Die Prozessberichterstattung stammt von Adalet Solingen und wurde dort zuerst veröffentlicht.
Am heutigen Prozesstag wurde bekannt: Die polizeiliche Auswertung der Google-Cloud-Daten des Angeklagten Daniel S. ist abgeschlossen. Darin enthalten: seine gesamte Suchhistorie. Die entsprechenden Scans wurden sowohl dem Gericht als auch der Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız auf CD zugesandt. Doch das Gericht stellte fest, dass zahlreiche Rückseiten der Scans kaum lesbar oder schlecht eingescannt waren. Die Konsequenz: Es mussten neue, besser lesbare Versionen bei der Polizei angefordert werden. Die Nebenklage legte Wert darauf, alte und neue Scans miteinander abgleichen zu können – ein Anliegen, das angesichts der bisherigen gravierenden Ermittlungsfehler mehr als berechtigt erscheint. Immerhin handelt es sich um 52 Seiten und 16 PDF-Dokumente.
Wir erinnern uns: Am letzten Verhandlungstag, dem 12. Mai, wurden die rechtsextremen Dateien auf der Festplatte der Lebensgefährtin des Angeklagten, Jessica B., einem Raphael L. zugeordnet. Laut Polizei ging aus der Ordnerstruktur hervor, dass Raphael L. seine Handy-Daten dort als Backup gesichert hätte.
Raphael L. wird heute als Zeuge befragt und erklärt, er habe keinen Kontakt zu Daniel S. und kenne ihn nicht. Daniel S. reagiert betont lässig auf den Blickkontakt mit Raphael L., während letzterer aussagt, dass er Jessica B. aus dem Kontext der Techno-Clubszene kennt und zwischen 2015 und 2017 regelmäßig Zeit mit ihr in Clubs und auf Festivals verbracht habe. Der letzte nachweisbare Kontakt fand laut Richter im Dezember 2018 statt – dies ist aus Chatprotokollen ersichtlich. Raphael L. beschreibt das Verhältnis als oberflächlich, keine Freundschaft und keine Intimität. Man habe sich in der Red Cat Lounge in Köln kennengelernt. In seinem damaligen Lebensabschnitt sei Raphael L. exzessiv feiern gewesen, inklusive Drogenkonsum. Jessica B. habe zu jener Zeit in der Normannenstraße in Wuppertal-Oberbarmen. Genau dort kam es am 5. Januar 2022 zu einer Brandstiftung, worauf an späterer Stelle näher eingegangen wird.
Ursprung rechtsextremer Hetzbilder weiterhin unklar
Der Richter fragt Raphael L., wie es sein kann, dass seine Handydaten – inklusive rechtsextremer Hetzbilder – auf der Festplatte von Jessica B. gefunden wurden. Dieser ist sich nicht ganz sicher. Die plausibelste Erklärung, die für ihn Sinn ergibt: Er habe eventuell, um Speicherplatz für Festivals freizumachen, ein Backup seines Handys über ihr Handy bzw. Notebook erstellt – in einer Zeit, als Handyspeicher knapp und Cloudlösungen teuer gewesen seien. Genau erinnern könne er sich daran aber nicht. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass Jessica B. in einer vorherigen Befragung bezüglich der NS-Propagandadateien ausgesagt hatte, dass sie das Notebook gebraucht gekauft habe und die Dateien aus diesem Kontext stammen könnten.
Der Richter befragt Raphael L. zu seiner politischen Haltung. Dieser betont, keine rechte Gesinnung zu haben und „rot aufgewachsen“ zu sein. Seine Stiefmutter sei SPD-Mitglied, er selbst verorte sich in der Mitte. Warum also hatte er die rechtsextremen Hetzbilder auf dem Handy? Antwort: Früher seien solche Inhalte über WhatsApp-Gruppen verschickt worden. Den Humor habe er nicht geteilt, aber auch nichts gelöscht. Man habe die automatische Bildspeicherung von WhatsApp nicht deaktivieren können – das sei erst später möglich gewesen. Er distanziert sich von den Bildern, gibt aber zu, sie früher nicht gelöscht zu haben.
Der Richter hakt nach: Hat er sein Handy verliehen, ist es mal beschädigt oder verloren gegangen? Da fällt Raphael L. ein: Es wurde um das Jahr 2016 gestohlen. Ob das der Grund für das Durchführen des Backups sei, wird aber nicht klar.
Die Nebenklageanwältin übernimmt die Befragung und will wissen, welche und wie viele Bilder ihm die Polizei bei der ersten Vernehmung gezeigt habe. Raphael L. antwortet: Etwa 30 Bilder auf einer DIN-A4-Seite. Wichtig: Dabei handelt es sich ausschließlich um Bilder, die die Nebenklage nachträglich selbst aufgedeckt und ins Verfahren eingebracht hatte. Die restlichen 166 Bilder – allesamt rechtsextremer Inhalt – wurden Raphael L. nicht von der Polizei vorgelegt und wurden nun im Gerichtssaal vorgeführt.
Unter den Bildern: explizite NS-Memes, das N-Wort, Hitler-Zitate, Hakenkreuze, Reichsadler, der Begriff „Gas“ in zynischem Kontext. Zwei Bilder stechen besonders hervor: Auf einem posieren zwei Männer mit teilvermummtem Gesicht und Pistolen vor einem Banner mit der Aufschrift „Ultras Köln Asozial“. Auf einem anderen sieht man zwei stark alkoholisierte Männer mit szenetypischer Kleidung aus dem rechtsextremen Milieu (u.a. Lonsdale).
