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Rechte Gewalt Der tolerierte Ausnahmezustand

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Es sind nur Blicke, die den Kirmesbesuch von Moritz Thielicke, Daniel Drescher, Robert Weis und Elisa Grobe zum Spießroutenlauf machen. Abschätzige, höhnische, auch angewiderte Blicke, durch die sie mit ihren Piercings und bunten Haaren schlendern, begleitet von einem Fernsehteam des MDR-Magazins „Exakt“. Aus den Blicken von Familienvätern und Jugendlichen spricht die Botschaft: Ihr habt hier nichts zu suchen. Verschwindet. Die vier halten sich nicht lange vor den Karussells auf, wo Freudenschreie kurz die stampfende Musik übertönen. Das Stadtparkfest mit seinen bunten Fahrgeräten und Imbiss-Wagen ist für die Mitglieder des Vereins Soziale und Politische Bildungsvereinigung Limbach-Oberfrohna eine Gefahrenzone. Vor zwei Jahren wurden einige von ihnen hier von Neonazis zusammen geschlagen und schwer verletzt.

Sie haben eine schnelle Runde gedreht, einige Minuten nur, als drei junge Männer ihnen im Laufschritt nachsetzen. Die drei tragen schwarze Pullis, auf einem steht „Stahlgewitter“, auf einem anderen Anti-Antifa“. Uniformen rechter Schläger. Dann geht alles sehr schnell. Die drei brüllen: „Ihr Fotzen! Die Kameras aus!“ Sie schlagen danach, bauen sich drohend vor den jungen Leuten vom Verein auf und verhöhnen sie. Minuten lang versuchen sie, eine Schlägerei zu provozieren. Muskelbepackte Security-Männer verharren im Abstand von einigen Metern und gucken erst mal zu. Als einem der Angreifer die Hand ausrutscht, geht ein Sicherheitsmann dazwischen und beendet die Attacke. Die drei jungen Männer aus Limbach sind noch Schüler, gebärden sich aber als Rechtsextremisten, einer von ihnen tönt im Internet, das System abschaffen zu wollen. Sie spielen sich als Herren darüber auf, wer das Volksfest besuchen darf und wer nicht.

Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz in Sachsen. Was hier seit drei Jahren passiert, würde man in Pseudodemokratien erwarten, nicht im Deutschland von heute Die jungen Leute zeigen, wo alles begann. Schlendern durch malerische Gassen mit kleinen Läden zu ihrem ersten Vereinsheim. Das kleine Haus mitten im Ort ist mit Holzplatten verrammelt. Die Scheiben waren immer wieder demoliert worden. Der Vermieter kündigte nach einer Serie der Gewalt. Sie ziehen weiter in die Dorotheenstraße. Auch ihr zweites Domizil sieht wie ein fensterloser Bunker aus. Ein Neonazi ist angeklagt, das Gebäude niedergebrannt zu haben. Anwohner mussten evakuiert werden.

Anstatt Solidarität die bürokratische Keule

Einige Gehminuten später setzen sie sich in einen bunt gestrichenen Raum in der Sachsenstraße, den Bretterverschläge verdunkeln. Dies soll ihr neues Quartier werden. Hier wollen sie wieder versuchen, Veranstaltungen für Toleranz und kulturelle Vielfalt und gegen Rassismus und Neonazismus zu organisieren. Wieder mal besprechen sie, wer was renoviert. Man fragt sich, was sie weiter machen lässt. Denn auch hier werden sie von Tätern angegriffen, die „Sieg heil“ brüllen. Anstatt zu helfen verbot die Stadt die Eröffnung des Info-Ladens, weil das Haus offiziell kein Vereinsheim ist. Anstatt Solidarität bekommen die jungen Demokraten die bürokratische Keule zu spüren. Wer sie besucht, gewöhnt sich an den Anblick von selbstgefertigten Metallgittern vor Holzbrettern. So wie sich die Limbacher daran gewöhnt haben, dass sich einige Bürger einigeln, verstecken und wegducken müssen.

Junge Leute, die demokratische Ziele verfolgen, müssen sich einbunkern, weil sie Freiwild sind. Das ist der Kern des Problems. Dass ihnen kaum einer beisteht, hat mit Moritz Thielicke zu tun. Der Vereinsvorsitzende kommt aus Bayern, ein Wessi also, der auch noch für die Partei „Die Linke“ im Stadtrat sitzt, wo er mit notorischer Kritik nervt. Für viele ist der junge Familienvater ein Ruhestörer, Querulant, Nestbeschmutzer. Sein Ring in der Nase provoziert die kleinstädtische Sehnsucht nach Gleichheit und Normalität. Mit diesem trotzigen Stolz färben sich Elisa Grobe und Daniel Drescher, zwei fast schüchterne Studenten, die Haare. Das macht sie zu Ausgestoßenen. Ein Nachbar beobachtet ihren neuen Treffpunkt aus dem Fenster. Peter Weigel, 52, Lederslipper und Trainingshose, beginnt eine Wutrede. „Störenfriede sind das“, ruft er, „die gehören weg“. Er stellt sich als Mitglied der FDP vor. Neonazis und Normalbürger teilen bisweilen die gleiche Verachtung.

