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Ungarn Eine ‚ethnonationale Diktatur‘ mitten in Europa – ohne Gegenwehr?

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Mitglieder der theoretisch verbotenen "Ungarischen Garde" bei einer Versammlung 2011. (Quelle: flickr / cc / Leigh Phillips)

Das Interview führte Antonia Oettingen.

Seit Viktor Orbán vor zwei Jahren zum ungarischen Ministerpräsidenten gewählt wurde und  die nach neueren Erkenntnissen von seiner Partei 2002 mit ins Leben gerufene, offen antiziganisch und antisemitsch auftretende Partei Jobbik drittstärkste Kraft im Land wurde, ereignen sich in Ungarn besorgniserregende Vorgänge: Pressefreiheit und Bürgerrechte sind erheblich eingeschränkt, Reformen in der Justiz bedrohen deren Unabhängigkeit und Roma werden von der ‚ungarischen Garde‘ und weiteren rechtsextremistischen Gruppierungen regelrecht verfolgt. In einem Drittel der Grundschulen gibt es ethnische Trennungen, und offen zur Schau gestellter Antisemitismus und Antiziganismus sind salonfähig geworden. Die EU reagiert mit Sanktionen wie Vertragsverletzungsverfahren und verweigert der ungarischen Regierung Fördergelder aus Brüssel – aber reicht das?

Netz-gegen-Nazis.de hat mit der Kulturwissenschaftlerin und gebürtigen Budapesterin Magdalena Marsovszky über die Entwicklungen in ihrem Land gesprochen. Sie ist freie Publizistin, Lehrbeauftragte an der Hochschule Fulda, Vorstandsmitglied des Villigster Forschungsforums zu Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus e.V und Vorstandsmitglied der in Ungarn tätigen Bürgerbewegung für die Republik.

Können Sie sich mit dem heutigen Ungarn identifizieren?

Nicht mit dem ganzen Land. Das wäre zu viel verlangt. Mit der Politik Ungarns kann ich mich definitiv nicht identifizieren, aber mit den Menschen. Es gibt fantastische Demokrat*innen in Ungarn. Man versucht, sie zum Schweigen zu bringen, aber es ist nicht gelungen.

Sie haben einmal gesagt: „Ungarn hat keinen Begriff von Demokratie“.  Was meinen Sie damit?

Es gibt keinen konsequenten Demokratiebegriff in Ungarn. Die Regierung hat eine ausgesprochen antidemokratische Auffassung von Politik. Demokratie wird von der Fidesz-Regierung als Ethnopluralismus praktiziert. Ziel ist eine geschlossene, völkische und vermeintlich ethnisch homogene Volksgemeinschaft. Die Regierung versucht mit allen Mitteln, die Identität des Landes im Sinne einer Volkstumspolitik zu stabilisieren. Die Gesamtkommunikation der Regierung, wie z.B. auch die des stellvertretenden Ministerpräsidenten, Zsolt Semjén, der für die nationale Integration zuständig ist, ist völkisch. Mit völkischer Gesamtkommunikation meine ich, wenn ein und dieselbe Einstellung permanent von allen Seiten suggeriert wird. Das ist einmal ein imperiales und revanchistisches Denken in den Kategorien von Großungarn und zweitens die permanente Vermittlung der Ansicht, dass die Magyaren im In- und Ausland eine ethnisch-kulturelle und eine blutmäßige Abstammungsgemeinschaft seien. Ziel ist das „Erwachen der organisch gewachsenen  Nation“. Die Völkischen im Lande, die sich für „national gesinnt“ halten, betrachten alle Anderen als „a-national“, „fremdherzig“, „antimagyarisch“, „kosmopolitisch“, „links“, „bolschewistisch“, linksliberal“ usw. Die Medienlandschaft ist zweigeteilt in die „national-gesinnten“ und die liberalen, demokratischen Kräfte, die als das „Kosmopolitische“ und der „Feind“ dämonisiert werden. Letztere werden codiert antisemitisch als „verjudet“ und „Verräter der Nation“ angefeindet. Es ist in Ungarn allgemein bekannt, dass alles anationale gleichsam mit „dem Jüdischen“ und dem Feind gleichzusetzen ist. Seit etwa 20 Jahren ist das schon so wobei das völkische Denken natürlich auf eine viel ältere Tradition zurückblickt und geht, wie in Deutschland, bis ins 19. Jh. zurück. Die völkische Konzeption der Nation führt zwangsweise zu Ausgrenzungen und der Schaffung von Feindbildern, weil sie auf Ausgrenzung angewiesen ist, um sich selbst zu definieren. Neben Homophobie, Antisemitismus und Antiziganismus gibt es eine Intellektuellen-Feindlichkeit, von der auch kritische Philosophen betroffen sind.  

