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Seitenblick Die Hölle kann recht hübsch ausschauen…

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Foto: Karawane Wuppertal und Lisa Doppler

Bundesweit müssen Flüchtlinge während laufendem und nach abgelehntem Asylverfahren in Heimen und Lagern leben. Niedersachsen hat mit dem Lager in Bramsche-Hesepe, in welchem das Konzept der „freiwilligen Ausreise“ forciert wird, einen Ort geschaffen, an dem rund 600 Menschen in Kontrolle und Isolation leben. Viele von ihnen jahrelang. Die Flüchtlingsselbstorganisation Karawane ist durch gehäufte Proteste im Lager aufmerksam geworden. Eine Delegation hat das Lager im September besucht und folgenden, erschreckenden Bericht verfasst.

Die Hölle kann recht hübsch ausschauen, und zuweilen sieht sie fast wie ein Ferienlager aus. Bevor wir gegen Mittag am Lagertor im niedersächsischen Bramsche-Hesepe ankommen, fahren wir kilometerweit durch Felder und kleine Wälder. Die Bushaltestelle an dem großen Parkplatz heißt: „Grenzdurchgangslager“. Wie wir später erfahren, fahren hier nur Schulbusse ab – die Erwachsenen müssen, wenn sie nach Osnabrück wollen, erst zwei Kilometer durch Wald und Dorf zum Bahnhof Hesepe laufen und können von dort aus für 5,30 € mit dem Zug fahren. Und das bei einem monatlichen Taschengeld von rund 40 €, welches Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sowie Geduldeten (abgelehnte Flüchtlinge, die jedoch aus humanitären oder politischen Gründen nicht abgeschoben werden können) in Deutschland zusteht.

Umzäunt

Das Gelände ist komplett umzäunt. Nachdem wir unsere Ausweise bei den Securities abgegeben haben, werden wir von Mohammed A.* in Empfang genommen, der uns erst einmal durchs Lager führt. Das Lager ist eine alte niederländische Kaserne, und – anders als viele andere Lager, die wir kennengelernt haben – verstrahlt sie nicht den zweifelhaften Charme des Militärischen. Die Gebäude sind auch nicht heruntergekommen oder verwahrlost: Die zweistöckigen Häuser sind in rötlichen Tönen gehalten, die Grünflächen sind gepflegt, auch der kleine Spielplatz, an dem wir uns später mit anderen Flüchtlingen treffen, ist durchaus sauber und wird von zahlreichen Kindern benutzt.

Isolation und Kontrolle

Es ist nicht die uns von anderen Lagern bekannte fehlende Hygiene, der Dreck oder die schlechte Bausubstanz, die die Leute hier verrückt macht. Vielmehr ist es die Isolation und das Kontrollregime – und in dieser Hinsicht sind wir hier wirklich in einem Lager. Alles ist auf einem Gelände zusammengefasst: Kantine, Schule, Sanitätsstation, Ausländerbehörde, Sozialamt. Alles, was ein Flüchtling nach Auffassung der deutschen Behörden braucht, um sein Verfahren abzuwarten. Hier allerdings leben Menschen. „Viele von uns sind jahrelang in diesem Lager hinter Stacheldraht isoliert von der Gesellschaft“, so Chris P.* von der Elfenbeinküste.

Proteste

Wir unterhalten uns mit einigen Bewohnern, überwiegend jungen Männer aus der Elfenbeinküste und Afghanistan über die Lebensbedingungen und Proteste der Flüchtlinge. Diese gab es seit der Einführung des Lagers 2000 durch die damalige SPD-Landesregierung unter Sigmar Gabriel immer wieder. 2006 spitzten sie sich in einem Kantinenboykott zu. Doch die Behörden reagierten, verteilten Aktive auf andere Lager und Privatwohnungen um, sodass der Protest wieder verstummte. Von den damals Beteiligten ist keiner mehr in der Landesaufnahmebehörde (LAB), wie das Lager offiziell heißt. Trotzdem kommt es seit Anfang dieses Jahres wieder vermehrt zu Widerstand, der sich vor allem gegen das Kantinenessen richtet und sich in einem eintägigen Essenboykott zuspitzte. Alle sind sich einig, dass das Kantinenessen ungenießbar ist. Die übliche Diät des Tages: morgens Brot und Butter, mittags Reis und Kartoffeln, abends Brot und Butter. Obst und Gemüse gibt es (fast) nicht. Und es ist immer zu wenig; zumindest werden viele nie satt. Wer Nachschlag will, bekomme vom Kantinenpersonal gesagt: „Wir sind hier nicht im Restaurant“.

