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Rezension Andrei Markovits und das Studium von „interessantem Zeug“

Der in den USA lebende Politikwissenschaftler Andrei „Andy“ S. Markovits ist deutschsprachigen Leser*innen wohl vor allem bekannt durch seine scharfe Kritik des europäischen Antiamerikanismus. Die Denkform, die eine kulturelle Überlegenheit gegenüber den materialistisch und oberflächlich verpönten USA postuliert, ist nach Markovits zu einer Lingua Franca der europäischen Intellektuellen geworden. Im Nachgang der Anschläge vom 11. September 2001 hat sich diese Ablehnung noch vertieft, die USA werden nicht wegen dem verachtet, was die Politik betreibt oder unterlässt, sondern wegen dem, was die USA vermeintlich sind: das angebliche Negativ Europas.

 
Andrei Markovits bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung, 2011. (Quelle: Flickr / Stephan Röhl / CC BY-SA 2.0)

Markovits intervenierte immer wieder gegen diese Feindbestimmung, die bisweilen auch mit paternalistischen Vereinnahmungen des „anderen Amerikas“ einhergeht, also jenen Teilen, die für europäisch gehalten werden. So beispielsweise im Falle der Wahl Barack Obamas. Markovits zeigte sich 2008 in einem kurzen Aufsatz irritiert, wie leicht es vielen europäischen Kommentator*innen fiel, den Wahlsieg Obamas für sich zu verbuchen und zu behaupten ein Politiker europäischen Stils habe gewonnen:

„Dabei ist es in jeder europäischen Gesellschaft ganz normal, dass ein Mensch, der dieselbe ethnische, kulturelle und soziale Identität und dieselbe Lebensgeschichte hat wie Obama, in keiner dieser angeblich aufgeklärten Gesellschaften wenigstens zum stellvertretenden Ortsvorsteher gewählt würde, geschweige denn zum Regierungschef und Staatsoberhaupt.“

Wie der im von Heiko Beyer und Martin Krauß jüngst veröffentlichte Sammelband Amerika Europa. Transatlantizismus als Erkenntnisstrategie beeindruckend demonstriert, erschöpft sich das Schaffen Markovits‘ allerdings keinesfalls in der Analyse des europäischen Chauvinismus. Der Band, eine Festschrift zum 70. Geburtstags Markovits der an der Leuphana Universität Lüneburg mit einem „Andyfest“ zelebriert wurde, dokumentiert die vielfältigen Interessen des Politikwissenschaftlers, der aktuell an der University of Michigan lehrt: Sexismus in Gewerkschaften, das Parteiprogramm der Grünen, gegenwärtiger Antisemitismus und Antiamerikanismus, Ballsportarten und Tierwohl in den USA – als die Herausgeber im abschließenden Interview scherzhaft fragen, warum Markovits eigentlich nie über Grateful Dead geschrieben habe, ob das nicht in seinem Werk noch fehle, verneinte der Gefragte mit einer Quellenangabe von 1981 zum Thema. Es ist schwierig eine inhaltliche Klammer um das Werk Markovits, das was er „studies of interesting stuff“ genannt hatt, zu ziehen. Das Bedürfnis des Rezensenten, eine solche Klammer zu finden, zeigt aber womöglich, wie stark Markovits intellektueller Lebenslauf von der gegenwärtig durchschnittlichen akademischen Erwerbsbiographie abweicht. Durch den Spezialisierungsdruck auch in den Geisteswissenschaften gilt bisweilen bereits als vielseitig, wer sich sowohl mit dem frühen als auch dem späten Hegel beschäftigt hat. Die Themen, mit denen Markovits sich befasst, sind um einiges erratischer, und das macht auch gerade den Reiz des Buches aus, nicht wirklich zu wissen, was als nächstes kommt.

Das Programm der Herausgeber sieht vor, jeweils eine aktuellere Perspektive mit einem älteren Text von Markovits zum gleichen Gegenstand ins Gespräch zu bringen. Manchmal leuchtet das nicht unmittelbar ein – die Autor*innen beziehen sich nicht immer und manchmal ein wenig pflichtschuldig auf das Geburtstagskind – jedoch zeigt der direkte Vergleich, wie unwahrscheinlich hellsichtig die früheren Texte Markovits bereits Motive und Einsichten vorweggenommen haben. 1979 kritisierte Markovits bereits die Diskriminierung von Frauen in der deutschen Gewerkschaftsarbeit, lange vor 9/11, nämlich 1985, benannte er die spezifische Ausprägung des europäischen Antiamerikanismus, und 1993 erkannte er schon den Charakter der Grünen als Catch-All-Partei, die der Sozialdemokratie womöglich den Rang ablaufen könnte. Zu einer Art Schlüsselkategorie scheint ihm dabei die „compelling compassion“ (unzureichend übersetzt mit „zwingendem Mitgefühl“) bzw. der „discourse of compassion“ als eine von Marginalisierten erkämpfte kulturelle Wendung, nach der ihre selbstverständliche Entwertung nun unter Rechtfertigungsdruck gerät. Dieses Erreichte auch einmal zu benennen, kann vielleicht die einen oder anderen Innehalten lassen, heutige Kämpfe beispielsweise um die Verbannung von Rassismus aus dem öffentlichen Raum zu belächeln.

Markovits, der in die USA migrierte Sohn rumänischer Shoah-Überlebender, wird von den Herausgebern als Kosmopolit charakterisiert und das Überschreiten (nicht nur) der atlantischen Grenze als ein Mittel, im Kontrast die Eigentümlichkeiten des jeweils anderen Ortes zu verstehen. Wie Markovits immer wieder zwischen den Kontinenten oszillierte, wechselt er auch die Themen, was das Buch erfolgreich abbildet. Es macht Spaß mit Markovits und seinen Wegbegleiter*innen zwischen den Gegenständen hin- und herzuspringen, sich vom wechselhaften Interesse eines anderen leiten zu lassen, um so vielleicht auch mehr über die eigene Interessenvielfalt zu erfahren. Von den Herausgebern gefragt, was sein nächstes Projekt sein wird, sagt Markovits (Spoiler Alert!), er würde „gerne einen Krimi schreiben, in dem sowohl der Täter als auch das Opfer ungarischsprachige Juden aus Timişoara sind, wobei das Ganze in Silicon Valley, vor allem in Palo Alto am Campus der Stanford University stattfindet.“

Heiko Beyer & Martin Krauß (Hrsg.), Amerika Europa. Transatlantizismus als Erkenntnisstrategie. Verbrecher-Verlag 2020, 19€, 220 Seiten.

Foto: Flickr / Stephan Röhl / CC BY-SA 2.0

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