Anhänger*innen der rechtsextremen „Jobbik“-Partei. Quelle: flickr / cc / Leigh Phillips

Die EU hat mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Gibt es staatliche Institutionen, die noch unabhängig agieren? Wie sieht es mit den Medien aus? 

Nein. Alle Instanzen, die das öffentliche Leben bestimmen, sind mit Fidesz-Leuten besetzt. Auch der kulturelle Bereich ist von der Regierung monopolisiert worden. Die Justiz und auch die Notenbank haben ihre Unabhängigkeit verloren. Ganz zu schweigen von den Medien. Es gibt noch zwei oppositionelle Tageszeitungen und einen einzigen Radiosender, der nicht regierungskonforme Nachrichten vermittelt. ‚Klubradio‘ kann man aber beinahe nur noch in Budapest empfangen, da seine Frequenzverträge auf dem Lande nicht verlängert wurden. So sind viele auf das Internet angewiesen. Da das Klubradio kommerziell ist, ist es auf Einnahmen von Anzeigen angewiesen, doch die Kunden wurden von der Regierung unter Druck gesetzt, so dass sie keine Anzeigen mehr schalten. Bald wird es womöglich auch diesen Sender nicht mehr geben. Allgemeiner Trend ist, dass kritische Journalisten und Journalistinnen entlassen werden und keine neue Arbeit mehr finden. Die Menschen in Ungarn sind nicht mehr richtig informiert, da vielfach die öffentlichen-rechtlichen Medien die einzige Informationsquelle sind. Die Bevölkerung erlebt eine absolute Realitätsverschiebung. Von den Vertragsverletzungsverfahren und weiteren Vorwürfen der EU erfährt man in Ungarn zum Teil nichts oder nicht wahrheitsgemäß. Offiziell wird berichtet, dass die EU Ungarn immer wieder ‚angreift‘ und im Verhältnis zu den anderen EU-Staaten benachteiligt. Die Präambel oder mit anderen Worten die „Medienverfassung“ des 2010 verabschiedeten und ab 01.01.2011 gültigen Mediengesetzes enthält im Art. 17/1 die Passage, dass nicht nur Minderheiten, sondern auch Mehrheiten schützenswert seien. In einem Land aber, in dem es nicht um das Individuum, sondern ausschließlich um den Menschen als – vermeintlichen – Teil einer ganz bestimmten kulturellen Gemeinschaft geht, wird mit so einer Auffassung erreicht, dass die Minderheit zum Vorteil der Mehrheit weichen soll. Das hat eine Täter-Opfer Umkehr zur Folge.

Auch das öffentliche Leben hat sich sehr verändert. Kritische Gespräche finden vielfach in den eigenen vier Wänden statt. Viele haben Angst, sich in Cafés offen zu unterhalten. Eine Menge an alternativen Kneipen wurden geschlossen. Nach und nach wird alles gleichgeschaltet. Der Wissenschaftler Ákos Szilágyi nannte das einmal eine ‚ethnonationale Diktatur‘. Ich teile seine Einschätzung. Das heißt, dass seitens der Regierung, der Behörden und der Medien ein permanenter Homogenisierungsdruck auf die Einzelnen ausgeübt wird, sich im Sinne einer magyarischen Volksgemeinschaft zu verhalten und zu fühlen.