„Man wird hier nicht als Mensch behandelt“

Wer kann bzw. wer Geld für Essen hat, kocht auf dem Zimmer auf einem kleinen Elektroherd. Das geht aber nur mit einem 1-Euro-Job, mit welchem manche Flüchtlinge zu den 40 Euro Taschengeld noch etwas dazuverdienen können. Gerade Kranke oder Familien mit vielen Kindern sind also auf die Kantine angewiesen, wo aber auf besonderen Ernährungsbedarf überhaupt keine Rücksicht genommen wird. A. erzählt: „Man wird hier nicht als Mensch behandelt. In der Kantine zittern die Leute. Sie tun so, als ob sie das Essen aus ihrer eigenen Tasche bezahlen würden. Wenn du Nachschlag willst, wirst du abgewimmelt. Du kannst nichts machen. Auch in der Kantine ist die Security. Sie hindern einen sogar, wenn man das Essen fotografieren will.“

Ein anderes große Problem von welchem uns berichtet wird, ist die medizinische Versorgung. Es gibt eine Sanitätsstation und einen Allgemeinmediziner, der zweimal wöchentlich für drei Stunden da ist. Er verschreibt Paracetamol bei Bauchschmerzen, bei Rückenschmerzen, bei Zahnschmerzen, bei Problemen mit den Augen – bei allem. Facharztüberweisungen gibt es selten. Bei psychischen Beschwerden ist es sehr unwahrscheinlich, eine Überweisung zu bekommen. Wenn jemand akut krank wird und der Arzt nicht da ist, kommt ein Lagersecurity vorbei und entscheidet, ob die Person einen Facharzt oder einen Krankenwagen braucht. Aber selbst dann, wenn die Facharztbehandlung vom Sozialamt übernommen werden, müssen die Leute die Fahrtkosten selber tragen. Dolmetscher sind nicht vorgesehen.

Die ganze Behandlung im Lager empfinden die Flüchtlinge als demütigend: „Beim Sozialamt schaut man uns an, ob wir vielleicht Markenklamotten oder etwas Wertvolles haben. Manche mussten sich im Sozialamt ausziehen oder wurden gezwungen ihr Portemonnaie abzugeben. Wer dann Geld hat, kriegt es abgenommen“, wird uns berichtet. Über ihre Rechte informiert werden die Flüchtlinge kaum. Keiner weiß zum Beispiel, warum manche Taschengeld bekommen und andere nicht. Vom Sozialamt würden keine Bescheide gegeben und niemand habe eine Ahnung, wie viel Geld ihm zustehen würde. Die einzige legale Zuverdienstmöglichkeit sind 1-Euro-Jobs. Eher nebenbei erzählen uns die Bewohner, dass diese nicht nur auf dem Gelände des Lagers stattfinden. Auch das Grünflächen- und Bestattungsamt von Bramsche erfreut sich an der billigen Arbeitskraft und lässt Flüchtlinge Gräber ausheben. Ein Flüchtling hatte furchtbare Angst, in dem Grab zu stehen.

„Freiwillige Ausreise“

Die Idee, die hinter dem Lager steht ist das Konzept der „freiwilligen Ausreise“. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen eine Einwilligung unterschreiben, dass sie freiwillig in ihr Heimatland oder einen sogenannten „sicheren Drittstaat“ ausreisen. Indem die Menschen jahrelang in Perspektivlosigkeit und mit ständigen Repressionen wie Taschengeldkürzung oder Arbeitsverbot bei nicht-Kooperation leben müssen, sollen sie zu dieser „freiwilligen“ Entscheidung gebracht werden. Ausländerbehörde, Sozialamt, Security: Alle arbeiten mit daran, es ihnen so unangenehm wie möglich zu gestalten. Durch eine freiwillige Ausreise bleiben den Behörden aufwendige Abschiebungen erspart und Menschen, die etwa wegen Kriegszuständen in ihrem Heimatland eigentlich nicht abgeschoben werden könnten, verschwinden so auch.

Erhört?

Nach dem Hungerstreik in Bramsche-Hesepe hat sich nichts geändert; der Leiter des Lagers, Herr Conrad Bramm, hat die Leute, die mit ihm sprechen wollten einfach abgewimmelt. Beschwerden der Flüchtlinge finden innerhalb des Lagers keinen Adressaten, sie werden nicht gehört und durch Missachtung gedemütigt. Und nach außen hin waren die Proteste nicht laut genug zu hören. Deshalb brach der Widerstand zunächst wieder ein. Ein Flüchtling, der ein Treffen organisieren wollte, ist nicht erschienen – es stellte sich später heraus, dass Polizei und Lagersecurity zu ihm in den Wohnblock gekommen waren und ihn da befragt hatten.

Im Grunde wollen alle nur raus aus dem Lager und sie sind sich einig, dass die meisten ihrer Probleme mit dem Lagerregime zusammenhängen. Und weil es nicht nur um sie geht, sondern auch um alle anderen, die nach ihnen noch kommen, wollen sie die Schließung erreichen. Als wir uns nach fast sechs Stunden verabschieden, unsere Ausweise wieder abholen und heimfahren, sind wir traurig über die Situation vor allem der kranken Leute, aber zugleich begeistert über die Entschlossenheit und Klarheit, mit der die Freunde für ihre Rechte kämpfen wollen.

Von Karawane Wuppertal und Lisa Doppler

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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