Dieser Text ist ein Auszug aus „RechtsRock“ und zuerst und in voller Länge beim deutschen Musikinformationszentrum erschienen und nachzulesen.
Von Punkrock und Oi! über verschiedene Metalspielarten, Liedermacher-Songs, eher poppige Balladen, mehr oder weniger tanzbare Re-Aktualisierungen alter Wehrmachts-, SA- und SS-Lieder, bis hin zu extrem rechtem Rap und Ballermannschlagern: Das popmusikalische Spektrum der extremen Rechten ist nach über vierzig Jahren RechtsRock enorm breit aufgestellt. Ohnehin spielt Musik für die extreme Rechte eine ausgesprochen zentrale Rolle, und das gleich in mehrerlei Hinsicht. Sie gewährleistet lebensweltliche Anschlussfähigkeit, sie stiftet und stabilisiert soziale Zugehörigkeit, sie verhilft zu ideologischer Selbstvergewisserung und mit ihr lässt sich Geld verdienen.
Mit ca. 30 Labeln und gut zehn einschlägigen Versandhandelsgeschäften für Tonträger und Merchandise- bzw. Fanartikel ist Deutschland der größte Markt für extrem rechte Musik weltweit. Labels und Versände bedienen extrem rechte Musikfans nicht nur online und (seltener) in eigenen Ladenlokalen, sondern vor allem auch bei allen möglichen Formen an RechtsRock-Konzerten vom großen Festival bis hin zum kleinen Liederabend. Die meisten extrem rechten Konzerte finden in kurzfristig und in aller Regel unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angemieteten Locations wie Gaststätten oder Kleingartenanlagen statt, es gibt jedoch auch feste Spielorte in Immobilien, die extrem rechten Akteur*innen entweder selbst gehören oder die von ihnen dauerhaft angemietet sind.
In Immobilien, die im Besitz der extremen Rechten sind, finden sich überdies auch Proberäume für Bands und/oder Ladenlokale von Labels und Versänden und/oder sie dienen einfach gleich als Wohnraum für Akteur*innen der extrem rechten Musikszene. Ob Bands, Solointerpret*innen oder Publikum, Labels, Versände oder so genannte ‚hidden musicians‘ (Techniker, Grafikdesigner usw.): Sämtliche Akteur*innen der extrem rechten Musikszene eint das fundamentale Selbstverständnis, dass RechtsRock essentieller Bestandteil ihres politischen Kampfes ist. Dieses Selbstverständnis ist tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal der extrem rechten Musikszene, denn derart konsequent und flächendeckend findet sich dies in keiner anderen Musikszene. Der in der extremen Rechten sehr beliebte Spruch „Eines Tages werden sie sich wünschen, wir würden nur Musik machen“ ist dabei ohne jeden Zweifel äußerst ernst gemeint – und vor allem auch ernst zu nehmen.
Ballermannschlager, Umtextierungen und Song-Memes
Neben dem mittlerweile recht altmodisch erscheinenden Genrespektrum im RechtsRock führt vor allem ein medientechnische Konservatismus freilich dazu, dass die extrem rechte Musikszene mehr und mehr den Kontakt zu jugendlichen Zielgruppen verliert, und es lassen sich bislang nur wenige Akteur*innen beobachten, die versuchen, hier gegenzusteuern und neben einer zeitgemäßeren Soundästhetik auch aktuelle Musiknutzungsangebote via Social Media musikalisch zu bespielen.
Seit etwa vier Jahren beispielsweise probieren sich einige wenige extrem rechte Musiker an Songs im Ballermannschlager-Stil. Diese Songs sind durch ihre formale Gestaltung mit musikalisch-textlichen Sinneinheiten von 15 Sekunden auffallend passend auf die Weiterverwendung auf Instagram und (insbesondere) TikTok regelrecht zugeschnitten und lassen sich ob ihrer textlichen Schlichtheit à la „Düsi düsi, jetzt wird abgehoben“ ausgezeichnet als Song-Memes nutzen. Besonders anschaulich lässt sich dies im Zusammenhang mit dem sogenannten Sylt-Video nachverfolgen:
Die rassistische Umtextierung des Songs „L’amour toujours“ von Gigi d’Agostino war zunächst kein Projekt der extremen Rechten, sondern entstand aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, die ab Herbst 2023 auf allerlei Volksfesten und Dorfkirmessen die Hookline „Döp dö dö döp“ durch „Deutschland den Deutschen …“ ersetzte und via Instagram-Videos verbreitete.