Ich muss aber kurz hinzufügen, dass es im Land durchaus eine völkisch denkende Mehrheit gibt. Fidesz und Jobbik wurden nicht umsonst mit einer derart überwiegenden Mehrheit gewählt. Und auch die anderen Parteien bzw. Organisationen arbeiten vielfach mit völkischen oder ethnonationalen Inhalten. Beinahe alle Lebensbereiche sind durchethnisiert. So kann man also sagen, dass die völkische Bewegung der letzten 20-25 Jahre ihre Inhalte zur Regierungspolitik erhob. Der „Glaube an die (Volks-)Nation“ spielt dabei die größte Rolle. Man muss wissen, dass er heidnisch-paganistisch ist, selbst dann, wenn man ihn ständig versucht christlich zu legitimieren. In ihm wird alles Universalistische als „verjudete Unterwanderung“ dieses Nationsglaubens erlebt. Der „Glaube an die Nation“ hat ja auch in die ab 01.01.2012 gültige Verfassung, genannt „Grundgesetz“ Eingang gefunden. Es heißt: „Nationales Glaubensbekenntnis“. An den unzähligen völkischen Festivals, die seit vielen Jahren stattfinden, kommen immer wieder hundert Tausende zusammen. Das sind schamanische Reinigungsrituale oder etwa neuheidnische Weihen auf die sogenannte „Heilige Ungarische Krone“, Sinnbild des großmagyarischen Lebensraumes im Karpatenbecken. Der Schamanismus hat auch in das Parlament Eingang gefunden. In den vergangenen Tagen wurde um die dort aufbewahrte „Ungarische Krone“ aus dem 11. Jahrhundert ein schamanischer Reinigungstanz durchgeführt. Das finden manche zwar blöd in Ungarn, aber niemand merkt die erhebliche Gefahr des Okkultismus, die die Richtung der „ethnischen Säuberung“ aufzeigt. Aus der Geschichte wissen wir, dass hier sinnbildlich die „Reinigung der Nation von den Volksfeinden“ vorweggenommen wird. Bis auf ganz wenige, vor allem WissenschaftlerInnen, hat niemand, wirklich niemand die Gefährlichkeit der völkischen Tendenzen in Ungarn in den letzten Jahrzehnten wahrnehmen wollen. Heute sind wir so weit, dass wir Menschenleben retten müssen.

Berichte von Menschenrechtverletzungen wie ethnischen Trennungen an Ungarns Schulen häufen sich. Können Sie darüber mehr berichten?

Ja, es gibt in der Tat ethnische Trennungen an den Schulen. Roma-Kinder dürfen beispielsweise in einigen Schulen nicht mehr am Schwimmunterricht mit den „Weißen“ teilnehmen, weil sie das Wasser beschmutzten. Diese dürfen dann von außen zuschauen, wie ihre „weißen“ KameradInnen plantschen. Roma-Kinder werden oft schon im Kindergartenalter in Sonderklassen wegen angeblich mangelnder Intelligenz untergebracht. Beispielsweise unter dem Vorwand, sie benötigten besondere Betreuung, werden sie von den ‚weißen‘ Kindern getrennt. Seit 2010 verschlimmert sich die Situation stetig. Vor dem Regierungswechsel gab es noch zivilgesellschaftliche Organisationen, die vom Staat unterstützt wurden. Sie erzielten positive Ergebnisse für die Roma-Community. Die neue Regierung hat alle Initiativen eingestellt und stellt keinerlei Mittel mehr zur Verfügung. Einer Einrichtung der methodischen Kirche unter Gábor Iványi, die sich um Roma, Obdachlose und Bedürftige kümmert, wurde die gesamte Finanzierung eingestellt und der Kirchenstatus aberkannt. Hunderte der dortigen Obdachlosen haben keine Unterkünfte mehr. Von den öffentlichen Plätzen und Unterführungen von Budapest sind sie auch vertrieben worden. Ich frage mich, was mit diesen Leuten passiert ist. Dafür werden die Gefängnisse ausgebaut. Das ist eine paternalistische Ordnungspolitik, die die Hasskultur in der Gesellschaft nur noch weiter mobilisiert.

Inwiefern ist die Regierung im Bilde bzw. involviert in die Vorgänge?

Die Regierung ist auf jeden Fall informiert über die Ereignisse. Letztes Jahr verabschiedeten der Staatsminister für Integration der Fidesz-Partei, Zoltán Balog und der sozialistische EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration, László Andor, die „Roma–Integrationsstrategie“. Dabei wurde die antiziganische Forschung überhaupt nicht beachtet. Das Abkommen bedient viel eher die in der Gesellschaft sowieso vorherrschenden stereotypen Vorurteile – etwa, dass die Roma selbst für ihr eigenes Schicksal verantwortlich seien, als dass es zur Selbstreflexion der Mehrheitsgesellschaft motivieren würde.

