Die Prozessberichterstattung stammt von Adalet Solingen und wurde dort zuerst veröffentlicht.
Jessica B. lebte in der Normannenstraße in Wuppertal, wo es am 5. Januar 2022 ebenfalls zu einem Brand kam und Bewohner:innen des Hauses von der Feuerwehr per Drehleiter aus dem Fenster gerettet werden mussten – wie auch beim Brand in Solingen am 25. März 2024 hatten viele einen Migrationshintergrund.
Schon beim letzten Verhandlungstag am 2. Juni 2025 wurde bekannt, dass der Täter Daniel S. unmittelbar nach dem Brandausbruch am 5. Januar 2022 die Adresse Normannenstraße in Wuppertal gegoogelt hat. Über die Polizeiakten zum Täter Daniel S. konnte die Nebenklagevertreterin Seda Başay-Yıldız herausfinden, dass sich Daniel S. und sein Nachbar gegenseitig angezeigt hatten. Daher wird der Nachbar als Zeuge zunächst vom Richter Jochen Kötter zu seinem nachbarschaftlichen Verhältnis zum Täter Daniel S. befragt, der zwar nicht in der Normannenstraße gewohnt hat, doch häufig bei seiner Partnerin Jessica B. zu Besuch war.
Technopartys, klirrende Flaschen und körperliche Angriffe
Der Nachbar schildert, dass die gesamte Nachbarschaft Konflikte mit dem Täter Daniel S. gehabt habe, da in der Wohnung oft gefeiert und laut Techno gehört wurde, wobei auch häufig klirrende Flaschen zu hören gewesen seien. Daher sei von verschiedenen Nachbar:innen regelmäßig die Polizei gerufen worden – auch von ihm selbst. Auf vorherige Bitten, die Musik leiser zu machen, habe Daniel S. sehr aggressiv reagiert, sodass ein Gespräch nicht möglich war. Der Nachbar berichtet weiterhin, dass Daniel S. es wohl besonders auf ihn abgesehen habe. So habe er eines Morgens Geräusche hinter der Wohnungstür gehört. Als er diese öffnete, stand Daniel S. mit einem Handy bzw. Tablet direkt vor der Tür. Als der Nachbar Daniel S. darauf ansprach, was dieser vor seiner Tür wolle, habe Daniel S. ihn prompt mit Pfefferspray attackiert, woraufhin der Nachbar ihn angezeigt hatte. Darüber hinaus sei Daniel S. auch in anderen Fällen aggressiv gewesen: er habe etwa den Nachbarn im Treppenhaus gestoßen oder bei einem gleichzeitigen Betreten des Hauses die Eingangstür von innen abgeschlossen, damit der Nachbar diese erneut aufschließen muss.
Zugeklebte Schlüssellöcher, brennbare Flüssigkeiten und Diebstähle aus Keller und Briefkasten
Der Zeuge berichtet von mehreren sehr auffälligen Ereignissen im Zeitraum vor dem Brand, die in der Konsequenz eigentlich nur eine einzige Vermutung zulassen: Dass Daniel S. auch den Brand in der Normannenstraße vom 5. Januar 2022 gelegt hat, und dass der Brandanschlag in Solingen vom 25. März 2024 hätte verhindert werden können, wenn die Polizei zuvor ordentlich ermittelt hätte. Vier Menschen könnten heute noch am Leben sein.
Zunächst berichtet der Zeuge davon, dass im Zeitraum vor dem Brand seine Fußmatte drei bis vier Mal mit einer öligen, nach Diesel riechenden Flüssigkeit begossen worden war. Außerdem sei sein Schlüsselloch wiederholt zugeklebt worden, sodass er nicht die Wohnung betreten konnte. Er berichtet von zwei Diebstählen aus seinem Kellerabteil und davon, dass ihm Briefe aus dem Briefkasten geklaut worden seien – darunter auch ein Briefe mit einer Visa-Karte und der dazugehörigen PIN, woraufhin auch Geld von seinem Konto entwendet wurde. Der Zeuge habe die Abhebungen und Käufe von seinem Konto der Polizei gemeldet und das Geld auch erstattet bekommen. Ob die Polizei den Täter jemals ermittelt hat, ist bis heute unklar. Bei keinem dieser Vorfälle konnte der Zeuge Daniel S. als Täter beobachten, doch seit dieser nicht mehr im Haus wohnt, habe es keine dieser Probleme bzw. Vorfälle mehr gegeben. Insgesamt fühlte sich der Nachbar von Daniel S. permanent beobachtet – und zwar “besser als von der Polizei”.