Das Klima im Ort ist vergiftet. Erst recht seit dem Pfingstwochenende. Da wurde der Verein regelrecht von Neonazis belagert. Immer wieder zogen die provozierend durch die Sachsenstraße. Robert Weis vom Verein erzählt: „Vermummte sind auf mich zu, mit Latten bewaffnet. Ich konnte mich hier ins Haus flüchten und hab die Polizei angerufen.“ Und kam die Polizei? „Der Beamte hat gesagt, dass die Gefahrensituation ja jetzt vorbei sei und was er denn jetzt machen solle.“ Eine von vielen Ohnmachtserfahrungen.

54 rechte und eine linke Straftat

Was in der Nacht zum Pfingstsonntag genau passierte ist umstritten. Die Polizei teilte mit, dass eine Gruppe Rechter aus dem Haus in der Sachsenstraße heraus angegriffen worden sei. Bei einer Schlägerei wurden zwei Rechte von zwei Linken verletzt. Doch warum belagern Neonazis nachts ein Wohnhaus? Was wollten sie da? Die Vereinsmitglieder berichten, mit Schlägern und Holzlatten bewaffnete Neonazis hätten das Haus in der Nacht zwei Mal angegriffen, Bierflaschen und Steine geworfen. Ein älterer Bewohner stützt diese Version: „Ich lag im Bett und die Scheibe meiner Küche ist eingeworfen worden.“ Der Anwohner ist von der Polizei später nicht einmal befragt worden. Die jungen Leute vom Verein liefen in der Nacht auf die Straße und griffen nun ihrerseits die Angreifer an.

Als die Polizei dann eintraf, durchsuchte sie das Haus der Vereinsmitglieder und beschlagnahmte Schlagstöcke und Schlagringe. In der Stadt sehen das viele als Beweis dafür, was der Oberbürgermeister seit langem behauptet: dass sich linke und rechte Extremisten bekämpfen. Die offizielle Polizeistatistik weist für das vergangene Jahr in Limbach-Oberfrohna 54 rechte und nur eine linke Straftat aus. Hat sich der Verein also radikalisiert? Politikstudent Daniel Drescher wurde selbst mehrfach zusammen geschlagen, zuletzt im November. Er rechtfertigt sich: „Einige von uns haben sich, weil sie öfters angegriffen wurden, Gegenstände zur Selbstverteidigung zugelegt, damit man auch in schlimmen Situationen schnell rauskommen kann.“ Fest steht: Die Vereinsmitglieder haben sich nach Jahren, in denen sie gejagt und verprügelt wurden, bewaffnet. Sie vertrauen nicht mehr darauf, dass die Polizei sie schützt. Dafür müssen sie sich jetzt verantworten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Im Ort stehen die jungen Leute jetzt sogar als Bombenbauer am Pranger. Am Tag nach der Durchsuchung informierte die Polizei die Öffentlichkeit, sie habe „Sprengstoffmaterial“ in dem Haus sichergestellt. Von Schwarzpulver war die Rede. Die Meldung verbreitete sich in ganz Deutschland. Mehrere Wochen lang hielten die Ermittler an der Darstellung fest. Am Ende musste die Polizei einräumen, dass es sich bei den gefundenen Substanzen nicht um Sprengstoff, sondern um Quarzsand und Kaliumnitrat handelte. Die Vereinsmitglieder hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich um Quarzsand für ein Berufsschulprojekt handelt. Offiziell ist der Sprengstoff-Vorwurf vom Tisch, aber die Geschichte vom Sprengstofffund bei den Linken in der Welt.

Zynische Aufforderung zum Suizid

Längst sind nicht mehr nur die jungen Leute isoliert. Ihre Eltern haben ein Demokratiebündnis gegründet und Interviews gegeben. Ein Richter, ein Lehrer, ein Architekt, das Bürgertum der Stadt. Das machte sie zur Zielscheibe. Iris Lordieck geht durch den Garten zu ihrem Briefkasten und zeigt einen Aufkleber. Den fand sie einen Tag, nachdem sie im MDR-Magazin „exakt“ rechte Gewalt angeprangert und der Stadt Untätigkeit vorgeworfen hatte. Der Aufkleber zeigt einen Strick. Dazu die zynische Aufforderung zum Suizid: „Selbstmord gegen rechts“. Unterschrieben von einem „Nationalen Widerstand Limbach-Oberfrohna“. Nach einer Podiumsdiskussion warf jemand eine Flasche in ihr Fenster. Zum Aufkleber erklärte ein Polizist, das sei bestenfalls unerlaubtes Plakatieren, beim Flaschenwurf konnte der Beamte keinen Zusammenhang zur Podiumsdiskussion erkennen. Auch Frau Lordieck kommt aus dem Westen, eine die sich nicht den Mund verbieten lässt. Wenn sie in der katholischen Gemeinde über ihre Probleme erzählt, drehen sich viele einfach weg.