In Kleinstädten, in denen die offen antiziganisch eingestellte Jobbik-Partei die Mehrheit im Kommunalparlament stellt, überlässt die Regierung der Partei die vollkommene Befugnis über die Roma. In diesen Regionen liegt das Schicksal der Roma in den Händen von Jobbik. In diesen Kleinstädten und Dörfern herrschen Hass und Terror. Die Roma werden durch tägliche Schikane terrorisiert und haben Angst, ihre Kinder alleine auf die Straße gehen zu lassen. Der Vorstandsvorsitzende der Bürgerrechtsbewegung für die Republik, Aladár Horváth sagt inzwischen, Ungarn hätte sich zum Apartheid-Land entwickelt.. Für die Roma stehen Sanitäter und Polizei nicht oder zu spät zur Verfügung, wenn sie gebraucht werden. Die Feuerwehr kommt oft absichtlich zu spät und die Polizei nimmt keine Anzeigen oder Protokolle auf. Neulich wurde eine Familie vermutlich von Rechtsradikalen, die im Nachbarhaus feierten, angegriffen. Das Dach hat gebrannt. Doch die Behörden weigerten sich, das Band von der Videoüberwachungskamera auszuhändigen, das die Täter gezeigt hätte. Die Familie ist nicht versichert. Doch niemand kommt zur Hilfe. Ich habe einen Spendenaufruf für ein neues Dach gestartet. Fantastische 520 € sind aus Deutschland zusammen gekommen. Davon kann jedoch kein neues Dach gebaut werden. Doch das ist nur ein Beispiel von vielen.

Gibt es Hilfe von internationalen Organisationen?

Aladár Horváth spricht von einer kommenden humanitären Katastrophe. Es muss mehr Aufmerksamkeit auf Ungarn gerichtet werden. Die deutschen Medien berichten noch am häufigsten über die Vorgänge. Aber die Empörung auf deutscher Seite ist noch nicht groß genug. Es kommen zwar Delegationen und sehen mit Entsetzen, was sich im Lande abspielt, aber das sind immer noch einzelne, dezentrale Organisationen. Sie alleine können nicht viel ausrichten. Es sind Tropfen im Meer. Das europäische Parlament müsste tätig werden.

Wird gegen die „Hassmärsche“ der Rechtsextremen gegen Roma von staatlicher Seite nichts unternommen?

Die ungarische Garde ist offiziell verboten, wird aber von der Regierung geduldet. Am 17. März wurden auf dem Heldenplatz in Budapest 100 neue Gardisten vereidigt. In Städten mit großen Roma-Anteilen marschieren sie regelmäßig. Man kann sie zum Teil äußerlich nicht von der Polizei unterscheiden, es sei denn, einem sind die Abzeichen bekannt. Es kommt vor, dass sie durch die Straßen patrouillieren und nach Ausweisen verlangen. Verängstigte Menschen, die die Abzeichen nicht kennen, folgen dem gehorsam.

Gibt es Widerstand gegen die Hassmärsche von zivilgesellschaftlicher Seite?

Es gibt einige dezentrale Organisationen, die aber alle irrsinnig wenig Geld zur Verfügung haben. Es sind meist Linksliberale oder Liberale, jedenfalls „Nicht-national-Gesinnte“, die dann aufgrund ihrer politischen Einstellung bekämpft oder entlassen werden. Sie alle haben es fürchterlich schwer. Diejenigen, die helfen, werden als Panikmacher*innen dargestellt. An Ostern 2011 mussten etwa 300 Roma-Frauen und Kinder aus der Gemeinde Gyöngyöspata evakuiert werden, weil die von rechtsextremen Gruppierungen ausgehende Bedrohung außer Kontrolle geriet. Daraufhin wurden die Helfer an den Pranger gestellt und mussten sich vor einem Untersuchungsausschuss verteidigen. Ein Geschäftsmann aus den USA, der die Aktion finanziell unterstützt hatte, musste das Land inzwischen verlassen, weil er um sein Wohlbefinden fürchtete. Helfer*innen werden generell als Hassobjekte dargestellt, die das Land quasi vor dem Westen verraten würden. Die Milla-Bewegung, die aus 1 Million für die Pressefreiheit hervorging, ist ein Beispiel für eine demokratische Bewegung. Aber die Regierung macht es mit ihren Methoden allen schwer. Wenn zum Beispiel Spenden auf einem Privatkonto gesammelt werden, wird der Organisator von der Steuerbehörde unter Druck gesetzt. Häufig wird bei Engagierten Steuerhinterziehung vermutet und versucht, ihnen somit der Boden unter den Füßen wegzureißen. 

