindest anfangs zwei Magdeburger. Einer kommt aus dem Umfeld der Republikaner, der andere eher  aus der Hooliganszene. Unter den Hauptredner_innen gab es zu Beginn auch AfDler, überwiegend kamen sie aber aus der Neonaziszene. Die Demoteilnehmer_innen kommen aus Magdeburg und aus dem Umland, viele haben mit der rechtsoffenen Szene der Hooligans, Ultras und mit neonazistischen Kameradschaften  zu tun. Von außen betrachtet, wirken die Organisator_innen der Aufmärsche eher wie eine lose Gruppierung als wie eine feste Gruppe. Die Ordner_innen kommen überwiegend aus der Türsteherszene. Genauer ist die Verflechtung in die Neonaziszene in unserem Papier „Nazis, Hools und Frustbürger“ vom Januar 2015 nachzulesen.

 

Spielt die AfD eine Rolle?

Bei den ersten Demonstrationen haben manchmal AfD-Funktionär_innen geredet, die sich aber nicht als AfD vorgestellt haben, sondern hinterher erklärten, sie hätten bei „Magida“  als Privatperson teilgenommen. Diese Auftritte wurden aber im Laufe der Zeit weniger. Es war eher umgekehrt:  „Magida“ hat mindestens zweimal einen Block bei großen AfD-Demos gestellt.

Hat sich die AfD von dieser „unerwünschten“ Unterstützung abgegrenzt, wie in anderen Städten?

Im Frühjahr 2015 hatte die AfD Magdeburg „Magida“ auf Facebook mit „Gefällt mir“ markiert. Dies ist inzwischen nicht mehr der Fall. Viel mehr ist nicht passiert.

Wenn sowohl die Teilnehmer_innen als auch die Organisator_innenmehrheitlich aus dem rechten Spektrum kommen: Gibt es eine Abgrenzung zur Nazi-Szene vor Ort?

Es gab wohl intern Diskussionen um die Beteiligung von rechten Parteien wie NPD und „Die Rechte“. Ich vermute die Aufspaltung der Bewegung im Sommer 2015 in „Pegida Magdeburg“ und „Magida“  rührt auch daher. Viele Redner_innen haben immer wieder betont, dass sie nicht rechts seien, sondern „nur als Demokrat_in“ sprechen würden. Das waren dann aber so Leute wie der Landesvorsitzende der NPD oder bekannte rechtsextreme Frauen wie Sigrid Schüssler und Melanie Dittmer.

Können Sie noch mehr darüber sagen, wer als Redner_innen auftrat?

Es gab einige Gastredner_innen aus der Nazi-Szene, die relativ häufig da waren. Neben Melanie Dittmer waren das Sigrid Schüssler und verschiedene NPDler aus Sachsen und Niedersachsen. Eine Besonderheit war wohl das offene Mikro. Da konnten dann auch lokale Leute vor der Menge sprechen, im Sinne von „Ich will auch mal was sagen…“.

Sie nennen Melanie Dittmer und Sigrid Schüssler, beides offenkundig Neonazis. Wie sichtbar sind Frauen bei „Magida“ generell?

Den Anteil an Frauen bei „Magida“ kann ich nur schwer abschätzen. Ich würde für die meisten Veranstaltungen von mindestens einem Drittel Frauen sprechen, vielleicht sogar mehr. Bei den ersten Veranstaltungen, als viele Hooligans dort waren, war der Frauenanteil geringer. Auffällig ist, dass immer wieder eine Gruppe älterer Damen bei den Demos zu sehen war. Von außen sind sie wohl die „besorgten Bürgerinnen“, von denen immer alle sprechen. Der Polizei gegenüber geben sie sich harmlos, aber Gegendemonstrant_innen pöbeln sie heftig und unverhohlen an.

Inszenieren sich die Frauen in irgendeiner Form geschlechtlich?

Ja, die älteren Damen nutzen, wie gesagt, ihre gesellschaftliche Wahrnehmung. Sigrid Schüssler trat überwiegend sehr feminin gekleidet auf. Sie spielt klar mit ihren sexuellen Reizen. Sie versucht sich auch nicht als besorgte Mutter zu verkaufen, sie gibt sich eher als gebildete Frau. Melanie Dittmer hingegen ist klar als rechte Aktivistin erkennbar und trat auch als solche auf. Bei dem offenen Mikro sprechen regelmäßig auch lokale Frauen, die eben oftmals aus ihrer Rolle als besorgte Bürgerin, Hausfrau und Mutter sprechen, aber dann islamfeindliche Reden schwingen.  Entgegen dem gängigen Klischee der friedfertigen Frau traten bei „Magida“ auch Neonazi-Frauen als Ordnerinnen auf.

Welche Themen werden bei den Demos in Reden und auf Plakaten benannt?

Flucht und Asyl sind sicherlich die Hauptthemen, um die sich letztlich alles drehte. Aber auch die Ängste vor einer vermeintlichen Islamisierung wurden geschürt. Dazu kam noch eine latente Elitenfeindlichkeit gegen Politiker_innen. Auch Gegendemonstrant_innen wurden in den Reden öffentlich angefeindet und mussten sich an der Straße Pöbeleien gefallen lassen. In Reden offenbart sich zudem Anti-Amerikanismus, wenn die USA für die Kriege dieser Welt verantwortlich gemacht werden. Auch lokale Themen wurden aufgegriffen –  generell immer mit rassistischen Ressentiments verknüpft, um eine Stimmung der Angst zu verbreiten. Einmal gab es eine Anzeige wegen eines Schildes, auf dem stand: „Rassenmischung ist Gotteslästerung“. Die Anzeige wurde in der darauf folgenden Woche auf der Demonstration verlesen, um sie ins Lächerliche zu ziehen und Stimmung zu machen.