Auf Nachfrage sagt Raphael L., er würde solche Bilder heute vermutlich löschen – früher aber wohl eher nicht. Sie hätten ihn genervt, weil sie automatisch in seiner Galerie auftauchten. Er wisse aber nicht, wer die Fotos gemacht oder verschickt habe. Auch die abgebildeten Personen erkenne er nicht. Ob er sich die Bilder damals angeschaut habe? Schulterzucken. Weitere Fragen dazu werden nicht gestellt.
Die Nebenklageanwältin fragt aber kritisch nach: Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand vor einem Festival ein vollständiges Handy-Backup erstellt bei einer Person, mit der man nicht befreundet sei? Außerdem gibt sie zu bedenken, dass die Bilder auch auf anderen Wegen auf die Festplatte von Jessica B. gelangt sein könnten. Sie fragt Raphael L. nach seinem Autokennzeichen und seiner Handynummer. Das Kennzeichen sei aus Bergheim, nicht Köln – mehr wolle er nicht sagen. Der Richter beendet die Befragung durch die Nebenklageanwältin und moniert ihre Fragen als „suggestiv“ – weil sie offen lässt, wie die Bilder auf die Festplatte von Jessica B. gelangt sein könnten.
Ein weiterer Brandanschlag durch Daniel S.?
Nach der Befragung von Raphael L. bringt die Nebenklageanwältin neue Informationen ein, die es in sich haben: Daniel S. soll mit einem marokkanischen Staatsbürger in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen sein – gemeinsam mit zwei italienischen Staatsbürgern. Dieser lebte – wie Jessica B. zur damaligen Zeit auch – in der Normannenstraße in Wuppertal. Und genau dort kam es am 5. Januar 2022 zu einem Brandanschlag, dessen Täter bislang noch nicht von der Polizei ermittelt werden konnten. Die Nebenklageanwältin berichtet, dass Daniel S. unmittelbar nach der Tat diese Adresse im Internet gesucht haben soll. Sie fordert, den besagten marokkanischen Staatsbürger zum 11. Juni als Zeugen zu laden und die Ermittlungsakten zum Brandanschlag des 5. Januar 2022 in das aktuelle Verfahren einzubeziehen, um etwaige Parallelen bei Brandbeschleunigern zu prüfen. Es bestehe ein dringender Verdacht, dass Daniel S. auch hinter dieser Tat stecken könnte.
Zusätzlich fordert sie das Originaldokument, in dem Daniel S. ursprünglich eine rechtsextreme Gesinnung attestiert und wieder handschriftlich gestrichen wurde – aus welchen Gründen auch immer. Bislang liegt das Papier nur als Kopie vor. Der Richter betont, das Gericht sei hier nicht für Ermittlungen gegen Beamte zuständig…
Abschließend verlangt die Nebenklageanwältin erneut, Einsicht in die Jobcenter-Akten des Angeklagten zu erhalten. Es soll geklärt werden, auf welche Wohnungen Daniel S. Sozialleistungen bezog – denn Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben sich weiterhin auf die zunehmend unwahrscheinliche These festgelegt, dass sämtliche bei der Hausdurchsuchung gefundenen NS-Materialien dem Vater zuzuordnen seien. Die ausbleibende Reaktion des Richters darauf lässt damit rechnen, dass das Gericht kein Interesse daran hat, die Akten des Jobcenters aus eigenem Antrieb ermitteln wollen, was dafür spricht, sich weiterhin auf die These der Verteidigung von Daniel S. festzulegen.
Die Sitzung vom 6. Juni wurde aufgehoben – in der Hoffnung, dass die Polizei bis zum 11. Juni alle gesicherten Daten auswertet. Die nächste planmäßige Verhandlung ist für den 11. Juni angesetzt, die übernächste soll am 24. Juni folgen.
Unser Kommentar zum bisherigen Prozessverlauf:
Was sich hier abzeichnet, ist ein Justizverfahren, das mehr Fragen aufwirft als es beantwortet. Die Ermittlungen gegen einen mutmaßlich rechtsextremen Brandstifter verlaufen schleppend, Beweise verschwinden oder tauchen nur durch Eigeninitiative der Nebenklage auf. Die Staatsanwaltschaft und auch das Gericht scheinen weiterhin der Verteidigung des Täters zu folgen, während berechtigte Zweifel an deren Hypothesen vom Richter nicht ernst genommen oder gar als „suggestiv“ dargestellt werden.
Wie kann es sein, dass in einem Verfahren mit einem so gravierendem Hintergrund derart schlampig gearbeitet wird? Und warum werden in Fällen mit islamistischem oder linksradikalem Hintergrund regelmäßig ganze Personennetzwerke durchleuchtet oder mit Blick auf die Budapest-Prozesse und die Letzte Generation sogar vermeintliche Terrorgruppen heraufbeschwört – während man bei mutmaßlich rechtsextrem motivierten Brandanschlägen nur widerwillig ermittelt? Wem fühlt sich die Justiz in unserem Land verpflichtet – und wem nicht?