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Rechtsextreme Gewalt Opfer eines rassistisch motivierten Überfalls zu Tätern gestempelt

Magdeburgs Afro-Community wehrt sich gegen die bisherige öffentliche Darstellung einer rassistischen Hetzjagd in der Nacht vom 5. zum 6. Januar 2008 im Stadtteil Neue Neustadt. Den extrem rechten Tätern gelang es dort offensichtlich, die Wahrheit zu verdrehen.

 
Foto: Ausstellung über Todes-Opfer rechter Gewalt in Magdeburg

 

Die Medienberichterstattung schien eindeutig: „Massenschlägerei“ zwischen Afrikanern und Deutschen lauteten die Schlagzeilen zu den Ereignissen in der Nacht vom 5./6. Januar 2008 im Magdeburger Stadtteil Neue Neustadt. Ausgangspunkt sei gewesen, dass ein Migrant aus der Elfenbeinküste vier Deutsche provoziert habe. Nach Informationen der Mobilen Opferberatung war der Ausgangspunkt jedoch eine rassistisch motivierte Verfolgungsjagd auf einen Mann aus der Elfenbeinküste und keineswegs eine „Provokation“ seitens des Betroffenen.

Der 29-Jährige von der Elfenbeinküste war auf dem Nachhauseweg an der Straßenbahnhaltestelle gegen 0:30Uhr von einer Gruppe von vier Deutschen u.a. mit Sprüchen wie „Verpiss Dich, Neger“ und „Nigger“ rassistisch beleidigt worden. Der Betroffene versuchte trotzdem, seinen Heimweg fortzusetzen. Die Gruppe der extrem rechten Angreifer ließ ihn jedoch nicht in Ruhe und kreiste ihn ein. In seiner Angst griff der Betroffene nach einer Bauzaunlatte, um sich damit eventuell verteidigen zu können. Dann gelang es ihm, sich zunächst in einen türkischen Imbiss zu flüchten.

Inzwischen war die Gruppe seiner Verfolger auf über 10 Rechte angewachsen. „Ich hatte den Eindruck, dass die Rechten geplant hatten, an diesem Abend einen Schwarzen zu jagen“, so der Betroffene. Die Rechten, die mit Schlagringen und abgebrochenen Flaschen bewaffnet waren, versammelten sich vor dem Imbiss und riefen u.a. „Wir kriegen den Neger noch“ und „Komm, komm“. Sie bedrohten das migrantische Imbiss-Personal so lange, bis dieses aus Angst den Mann von der Elfenbeinküste bat, den Imbiss wieder zu verlassen.

Hilfeschreie des Opfers gehört

Als er so schnell wie möglich aus dem Imbiss wegrannte, habe er Todesangst gehabt, so der 29-Jährige. Die Rechten jagten hinter ihm her und holten ihn an der Ecke Lübecker Straße/Bremer Straße ein. Einer der Rechten versetzte dem Mann aus der Elfenbeinküste direkt einen Faustschlag ins Gesicht; zudem erlitt er eine Knöchelverletzung. Dann kam dem Opfer eine Gruppe von Männern aus mehreren afrikanischen Ländern zur Hilfe, die in einem nahe gelegenen Internetshop einen Geburtstag gefeiert hatten und die Hilfeschreie des 29-Jährigen gehört hatten. Als die Rechten dies bemerkten, flüchteten die meisten von ihnen; einige fielen dabei auf dem verschneiten Fußweg hin. Laut Polizeibericht erlitten zwei Rechte Kopfverletzungen, die zu einem mehrtägigen stationären Krankenhausaufenthalt führten.

Die Polizei stellte vor Ort bei vier Rechten die Personalien fest und nahm zwei von ihnen bis zum nächsten Morgen in Gewahrsam. Zudem wurden die Personalien von 20 Männern und Frauen mit offensichtlichem Migrationshintergrund aufgenommen, die sich noch im nahe gelegenen Internetshop aufhielten. Polizeibeamte fertigen von allen Anwesenden Fotos und Filmaufnahmen — ein Vorgehen, das die Betroffenen als diskriminierend werten, da es sich bei dem Internetshop nicht um den Tatort handelt und offensichtlich die Hautfarbe das Kriterium zur Personalienfeststellung darstellte.

NPD organisierte Propagandademo

Nachdem in der Medienberichterstattung — basierend auf einer entsprechenden Polizeipressemitteilung — behauptet wurde, der Mann aus der Elfenbeinküste habe die Deutschen provoziert und zwischen den Zeilen unterstellt wurde, die Rechten seien in eine Falle gelockt worden, griffen die organisierte Neonaziszene und der Magdeburger NPD-Kreisverband das Thema auf. Am späten Dienstagnachmittag, den 8. Januar, marschierten rund 60 Neonazis in unmittelbarer Nähe des Internetshops auf und skandierten Parolen mit der Forderung nach „Ausweisung von kriminellen Ausländern“.

Angehörige der Magdeburger afro-deutschen Community fühlen sich durch die Berichterstattung und das Verhalten der Polizei diffamiert. „Wir werden damit zu Tätern gestempelt,“ so ein Betroffener. „Wer die Realität von schwarzen Menschen in Magdeburg kennt, weiß einfach, dass hier ein Schwarzer niemals eine Gruppe von vier Rechten provozieren würde.“ Der Aufmarsch der Neonazis in der Nähe des Internetshops sowie das Wissen um die überregionale Mobilisierung der Neonazis zu einem Aufmarsch am 19. Januar 2008 in Magdeburg verstärke die ohnehin schon vorhandene Verunsicherung und Angst. (www.mobile-opferberatung.de)

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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