„Dass die Mörder frei rumlaufen, ist kaum auszuhalten“, schreibt Semiya Şimşek in einem Statement anlässlich der Aussage von Zschäpe am 3. Dezember 2025. Die Tochter von Enver Şimşek, der im Jahr 2000 von Mitgliedern des NSU ermordet wurde, stellt zwei Fragen, die die Angehörigen der Opfer weiterhin umtreiben: „Wer hat unsere Angehörigen getötet? Wer war wirklich beteiligt?“
Ohne Zweifel hat die im Münchener NSU-Prozess verurteilte Zschäpe Wissen, das zur Klärung dieser Fragen beitragen könnte. Die Tatorte lagen jeweils hunderte Kilometer von dem Wohnort des Kern-Trios entfernt, so dass es bei der Vorbereitung der Taten lokale Unterstützer*innen gegeben haben muss. Doch Zschäpe packt auch als Zeugin nicht aus.
In dem derzeit laufenden Prozess gegen Susann Eminger in Dresden soll geklärt werden, ob sie den NSU unterstützt hat. Ihr wird u.a. vorgeworfen, Zschäpe wiederholt eine Krankenkassenkarte zur Verfügung gestellt zu haben. Für die Frage der Unterstützung ist zentral, was Eminger über die Taten des NSU wusste – und wann.
Zschäpe versucht, Eminger zu entlasten
Doch immer, wenn es um Emingers Schuld gehen könnte, kann sich die Zeugin Zschäpe nicht erinnern: Sie kann sich beispielsweise nicht entsinnen, ob sie die Krankenkassenkarte von André oder Susann Eminger ausgehändigt bekommen hat. Auch kann sie sich nicht erinnern, Eminger von den Banküberfällen des NSU erzählt zu haben – obwohl sie das noch 2023 in einer polizeilichen Vernehmung beim Bundeskriminalamt angegeben hatte. Auch 2015, im Rahmen ihrer Einlassung im Münchener NSU-Prozess, hatte Zschäpe angegeben, dass Eminger seit 2007 von den Banküberfällen wusste und sie miteinander darüber sprachen.
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Eminger für ihre Unterstützungsleistungen größere Geschenke erhalten hat: eine Reise für die vierköpfige Familie nach Disneyland bei Paris und eine teure Musikanlage. Doch Zschäpe betont: Das seien Geburtstagsgeschenke gewesen. Auch wegen der Anmietung des Wohnmobils für den letzten Raubüberfall des NSU kann sich Zschäpe nicht entscheiden: „Vielleicht war auch Susann Eminger gar nicht dabei.“
Sie ist sichtlich bemüht, ihre ehemals enge Freundin und politische Weggefährtin zu entlasten: Eminger sei ein hilfsbereiter Mensch, lustig, zuvorkommend, empathisch und eine gute Mutter für die Kinder. Zschäpes Aussageverhalten verweist darauf, dass sie der ehemaligen Kameradin weiterhin eng verbunden ist.
„Steh ich jetzt hier vor Gericht?“
Doch es geht in Zschäpes Aussage auch um ihre eigene Schuld. Die Vorsitzende Richterin Herberger fragt, ob sie das Urteil im Münchener Verfahren angenommen habe. Das bejaht Zschäpe. Es fällt der Satz: „Ich schäme mich“. Aber es wird deutlich: Zschäpe hat keinerlei inneren Zugang zu den Opfern ihrer Taten. Reue ist nicht erkennbar. Die Richterin spricht jeden Mord und zwei der drei Sprengstoffanschläge einzeln an. Als sie das erste Mordopfer Enver Şimşek thematisiert, erzählt Zschäpe, sie sei „abgeschottet“ gewesen. Sie habe nicht gewusst, wo Böhnhardt und Mundlos hinfahren und hätte von den Taten immer erst im Nachhinein über die Nachrichten erfahren. Die Richterin fährt fort und stellt jeweils Fragen zu den nächsten Morden: Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç – nun unterbricht Zschäpe: Sie könne dazu nichts sagen, nur zu dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter, weil dieser „außergewöhnlich“ gewesen sei.
Es wirkt, als kennt Zschäpe die Namen ihrer migrantischen Opfer noch nicht einmal. Im Gegensatz zu dieser auffälligen Gefühllosigkeit erwähnt sie mehrfach, wie einschneidend der Wasserschaden in einem ihrer Wohnhäuser in Zwickau gewesen sei, nach dem sie polizeilich befragt wurde. Mehrere Ereignisse kann sie zeitlich nur in Bezug auf diesen Wasserschaden einordnen: danach oder davor. Auch betont sie, wie schlecht es einer ihrer Katzen gegangen sei, als sie diese während eines Urlaubs im Tierheim versorgen ließ. Es stellt sich der Eindruck ein: Der Wasserschaden und die Katzen sind emotional präsenter bei Zschäpe als die von ihr ermordeten Menschen.