Abgeschlossene Fluchtwege, offener Zugang zum Heizungskeller und zwei Gasflaschen
Daniel S. scheint es nicht nur auf den Zeugen abgesehen zu haben: Letzterer schildert, dass es im Zeitraum vor dem Brand im Januar 2022 zu mehreren Manipulationen im Keller des Wohnhauses gekommen war. Dort gab es einen Kellerraum mit Zugang zur Straße, in dem die Mülltonnen der Bewohner:innen gelagert wurden. Einige Wochen vor dem Brand wurde jedoch das Schloss ausgetauscht, sodass die Bewohner:innen des Hauses die Mülltonnen nicht mehr in den Keller zurückstellen konnten. Zum einen wurde damit ein möglicher Fluchtweg versperrt, durch den die Bewohner:innen das Haus im Brandfall hätten verlassen können. Zum anderen berichtet der Nachbar, dass die Sicherheitstür zum Heizungsraum, die sonst immer abgeschlossen gewesen sei, vor dem Brand nun aufgeschlossen war. Und genau von dort aus soll der Brand laut Polizei seinen Ursprung genommen haben. Bei der Befragung des Nachbarn wurden auch zahlreiche Bilder im Gerichtssaal gezeigt, auf denen die Brandschäden im Keller des Hauses zu sehen waren. Dabei sind auch zwei Gasflaschen im Eingangsbereich des Kellerabteils mit den Mülltonnen zu sehen, das zur Straße führt. Der Nachbar betont, dass er bis dato noch nie Gasflaschen im Keller gesehen habe.
Der Brand am 5. Januar 2022: Keine Befragung, keine Ermittlung?
Am Tag des Brands kam der Zeuge gegen 17:30 von der Arbeit zurück. Auf Rückfrage sagt er, dass er nicht darauf geachtet habe, ob auch an diesem Tag seine Fußmatte mit einer öligen Flüssigkeit getränkt war. Den Brand selbst bemerkte er gegen 21 Uhr durch den Geruch und die Schreie der Nachbar:innen, Rauch- bzw. Brandmelder gab im Haus keine – bis heute. Nachdem der Zeuge den Brand bemerkte, öffnete er seine Wohnungstür und sah dichten schwarzen Rauch im Treppenhaus. Dennoch entschloss er sich als einziger Bewohner, das Haus über das Treppenhaus zu verlassen. Glücklicherweise nahm er dabei seinen Hausschlüssel mit, denn die Eingangstür im Erdgeschoss war abgeschlossen, was seiner Aussage zufolge sehr ungewöhnlich war. Der Nachbar rief sofort danach die Feuerwehr und beobachtete den Einsatz aus nächster Nähe, doch er wurde weder in der Tatnacht noch danach jemals von der Polizei befragt. Warum?
Dass dieser Brand von der Polizei als ausermittelt eingestuft und in die Akten gelegt wurde, ohne dass der Zeuge vom heutigen Prozess jemals befragt wurde, lässt uns daran zweifeln, inwiefern die Polizei an der Aufklärung dieses Brandes wirklich interessiert war. Laut der Akte zum Brand sei ein Polizeibeamter anhand der Fotos zum Schluss gekommen, dass ein Brandsachverständiger nicht nötig sei, um die Brandursache zu ermitteln.
Nach der Befragung des Nachbarn wurde noch ein Chatverlauf zwischen dem Täter Daniel S. und seiner Partnerin Jessica B. von Richter Kötter vorgelesen, der sich am 5. Januar 2022 vor dem Brand in der Normannenstraße abgespielt hat. Jessica B. fragt Daniel S.: “Wo bleibst du jetzt?”. Am späten Nachmittag wollten die beiden wohl zusammen Einkaufen gehen, doch Daniel S. erscheint nicht, auch nicht später zum Abendessen. Er beteuert, dass er gleich losfahre und noch Matratzen und Bilder mitnehmen sowie Lampen abmontieren müsse. Jessica B. hat wenig Verständnis dafür, warum er dafür solange braucht… An dieser Stelle wird deutlich, dass Jessica B. deutlich länger in der Wohnung in der Normannenstraße gelebt hat als vor dem Meldeamt angegeben, und der Chat deutet daraufhin, dass ihr finaler Auszug unmittelbar vor der Brandlegung abgeschlossen wurde… Richter Kötter mahnt, dass es noch zu früh sei, um Daniel S. als Täter für den Brand vom 5. Januar 2022 zu identifizieren – genau dieser Prozess habe gelehrt keine voreiligen Schlüsse zu ziehen – doch er macht Daniel S. ein Angebot zu gestehen, um sein “Gewissen zu erleichtern”.