Welche “Lösungsstrategien” werden propagiert, welches Gesellschaftsbild?

Der vorherrschende Duktus lautet: Merkel muss weg, Antifa muss weg, gegen Multikulti – also keine Ausländer. Die Menschen glauben wohl, dass ihre Probleme damit gelöst wären. Wenn die Demokratie Volksherrschaft ist und sie das Volk sind, sollte das ja wohl zu machen sein – so der Tenor. Es überrascht mich immer wieder, wie einfach das Gesellschaftsbild und auch die Vorstellung von möglichen Veränderungen dieser Menschen erscheinen. Man könnte es naiv nennen, aber das bringt uns ja auch nicht weiter.

Welche Rolle spielt Facebook für die Mobilisierung?

Die „Magida“-Seite auf Facebook hatte anfangs viele Likes  Nachdem sie sich im Sommer 2015 in „„Pegida“ Magdeburg“ und „Magida 2.0 – ohne Maulkorb“ aufgespalten haben, wurde die ursprüngliche Seite „Magida“ geschlossen. „Magida 2.0“ hat derzeit rund 1.000 Likes, „Pegida“ Magdeburg fast 7.000. Auf den Seiten wurde viel diskutiert und darüber mobilisiert. Als an einem Montag eine Demo ausfallen sollte, gab es Kritik, dass dies nur über Facebook bekannt gegeben wurde. Vor allem ältere Menschen, die nicht bei Facebook seien, würden das nicht mitbekommen. Daraufhin gab es bei der nächsten Demo das Angebot, die Telefonnummer zu hinterlassen.

Gibt es Gegenprotest aus der Zivilgesellschaft?

In den ersten Wochen wurden jeden Montag Formen von Gegenprotest organisiert. Von Januar bis März fanden zum Teil große Kundgebungen und Mahnwachen statt – oder auch mal eine Kulturveranstaltung. Anfänglich ließen sich sogar bis zu 6.000 Menschen gegen „Magida“  auf die Straße bringen. Dabei arbeiteten mehrere Bürgerinitiativen, Verbände und Organisationen zusammen. Eine Organisation aus der Friedensbewegung veranstaltete regelmäßig Mahnwachen vor der islamischen Gemeinde, um die Menschen, die sich dort aufhielten, zu schützen. Die Islamische Gemeinde selbst war relativ schnell bei den Protesten mit dabei und sehr prominent vertreten. Sie demonstrierten deutlich als Muslime erkennbar. Der Vorsitzende der Gemeinde hat mindestens einmal auf einer Gegenkundgebung geredet und Muslime beteiligten sich an kulturellen Protestveranstaltungen. Im Mai fand ein versteckter Spendenlauf zu Gunsten islamischer Gemeinden statt und auch „ravende Europäer“ fanden sich für den Protest zusammen („REGINA – Ravende Europäer gegen Intoleranz und Nationalismus“).

Welche Konzepte waren erfolgreich, welche sind gescheitert?

Die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Protest war erfolgreich. Irgendwann war allerdings bei den Kundgebungen alles zum Thema gesagt und im Laufe der Zeit wurde es immer schwerer, Menschen jeden Montag gegen die immer gleichen rund 70 „Spaziergänger_innen“ mit ihren seltsamen Reden zu mobilisieren. So ist es in Magdeburg mit Ausnahme der Mahnwache vor der Islamischen Gemeinde und unserem Monitoring nicht gelungen, MAGIDA dauerhaft etwas entgegenzusetzen.

Gab es Gesprächsrunden mit Einbezug von „Magida“?

Es gab heftige Diskussionen darüber, ob man mit diesen Leuten reden müsse oder nicht. Es war unklar, wer stellvertretend für die Demonstrant_innen spricht und auch mit wem man „vernünftig“ sprechen kann. Mit Nazis etwa wollte abgesehen von kleinen Gruppen keiner reden. Gegen Ende waren viele dafür, „Magida“ zu ignorieren, weil die Demonstrationen stark an Teilnehmer_innen verloren hatten. Man müsse so ein „Grüppchen“ nicht weiter ernst nehmen.

„Magida“ scheint zumindest vorübergehend ein Ende gefunden zu haben. Wie geht es jetzt weiter?

Derzeit ist Demopause. Sie dauert seit drei Monaten an – und es ist unklar, ob und wann „Magida“  wieder mobilisieren wird. Derzeit ist eine Gruppe von „Magida“-Teilnehmenden unterstützend bei anderen Demos vertreten, zum Beispiel bei der „Gemeinsam Stark Deutschland“-Demo am 9. April in Magdeburg. Und auch als Anfang Mai die Großdemo „Merkel muss weg“ in Berlin stattfand, wurde von den „Magida“-Leuten ein Bus gemietet, um teilnehmen zu können. Der Facebook-Kanal wird weiter betrieben.

Glauben Sie, dass „Magida“ die Stimmung und das gesellschaftliche Klima in Magdeburg nachhaltig verändert hat?

Frauen aus der islamischen Gemeinde haben mir erzählt, dass sie sich in dem Jahr der „Magida“- Demonstrationen immer entscheiden mussten, ob sie montags demonstrieren gehen oder die Innenstadt verlassen. Die Demonstrant_innen haben immer ziemlich aggressiv gepöbelt. Mir ging es da ähnlich wie den Muslima.

 

Das Interview führte Theresa Singer, freie Mitarbeiterin der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus.

 

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