Am frühen Nachmittag kommt es zu einem Konflikt zwischen Zschäpe und der Richterin. Es deutete sich schon an, dass Zschäpe keine Angaben machen will, die nicht direkt mit der Angeklagten Eminger zusammenhängen. Immer wieder reagiert sie trotzig. Als sie nach ihrer Zeit in Jena gefragt wird, beschwert sie sich, dass sie nicht damit gerechnet hätte, beim „Urschleim“ anfangen zu müssen. Wiederholt verweist sie auf Unterlagen, die der Richterin doch vorliegen müssten. Anstatt etwa über bisher noch nicht bekannte Unterstützer*innen des NSU zu sprechen, verliert sie sich in alltäglichen Banalitäten: Fahrradtouren, eine drohende Mückenplage am Urlaubsort u.ä. Als die Richterin das Urteil gegen Zschäpe aus dem Münchener Verfahren anspricht, fragt Zschäpe spitz zurück: „Steh ich jetzt hier vor Gericht?“ Sie gebe ihr Bestes und trotzdem sei ihr Eindruck, auf der „Anklagebank“ zu sitzen. Die Richterin bleibt bei ihren Fragen. Es kommt zu einer Pause, in der Zschäpe und ihr Anwalt Grasel sich beraten.
Zschäpe ist inzwischen in das Aussteiger*innen-Programm „EXIT“ aufgenommen worden und scheint um Haftverkürzung bemüht. Dass sie trotz ihres Interesses an einer möglichst kurzen Haft vor Gericht ihre Fasson verliert, unglaubwürdig und widersprüchlich berichtet, an relevanten Stellen Erinnerungslücken angibt und keine entscheidenden Informationen zum NSU preisgibt, spricht dafür, dass sich an ihrer politischen Überzeugung nichts geändert hat. In diesem Sinne hat sich Mandy Boulgarides‘ Einschätzung bewahrheitet. Die Tochter von Theodoros Boulgarides, der 2005 in München vom NSU ermordet wurde, schrieb im Vorfeld von Zschäpes Aussage: „Ich glaube nicht im Geringsten, dass dabei irgendetwas Substanzielles herauskommt, hätte sie wirklich etwas Wichtiges beizutragen, hätte sie es längst getan.“
Die Aufklärung des NSU muss weiter gehen
Antonia von der Behrens hat im Münchener NSU-Prozess die Familie Kubaşık als Nebenklageanwältin begleitet. Elif Kubaşık hat ihren Ehemann und Gamze Kubaşık ihren Vater verloren: Der NSU erschoss Mehmet Kubaşık 2006 in Dortmund. Von der Behrens betont, dass selbst, wenn Zschäpe etwas Neues sagen sollte, man vorsichtig sein muss, da sie bisher immer interessengeleitet und berechnend ausgesagt hat. Die Behörden dürfen nicht die fehlende Aufklärung auf Zschäpe schieben, sondern müssten unabhängig von ihr an der Aufklärung arbeiten: „Es besteht die Verpflichtung, weiterhin gerade auch an den Tatorten zu versuchen, mögliche Unterstützer*innen zu ermitteln“, sagt von der Behrens gegenüber Belltower.News. Außerdem sei es für die Familie Kubaşık sehr schwierig, dass sie nicht informiert werde. Von Zschäpes Aussagen beim Bundeskriminalamt hätten sie und die Opferangehörigen aus den Medien erfahren. Akteneinsicht oder eine Information der Betroffenen hätte die Bundesanwaltschaft abgelehnt.
Doch auch wenn die Aufklärung nur schleppend vorangeht, ans Aufgeben ist nicht zu denken. Auch am folgenden Prozesstag, am Donnerstag, den 4. Dezember 2025 wollen Elif und Gamze Kubaşık vor Ort sein. Gamze Kubaşık und Semiya Şimşek, beide Töchter von Mordopfern des NSU, haben erst kürzlich zusammen ein Buch veröffentlicht: „Unser Schmerz ist unsere Kraft“. Der Kampf um Aufklärung des NSU ist noch nicht vorbei.
Charlie Kaufhold verfolgt für die Amadeu Antonio Stiftung den Prozess gegen Susann Eminger am Dresdener Oberlandesgericht. Dieser Artikel ist der dritte Beitrag zu dem noch laufenden Verfahren. Die letzten Beiträge liest du hier und hier.