Wie geht es nun weiter im Prozess gegen Daniel S.?
Rückfragen durch Richter Kötter sowie den Nebenklagevertreter:innen, inwiefern Spuren der unbekannten Flüssigkeit auf der Fußmatte bzw. möglichen Brandsätzen im Keller noch gefunden werden können, konnte der Zeuge nicht mit Sicherheit beantworten, da das Haus gereinigt und der Keller zu großen Teilen neu gestrichen worden sei. Die Staatsanwaltschaft hat ein Gutachten eines Brandsachverständigen in Auftrag gegeben, während die Jobcenter-Akten von Daniel S. weiterhin nicht von der Kammer hinzugezogen wurden – Richter Kötter machte dabei auch deutlich, dass dies weiterhin nicht geplant sei. Die Akten des Jobcenters sind aber für den Prozess weiterhin sehr relevant, weil sie Aufschluss darüber geben, in welcher Wohnung Daniel S. gelebt hat, und damit Aufschluss darüber geben, ob die bei der Hausdurchsuchung in Solingen entdeckten nationalsozialistischen Bücher Daniel S. oder seinem Vater zuzurechnen sind.
Unser Fazit zum heutigen Prozesstag:
Aus unserer Sicht ist es sehr wahrscheinlich, dass Daniel S. auch den Bandanschlag am 5. Januar 2022 in der Normannenstraße in Wuppertal begangen hat. Dafür gibt es zahlreiche Indizien:
- Daniel S. war oft im Haus und hatte wiederholt Konflikte mit der Nachbarschaft
- Die Fußmatte eines Bewohners wurde wiederholt mit einer nach Diesel riechende Flüssigkeit begossen und seine Wohnungstür zugeklebt
- Fluchtwege in Keller und Treppenhaus wurden verschlossen, während plötzlich Gasflaschen im Keller aufgetaucht sind
- Die meisten Bewohner:innen des Hauses haben einen Migrationshintergrund – wie auch beim Brandanschlag des 25. März 2025
- Daniel S. hat die Normannenstraße unmittelbar nach der Brandlegung auf Google gesucht
- Daniel S. hat sich am Abend vor der Brandlegung zum gemeinsamen Einkaufen und Abendessen mit seiner Partnerin Jessica B. deutlich verspätet
- Der finale Auszug von Jessica B. und die Brandlegung fanden am selben Tag statt
- Es wurde ein Zugang zum zuvor hinter einer Sicherheitstür abgeschlossenen Heizungskeller geschaffen, von welchem der Brand laut Polizei ausgegangen sein soll
Keine dieser Indizien wurden bisher im Prozess gegen Daniel S. von der Staatsanwaltschaft in den Prozess eingebracht. Doch auch die Wuppertaler Polizei hat ihren Ruf bei ihren “Ermittlungen” zum Brand am 5. Januar 2022 mehr als beschädigt:
- Warum wurde nicht der Bewohner befragt, die den Brand gesehen und die Feuerwehr überhaupt erst gerufen hat?
- Warum wurde kein Brandsachverständiger bestellt, um die Brandquelle zu ermitteln?
- Warum wurde nicht geprüft, ob es Personen geben könnte, die ein Tatmotiv oder ein auffälliges Verhalten haben könnten – so wie Daniel S.?
- Wie konnte die Wuppertaler Polizei die “Ermittlungen” zu diesem Brandanschlag einstellen, bevor sie überhaupt begonnen haben? Warum ist das passiert?
Wir sind der Auffassung, dass der Brandanschlag vom 25. März 2024 in Solingen hätte verhindert werden können, wenn die Wuppertaler Polizei ihrer Arbeit nachgegangen wäre. Es hätte verhindert werden können, dass vier Menschen ihr Leben verlieren. Und wir stellen uns die Frage: Gibt es weitere Brände, die mit Daniel S. in Verbindung gebracht werden können? Und warum scheinen auch bei diesem Brandanschlag Polizei und Justiz an einer aktiven Aufklärung des Falls nicht sonderlich interessiert zu sein?