Größere mediale Aufmerksamkeit erhielt diese rassistische Praxis aber erst Ende Mai 2024, als auf Instagram das Video einer augenscheinlich angetrunkenen Gruppe junger Menschen auftauchte, die vor der Discothek „Pony“ in Kampen auf Sylt die rassistische Version des Songs sang. Daraufhin entwickelte sich die Formel „Döp dö dö döp“ im Sommer 2024 zu einem regelrechten Sound-Meme, das innerhalb und außerhalb von Social Media enorme Verbreitung fand, indem es massenhaft als Soundtrack zu Instagram-Stories oder TikToks verwendet, als Hashtag eingesetzt oder auch auf T-Shirts gedruckt wurde.
Erst die mediale Aufmerksamkeit durch das Sylt-Video rief dann auch extreme Rechte auf den Plan, die dann aber mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf diesen Impuls aus der „Mitte der Gesellschaft“ reagierten: Gerade einmal drei Tage, nachdem die Pressemeldungen zu Sylt viral gegangen waren, reiste der Rechtsrapper Kai „Proto“ Naggert gemeinsam mit dem extrem rechten Liedermacher Dominik „Kavalier“ Raupbach aus Sachsen nach Sylt und drehte dort das Musikvideo zum Song „Düsi düsi“. Klanglich orientiert sich der Song, dessen Text in verächtlichem Duktus fordert, Asylbewerber*innen umgehend abzuschieben, am Ballermannschlager und verweist deutlich auf „L’amour toujours“, ohne das Original allzu offen zu kopieren („Düsi, düsi, jetzt wird abgehoben. Düsi, düsi, du wirst abgeschoben.“). Das fertige Musikvideo, das Kai Naggert schon am 6. Juni 2024 bei YouTube im Kanal seines Labels „Neuer Deutscher Standard“ einstellte, verzeichnete bis zur Kündigung des Kanals durch YouTube im Mai 2025 deutlich über 1 Million Aufrufe.
Kaum überraschend tauchten spätestens ab August 2024 auf Instagram und TikTok dann auch Videos auf, in denen „ganz normale“ Menschen aus der „Mitte der Gesellschaft“ bei Volksfesten und Dorfkirmessen nicht nur zu „L‘Amour toujours“, sondern auch zu „Düsi düsi“ tanzten und dessen Refrain erstaunlich/erschreckend textsicher mitsangen. Nachdem es der klassischen RechtsRockszene nach über vierzig Jahren Geschichte nicht geglückt ist, in einer nennenswerten Breite in der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu verfangen, könnte dies mit den neuesten Projekten aus dem Bereich Ballermannschlager über kurz oder lang tatsächlich gelingen.
Darauf zielt neuerdings offenbar auch die AfD ab: Bei einer Feier zum erfolgreichen Abschneiden der Partei bei den Landtagswahlen in Brandenburg spielte die AfD am 22. September 2024 die per KI generierte, analog zu „L’amour toujours“ umtextierte Version des Partyschlagers „Das geht ab (wir feiern die ganze Nacht)“ des Duos „Die Atzen“ ab, zu der mehrere AfD-Anhänger*innen lautstark den Refrain „Hey, das geht ab, wir schieben sie alle ab“ mitsangen. Videos der Feier wurden umgehend auf Instagram und TikTok eingestellt.
Mit Blick auf das Phänomen Song-Meme ist dabei ausgesprochen bemerkenswert, dass hier – im Gegensatz zu beispielsweise Kai Naggerts „Düsi düsi“ – weder ein Songtitel, noch ein*e Sänger*in genannt werden: Die KI-Version der AfD Brandenburg existiert ausschließlich als Soundfile und ist auch ausschließlich als Soundtrack für Social Media-Videos gedacht. Ohne die strafbewehrte Unterlassungserklärung, die „Die Atzen“ umgehend und erfolgreich auf den Weg gebracht hatten, hätte dieses Song-Meme durchaus ein ähnliches „Erfolgspotential“ wie Naggerts „Düsi düsi“ gehabt und extrem rechte Musik noch tiefer in der „Mitte der Gesellschaft“ verankern können.
Der Artikel ist in voller Länge nachzulesen beim deutschen Musikinformationszentrum.