Wird der Willen einer Minderheit oder doch der Mehrheit vollstreckt? Sind wirklich 80% in Ungarn gegenüber Sinti und Roma feindlich eingestellt?

Ja, diese Statistik stimmt tatsächlich. Einer Untersuchung des Progressiv Instituts in Budapest aus dem Jahr 2009 zufolge sind über 80% der Befragten antiziganisch eingestellt. Das betrifft natürlich auch sämtliche Verwaltungen des öffentlichen Dienstes. Es ist ständig die Rede von der „Zigeunerkriminalität“. Vor ein paar Tagen lief im öffentlichen-rechtlichen Fernsehen eine antiziganische Dokumentation. Genauso ‚Mainstream‘ ist es, antisemitisch zu sein. Wobei sich der Antisemitismus nicht gegen eine Religionsgruppe richtet. Zielobjekte des Hasses sind alle Menschen, die anti-völkischen Stereotypen entsprechen. Dazu zählen zum Beispiel kritische liberale Intellektuelle, Linksliberale und Sozialdemokraten, die auch von Regierungsmitgliedern als „bolschewistische Kommunisten“ beschimpft werden. Nach einer aktuellen Untersuchung der Anti-Defamation League ist der Antisemitismus von zehn untersuchten EU-Ländern in Ungarn weit am höchsten. Homophobie ist gleichermaßen verbreitet.  Auch die neue Verfassung erkennt gleichgeschlechtliche Ehen nicht an. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind noch erlaubt. Es wird sich zeigen wie lange noch. 

Wie lässt sich Antiziganismus, Rassismus und Antisemitismus ohne staatliche Unterstützung bekämpfen?

Kultur- und bildungspolitisch wurde viel versäumt in der Vergangenheit. Es hat sich keine demokratische Kultur entwickelt. Es müssten demokratiefördernde Maßnahmen getroffen werden. Es gibt oppositionelle Bewegungen, die Antiziganismus, Rassismus und Antisemitismus bekämpfen wollen. Sie sind allerdings dezentral und haben nicht alle eine demokratische Basis. Viele der linksgerichteten Organisationen sind stalinistisch angehaucht. Der Widerstand ist zum Großteil konzeptionslos und eben nicht immer demokratisch. Das alles macht es sehr schwer.   

Finden Sie, dass die anderen EU-Staaten angemessen reagieren? Oder ist das Appeasement-Politik, wo deutliche Worte und Taten gefragt wären?

Nein, ich finde nicht, dass die EU-Staaten angemessen reagieren. Was ich als besonders schlimm empfinde, ist die brüderschaftliche Nähe der deutschen und ungarischen Regierung. Wenn man die ideologische Nähe der ungarischen Regierung zu der offen antisemitisch und antiziganisch eingestellten Partei Jobbik beachtet, dann verwundert einen diese unbekümmerte und freundschaftliche Kommunikation der deutschen Regierung doch sehr. Guido Westerwelle hat sich nach der ungarischen Ratspräsidentschaft letztes Jahr bei Viktor Orbán bedankt, obwohl zu demselben Zeitpunkt die Roma-Integrationsstrategie und das neue Mediengesetz verabschiedet wurden und Roma aus Gyöngyöspata evakuiert werden mussten,

Was wäre Ihrer Meinung nach wichtig, um nicht-rechte Kräfte in Ungarn zu unterstützen?

Man muss Organisationen, die wirklich demokratisch sind, unterstützen. Stalinistische Antifas beispielsweise müssen differenziert behandelt werden. Die ‚Milla‘-Bewegung, die fälschlicherweise einen nicht-demokratischen Anschein macht, scheint ein gutes Beispiel für eine konstruktive, oppositionelle Bewegung zu sein. Auch die ‚Bürgerrechtsbewegung für die Republik‘ leistet tolle Arbeit, nicht zu schweigen von der Gemeinde Gábor Iványis und von weiteren kleinen Organisationen. Solche Bewegungen brauchen dringend finanzielle Unterstützung. Außerdem brauchen sie Aufmerksamkeit. Die deutsche Presse ist da vorbildhaft. Die deutschen Medien berichten im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern am intensivsten über die aktuelle Lage in Ungarn. Was fehlt, ist die Unterstützung der deutschen Regierung und der EU.  

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