Eine andere Mutter erzählt, ihre Tochter werde mittlerweile sogar in Ihrer Begleitung angepöbelt. Einmal sei sie im Supermarkt sogar in ein Kühlregal gestoßen worden. Ihr Mann sei als „Vater der Zecke“ beschimpft worden. Junge Männer hätten gedroht, den Hund auf ihn zu hetzen. Die Hemmschwellien sind herabgesetzt. Auch weil niemand den rechten Schlägern die Grenzen aufzeigte. Das Polizeirevier ist abends nur von einzelnen Beamten besetzt. Im Ernstfall dauert es zu lange, bis Verstärkung aus Chemnitz eintrifft. Das Innenministerium plant, das Revier von Limbach-Oberfrohna nach Glauchau zu verlegen. Die Polizeigewerkschaft warnt, Hilfe könnte dann noch später kommen.

Auch die Justiz lässt sich gefährlich viel Zeit. Gerade wurden drei rechte Gewalttäter vom Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal zu sechs bis acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Sie hatten bei einem typischen Angriff auf das Vereinsheim Flaschen und Steine auf Vereinsmitglieder geworfen. Der Vorfall liegt beinahe zwei Jahre zurück. Viele Zeugen konnten sich kaum noch an Details erinnern. Häufig wird gefordert, der Tat müsse schnell ein Urteil folgen, gerade bei jungen Tätern. Stattdessen lassen die Gerichte rechte Gewalt lange ungeahndet. Die Täter lernen: Erst passiert lange nichts. Vor Gericht passiert dann so gut wie nichts. Bewährungs- und Geldstrafen schrecken rechte Schläger in Limbach-Oberfrohna offenbar nicht ab.

Gravierendes Gewaltproblem verdeckt den Blick auf die Ursachen

Oberbürgermeister Rickauer, CDU, der sich auf seiner Website „tatkräftig, aufmerksam, christlich“ nennt, hat dem Verein, der immerhin für den Sächsischen Demokratieförderpreis nominiert war, über Jahre Hilfe und Solidarität verweigert. Er hätte demonstrieren können, dass die Außenseiter Teil der Gemeinschaft sind. Beharrlich sprach er allgemein vom „Extremismus von links und rechts“, als Parolen „Nationalen Sozialismus“ forderten und in den Straßen „Sieg heil“ gebrüllt wurde. Im Amtsblatt verweist er auf ein Plakat, das die Stadt aufgehängt habe: „Wir wollen keine Rechtsextremisten in unserer schönen Stadt“. Das ist ein Wunsch, keine Strategie.

Jetzt besteht die Gefahr, dass das gravierende Gewaltproblem den Blick auf die Ursachen verdeckt. Denn die Spirale dreht sich weiter. Während des Stadtparkfestes im Juli griffen 40 Neonazis erneut das Haus in der Sachsenstraße an. Noch bei der späteren Polizeikontrolle skandierten sie „Sieg heil“. „Die sind zur Hintertür und haben gegen die Tür gedrückt“, schildert Robert Weis jene Nacht, „dann steht man da zu zweit und versucht die Tür zuzuhalten gegen 40 Leute, die auf Gedeih und Verderb hier rein wollen.“ Was passiert, wenn die Schläger es ins Haus schaffen? Die Polizei hat nunmehr Platzverweise ausgesprochen. Ein Neonazi darf Limbach-Oberfrohna nur noch unter Auflagen betreten.

Zwei Tage später: Ein Punkkonzert auf dem Stadtfest lockte Linksalternative aus der Region an. Im Anschluss kehrten Vereinsmitglieder in die Sachsenstraße zurück, die Polizei passte auf. Wenige Straßen weiter wurde jedoch eine Gruppe Rechter von Vermummten überfallen. Ein junger Mann wurde verletzt. Ende Juli kontrollierte die Polizei ein auswärtiges Auto mit fünf Männern der linken Szene. Bei den Leipzigern wurden Schlagstöcke, Elektroschocker und Gegenstände zum Vermummen gefunden. Offenbar hat die militante Antifa die Stadt für sich entdeckt. Jetzt fahren abends Polizeistreifen durch den Ort und kontrollieren. Massive Präsenz soll die explosive Lage beruhigen. „Wir wünschen, dass die Polizei im erforderlichen Maße vor Ort ist“, fordert Bürgermeister Lothar Hohlfeld.

Die Eltern vom Demokratieforum werden mittlerweile auf der Straße angeherrscht, sie und ihre Kinder sollten endlich Ruhe geben. Von normalen Limbachern. Auf zynische Weise haben die sogar Recht. Würden Moritz Thielicke, Daniel Drescher, Robert Weis und Elisa Grobe nicht mehr gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus und für demokratische Kultur eintreten, hätten es die Neonazis schwerer, Opfer zu finden. Womöglich gäbe es weniger Gewalt. Wer dann nächtliche „Sieg heil“-Rufe überhörte, könnte sich der trügerischen Illusion einer Idylle hingeben. Die Kapitulation der Demokraten wäre perfekt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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